Gericht | VG Potsdam 2. Kammer | Entscheidungsdatum | 10.07.2023 | |
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Aktenzeichen | 2 L 923/22 | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2023:0710.2L923.22.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 33 Abs 2 GG, § 8 PersVG BB, § 123 Abs 1 S 1 VwGO |
1. Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, von der beabsichtigten Beförderung des Beigeladenen zu 5. zum Justizvollzugsamtsinspektor (A 9) abzusehen, solange nicht über die Bewerbung der Antragstellerin unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden wurde und eine weitere Rechtsschutzfrist von mindestens 14 Tagen abgelaufen ist. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragstellerin zu 1/3 und der Antragsgegner zu 2/3 mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese jeweils selbst zu tragen haben.
2. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Der Antrag der Antragstellerin, im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zur Wahrung ihrer eigenen diesbezüglichen Bewerbungschancen vorläufig die Beförderungen der Beigeladenen nach A 9 zu unterbinden, hat in dem tenorierten Umfang Erfolg.
Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (sogenannte Sicherungsanordnung), wobei ein Anordnungsgrund und ein Anordnungsanspruch in rechtlicher Hinsicht gegeben sein müssen und die dem Anordnungsgrund und dem Anordnungsanspruch zugrunde liegenden Tatsachen von dem Antragsteller glaubhaft zu machen sind, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung.
Vorliegend ist ein die begehrte einstweilige Anordnung tragender Anordnungsanspruch nur hinsichtlich der in Bezug auf das Konkurrenzverhältnis zum Beigeladenen zu 5. geltend gemachten Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs gegeben, denn im Übrigen ist die vom Antragsgegner getroffene Auswahlentscheidung nicht zu beanstanden.
Ein Anordnungsanspruch ist in beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren glaubhaft gemacht, wenn der unterlegene Bewerber darlegt, dass die Auswahlentscheidung fehlerhaft war und seine Aussichten, bei erneuter Auswahlentscheidung ausgewählt zu werden, zumindest offen sind, seine Auswahl mithin ernstlich möglich erscheint,
vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2016 - 2 BvR 2223/15 -, juris Rn. 83, 86; BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2016 - 2 VR 1.16 -, juris Rn. 43.
Art. 33 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) gewährt ein grundrechtsgleiches Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung. Dementsprechend hat jeder Bewerber Anspruch auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über sein Beförderungsbegehren (sog. Bewerbungsverfahrensanspruch).
Dem Grundsatz der Bestenauslese entspricht es, zur Ermittlung des Leistungsstandes konkurrierender Bewerber in erster Linie auf unmittelbar leistungsbezogene Kriterien zurückzugreifen und als vorrangiges Auswahlkriterium auf die aktuellen dienstlichen Beurteilungen abzustellen,
vgl. nur BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2003 - 2 C 16.02 -, juris Rn. 12; BVerfG, Beschluss vom 4. Oktober 2012 - 2 BvR 1120/12 -, juris Rn. 12.
Der Dienstherr verfügt in Bezug auf die Einschätzung der Eignung, fachlichen Leistung und Befähigung über einen Beurteilungsspielraum, der gerichtlich nur dahingehend überprüft werden kann, ob er gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, die anzuwendenden Begriffe oder den rechtlichen Rahmen verkannt, allgemein gültige Wertmaßstäbe missachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat. Der Beurteilungsspielraum erstreckt sich nicht nur auf die individuelle Leistungsbewertung, sondern auch auf den Leistungsvergleich zwischen verschiedenen Bewerbern.
Eine Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs des Antragstellers ist danach nur hinsichtlich des Konkurrenzverhältnisses zwischen der Antragstellerin und dem Beigeladenen zu 5. gegeben, da der Antragsgegner der Auswahlentscheidung nur insoweit eine rechtswidrige Beurteilungslage zugrunde gelegt hat.
