Gericht | VG Cottbus 3. Kammer | Entscheidungsdatum | 29.06.2023 | |
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Aktenzeichen | 3 L 179/23 | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2023:0629.3L179.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 80 Abs 1 S 3 BauO BB |
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
Der Streitwert wird auf 1.250,00 Euro festgesetzt.
Der Antrag der Antragstellerin,
dem Antragsgegner zu untersagen, die seitens der Antragstellerin zu Wohnzwecken genutzte Räumlichkeit zu versiegeln,
hat keinen Erfolg.
Er ist zwar zulässig, insbesondere als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO statthaft. Die Androhung (wie auch die Ankündigung) der Versiegelung stellt keinen selbständig anfechtbaren Verwaltungsakt dar. Bei der Versiegelung gemäß § 80 Abs. 1 S. 3 BbgBO handelt es sich um einen im Baurecht eigenständig geregelten Fall des unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung einer Nutzungsuntersagungsverfügung. Als Spezialvorschrift geht diese Vorschrift den allgemeinen Vollzugsvorschriften des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes des Landes Brandenburg vor. Die Versiegelung bedarf daher keiner vorherigen Androhung gemäß § 27 VwVGBbg (so bereits: Beschl. d. Kammer v. 28. Juli 2020 – VG 3 L 282/20 –, juris, Rn. 22; zur dortigen vergleichbaren Landesregelung: OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschl. v. 17. April 2018 – 3 M 479/15 –, juris; Reimus, a.a.O., Rn. 24 zu § 80, m.w.N.). Der Antragsgegner hat insoweit zutreffend die Versieglung als Realakt qualifiziert, gegen den Rechtsschutz im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nachgesucht werden kann.
Der Antrag ist aber unbegründet.
Nach § 123 Abs. 1 S. 1 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Sicherung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts der Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Die Antragstellerin macht bereits das Bestehen eines zu sichernden Anspruchs (Anordnungsanspruch) aus Art. 2 Abs. 2 GG bzw. dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nach Art. 20 Abs. 3 GG auf Unterlassung der Versiegelung nicht glaubhaft, § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 120, 294 der Zivilprozessordnung (ZPO). Zu Unrecht nimmt sie an, dass die Versiegelung rechtswidrig, insbesondere unverhältnismäßig wäre.
Die Voraussetzungen für eine Versiegelung liegen vor, § 80 Abs. 1 S. 3 BbgBO. Danach kann, wenn die Nutzung trotz bestandskräftiger oder sofort vollziehbarer Nutzungsuntersagung fortgesetzt, die Bauaufsichtsbehörde die bauliche Anlage versiegeln. Vorliegend wird die Nutzung des streitgegenständlichen Bungalows zu Wohnzwecken – was die Antragstellerin selbst einräumt – fortgesetzt, obwohl die gegen die Eigentümerin gerichtete Nutzungsuntersagung vom 05. Juli 2022 sofort vollziehbar und mangels Widerspruch bestandskräftig ist. Die Antragstellerin ist durch die an sie gerichtete, sofort vollziehbare Ordnungsverfügung vom 06. Juli 2022 zur Duldung der Nutzungsuntersagung verpflichtet. Daran kann angesichts des behördlich angeordneten Sofortvollzugs auch die gegen die Duldungsverfügung gerichtete Klage nichts ändern. Hierauf ist die Antragstellerin durch den Antragsgegner mit Schreiben vom 20. Juni 2023 hingewiesen worden (Bl. 239 der Verwaltungsvorgänge, Beiakte II). Auch der Vermieter (A...) ist mit sofort vollziehbarer Verfügung vom 10. Mai 2023, zugestellt am 12. Mai 2023, zur Duldung verpflichtet worden (Bl. 208 der Verwaltungsvorgänge, Beiakte II).
Die Antragstellerin bzw. ihr Prozessbevollmächtigter haben hier nicht hinreichend dargelegt, dass das Ermessen der Bauaufsichtsbehörde angesichts besonderer Schutzwürdigkeit der Antragstellerin fehlerhaft ausgeübt worden wäre. Die geltend gemachten besonderen persönlichen Gründe, die im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen sind (vgl, OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 12. Juni 2013 – OVG 10 M 41.13 –, juris, Rn. 8), hat der Antragsgegner eingestellt und sich im Rahmen einer nicht zu beanstandenden Abwägung für eine Fortführung des ordnungsbehördlichen Verfahrens entschieden.
