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Entscheidung 13 UF 157/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 21.06.2023
Aktenzeichen 13 UF 157/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0621.13UF157.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Gehörsrügen der Antragsbeteiligten wird der Beschluss des Senats vom 29.03.2023 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Auf die Beschwerde der Antragsgegnerin wird der Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 23.08.2022 abgeändert:

Unter Antragsabweisung im Übrigen wird der Beschluss des Amtsgerichts Strausberg vom 23.08.2022 abgeändert und dem Antragsteller das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Schulwahl für das gemeinsame Kind „Y“, geboren am ….2016, sowie das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die am …..2014 geborene „X“ übertragen.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Die Kosten beider Rechtszüge werden gegeneinander aufgehoben.

Der Beschwerdewert wird festgesetzt auf 4.000 €.

Gründe

I.

Die beschwerdeführende Mutter wendet sich gegen die Übertragung von Teilen des Sorgerechts für die gemeinsamen acht und sieben Jahre alten Kinder auf deren Vater, den Antragsteller.

Die bisher gemeinsam sorgeberechtigten Eltern betreuten ab 2017 ihre Kinder im Wechselmodell im wöchentlich Turnus. Am 03.04.2019 schlossen sie zur Beendigung eines vom Antragssteller angestrengten Verfahrens über das Aufenthaltsbestimmungsrecht zum Aktenzeichen 26 F 1141/19 vor dem Amtsgericht Pankow/Weißensee eine Vereinbarung, wonach u.a. weiterhin der Lebensmittelpunkt der Kinder bei beiden Eltern liegen und die Mutter die Kinder in den ungeraden und der Vater sie in den geraden Kalenderwochen betreuen sollte. Eine familiengerichtliche Billigung des Vergleichs erfolgte nicht. Seit Ende 2019 lebt der Vater mit neuer Familie in B…, die Mutter ebenfalls mit neuer Familie in B… K…. „X“ besucht eine Schule am Wohnort des Vaters. „Y“ ging zunächst in einen Kindergarten am Wohnort der Mutter und wurde im Sommer 2022 in die erste Klasse einer Grundschule am Wohnort des Vaters eingeschult. Die Kinder werden weiterhin im Wechselmodell von beiden Elternteilen betreut.

Der Vater will das Wechselmodell wegen der räumlichen Entfernung zwischen den Wohnorten der beiden Elternteile und wegen unüberbrückbarer Differenzen mit der Mutter nicht fortführen und den Lebensmittelpunkt der Kinder in seinem Haushalt begründen.

Der Antragsteller hat nach Rücknahme des weitergehenden Sorgerechtsantrags zuletzt beantragt (Bl. 186 R),

ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Schulwahl für die gemeinsamen Kinder „X“, geboren am …. 2014 und „Y“, geboren am …. 2016, zur alleinigen Ausübung zu übertragen.

Die Antragsgegnerin hat beantragt (Bl. 186 R),

ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Schulwahl für die gemeinsamen Kinder „X“, geboren am …. 2014 und „Y“, geboren am …. 2016, zur alleinigen Ausübung zu übertragen.

Mit dem angefochtenen Beschluss (Bl. 199 f.), auf dessen Inhalt der Senat wegen des weiteren Sach- und Streitstandes verweist, hat das Amtsgericht nach Einholung eines familienpsychologischen Sachverständigengutachtens und Anhörung der Kinder, beider Eltern im Anhörungstermin vom 04.11.2021 sowie des Vaters im Termin vom 18.08.2022, des Verfahrensbeistands, des Jugendamts sowie der Sachverständigen dem Antrag des Vaters entsprochen und eine Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts und des Rechts zur Schulwahl für die Kinder auf die Mutter abgelehnt.