1. Generelle Bedenken gegen die Erstellung von Anlassbeurteilungen nach der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums des Innern und für Kommunales über die dienstliche Beurteilung der Beamtinnen und Beamten im Landesdienst vom 16. November 2010 (ABl. S. 2065) in der Fassung der Änderung durch Verwaltungsvorschrift vom 28. Januar 2019 (ABl. S. 211) – Beurteilungsrichtlinien – BeurtVV – nebst Ausführungsbestimmungen des Justizstaatssekretärs vom 3. Mai 2019 (JMBl. S. 42) und 20. August 2019 (JMBl. S. 94) bestehen nicht, denn ausgehend von dem Erfordernis, die wesentlichen Grundlagen des Rechts der dienstlichen Beurteilungen seien durch Gesetz bzw. Rechtsverordnung zu regeln,
vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2021 - 2 C 2.21 -, juris Rn. 42 ff.,
steht dem Antragsgegner für die Umsetzung jedenfalls eine Übergangszeit zu,
Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. Juli 2021, a. a. O., Rn. 40,
welche weder am Ende des Beurteilungszeitraums der hier herangezogenen Anlassbeurteilungen (19. November 2021),
zur Maßgeblichkeit der zum Zeitpunkt des Beurteilungsstichtags bzw. des Endes des Beurteilungszeitpunkts gegebenen Vorschriftenlage siehe nur BVerwG, Urteil vom 17. September 2015 - 2 C 27.14 -, juris Rn. 15,
noch bei deren Erstellung im März 2022 abgelaufen war. Vielmehr ist die Übergangszeit angesichts der Komplexität des Regelungsgegenstandes jedenfalls bis zum regulären Ende der laufenden Legislaturperiode zu bemessen,
vgl. – zum Beihilferecht – schon BVerwG, Urteil vom 28. Mai 2008 - 2 C 24.07 -, juris Rn. 12; ferner – zum Beurteilungswesen – OVG Saarland, Urteil vom 13. Januar 2022 - 1 A 58/20 -, juris Rn. 46, und NdsOVG, Beschluss vom 8. August 2022 – 5 ME 62/22 -, juris Rn. 19: Ablauf der Übergangszeit bei kurz bevorstehenden Wahlen mit dem regulären Ablauf der nächsten Legislaturperiode.
Dies gilt unabhängig davon, ob die dienstlichen Beurteilungen als Grundlage für eine Auswahlentscheidung erstellt werden, derer es im konkreten Einzelfall für die Sicherung der Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung bedarf,
so aber VG Frankfurt (Oder); Beschluss vom 12. Juni 2023 - 2 L 384/22 -, juris Rn. 30 f.,
denn die einschlägige Rechtsprechung zu dem zuzubilligenden Übergangszeitraum zielt darauf, den Zustand zu vermeiden, dass die generell für die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Verwaltung wichtigen Auswahlentscheidungen über einen langen Zeitraum nicht getroffen werden könnten,
vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 22. Dezember 2022 - 4 S 33/22 -, juris Rn. 6.
Es ist deshalb auch unbedenklich, dass der Antragsgegner durch entsprechende Verlautbarungen des Ministeriums des Innern und für Kommunales die Beurteilungsrichtlinien übergangsweise um die landesweit einheitliche Festlegung ergänzt hat, in einem Beiblatt zu den dienstlichen Beurteilungen ein abschließendes Gesamturteil auszuweisen, welches die Leistung, Eignung und Befähigung umfasst, wodurch dem durch die einschlägige Rechtsprechung begründeten Anpassungsbedarf,
vgl. OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 8. Dezember 2021 - 4 S 27/21 -, juris Rn. 2 ff.,
Rechnung getragen wird. Die dienstlichen Beurteilungen weisen auch nicht etwa eine nicht durch die Richtlinienlage vorgegebene „Gesamtnote der Befähigung“ aus, vielmehr hat der Antragsgegner durch die übergangsweise getroffenen Festlegungen lediglich in Übereinstimmung mit der genannten einschlägigen Rechtsprechung dafür Sorge getragen, dass das Gesamtbild der Befähigung einheitlich für alle Beamtinnen und Beamten in das abschließende Gesamturteil der dienstlichen Beurteilungen einfließt. Dass dafür den fünf Ausprägungsgraden jeweils zwei Noten nach der 10-stufigen Notenskala zugeordnet wurden, wonach sich für die Beurteiler ein entsprechender Bewertungsspielraum im Zuge der „Übersetzung“ der Befähigungsbewertungen ergibt, ist eine nicht zu beanstandende, vielmehr bei den vorgegebenen unterschiedlichen Bewertungsskalen für die Leistungsbewertungen einerseits und die Befähigungsbewertungen andererseits zwingende Konsequenz dieser unterschiedlich stark differenzierenden Bewertungsskalen. Daraus ergeben sich für die Beurteilenden „Übersetzungsspielräume“ im Umfang von jeweils zwei Noten pro Ausprägungsgrad wie auch hinsichtlich der Entscheidung, welchem Ausprägungsgrad das „Gesamtbild der Befähigung“ entspricht, für welche keine weiteren Vorgaben gemacht wurden. Dies ist auch bei Fehlen von näheren Ausführungen in den Beurteilungen dazu, aus welchen Gründen jeweils in bestimmter Weise von diesen Spielräumen Gebrauch gemacht wurde unbedenklich, denn es besteht kein Gebot dazu, alle in einer dienstlichen Beurteilung getroffenen Einzelbewertungen – wie auch den Ansatz des Gesamtbildes der Befähigung für die abschließende Gesamturteilsbildung – explizit zu begründen. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund, dass dem Gesamtbild der Befähigung für die Gesamturteilsbildung in aller Regel – und so ersichtlich auch ausnahmslos für die dienstlichen Beurteilungen, welche für die Antragstellerin und die Beigeladenen (zu 1. bis 4.) als Grundlage für die Auswahlentscheidung herangezogen worden sind – aufgrund des diesem beigemessenen geringeren Gewichts keine den Ausschlag gebende Bedeutung zukommt.