Hierfür gilt, dass der Antragstellerin der konkrete Termin bereits mit Schreiben vom 09. Mai 2023, mithin nahezu 8 Wochen zuvor, mitgeteilt worden ist. Hinzu kommt, dass das ordnungsbehördliche Verfahren zur bauordnungswidrigen Dauerwohnnutzung am 04. Februar 2021 eingeleitet und die Antragstellerin unter dem 04. März 2021 erstmals zu ordnungsbehördlichen Maßnahmen angehört worden ist. Spätestens seitdem muss der Antragstellerin der illegale Nutzungszustand bewusst sein, den sie im Übrigen auch nicht bestreitet. Seit Erlass der sofort vollziehbaren Nutzungsuntersagung vom 05. Juli 2022, die sich an die Eigentümerin richtet, und der Duldungsanordnung vom 06. Juli 2022 ist sie zudem auch ordnungsbehördlich verpflichtet, die Wohnnutzung einzustellen. In diesen Bescheiden ist bereits auf die Möglichkeit der Versiegelung hingewiesen worden. Der Zeitraum, der der Antragstellerin zur Verfügung stand, die Nutzung selbst einzustellen, ist mehr als ausreichend, um sich entsprechend einzurichten. Hinzu kommt, dass der Antragsgegner eine Wohnung für die Antragstellerin durch die Gemeinde H...organisiert hat. Diese ist ebenerdig und liegt nach Angaben der Gemeinde in B...in ruhiger Lage. In dem Gebäude befänden sich 8 Wohneinheiten, von denen 3 leer stünden. Für die Antragstellerin sei eine ebenerdige Wohnung vorgesehen. (Bl. 243 u. 244 der Verwaltungsvorgänge, Beiakte II). Zwar ergibt sich hieraus die Höhe der Miete nicht. Die Antragstellerin hat jedoch nicht geltend gemacht, durch Mietzahlungen in finanzielle Schwierigkeiten zu geraten. Davon ist auch nach Aktenlage nicht auszugehen. Nach dem Mietvertrag zwischen der Antragstellerin und der Eigentümerin vom 30. Juni 2019 beträgt die monatliche Miete für das streitgegenständliche Bungalow 1.370,00 Euro und wurde mit Schreiben vom 10. Oktober 2021 gar auf 1.500 Euro erhöht (Bl. 164 u. 166 der Verwaltungsvorgänge, Beiakte II). Es ist nicht zu erwarten, dass die bereitgestellte Ersatzwohnung diese – erhebliche – Miete übersteigt und die Antragstellerin nicht in der Lage wäre, diese zu bezahlen, zumal sie nach den Feststellungen des Antragsgegners vom Jobcenter monatlich 1.340 Euro für ihre Unterkunft erhält (Bl. 79 der Verwaltungsvorgänge, Beiakte I).
Der Verhältnismäßigkeit der Versiegelung unter Angebot einer Ersatzwohnung kann die Antragstellerin nicht mit Erfolg die geltend gemachten Erkrankungen entgegenhalten. Sie hat bisher nicht nachvollziehbar dargelegt, dass sie an einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung leidet, die zu einer ernsten gesundheitlichen Gefährdung bei einem Wohnungswechsel führt, weshalb die Fortsetzung der Vollstreckungsmaßnahme eine nicht hinnehmbare unzumutbare Härte für sie bedeuten und deshalb nicht mehr in einem Verhältnis zu ihrem Zweck stehen würde.
Ist mit einer Vollstreckungsmaßnahme eine konkrete Gefahr für Leben und Gesundheit des Vollstreckungsschuldners verbunden, so kann dies die Untersagung oder einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung rechtfertigen. Dabei ist aber stets eine Abwägung der beteiligten Interessen, einerseits der Interessen des Schuldners von weiteren Vollstreckungsmaßnahmen verschont zu werden und andererseits das öffentliche Interesse, die Rechtsordnung durchzusetzen, vorzunehmen. Ist der Vollstreckungstitel für die Behörde nicht durchsetzbar, muss letztlich die Allgemeinheit hinnehmen, dass einem rechtskräftig festgestellten Verstoß gegen die Rechtsordnung – gleichheitswidrig – nicht entgegengewirkt werden kann. Es ist deshalb auch dann, wenn bei der Vollstreckung einer baurechtlichen Ordnungsverfügung eine konkrete Lebensgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob dieser Gefahr nicht auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung wirksam begegnet werden kann. Dabei kann vom Schuldner erwartet werden, dass er alles ihm Zumutbare unternimmt, um Gefahren für Leben und Gesundheit möglichst auszuschließen (vgl. zu einer Ersatzvornahme: VG Weimar, Beschl. v. 11. November 2010 – 1 E 947/10 We –, juris, Rn. 26, m.w.N.).
