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Entscheidung 13 WF 72/23


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 4. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 27.06.2023
Aktenzeichen 13 WF 72/23 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0627.13WF72.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Beschwerde der Beschwerdeführer gegen den Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 20.3.2023 wird zurückgewiesen.

Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.

Der Verfahrenswert wird auf 4.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Neuruppin hat ein unter dem Aktenzeichen 372/Js 6903/23 wegen Verleumdung gegen die Beschwerdeführer (Bl. 1, 24 der beigezogenen Ermittlungsakte) geführtes Ermittlungsverfahren gemäß § 154e StPO vorläufig eingestellt. Dem Verfahren liegt eine Anzeige des Herrn ("Name01") ("Nachname01") zugrunde, eines Lehrers, der an der Schule unterrichtet, die das hier betroffene Kind, die Tochter der Beschwerdeführer, besucht. Das Kind hatte seinen Eltern berichtet, von Herrn ("Nachname01") misshandelt und bedroht worden zu sein. Der Beschwerdeführer zu 2. hat den vom Kind berichteten Sachverhalt bei der Schule angezeigt und die Beschwerdeführerin zu 1. hat Strafanzeige gegen Herrn ("Nachname01") erstattet. Die Staatsanwaltschaft führt gegen Herrn ("Nachname01") wegen der erhobenen Vorwürfe ein Ermittlungsverfahren (372 Js 4421/23). Herr ("Nachname01") hat seinerseits Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer zu 2. erstattet. Das gegen die beiden Beschwerdeführer gerichtete Ermittlungsverfahren wegen Verleumdung hat die Staatsanwaltschaft gemäß § 154e StPO im Hinblick auf das gegen Herrn ("Nachname01") geführte Verfahren vorläufig eingestellt (Bl. 24 der beigezogenen Akte 372/ Js 6903/23).

Im Verfahren gegen Herrn ("Nachname01") beabsichtigt die Staatsanwaltschaft, das betroffene Kind, ("Name02") ("Nachname02"), vernehmen zu lassen. Dabei steht dem Kind im Hinblick auf das - nur vorläufig eingestellte - Verfahren gegen seine Eltern ein Zeugnisverweigerungsrecht zu. Weil nicht auszuschließen sei, dass das erst achtjährige Kind noch keine genügenden Vorstellungen von der Bedeutung seines Rechts, die Aussage zu verweigern, hat, hat die Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht - Familiengericht - Neuruppin die Bestellung eines Ergänzungspflegers mit dem Wirkungskreis "Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts" beantragt (Bl. 20 der beigezogenen Akte 372 Js 4421/23).

Mit der angefochtenen Entscheidung hat das Amtsgericht diesem Antrag entsprochen.

Mit ihrer hiergegen gerichteten Beschwerde machen die Beschwerdeführer geltend, dass die Voraussetzungen für die Bestellung eines Ergänzungspflegers nicht vorlägen, weil das gegen den Beschwerdeführer zu 2. gerichtete Ermittlungsverfahren eingestellt sei und gegen die Beschwerdeführerin zu 1. gar kein Ermittlungsverfahren geführt werde. Der angefochtenen Entscheidung stehe überdies die fehlende Aussagebereitschaft des Kindes ("Name02") ("Nachname02") entgegen.

II.

Die Beschwerde der Kindeseltern ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. In der Sache führt die Beschwerde allerdings nicht zum Erfolg.

Die Anordnung der Ergänzungspflegschaft beruht auf § 1809 Abs. 1 Satz 1 BGB. Danach erhält, wer unter elterlicher Sorge oder Vormundschaft steht, für Angelegenheiten, an deren Besorgung die Eltern oder der Vormund verhindert sind, einen Pfleger. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Das hier betroffene Kind ist nach § 52 Abs. 1 Nr. 3 StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt, weil sie mit ihren Eltern, gegen die sich ein Ermittlungsverfahren richtet, in gerader Linie verwandt ist. ("Name02") soll als Zeugin im Verfahren gegen Herrn ("Nachname01") vernommen werden. Ihre Aussage kann aber auch Relevanz für das gegen ihre Eltern, die Beschwerdeführer, gerichtete, nur vorläufig eingestellte Verfahren haben. In diesem Zusammenhang steht dem Kind ein Zeugnisverweigerungsrecht zu.

