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Entscheidung 13 WF 83/23


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 31.05.2023
Aktenzeichen 13 WF 83/23 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0531.13WF83.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird ihr ratenfreie Verfahrenskostenhilfe für den ersten Rechtszug bewilligt und Rechtsanwalt („Name01“) beigeordnet.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer Beschwerde gegen die Versagung von Verfahrenskostenhilfe.

Die Beteiligten sind seit November 2021 rechtskräftig geschiedene Eheleute. Sie betreuen ihre vier gemeinsamen Kinder im paritätischen Wechselmodell. Durch notariell beurkundete Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung vom 6.9.2021 haben sie unter anderem vereinbart:

"§ 2 Vereinbarungen

...

7. Kindesunterhalt, Umgang, Aufenthaltsbestimmungsrecht

...

Die Erschienenen stellen sich wechselseitig von Kindesunterhaltsansprüchen des jeweils anderen Elternteils bei Einhaltung des Wechselmodells im Innenverhältnis frei. ...

Das Aufenthaltsbestimmungsrecht liegt bei der Ehefrau. Die Ehefrau wird auch weiterhin - wie bisher - das Kindergeld erhalten. ..."

Der Antragsgegner hat bei der Familienkasse Berlin-Brandenburg im Februar 2023 die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung für die gemeinsamen Kinder ab Januar 2023 sowie die Einstellung der Auszahlung des Kindergeldes an die Antragstellerin mangels einvernehmlicher Bestimmung des Bezugsberechtigten durch beide Eltern erwirkt (vgl. Bl. 27 ff.).

Für ihren Antrag auf die Bestimmung, dass sie die Bezugsberechtigte für das Kindergeld der vier gemeinsamen Kinder der Beteiligten ist, erstrebt die Antragstellerin Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung ihres Verfahrensbevollmächtigten.

Das Amtsgericht hat den Verfahrenskostenhilfeantrag der Antragstellerin wegen Mutwillens unter Hinweis auf die Gerichtskostenfreiheit des Verfahrens und die fehlende Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung abgelehnt. Dem hiergegen gerichteten, mit einer Begründung versehenen Rechtsmittel der Antragstellerin (Bl. 43 f. VKH) hat es nicht abgeholfen. Die Gründe jenes Beschlusses lauten: "Die Entscheidung beruht auf § 68 Abs. 1 FamFG. Der Beschwerde wird aus den im angefochtenen Beschluss genannten Gründen nicht abgeholfen. Auf die weiterhin zutreffende Begründung wird Bezug genommen." (Bl. 45 VKH).

II.

1. Ungeachtet von Mängeln des Abhilfeverfahrens entscheidet das Beschwerdegericht selbst. Das Amtsgericht hat verfahrensfehlerhaft das Beschwerdevorbringen der Antragstellerin nicht berücksichtigt und den Nichtabhilfebeschluss nicht begründet und damit den Anspruch der Antragstellerin auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, 52 Abs. 3 VerfBbg) verletzt.

Der Verweis des Amtsgerichts zur Begründung der Nichtabhilfe auf die „im angefochtenen Beschluss genannten Gründe[n]“ (Bl. 45 VHK) ist unzureichend, da er sich auf eine formelhafte Behauptung beschränkt und die von der Antragstellerin zur Begründung ihres Rechtsmittels vorgebrachten Umstände vollständig übergeht. Das Amtsgericht hat mit der Nichtabhilfe nicht dargelegt, weshalb es die Hinweise der Antragstellerin auf die jedenfalls von ihr empfundene Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage sowie auf ihre geringen Rechtskenntnisse für unzureichend halte. Ob die Antragstellerin auch ohne anwaltliche Beratung alles vortragen könnte, was ihren Rechten und Interessen im vorliegenden Verfahren Geltung verschaffen könnte, hätte der Erörterung bedurft.

Die Verfahrensfehler würden die Aufhebung der Abhilfeentscheidung und Zurückverweisung der Sache zur Durchführung eines ordnungsgemäßen Abhilfeverfahrens rechtfertigen. Das Beschwerdegericht ist gleichwohl berechtigt, auch dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn Abhilfebeschluss oder -verfahren an Mängeln leiden. In Ansehung der von der Antragstellerin dargelegten Eilbedürftigkeit (Bl. 43 HA) und der Entscheidungsreife übt das Beschwerdegericht sein durch §§ 76 Abs. 2 FamFG, 572 Abs. 3 ZPO eröffnetes Ermessen dahin aus, selbst über die Beschwerde zu entscheiden.