Mit den vorgelegten Bescheinigungen ist für eine aus einer psychischen Erkrankung resultierenden ernsten Gesundheitsgefahr durch einen Wohnungswechsel nichts ersichtlich. Nach dem Neufeststellungsbescheid des Landesamtes für Soziales und Versorgung vom 15. Januar 2014 beträgt der Grad der Behinderung zwar 100 und die Merkzeichen G (erhebliche Gehbehinderung), B (Berechtigung zur Mitnahme einer Begleitperson) sowie H (Hilflosigkeit) liegen vor. Dabei sind die geltend gemachte psychische Störung und weiteren Beeinträchtigungen (Bluterbrechen, Lähmungen, Ohnmachtsanfälle) berücksichtigt worden. Dies reicht jedoch nicht aus, da sich aus dem Bescheid nicht ergibt, dass ein Ortswechsel zu einer Verschlechterung führen würde. Das Krankheitsbild ist nicht beschrieben. Hinzu kommt, dass die Antragstellerin nach dem vorliegenden Mietvertrag erst 2019 (also nach Erlass des Festsetzungsbescheides) in den streitgegenständlichen Bungalow gezogen ist. Auch die Stellungnahme der Allgemeinmedizinerin D... vom 16. Dezember 2022 legt eine Gesundheitsgefahr nicht hinreichend dar. Sie verweist eingangs auf den eben genannten Festsetzungsbescheid und stellt sodann fest, dass die Antragstellerin an einer schweren Zwangsstörung leide. Es ist weder das Krankheitsbild beschrieben, noch ist erkennbar, dass die behandelnde Ärztin eine Therapierung der bislang nur behaupteten Erkrankung eingeleitet hätte (vgl. zu diesem Ansatz: VG Weimar, a.a.O., juris, Rn. 27). Hinzu kommt, dass sich aus der Bescheinigung auch nicht ergibt, wie häufig und seit wann die Antragstellerin dort in Behandlung ist; auch nicht wie oft, welche medizinischen oder aber pflegerische Maßnahmen vereinbart werden. Offen bleibt auch, aus welchen Gründen das dort benannte „broken-heart-sysndrom“ nicht durch eine kardiologische Praxis bzw. die psychischen Zwangsstörungen nicht durch eine psychiatrische Praxis behandelt werden. Im Übrigen ist die Antragstellerin mehrfach durch den Antragsgegner aufgefordert worden, eine Erkrankung zu belegen (etwa durch Schreiben vom 23. August 2021, Bl. 34 der Verwaltungsvorgänge, Beiakte I).
Es sei auch darauf verwiesen, dass im Antragsschriftsatz zur Begründung ausschließlich angeführt wird, die Versiegelung sei unverhältnismäßig, da eine andere Wohnung nicht verfügbar sei. Danach könne die Versiegelungsandrohung allenfalls rechtmäßig sein, wenn eine Ersatzunterkunft zur Verfügung stehe, die insbesondere auch die gesundheitliche Situation der Antragstellerin berücksichtige. Dies ist nach Aktenlage der Fall. Nach den Ausführungen des Antragsgegners ist die Ersatzwohnung ruhig gelegen und nur wenige Kilometer von der jetzigen Anlage entfernt. Die soziale Betreuung der Antragstellerin ist demnach dort wesentlich besser möglich als in einer sich im Wald befindlichen Ferienanlage. Dies ist seitens der Antragstellerin unwidersprochen geblieben. Soweit in der Antragsschrift auf die Stellungnahme der Ärztin D... verwiesen wird, wird dort lediglich ausgeführt, die Unterkunft müsse sich in einer ruhigen Gegend befinden und es solle sich um ein separates Gebäude handeln. Unabhängig davon, dass auch dies nicht mit einem Krankheitsbild beschrieben wird, ergibt sich aus der Formulierung „sollte“, dass auch die Allgemeinmedizinerin die Alleinlage nicht als zwingend nötig erachtet.
Zuletzt hat der Antragsgegner Maßnahmen getroffen, um auf die persönlichen Bedürfnisse der Antragstellerin Rücksicht zu nehmen, etwa wird eine Mitarbeiterin bzw. ein Mitarbeiter des sozialpsychiatrischen Dienstes anwesend sein. Es ist mithin davon auszugehen, dass bei unvorhergesehenen Geschehnissen vor Ort entsprechend spontan reagiert werden kann.
Soweit in der Ankündigung des Versiegelungstermins vom 09. Mai 2023 die Anwendung „unmittelbarer Zwangs im Rahmen der Sonderregelung der Versiegelung“ für den Fall angedroht wird, dass die Antragstellerin das Haus nicht verlassen werde, und in Aussicht gestellt wird, dass diese gegebenenfalls unter Hinzuziehung der Polizei aus dem Gebäude „herausgeholt“ wird, wird vorsorglich darauf hingewiesen, dass dies entgegen der Ansicht des Antragsgegners jedenfalls nicht von § 80 Abs. 1 S. 3 BbgBO gedeckt sein dürfte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer erachtet in Anlehnung an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (vgl. NVwZ-Beil. 2013, 58, dort Ziffer 1.7.1) die Bedeutung der Sache für die Antragstellerin einem Viertel des Auffangstreitwertes des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,00 Euro als angemessen bewertet.