Die vorläufige Einstellung des Verfahrens gegen ihre Eltern gemäß § 154a StPO führt nicht zum Wegfall der Voraussetzungen der Pflegerbestellung. Mit einer vorläufigen Einstellung nach § 154e StPO sollen widersprüchliche Entscheidungen über denselben Sachverhalt vermieden werden. Voraussichtlich erst nach rechtskräftigem Abschluss des gegen Herrn ("Nachname01") gerichteten Verfahrens wird die Staatsanwaltschaft entscheiden, ob das Verfahren gegen die Beschwerdeführer wieder aufgenommen oder endgültig eingestellt wird.

Sofern Minderjährige wegen mangelnder Verstandesreife von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts keine genügende Vorstellung haben, dürfen sie nach § 52 Abs. 2 Satz 1 StPO nur vernommen werden, wenn sie zur Aussage bereit sind und auch ihr gesetzlicher Vertreter der Vernehmung zustimmt. Sind die gesetzlichen Vertreter - wie hier - selbst Beschuldigte, können sie nach § 52 Abs. 2 Satz 3 StPO über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht entscheiden. Im Hinblick auf das nicht endgültig eingestellte Verfahren gegen die Beschwerdeführer können diese deshalb über das Zeugnisverweigerungsrecht ihrer Tochter nicht entscheiden.

Dem hier betroffenen Kind fehlt es auch an der erforderlichen Verstandesreife, um selbst über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts entscheiden zu können. Insoweit kommt es auf die Einschätzung der vernehmenden Stelle an, an die das Familiengericht gebunden ist (OLG Karlsruhe NJW-RR 2012, 839; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, a.a.O.). Unabhängig davon ist hier im Hinblick auf ("Name02")s Alter von rund acht Jahren vom Fehlen der notwendigen Verstandesreife auszugehen.

Auf die Aussagebereitschaft des Kindes kommt es für das hier vorliegende Verfahren nicht an.

Soweit teilweise vertreten wird, dass die Bestellung eines Ergänzungspflegers zur Entscheidung über die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts des minderjährigen Kindes in einem gegen dessen gesetzlichen Vertreter gerichteten Ermittlungsverfahren die Aussagebereitschaft des Kindes erfordert (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Beschluss vom 22. 9.2010 - 4 UF 91/10 - NJW-RR 2011, 154; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken NJW 2011, 2306-2307; Senatsbeschlüsse vom 16. September 2011, 13 UF 166/11, BeckRS 2011, 24282, und 13 UF 167/11, BeckRS 2011, 23528), folgt der Senat dieser Auffassung nicht mehr, sondern hält mit der Gegenauffassung die Vorabprüfung der Aussagebereitschaft des Kindes vor der Bestellung eines Ergänzungspflegers nicht für erforderlich (vgl. OLG Celle Beschl. v. 12.7.2019 – 19 UF 127/19, BeckRS 2019, 41934; BVerfG FamRZ 2020, 1000; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg JAmt 2013, 345; Bayerisches Oberstes Landesgericht NJW 1998, 614).

Dafür spricht der Wortlaut des § 52 Abs. 2 StPO, wonach die Aussagebereitschaft neben der Genehmigung der Aussage lediglich eine weitere, nicht aber vorrangige Voraussetzung für die Vernehmung des Kindes ist (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg JAmt 2013, 345, Rn. 18, juris). Für diese Lösung spricht auch, dass das Kind anderenfalls im Ermittlungsverfahren gegen die Eltern zunächst zu seiner Aussagebereitschaft vernommen werden müsste, bei Feststellung der Aussagebereitschaft anschließend die Ergänzungspflegschaft angeordnet und dann das Kind samt Ergänzungspfleger erneut belehrt und vernommen werden müsste (vgl. Bayerisches Oberstes Landesgericht NJW 1998, 614). Schließlich besteht durchgängig und unabhängig von der Frage der Aussagebereitschaft des Kindes eine Vertretungslücke und damit Bedarf für die Einsetzung eines Ergänzungspflegers (Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg a.a.O.).

Das Familiengericht hätte den Eltern nach § 160 FamFG zumindest rechtliches Gehör gewähren müssen. Dieser formelle Verfahrensfehler ist aber durch Zustellung des Einsetzungsbeschlusses an die Eltern und deren Beschwerdeeinlegung geheilt.

Der Senat hat von einer persönlichen Anhörung der Beteiligten abgesehen, weil neue entscheidungserhebliche Erkenntnisse daraus nicht zu erwarten waren (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG). Die Beschwerdeführer haben sich umfassend schriftlich geäußert. Sie sind am Beschwerdeverfahren beteiligt worden und hatten Gelegenheit, sich zu äußern.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 3, 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus §§ 40, 45 Abs. 1 Nr. 1 FamGKG.