Mit ihrer gegen die amtsgerichtliche Entscheidung eingelegten Beschwerde macht die Mutter geltend, sie sei nicht, wie aus ihrer Sicht erforderlich, nochmals angehört worden. In diesem Fall wäre eine sorgerechtliche Entscheidung zu „X“ voraussichtlich nicht notwendig gewesen. Eine vom Amtsgericht konstatierte bessere Eignung des Vaters ergebe sich nicht aus dem Sachverständigengutachten. Der Antragsteller habe „Y“ mit der Drohung eines Kontaktabbruchs dahingehend unter Druck gesetzt und beeinflusst, dass dieser sich für die vom Vater ausgesuchte Schule ausgesprochen habe. Nun leide er unter dem Verlust des alten Freundeskreises und werde in der Schule, die sie auch für weniger geeignet halte, als jene an ihrem Wohnort, verhaltensauffällig. Die Abänderung des bisher praktizierten Wechselmodells und der bestehenden Kontinuität der Lebensverhältnisse gegen den Willen des Kindes werde dieses nur schwer verkraften. Die Beschulung und der Lebensmittelpunkt von „Y“ an ihrem Wohnort seien mit Blick auf das Kindeswohl geeigneter.

Die Mutter beantragt sinngemäß (Bl. 207, Bl. 39 E-Akte),

unter Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Strausberg vom 23.08.2022 ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Schulwahl für das gemeinsame Kind „Y“, geboren am …. 2016 zur alleinigen Ausübung zu übertragen, sowie

in Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Strausberg vom 23.08.2022 den Antrag des Vaters, ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Schulwahl für das gemeinsame Kind „X“, geboren am …. 2014, zur alleinigen Ausübung zu übertragen, zurückzuweisen.

Der Vater beantragt (Bl. 5 E-Akte),

die Beschwerde zurückzuweisen.

Er und das Jugendamt verteidigen den angefochtenen Beschluss. Die Verfahrensbeiständin ist angehört worden.

Der Senat hat durch Beschluss vom 29.03.2023 für das Kind „Y“ das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Schulwahl auf den Vater übertragen. Von einer Regelung dieser Angelegenheiten in Bezug auf die Tochter „X“ hat der Senat abgesehen. Dabei hat der Senat seiner Entscheidung hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts für das Mädchen zugrunde gelegt, dass „X“ ihren Lebensmittelpunkt bereits beim Vater habe und die Mutter dies akzeptiere.

Hiergegen wenden sich Antragsteller und Antragsgegnerin mit ihren Rügen, mit denen sie übereinstimmend geltend machen, dass die Tochter „X“ weiterhin im Wechselmodell betreut werde und die Mutter nicht damit einverstanden sei, wenn „X“ ihren Lebensmittelpunkt allein beim Vater habe. Beide Antragsbeteiligten begehren die Fortsetzung des Verfahrens.

Wegen der weiteren Einzelheiten des zweitinstanzlichen Sach- und Streitstandes verweist der Senat auf die Korrespondenz im Beschwerderechtszug. Er entscheidet ohne mündliche Verhandlung (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG). Die ausführlichen Anhörungsvermerke des Amtsgerichts und die ausführlichen und anschaulichen schriftlichen Ausführungen der Beteiligten vermitteln einen ausreichenden Eindruck, sodass von einer mündlichen Verhandlung ein weiterer Erkenntnisgewinn nicht zu erwarten war.

II.

Auf die form- und fristgerechten Rügen der Antragsbeteiligten war das Verfahren gemäß § 44 FamFG fortzuführen und über die Sache unter klarstellender Abänderung der am 29.03.2023 ergangenen Senatsentscheidung unter Zugrundlegung der mit der Rüge zutreffend vorgetragenen Tatsachen erneut zu entscheiden.

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde der Mutter hat nur in Ansehung des Rechts zur Schulwahl für ihre Tochter „X“ Erfolg, sodass es im übrigen bei der Entscheidung des Amtsgerichts zu verbleiben hat.