2. Die vom Antragsgegner für die Auswahlentscheidung herangezogene dienstliche Beurteilung über die Antragstellerin (Zeitraum 19. November 2018 bis 19. November 2021) ist rechtmäßig. Die dagegen erhobenen Einwände der Antragstellerin greifen nicht durch. Im Einzelnen:
Soweit die Antragstellerin die Aufgabenbeschreibung in der dienstlichen Beurteilung für defizitär hält, da sie zusätzlich zu den darin konkret aufgelisteten 28 Tätigkeitsfeldern einige weitere Aufgaben (wie die Begleitung des Gefangeneneinkaufs, bestimmte als Abwesenheitsvertreterin verrichtete Tätigkeiten sowie Zuarbeiten) wahrgenommen habe, verkennt sie die einschlägigen rechtlichen Anforderungen. Mit dem Beurteilungsbogen (Anlage 1 zur BeurtVV) ist nur die Angabe der „den allgemeinen Aufgabenbereich im Beurteilungszeitraum prägenden Tätigkeiten, der Sonderaufgaben von besonderem Gewicht sowie (ggf.) der Anzahl der unterstellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ vorgegeben. Es bedarf danach keiner kleinteiligen Auflistung sämtlicher Aufgaben, die im Beurteilungszeitraum wahrgenommenem wurden.
Anhaltspunkte dafür, dass die Beurteilerin für die Bewertung nicht alle wesentlichen von der Antragstellerin wahrgenommenen Aufgaben und das von ihr insoweit gezeigte Leistungs- und Befähigungsbild berücksichtigt hat, bestehen nicht. Dies gilt auch für bestimmte von der Antragstellerin wahrgenommene „Zusatzaufgaben“ bzw. Fähigkeiten (wie ihre „Dienstfahrtberechtigung für Kleintransporter, PKW, Multicar und Traktor“, ihre Ausbildung zur Ersthelferin und bestimmte Vertretungstätigkeiten), die in der dienstlichen Beurteilung keine Erwähnung finden; auch dies stellt die Plausibilität der getroffenen Bewertungen nicht in Frage, zumal es auch insoweit keine Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Beurteilerin nicht von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist.
Dass in der dienstlichen Beurteilung die der Antragstellerin (als Mitglied der „Gruppe Außenpforte/Besucherdienst“) am 21. November 2019 bzw. (zur Honorierung ihrer besonderen Einsatzbereitschaft bei der Umsetzung von Corona-Maßnahmen) am 11. November 2020 zuerkannten Leistungsprämien nicht erwähnt worden sind, lässt keinen gegenteiligen Schluss zu. Das ihr in der aktuellen Anlassbeurteilung erteilte abschließende Gesamturteil 6 weist ein die Anforderungen erkennbar übertreffendes Leistungs- und Befähigungsbild aus und steht daher mit einer Honorierung von im Beurteilungszeitraum (singulär) erbrachten besonderen (Einzel-)Leistungen unproblematisch im Einklang,
vgl. z. B. BayVGH, Beschluss vom 4. November 2020 - 3 ZB 08.1626 -, juris Rn. 6, und – m. w. N. – Schnellenbach/Bodanowitz, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, Stand Mai 2023, Rn. 209.
