Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 28.06.2023 | |
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Aktenzeichen | OVG 10 N 22/23 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2023:0628.OVG10N22.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 3 Abs 1 GG, § 80 Abs 1 S 1 BauO BB |
Der Antrag der Kläger auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 31. Januar 2023 wird abgelehnt.
Die Kosten des Berufungszulassungsverfahrens tragen die Kläger als Gesamtschuldner.
Der Streitwert wird für die zweite Rechtsstufe auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
I.
Die Kläger wenden sich gegen eine bauaufsichtsrechtliche Ordnungsverfügung. Sie sind Eigentümer des Grundstücks N...G...(Flurstück Flur Gemarkung) und errichteten auf diesem nach eigenen Angaben im Jahr 2013 im straßenzugewandten Bereich zwischen Wohngebäude und Grundstücksgrenze einen Carport. Mit Bescheid vom 13. Juni 2019 verfügte der Beklagte die Beseitigung dieses Carports und drohte für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld an. Widerspruch und Klage hiergegen blieben ohne Erfolg.
II.
Es kann dahinstehen, ob den Klägern auf Antrag ihres Prozessbevollmächtigten wegen der nicht fristgerechten Einreichung einer Zulassungsbegründung, vgl. § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO, eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren wäre. Denn ihr Antrag auf Zulassung der Berufung, der auf die Geltendmachung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützt wird, hat in der Sache keinen Erfolg, da die dargelegten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung des Oberverwaltungsgerichts sind, die Zulassung der Berufung nicht rechtfertigen.
1. Die Kläger stellen nicht in Abrede, dass der Carport im Hinblick darauf materiell illegal ist, dass er der Vorgabe des § 6 Abs. 8 S. 2 BbgBO widerspricht, wonach die Länge der die Abstandsflächentiefe nicht einhaltenden Anlagen auf einem Grundstück insgesamt 15 Meter nicht überschreiten darf, und wenden sich ohne Erfolg gegen die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass der erlassenen Beseitigungsverfügung eine Verwirkung nicht entgegenstehe.
Die Kläger wenden in diesem Zusammenhang ein, dass das Verwaltungsgericht ihren erstinstanzlichen Vortrag zu dem Umstand, dass der Beklagte einen entsprechenden Vertrauenstatbestand gesetzt haben soll, nicht hinreichend berücksichtigt habe. Dabei übersehen sie, dass das Gericht in erster Linie darauf abgestellt hat, dass bauaufsichtliche Befugnisse „regelmäßig“ bereits nicht verwirken können. Dies entspricht der überwiegend in der obergerichtlichen Rechtsprechung und auch vom Senat vertretenen Auffassung, nach welcher die Befugnis zum bauordnungsbehördlichen Einschreiten überhaupt nicht der Verwirkung unterliegen kann (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 18. Juli 2008 - 9 ZB 05.365 -, juris Rn. 10; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 12. Juni 2012 - 8 A 10291/12 -, juris Rn. Ls 1 und Rn. 34; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. September 2016 - 5 S 114/14 -, juris Rn. 41;Hessischer VGH, Beschluss vom 10. August 2017 - 4 A 839/15.Z -, juris Rn. 8; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss des Senats vom 13. Juni 2022 - OVG 10 S 37.21 -, EA S. 6). Mit dieser selbstständig entscheidungstragenden Begründung setzen sich die Kläger nicht auseinander.
Unabhängig davon genügt ihr Vorbringen zu vermeintlichen Abstimmungen mit Mitarbeitern des Beklagten im Rahmen der Erteilung einer „Baugenehmigung“ für die Erweiterung ihrer Garage vom 1. April 2015 nicht den an einen Zulassungsantrag zu stellenden Anforderungen, da sie der Auffassung des Verwaltungsgerichts lediglich eine eigene Bewertung gegenüberstellen, ohne sich hinreichend mit den entscheidungstragenden Erwägungen auseinanderzusetzen. Denn das Verwaltungsgericht hat zwar den klägerischen Vortrag berücksichtigt, aber maßgeblich darauf abgestellt, dass dies nicht ausreiche, um eine hinreichende Vertrauensbetätigung anzunehmen, insbesondere da sich in der „Baugenehmigung“ vom 1. April 2015 – gemeint sind wohl die Bescheide über die Gestattung einer Abweichung nach § 60 BbgBO a.F. (nunmehr § 67 BbgBO) und die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB – der Hinweis finde, dass der Vorgartenbereich in keiner Weise überbaut werden dürfe. Ferner legte das Gericht den zu diesen Bescheiden gehörenden klägerseits eingereichten Lageplan zugrunde, auf dem der zum Zeitpunkt der Antragstellung vermeintlich bereits errichtete Carport nicht eingezeichnet ist. Hiermit setzen sich die Kläger nicht auseinander. Im Übrigen schließen bereits diese Aspekte es aus, im vorliegenden Fall eine seitens des Beklagten geschaffene hinreichende Vertrauensgrundlage für eine Verwirkung oder eine passive oder aktive Duldung anzunehmen. Denn aus der fehlenden Einzeichnung des Carports in dem zugehörigen Lageplan und der vor diesem Hintergrund in der Begründung der Bescheide vom 1. April 2015 getroffenen Aussage, dass der Vorgartenbereich „in keiner Weise“ überbaut werden dürfe, ist deutlich zu erkennen, dass der Beklagte gerade eine Bebauung im Bereich zwischen der Außenwand des Wohngebäudes und der Straße nicht hinnehmen wollte.