2. Das als Beschwerde auszulegende Rechtsmittel ist zulässig.

Insbesondere übersteigt der Verfahrenswert der Hauptsache (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 2 S. 2, 2. Halbsatz ZPO) den Betrag von 600 €. Dabei kommt es im Fall der Bestimmung der Bezugsberechtigung für das Kindergeld auf das mit dem Antrag verfolgte Interesse des Antragstellers an. Dieses Interesse ist im Grundsatz nicht nach § 51 Abs. 3 FamGKG zu bemessen, weil diese Vorschrift lediglich den Wert bzw. bei vier Kindern die Werte (vgl. § 33 Abs. 1 S. 1 FamGKG, BeckOK KostR/Neumann, 41. Ed., 1.4.2023, § 51 FamGKG Rn 56 m. w. N.) für die Bemessung der Gerichtsgebühren festlegt. Der Wert des Beschwerdegegenstands ist bei Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit unter analoger Anwendung der §§ 3 ff. ZPO nach dem wirtschaftlichen Interesse zu schätzen (Dürbeck/Schneider, Kosten im Kindergeldverfahren nach § 231 II FamFG, NZFam 2020, 906).

Bei der hier in Streit stehenden Bezugsberechtigung des Kindergeldes für vier Kinder übersteigt das Interesse der Antragstellerin den Betrag von 600 €. Die Regelung der Bezugsberechtigung dient grundsätzlich der Verwaltungsvereinfachung und enthält keine Festlegung, welchem Elternteil das Kindergeld zusteht. Dies ist vielmehr regelmäßig Aufgabe des zivilrechtlichen Kindergeldausgleichs zwischen den Eltern, der bei minderjährigen Kindern in der Regel durch Anrechnung auf den Barbedarf des Kindes bewirkt wird (§ 1612 b Abs. 1 BGB). Bezieht - wie regelmäßig - der Elternteil das Kindergeld, in dessen Obhut sich das Kind befindet (Obhutsprinzip; § 64 Abs. 1 Satz 1 EStG), so kommt dem anderen Elternteil das hälftige Kindergeld dadurch zugute, dass dieser in entsprechender Höhe vom Kindesunterhalt entlastet wird (BGH Beschl. v. 29.1.2014 – XII ZB 555/12, BeckRS 2014, 4470 Rn. 10, beck-online).

Hier liegt der Fall aber anders. Die Beteiligten betreuen ihre vier gemeinsamen Kinder im paritätischen Wechselmodell. Durch notariell beurkundete Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung vom 6.9.2021 (Bl. 6 ff.) haben sie vereinbart, einander im Innenverhältnis bei Einhaltung des Wechselmodells wechselseitig von Kindesunterhaltsansprüchen frei zu stellen und dass die Antragstellerin weiterhin das Kindergeld für alle vier Kinder erhalten soll (Bl. 12). Bei dieser Fallgestaltung soll das Kindergeld der Antragstellerin nach ihrer Vorstellung unmittelbar und in voller Höhe für die Kinder zur Verfügung stehen, etwa auch anstelle ansonsten gegebenenfalls möglicher Unterhaltsleistungen des nach ihrem Vortrag finanziell besser gestellten Antragsgegners. Selbst wenn man ohne Berücksichtigung des Rechtsgedankens des § 9 ZPO nur auf den einjährigen Bezug abstellen wollte, geht ihr Interesse an der Bezugsberechtigung des Kindergelds für vier Kinder in diesem Fall jedenfalls über 600 € hinaus.

3. Die Beschwerde ist auch begründet.

a) Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe ist bereits deshalb geboten, weil das Verfahren auf Bestimmung eines Kindergeldbezugsberechtigten keineswegs gerichtsgebührenfrei ist. Die Gerichtsgebühren richten sich im erstinstanzlichen Verfahren nach KV Teil 1 Hauptabschnitt 3, Abschnitt 2 FamGKG (KV Vorb. 1.3.2 Abs. 1 Nr. 6 FamGKG). Für das Verfahren entsteht eine 2,0-Gebühr nach KV 1320 FamGKG, die sich unter den Voraussetzungen der KV 1321 FamGKG auf 0,5 ermäßigen kann (Dürbeck/Schneider, Kosten im Kindergeldverfahren nach § 231 II FamFG, NZFam 2020, 906).

b) Eine Vertretung durch einen Rechtsanwalt ist nicht vorgeschrieben. Es handelt sich um eine Unterhaltssache der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach § 231 Abs. 2 FamFG. Der Antragstellerin ist im vorliegenden Verfahren ein Rechtsanwalt beizuordnen. Nach § 78 Abs. 2 FamFG wird einem Beteiligten auf seinen Antrag ein zur Vertretung bereiter Rechtsanwalt seiner Wahl beigeordnet, wenn wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage die Vertretung durch einen Rechtsanwalt erforderlich erscheint.