Das abschließende Gesamturteil der aktuellen Anlassbeurteilung ist in dem angesprochenen Beiblatt schlüssig begründet worden; ein besseres Gesamturteil als die erteilte Note 6 hätte im Übrigen nicht vergeben werden können, denn nur zwei nicht höhergewichtige Leistungsmerkmale sind mit 7 bewertet worden, die übrigen Leistungsmerkmale hingegen mit 6 (sechs Merkmale), 5 (zwei Merkmale) bzw. 4 (ein Merkmal), bei im Gesamtbild mit dem Ausprägungsgrad II (entsprechend den Notenstufen 7 bzw. 8) bewerteten Befähigungsmerkmalen, welche nach der nicht zu beanstandenden einheitlichen Bewertungspraxis des Antragsgegners wie ein (viertes) höhergewichtiges Leistungsmerkmal in das abschließende Gesamturteil eingeflossen sind.
3. Die gegen die Rechtmäßigkeit der dienstlichen Beurteilungen der Beigeladenen zu 1. bis 4. und zu 6. von der Antragstellerin geltend gemachten Einwände greifen nicht durch, auch sonst ergeben sich nach Aktenlage keine Anhaltspunkte, die auf eine Rechtswidrigkeit dieser dienstlichen Beurteilungen schließen lassen.
Soweit die Antragstellerin eine fehlerhafte Beschreibung von „Zusatzaufgaben“ der Beigeladenen durch das Vorbringen des Antragsgegners zur Klageerwiderung geltend macht, ist auf das Folgende hinzuweisen:
Mit der Ausschreibung der A 9 – Stellen für „Bedienstete mit Zusatzaufgaben“, der zufolge eine Beförderung nur in Betracht komme, „wenn der/die Mitarbeiter/in eine zusätzliche Aufgabe übernimmt/innehat, die über die generell anfallenden Aufgaben des allgemeinen Vollzugsdienstes hinausgehen oder eine Aufgabe wahrnimmt, die einer besonderen Fortbildung bedarf (z. B. Praxisanleiter/Desinfektor) oder das Aufgabengebiet stets einen besonderen Schwierigkeitsgrad aufweist“, hat der Antragsgegner kein in dem Sinne „konstitutives“ Anforderungsprofil aufgestellt, dass Bewerberinnen und Bewerber, welche (noch) keine „Zusatzaufgabe“ wahrnehmen, aus dem Kreis der für die Beförderung in Betracht kommenden hätten ausgeschieden werden können. Dagegen spricht schon die – ungeachtet der genannten näheren Umschreibung gegebene – Unbestimmtheit des Begriffs „Zusatzaufgabe“ und der Umstand, dass das Vorliegen einer solchen nicht ohne besondere Wertung anhand objektiver Kriterien einfach festgestellt werden könnte.
Vgl. zur Unterscheidung zwischen allgemeinen, beschreibenden Anforderungsprofilen und speziellen, konstitutiven Anforderungsprofilen nur etwa OVG NW, Beschluss vom 19. Januar 2023 - 1 B 1120/22 -, juris Rn. 14 f.
Der Antragsgegner hat ersichtlich auch keine Bewerbungen wegen Nichterfüllens der Anforderung „Zusatzaufgabe“ zurückgewiesen. Sollten sich Bedienstete durch die Formulierung dieser Anforderung von Bewerbungen haben abhalten lassen, würde eine etwaige Rechtswidrigkeit des Anforderungsprofils in diesem Punkt jedenfalls nicht auf den Bewerbungsverfahrensanspruch der Antragstellerin durchschlagen können, denn es kann sie nicht in eigenen Rechten verletzen, dass sie sich keiner (noch) größeren Konkurrenz hat stellen müssen.
Vgl. nur OVG Bln-Bbg, Beschluss vom 23. Oktober 2015 - 7 S 34.15 -, juris Rn. 10.
Das auf die „Zusatzaufgaben“ der Beigeladenen zu 1. bis 4. und 6. bezogene Vorbringen der Antragstellerin (siehe insbesondere S. 2 ff. des Schriftsatzes vom 25. Januar 2023) greift nicht durch, denn es ergeben sich daraus keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die für diese Beigeladenen erstellten dienstlichen Beurteilungen aufgrund von fehlerhaft durch die Beurteilerin für ihre Bewertung berücksichtigten „Zusatzaufgaben“ rechtswidrig sein könnten.