1. Die Entscheidung des Amtsgerichts und das Verfahren, das ihr zugrunde liegt, waren nicht bereits wegen eines wesentlichen Verfahrensmangels nach § 69 Abs. 1 S. 3 FamFG aufzuheben und an das Amtsgericht zurückzuverweisen, weil eine gemäß § 160 FamFG erforderliche Anhörung eines Elternteils, hier der Mutter, unterblieben sei. Die Anhörung der Eltern dient der Wahrung des verfahrensrechtlichen Gehalts von Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, da das Gericht durch die Anhörung der Eltern in der mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck erhält, der die Grundlage für eine am Kindeswohl orientierte Entscheidung bildet (BVerfG FamRZ 2004, 354 (355); MüKoFamFG/Schumann, 3. Aufl. 2018, FamFG § 160). Dem ist das Amtsgericht mit der im Anhörungstermin vom 04.11.2021 durchgeführten persönlichen Anhörung der Mutter nachgekommen. Der als Sitzungsprotokoll bezeichnete Vermerk vom 04.11.2021 (Bl. 31), der als öffentliche Urkunde die Richtigkeit des niedergelegten Inhalts beweist (vgl. Zöller-Feskorn, 34. Aufl., § 28 Rn. 8 m.w.N.), besagt, dass die Mutter in der Sitzung anwesend war und dass mit den Erschienenen, also auch der Kindesmutter, die Sach- und Rechtslage erörtert wurde.

2. Der Senat war an der Entscheidung über die Zuordnung der benannten Teile des Sorgerechts nicht durch die vor dem Amtsgericht Pankow/Weißensee im Verfahren zum Aktenzeichen 26 F 1141/19 zwischen den Eltern geschlossene Vereinbarung vom 03.04.2019 gehindert.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann eine in einem Umgangsrechtsverfahren beschlossene oder mit familiengerichtlicher Genehmigung vereinbarte Regelung des Wechselmodells nur in einem Umgangsrechtsverfahren und nicht in einem Sorgerechtsverfahren abgeändert werden (vgl. BGH NJW 2022, 1533). Dem ist das Oberlandesgericht Frankfurt a. M. mit seinem Beschluss vom 26.4.2022 (Az. – 1 UF 219/21, NJW-RR 2022, 1229 Rn. 37) gefolgt. Der Senat sieht keinen Anlass, hiervon abweichend auch für den vorliegenden Fall, in dem das Wechselmodell gerade nicht in einem Umgangsverfahren, sondern in einem Sorgerechtsverfahren vereinbart und mangels familienrichtlicher Billigung der Elternvereinbarung vom 03.04.2019 gemäß §156 Abs. 2 FamFG auch nicht familiengerichtlich geregelt wurde, ein Umgangsverfahren für allein statthaft anzusehen. Der Streit über den Lebensmittelpunkt der Kinder ist vielmehr regelmäßig in einem sorgerechtlichen Verfahren auszutragen (BGH NJW 2017, 1815).

3. Hinsichtlich der Tochter „X“ ist der vom Vater beantragte Eingriff in das Sorgerecht der Mutter gemäß § 1671 Abs. 1 Nr. 2 FamFG die Beschulung betreffend nicht mehr notwendig, da kein Streit mehr besteht. Die Beschwerdeführerin akzeptiert den Wunsch des Mädchens nach einer weiteren Beschulung auf der Schule in B…, die sie derzeit besucht. Soweit der Vater gleichwohl das Recht zur Schulwahl für „X“ weiterhin für sich reklamiert, war diesem Begehren nicht zu folgen. Dass in näherer Zukunft die Beschulung „X“ betreffend Entscheidungen anstehen, die von den Eltern gemeinsam getroffen werden müssen, bei denen eine Einigung bereits jetzt ausgeschlossen erscheint, ist nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich. Eine Entscheidung zugunsten der alleinigen elterlichen Sorge oder Teilen hiervon kann nicht auf Vorrat erfolgen (vgl. OLG Bamberg, Beschluss vom 26. Januar 2022 – 7 UF 261/21 –, Rn. 23, juris).

In Bezug auf den Lebensmittelpunkt beider Kinder, sowie die Beschulung von „Y“ betreffend, hingegen besteht weiterhin Uneinigkeit zwischen den Eltern.