2. Ohne Erfolg bleibt auch das Vorbringen der Kläger, das Verwaltungsgericht habe zu Unrecht nicht angenommen, dass ihre Inanspruchnahme gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoße, da der Beklagte gleichheitswidrig gegen die Bebauung auf anderen Grundstücken (K... und N...) nicht vorgegangen sei.
Soweit sie einwenden, es existierten entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die auf den benannten Grundstücken vorhandene Grenzbebauung erst nach dem Erlass der streitgegenständlichen Beseitigungsverfügung entstanden sei, verkennen sie, dass das Gericht seine Erkenntnisse auf Basis der in den Verwaltungsvorgängen dokumentierten Ortsbegehung vom 4. März 2019 gewonnen hat. Indem die Kläger lediglich das Gegenteil behaupten, ohne sich mit dieser Erwägung auseinanderzusetzen, erschüttern sie nicht die dargestellte Annahme des Verwaltungsgerichts.
Unabhängig davon hat das Verwaltungsgericht auch darauf verwiesen, dass der Vertreter des Beklagten im Rahmen der mündlichen Verhandlung erklärt hat, keine Kenntnis von den Baurechtsverstößen gehabt zu haben und diesen im Nachgang nachzugehen. Soweit die Kläger diese Aussage als nicht „glaubwürdig“ ansehen, stellen sie wiederum in Ermangelung schlüssiger Gegenargumente die Richtigkeit dessen nicht in Frage. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass es Art. 3 Abs. 1 GG der Bauaufsichtsbehörde lediglich verwehrt, systemlos (bzw. planlos) oder willkürlich vorzugehen. Entschließt sie sich zu einem Einschreiten, so ist es ihr unbenommen, die Verhältnisse nach und nach zu bereinigen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. September 2016 - OVG 10 N 7.14 -, juris Rn. 16 m.w.N.). Sie ist insbesondere nicht gehalten, eine Beseitigungsanordnung nur dann zu erlassen, wenn sie zuvor ermittelt hat, ob in dem Gebiet andere vergleichbare Baurechtsverstöße vorliegen. Der Gleichbehandlungsgrundsatz gebietet es nicht, ein Einschreiten generell von derartigen Ermittlungen abhängig zu machen. Ebenso wenig bedarf es der vorherigen Festlegung einer Prioritätenfolge, wenn die Behörde gegen andere Fälle alsbald nach Bekanntwerden einschreitet (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 11. August 2017 - OVG 2 N 61.15 -, juris Rn. 12 m.w.N.). Im vorliegenden Fall ist zwar das gesamte Verfahren zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bereits seit mehreren Jahren (seit Juni 2018) geführt worden, die letzten aus dem Verwaltungsvorgang ersichtlichen Luftaufnahmen stammen aber aus der Dokumentation der Ortsbegehung vom 4. März 2019, auf denen die Überschreitung der Grenzbebauung auf den genannten Grundstücken keinesfalls so eindeutig ist, dass sie sich ohne Weiteres aufdrängt. Zudem haben die Kläger überhaupt erst mit Schriftsatz vom 26. Juli 2022 auf die vermeintliche Überschreitung des Gesamtmaßes der Grenzbebauung in Bezug auf diese Grundstücke hingewiesen. Zuvor ist allein eine Überschreitung der Festsetzungen des Bebauungsplans mit Blick auf die überbaubare Grundstücksfläche thematisiert worden. Vor diesem Hintergrund gibt es keinen vernünftigen Grund, an dem Wahrheitsgehalt der Aussage des Vertreters des Beklagten zu zweifeln.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.1.3 und Nr. 1.7.2 sowie Nr. 9.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit und folgt der erstinstanzlichen Entscheidung.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).