Die im Beurteilungszeitraum durch Stellenhebungen erfolgten Statusamtswechsel der Beigeladenen zu 2., 3. und 4. sind nach den Erläuterungen des Antragsgegners wie Beförderungen dahin berücksichtigt worden, dass alle betroffenen Bediensteten an den höheren Anforderungen ihres neuen Statusamtes (A 8) gemessen wurden. Dies ist nicht zu beanstanden. Soweit die Beigeladenen zu 1., 4. und 6. trotz der Statusänderungen in den aktuellen Anlassbeurteilungen um eine Note besser als noch in den vorangegangenen Anlassbeurteilungen (2020) bewertet worden sind, deutet dies nicht auf fehlerhafte Anlassbeurteilungen hin, denn angesichts der abweichenden Beurteilungszeiträume bedürfen diese moderaten Steigerungen keiner besonderen Plausibilisierung; im Übrigen hat der Antragsgegner die von der Antragstellerin besonders kritisierte Steigerung in Bezug auf die Beigeladene zu 4. näher erläutert und damit plausibilisiert (S. 7 des Schriftsatzes vom 6. Februar 2023).
Hinsichtlich des „Übersetzung“ des Gesamtbildes der Befähigung in den Beurteilungen ist zunächst auf die Ausführungen unter 1. zu verweisen. Die Beurteilerin ist für alle Bewerberinnen und Bewerber einheitlich so vorgegangen, dass das Gesamtbild der Befähigung mit 8 übersetzt worden ist, wenn mehr als 50 % der Befähigungsmerkmale mit II oder besser bewertet worden sind. Ob dieses Vorgehen von ihrem Bewertungsspielraum noch gedeckt ist, obgleich damit ein Verzicht auf Differenzierungen zwischen Bewerberinnen und Bewerbern einhergeht, bei denen der Schwerpunkt der Bewertungen mehr oder weniger deutlich bei den Ausprägungsgraden II oder besser lag, und obgleich es sich aufgedrängt hätte, das Erreichen der Bewertung von 50 % der Befähigungsmerkmale mit dem Ausprägungsgrad II (oder) besser dafür zu fordern, um überhaupt als Gesamtbild den Befähigungsgrad II (und damit die Noten 7 oder 8) zu erreichen, bedarf hier keiner Entscheidung. Ein etwaiger diesbezüglicher Fehler hat sich nämlich jedenfalls weder auf die vergebenden abschließenden Gesamturteile für die Beigeladenen zu 1. bis 4. noch auf die zu ihren Gunsten getroffene Auswahlentscheidung nach Maßgabe der vom Antragsgegner diesbezüglich einheitlich angelegten, für sich genommen rechtlich unproblematischen Kriterien ausgewirkt:
Wollte man die dienstliche Beurteilung des Beigeladenen zu 1. entsprechend der Argumentation hinsichtlich der Berücksichtigung des Gesamtbildes der Befähigung mit 8 als fehlerhaft erachten, da es nach den Einzelbewertungen zur Befähigung (6 x Ausprägungsgrad II, 4 x Ausprägungsgrad III) bei einem stärker differenzierenden Ansatz nähergelegen hätte, dieses Gesamtbild mit 7 (statt 8) in Ansatz zu bringen, hat sich ein etwaiger diesbezüglicher Fehler nach dem vom Antragsgegner zugrunde gelegten einheitlichen Bewertungsschema eindeutig nicht auf das Ergebnis des abschließenden Gesamturteils (6) ausgewirkt. Die Vergabe des abschließenden Gesamturteils 5 wäre auch danach nämlich ausgeschlossen gewesen. Entsprechendes gilt für die Auswahlentscheidung nach Maßgabe des vom Antragsgegner herangezogenen Vergleichs der Einzelbewertungen zu den Leistungsmerkmalen und den prägenden (besonders gewichteten) Merkmalen, denn der Beigeladene zu 1. ist insoweit auch dann klar besser als die Antragstellerin (Leistungsmerkmale: 2 x 7, 6 x 6 und 2 x 5 und 1 x 4; prägende Merkmale 1 x 8, 2 x 6 und 1 x5), wenn man bei ihm das Gesamtbild der Befähigung mit 7 in Ansatz bringt (Leistungsmerkmale: 4 x 7, 6 x 6, 1 x 5, prägende Merkmale dann: 2 x 7, 2 x 6).