Streiten Eltern darüber, welcher Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht allein ausüben darf, sind bei der am Kindeswohl orientierten Entscheidung grundsätzlich der Förderungsgrundsatz, der Kontinuitätsgrundsatz, der Kindeswille und die Bindungen des Kindes an die Eltern und etwa vorhandene Geschwister zu berücksichtigen (vgl. Johannsen/Henrich/Althammer/Lack, Familienrecht, 7. Aufl., § 1671 BGB Rn. 51 ff.). Anhand dieser Kriterien ist zu prüfen, ob der ständige Aufenthalt des Kindes bei der Mutter oder beim Vater seinem Wohl am besten entspricht (st. Rspr., des Senats, vgl. Beschluss vom 11. Mai 2020 – 13 UF 4/20 –, juris; so auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 26. April 2022 – 10 UF 20/22 –, Rn. 8, juris).

Die Sachverständige S…R… hat sich in ihrem Gutachten vom 31.03.2022 umfassend zu den vorgenannten Kriterien geäußert und sich mit überzeugenden Ausführungen dafür ausgesprochen, dass der Lebensmittelpunkt von „X“ und „Y“ beim Vater sein und dieser auch über die Beschulung von „Y“ entscheiden soll.

Der Senat schließt sich dieser Einschätzung an.

Der Kontinuitätsgrundsatz, der auf die Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität der Erziehungsverhältnisse abstellt, spricht dabei den Lebensmittelpunkt der Kinder betreffend allerdings nicht bereits für eine Entscheidung zu Gunsten des Vaters, denn die Kinder haben im Zuge des Wechselmodells gleich viel Kontinuität in beiden elterlichen Haushalten.

Die unter dem Gesichtspunkt des Förderungsgrundsatzes zu berücksichtigenden Aspekte der Eignung, Bereitschaft und Möglichkeit zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen Erziehung und Betreuung hingegen sprechen im Streitfall eher für den Vater.

Die von der Mutter ins Feld geführten „Fehltritte“ des Vaters in Gestalt von Hausverbot im Kindergarten nach Randale, Veruntreuung von Geldern der Kinder, widerrechtlicher Ummeldung und wissentlich unrichtiger Aussagen in den Stellungnahmen ans Gericht hat der Vater in Abrede gestellt. Es kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass die Anmeldung von „Y“ an der Grundschule in H… in Ansehung des Beschlusses des Amtsgerichts Strausberg vom 08.11.2021 widerrechtlich war. Der Vater hat mit der Anmeldung des Kindes im für seine Meldeanschrift zuständigen Schulbezirk lediglich die gesetzlichen Vorgaben erfüllt. Im Anschluss hat die Mutter dann selbst die Anmeldung unterschrieben und gleichzeitig einen Antrag auf Ummeldung gestellt.