Ob die Beiordnung im Sinne von § 78 Abs. 2 FamFG erforderlich erscheint, hängt davon ab, ob ein Bemittelter in der Lage des unbemittelten Gesuchstellers vernünftigerweise einen Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Interessen beauftragt hätte (BVerfG NJW 1997, 2103, 2104; NJW-RR 2007, 1713, 1714 und BeckRS 2010, 52864 Tz. 17). Ein bemittelter Verfahrensbeteiligter beurteilt die Notwendigkeit zur Beauftragung eines Rechtsanwalts unter Berücksichtigung seiner eigenen subjektiven Fähigkeiten. Die Erforderlichkeit zur Beiordnung eines Rechtsanwalts im Rahmen der bewilligten Verfahrenskostenhilfe beurteilt sich also auch nach den subjektiven Fähigkeiten des betroffenen Beteiligten (OLG Bremen - 4 WF 47/10 - veröffentlicht bei juris; OLG Hamburg - 10 WF 91/09 - veröffentlicht bei juris; OLG Hamburg - 12 WF 254/09 - veröffentlicht bei juris; OLG Zweibrücken NJW 2010, 1212, 1213; Bahrenfuss/Wittenstein FamFG § 78 Rdn. 5; Keidel/Zimmermann FamFG 16. Aufl. § 78 Rdn. 4; FamVerf/Gutjahr 2. Aufl. § 2 Rdn. 75).

§ 78 Abs. 2 FamFG gebietet folglich die Durchführung einer an den objektiven wie subjektiven Gegebenheiten des konkreten Falles orientierten Notwendigkeitsprüfung. Diese Prüfung wird nicht dadurch entbehrlich oder erleichtert, dass für die Erforderlichkeit der Beiordnung pauschal auf den einfachen, mittleren oder hohen Schwierigkeitsgrad einer Verfahrensart abgestellt wird (vgl. BGH Beschl. v. 23.6.2010 – XII ZB 232/09, BeckRS 2010, 17431 Rn. 25-27, beck-online).

Auf dieser Grundlage hat das Familiengericht die Beiordnung eines Rechtsanwalts zu Unrecht abgelehnt.

Die Einfachheit von Sach- und Rechtslage lässt sich hier schon objektiv nicht feststellen. Die Beteiligten haben sich durch notariell beurkundete Trennungs- und Scheidungsfolgenvereinbarung über die Kindergeldbezugsberechtigung der Antragstellerin geeinigt. Gleichwohl beansprucht der Antragsgegner nun die Bezugsberechtigung für sich. Mittlerweile hat er durch seinen Bevollmächtigten mitgeteilt, die Bezugsberechtigung der Antragstellerin solle von weiteren, nicht in die notariell beurkundete Vereinbarung aufgenommenen Voraussetzungen abhängen. Sein Vortrag ist streitig. Überdies beruft er sich zur Begründung seines Standpunktes, dass eine adäquate Zahlung des Kindergeldes an ihn vorzunehmen ist, auf höchstrichterliche Rechtsprechung.

In diesem Zusammenhang spricht auch der Grundsatz der Waffengleichheit für die Anwaltsbeiordnung. Obgleich der Gesetzgeber diesen Grundsatz nicht aus § 121 Abs. 2 2. Alt ZPO in die Regelung des § 78 Abs. 2 FamFG übernommen hat, weil die §§ 76 ff. FamFG nicht für streitige Familiensachen gelten (vgl. BT-Drs. 16/6308 S. 214), hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt darauf hingewiesen, dass der pauschale Verweis auf den Amtsermittlungsgrundsatz im Rahmen der Frage der Verfahrenskostenhilfebewilligung gegen das Prinzip der Rechtsschutzgleichheit verstößt (vgl. BVerfG NZS 2002, 420; NJW-RR 2007, 1713). Selbst wenn der Grundsatz der Waffengleichheit nach dem Willen des Gesetzgebers kein allein entscheidender Gesichtspunkt für die Beiordnung eines Rechtsanwalts sein soll, kann der Umstand der anwaltlichen Vertretung anderer Beteiligter gleichwohl ein Kriterium für die Erforderlichkeit zur Beiordnung eines Rechtsanwalts wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage sein (vgl. BGH Beschl. v. 23.6.2010 – XII ZB 232/09, BeckRS 2010, 17431 Rn. 17,; OLG Bremen NJW 2010, 2067; OLG Celle MDR 2010, 392; Keidel/Zimmermann FamFG 18. Aufl. § 78 Rdn. 14).

Allein diese Umstände erfordern die Beiordnung eines Anwalts auch auf Seiten der Antragstellerin.

Überdies hat sie vorgetragen, dass sie nach dem Stand ihrer Rechtskenntnisse ohne anwaltliche Beratung nicht einmal das zuständige Gericht hätte ermitteln können. Auch wenn dies in Ansehung des ausdrücklichen Hinweises im Schreiben der Familienkasse Berlin-Brandenburg vom 27.2.2023 (Bl. 31) schwer nachvollziehbar ist, liegt es doch auf der Hand, dass es ihr als rechtlicher Laiin nicht möglich sein wird, die Rechtsausführungen der Gegenseite ohne anwaltliche Beratung einer Überprüfung zu unterziehen.

3. Bei dieser Sachlage bleibt auch für die Annahme von Mutwillen im Rahmen des Verfahrenskostenhilfeverfahrens kein Raum, da auch ein begüterter Beteiligter nicht davon ausgehen müsste, ohne Inanspruchnahme gerichtlicher Hilfe zu seinem Recht zu gelangen.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, §§ 76 Abs. 2 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO.

Anlass, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht, §§ 76 Abs. 2 FamFG, 574 Abs. 2, 3 ZPO.