Für den Beigeladenen zu 2. (abschließendes Gesamturteil: 6) gilt dasselbe, denn dieser ist hinsichtlich der Leistungsmerkmale im Kern identisch wie der Beigeladene zu 1. und hinsichtlich der einzelnen Befähigungsmerkmale (7 x Ausprägungsgrad II, 3 x Ausprägungsgrad II) etwas besser als dieser (8 x Ausprägungsgrad II, 2 x Ausprägungsgrad III) bewertet worden.
Bei der Beigeladenen zu 3. (abschließendes Gesamturteil: 6) wäre eine Übersetzung des Gesamtbildes der Befähigung mit 7 auch nach einem stärker differenzierenden Ansatz, wie er der Antragstellerin vorschwebt, nicht in Betracht gekommen, da zu zwei Befähigungsmerkmalen der Ausprägungsgrad I und im Übrigen durchgehend der Ausprägungsgrad II vergeben worden ist. Die Beigeladene zu 3. ist damit sowohl hinsichtlich der Leistungsmerkmale als auch hinsichtlich der Befähigungsmerkmale eindeutig besser als die Antragstellerin beurteilt.
Für die Beigeladene zu 4. (abschließendes Gesamturteil 7) gilt das zur Beigeladenen zu 3. Ausgeführte entsprechend.
Für die Beigeladene zu 6. (abschließendes Gesamturteil 7) ist von der Beurteilerin ohnehin eine „Übersetzung“ der Befähigungsbewertungen lediglich mit 6 in Ansatz gebracht worden.
Danach ist keine Verletzung des Bewerbungsverfahrensanspruchs der Antragstellerin in Bezug auf ihr Konkurrenzverhältnis zu den Beigeladenen zu 1. bis 4. und 6. gegeben. Den Beigeladenen gebührt entweder schon nach dem besseren abschließenden Gesamturteil (Beigeladene zu 4. und 6.) oder aber aufgrund der vom Antragsgegner zugrunde gelegten Binnendifferenzierung mit Blick auf die vergebenen Einzelnoten für die Leistungsmerkmale sowie die prägenden Merkmale der Vorrang.
4. Fehlerhaft ist hingegen die für den Beigeladenen zu 5. vom Antragsgegner zugrunde gelegte „dienstliche Beurteilung“. Eine Anlassbeurteilung im eigentlichen Sinne konnte für diesen Beigeladenen nicht erstellt werden, da er bereits seit Mitte Juni 2010 in verschiedenen Funktionen als Personalratsmitglied zu 100 Prozent freigestellt ist und mithin im Beurteilungszeitraum keinen Dienst geleistet hat. Die missverständliche aber auch unschädliche Bezeichnung („dienstliche Beurteilung“) beruht vermutlich auf dem Rundschreiben des Ministeriums des Innern vom 4. Februar 2011 zur Verwaltungsvorschrift über die dienstliche Beurteilung der Beamten im Landesdienst (BeurtVV) – Einführende Hinweise –, in dem es unter II.3 heißt, u. a. bei freigestellten Personalrats seien bei entsprechendem Anlass „Beurteilungen“ zu erstellen, und dies sei mit Blick auf die einschlägige Rechtsprechung „durch fiktive Fortschreibung der letzten dienstlichen Beurteilung sicherzustellen“,
abgedruckt bei Schnellenbach/Bodanowitz, Die dienstliche Beurteilung der Beamten und der Richter, Stand Mai 2023 Rn. 48c.
Im Ausgangspunkt ist das Vorgehen des Antragsgegners der Sache nach nicht zu beanstanden, denn er hat im Sinne einer Nachzeichnung eine Prognose darüber erstellt, wie der berufliche Werdegang des Beigeladenen zu 5. ohne die Freistellung verlaufen wäre, also auf die voraussichtliche Entwicklung der dienstlichen Leistungen abgestellt. Dies steht mit der einschlägigen Rechtsprechung in Einklang, welche dem auch auf die berufliche Entwicklung bezogenen gesetzlichen Benachteiligungsverbot (§ 8 des Personalvertretungsgesetzes für das Land Brandenburg) Rechnung tragen soll.
Vgl. – zum inhaltsgleichen Bundesrecht – BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2014 - 2 B 11.14 -, juris Rn. 12 ff. m.w.N.