Bei der Mutter hat die Sachverständige im Gegensatz zum Vater das Interesse an den Kindern als leicht reduziert und auch die Förderkompetenz betreffend, als leicht eingeschränkt eingeschätzt. Die Mutter hat nämlich während ihrer Elternzeit den Besuch des Kindergartens durch „Y“ nicht sichergestellt, obwohl ein solcher vor dem Hintergrund seiner noch nicht ausreichend entwickelten emotional-sozialen Reife ausweislich des Sachverständigengutachtens dringend notwendig war. Es kommt sodann nicht darauf an, ob die Einschätzung des Kindergartens über die Schulreife von „Y“ zur Vorlage bei der Schulaufsicht vom 03.01.2022 (Bl. 48 eAkte) tatsächlich, wie vom Vater vorgelegt, verschriftlich wurde und die Mutter hiervon Kenntnis hatte. Dass der Kindergarten eine Rückstellung des Kindes vom Schulbesuch empfiehlt - wie es die verantwortliche Erzieherin im Kindergarten gegenüber der Sachverständigen am 27.01.2022 bestätigt hat - und sie hiervon wusste, stellt die Mutter nicht in Abrede. Gleichwohl hat sie - anders als der Vater - entgegen der Empfehlung auf einer Einschulung bereits für das Schuljahr 2022/2023 bestanden. Tatsächlich sind die schulischen Erfolge von „Y“ durch ebensolche vom Kindergarten beschriebene Störungen u.a. im sozial-emotionalen Bereich, wegen derer eine Rückstellung von der Erzieherin befürwortet wurde, nun in der ersten Klasse ernstlich gefährdet, wie sich wiederum aus der Stellungnahme der Grundschule, die „Y“ in der ersten Klasse besucht, ergibt (Bl. 50 eAkte). Beide Kinder betreffend sieht die Sachverständige zudem Einschränkungen in der Förderkompetenz, weil die Mutter beide Kinder nicht zum gemeinsamen Spiel mit ihr motivieren konnte und „X“ berichtete, dass die Mutter selten etwas mit ihnen unternehme. Allerdings können nach Einschätzung der Sachverständigen die Unterschiede der Eltern in Bezug auf das Interesse an den Kindern und die Förderkompetenz allein keine Entscheidung, den Lebensmittelpunkt des Kindes betreffend, begründen.

Auch die Bindungstoleranz, die unter dem Gesichtspunkt des Förderungsgrundsatzes von Bedeutung ist (vgl. BeckOGK/Fuchs, Stand 01.03.2023, BGB § 1671 Rn. 225) und bei der es sich um die Fähigkeit und Bereitschaft, die Beziehung des Kindes zum anderen Elternteil zu erhalten und zu fördern, handelt (BGH, Beschluss vom 16.03.2011 - XII ZB 407/10, FPR 2011, 460 Rn. 57, beck-online; OLG Brandenburg, Beschluss vom 9. März 2022 – 10 UF 25/21 –, Rn. 70, juris), spricht weder für einen Lebensmittelpunkt der Kinder beim Vater noch bei der Mutter, denn beide sind nach Einschätzung der Sachverständigen in gleichem Maße bindungstolerant.

Bezogen auf die Bindungen des Kindes spricht dieser Aspekt, „X“ betreffend, allerdings für einen Lebensmittelpunkt des Kindes beim Vater, da sie ausweislich des Gutachtens zwar an beide Eltern sicher gebunden ist, aber eine Präferenz für den Vater hat. Bei Fragen nach Fürsorge, Unterstützung, Verständnis und Aktivitäten und auch was Grenzsetzungen und erzieherische Maßnahmen betrifft, benennt sie den Vater häufiger als die Mutter. „Y“ hingegen hat zu beiden Elternteilen gleich sichere Bindungen, sodass dieser Gesichtspunkt nicht für seinen dauerhaften Aufenthalt entweder bei Mutter oder beim Vater spricht.

Dies gilt „Y“ betreffend auch für den Kindeswillen. Nach gefestigter Rechtsprechung des Brandenburgischen Oberlandesgerichts, von der abzuweichen der Senat im konkreten Fall keinen Anlass sieht, bietet der Kindeswille grundsätzlich regelmäßig erst ab einem Alter von etwa 12 Jahren eine einigermaßen zuverlässige Entscheidungsgrundlage (Senat - Beschluss vom 19.09.2012 – 13 UF 9/11, BeckRS 2012, 21727; OLG Brandenburg - 1. Familiensenat -, Beschluss vom 19.03.2008 – 9 UF 213/07, BeckRS 2008, 16527; OLG Brandenburg - 2. Familiensenat -, Beschluss vom 25.11.2010 - 10 UF 135/10, BeckRS 2010, 30458 und Beschluss vom 09.03.2022 – 10 UF 25/21 –, Rn. 87, juris; OLG Brandenburg - 3. Familiensenat -, Beschluss vom 29.04.2021 – 15 UF 64/21, BeckRS 2021, 10772 Rn. 53; OLG Brandenburg - 5. Familiensenat -, Beschluss vom 29.07.2013 - 3 UF 47/13, BeckRS 2013, 19107). Hier hat der siebenjährige „Y“ keine nachhaltige eindeutige Präferenz für Mutter oder Vater oder eine Fortführung des Wechselmodells gezeigt. Die achtjährige „X“ hingegen hat eine solche Präferenz für den Vater und gegen das Wechselmodell gezeigt.

Ausweislich des Sachverständigengutachtens, dem sich der Senat anschließt, sind beide Eltern - wie dargestellt mit Ausnahme der vorgenannten geringen Einschränkungen der Mutter im Bereich der Förderkompetenz - im Ergebnis nahezu gleichermaßen erziehungsgeeignet.

Sind bei einem Streit um die elterliche Sorge - wie hier - beide Elternteile unter Berücksichtigung aller hierbei zu erwägenden Kriterien nahezu gleich geeignet, die Sorge für ihr gemeinsames Kind allein auszuüben, gewinnen für die vom Gericht abverlangte Entscheidung auch geringere Vorzüge, die der eine Elternteil gegenüber dem anderen hat, an zunehmender Bedeutung.

Weil „X“ den Vater in der Bindungshierachie bevorzugt und wegen ihres geäußerten, zwar nicht maßgeblichen aber auch nicht gänzlich zu vernachlässigenden Willens beim Vater zu wohnen, ist - der Empfehlung der Sachverständigen folgend - angesichts seiner geringfügig höheren Erziehungskompetenz davon auszugehen, dass der Vater derzeit besser in der Lage ist, das Kind zu betreuen und zu erziehen, sodass ihm das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur alleinigen Ausübung zu übertragen war.

Was „Y“ betrifft, bei dem keine entscheidungserheblichen Unterschiede in den Bindungen oder Beziehungen zu den Eltern festzustellen sind, kommt für die von beiden Elternteilen beantragte Entscheidung über den Lebensmittelpunkt des Kindes der positiven Geschwisterbeziehung besondere Bedeutung zu. Die Vermeidung einer Geschwistertrennung zum Zweck der Aufrechterhaltung der Geschwisterbindung stellt vorliegend einen gewichtigen Aspekt des Kindeswohls dar, wenn - wie hier - das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder das Betreuungsmodell in Rede steht (vgl. Senat, Beschluss vom 9. Februar 2022 – 13 UF 156/21 –, Rn. 24, juris; OLG Brandenburg, 1. Senat für Familiensachen, BeckRS 2012, 23811). Die Sachverständige empfiehlt, die Kinder nicht zu trennen. Es entspricht dem Kindeswohl besser, wenn der ständige Aufenthalt von „Y“, wie der seiner Schwester „X“ beim Vater ist, sodass diesem auch insoweit das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht zuzusprechen war.

Was das Recht zur Wahl der Schule für „Y“ betrifft, ist die Entscheidung für die Beschulung am Wohnort des Vaters zwar bereits gefallen und umgesetzt. Weil die Mutter aber weiterhin auf einer Umschulung besteht und die Eltern nicht in der Lage sind, gemeinsam zugunsten des Kindes zu entscheiden, gebietet das Kindeswohl eine Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge auch in diesem Punkt und eine entsprechende Übertragung zur alleinigen Ausübung auf den Vater. Es dient dem Kindeswohl besser, wenn der Vater darüber entscheidet, wo das Kind zur Schule geht. In diesem Fall kann es nämlich bei der Beschulung an dem Ort bleiben, an dem es voraussichtlich zukünftig seinen primären Lebensmittelpunkt haben wird und an dem es bereits seit Sommer 2022 die Schule besucht.

III.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 81 FamFG.

Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf §§ 55 Abs.2, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.

Anlass die Rechtsbeschwerde zuzulassen, besteht nicht (§70 Abs. 2 FamFG).

IV.

Der Antrag auf Berichtigung des Tatbestandes des Senatsbeschlusses vom 29.03.2023 ist durch Neufassung der Entscheidung auf die Anhörungsrüge erledigt.