Es ist allgemein anerkannt, dass die Bildung einer Vergleichsgruppe ein geeignetes Mittel zur fiktiven Nachzeichnung darstellt. Der Dienstherr darf eine Gruppe aus Personen zusammenstellen, deren beruflicher Werdegang und Leistungsbild mit denjenigen des freigestellten Personalratsmitglieds vergleichbar sind. Es wird fingiert, dass das freigestellte Personalratsmitglied eine berufliche Entwicklung genommen hätte, die der durchschnittlichen Entwicklung der Mitglieder der Vergleichsgruppe entspricht. Entscheidet sich der Dienstherr für die fiktive Nachzeichnung durch Bildung einer Vergleichsgruppe, muss er sicherstellen, dass sowohl die generellen Kriterien für die Gruppenbildung als auch deren personelle Zusammensetzung im Einzelfall dem gesetzlichen Benachteiligungsverbot Rechnung tragen. Von der Zusammensetzung der konkreten Vergleichsgruppe hängt entscheidend ab, wie groß die Chancen des freigestellten Personalratsmitglieds sind, aufgrund der Vergleichsbetrachtung mit den anderen Gruppenmitgliedern befördert zu werden. Daher darf der Dienstherr die Vergleichsgruppe nicht so zusammenstellen, dass eine Beförderung des freigestellten Personalratsmitglieds unabhängig von dem durchschnittlichen beruflichen Werdegang der anderen Gruppenmitglieder ausgeschlossen ist. Gegebenenfalls muss er plausibel darlegen, dass das Personalratsmitglied auch ohne Freistellung nicht befördert worden wäre.
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Juni 2014, a.a.O., Rn. 14 f.
Entsprechendes gilt für den umgekehrten Fall einer beabsichtigten Beförderung des freigestellten Personalratsmitgliedes, das wegen der Freistellung nicht benachteiligt, aber eben auch nicht begünstigt werden darf.
Vorliegend fehlt es jedoch aufgrund des sehr langen Zeitraumes, der seit der letzten tatsächlichen Dienstleistung durch den Beigeladenen zu 5. verstrichen ist, und wegen der für ihn bewirkten Statusänderung an einer belastbaren Tatsachengrundlage für die mit der Nachzeichnung getroffene Prognoseentscheidung. Der Beigeladene zu 5. konnte zuletzt im Juni 2010 für von ihm tatsächlich wahrgenommene Tätigkeiten für das Statusamt A 7 beurteilt werden. Seither sind aus der Perspektive des Endes des aktuellen „Beurteilungszeitraums“ mehr als 11 Jahre verstrichen. Die für die Nachzeichnung herangezogene Vergleichsgruppe knüpft sogar an die Ergebnisse der Regelbeurteilungen 2008 an, welche – wie auch die Beurteilung aus Juni 2010 – noch nicht auf der Grundlage der BeurtVV vom 16. November 2010 erstellt worden waren und noch etwa zwei Jahre länger zurückliegen. Durch den verstrichenen derart langen Zeitraum,
vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 2010 - 2 C 11/09 -, juris Rn. 11 (16 Jahre), HessVGH, Beschluss vom 15. Juni 2021 - 1 B 513/20 -, juris Rn. 38 (nahezu 14 Jahre), VG Gelsenkirchen, Urteil vom 30. Mai 2017 - 12 K 4010/16 -, juris Rn. 18 (12 Jahre),
ist vorliegend die Tragfähigkeit der Tatsachengrundlage für die vom Antragsgegner angestellten Darlegungen zur fiktiven Nachzeichnung durchgreifend in Frage gestellt. Dies gilt hier auch deshalb, weil die inzwischen – nämlich zum 20. November 2018 – erfolgte Beförderung des Beigeladenen zu 5. nach A 8 vom Antragsgegner ersichtlich als Zäsur eingeschätzt worden ist, aufgrund derer eine geänderte Vergleichsgruppe für die weitere Prognosebetrachtung zugrunde gelegt wurde. Dass der Antragsgegner diese nach der Darstellung in der aktuellen „Beurteilung“ aus den bei der Regelbeurteilung 2019 im Statusamt A 8 stehenden Beamten (neu) gebildet hat, die dieses Amt „durch Beförderung“ erlangt hatten, kommt noch hinzu. Wie groß nämlich die Schnittmenge dieser Beamten mit denjenigen ist, welche der ursprünglich, d. h. bezogen auf den Stand 2008/2010, zur Nachzeichnung gebildeten Vergleichsgruppe angehörten, bleibt danach unklar. Da die Beförderung des Beigeladenen zu 5. im November 2018 nach A 8 auf der Basis einer bloßen Nachzeichnung erfolgt ist, ist es auch nicht plausibel, dass für die weitere Nachzeichnung nicht auch die Entwicklung derjenigen Beamtinnen und Beamten der ursprünglichen Vergleichsgruppe berücksichtigt worden ist, welche das Statusamt A 8 erst kurz danach, nämlich im Januar 2019, durch Stellenhebungen erreicht haben und die folglich zuvor keinen Erfolg in Beförderungsverfahren (bzw. sich nicht beworben) hatten. Der Beigeladene zu 5. hat zudem ersichtlich nie seine Eignung für eine höherwertige Funktion – sei es auf einem mit A 8 oder einem mit A 9 bewerteten Dienstposten – nachgewiesen (vgl. §§ 10 Abs. 1 Nr. 2, 11 der Laufbahnverordnung – LVO). Überlegungen zu einer fiktiven Bewährung des Beigeladenen zu 5. in einer der höherwertigen Funktionen,
vgl. BVerwG, Beschluss vom 25. Juni 2014 - 2 B 1.13 -, juris Rn. 16,
hat der Antragsgegner auch erkennbar gar nicht angestellt.
Erweist sich danach die für den Beigeladenen zu 5. erstellte fiktive Nachzeichnung als nicht tragfähig, verletzt die auf dieser Grundlage zugunsten dieses Beigeladenen getroffene Auswahlentscheidung die Antragstellerin in ihrem Bewerbungsverfahrensanspruch, da sie nicht chancenlos ist, selbst ausgewählt zu werden.
Der Antragstellerin steht insoweit auch ein Anordnungsgrund zur Seite, denn mit dem Vollzug der zugunsten des Beigeladenen zu 5. getroffenen Auswahlentscheidung durch dessen Ernennung zum Justizvollzugsamtsinspektor würden zu ihren Lasten unumkehrbare Verhältnisse geschaffen (Grundsatz der Ämterstabilität).
Die Kammer weist für den weiteren Fortgang darauf hin, dass der Beigeladene zu 5. aus dem Bewerbungsverfahren ausgeschlossen werden könnte, sofern er nicht zu einer (teilweisen) Beendigung der Freistellung und tatsächlichen Dienstleistung, und sei es zeitlich begrenzt auf z. B. sechs Monate, bereit sein sollte, da ohnedies nur eine Auswahlentscheidung in dem Konkurrenzverhältnis zwischen dem Beigeladenen zu 5. und (u. a.) der Antragstellerin unter Ausblendung der für die Antragstellerin vorliegenden dienstlichen Beurteilung denkbar wäre, wodurch die Antragstellerin jedoch in Art. 33 Abs. 2 GG verletzt würde,
vgl. HessVGH, Beschluss vom 30. März 2022 - 1 B 308/21 -, juris Rn. 55 ff., und Beschluss vom 15. Juni 2021 - 1 B 513/20 -, juris Rn. 47; anders noch VG Potsdam, Beschluss vom 1. März 2016 - 2 L 2001/15 -, juris Rn. 22, und OVG NW, Beschluss vom 19. März 2019 - 1 B 1301/18 -, juris Rn. 19 f., s. dagegen die überzeugende Kritik von H. Günther, ZBR 2020, 234, 237 ff.;
ein Ausschluss des Beigeladenen zu 5. aus dem (weiteren) Bewerbungsverfahren würde es erforderlich machen, dass der Antragsgegner eine erneute Auswahlentscheidung unter den verbliebenen, noch nicht zum Zuge gekommenen Bewerberinnen und Bewerbern zu treffen hätte.
Anderenfalls kann der Antragsgegner die Auswahlentscheidung zurückstellen, bis für den Beigeladenen zu 5. eine dienstliche Beurteilung vorliegt, erstellt auf der Grundlage seiner tatsächlichen Dienstleistung auf einem seinem Statusamt (mindestens) entsprechenden Dienstposten, welche als Grundlage für die erneut zu treffende Auswahlentscheidung tauglich ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 und § 162 Abs. 3 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG).