Gericht | VG Cottbus 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 27.04.2023 | |
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Aktenzeichen | 5 K 1035/18.A | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2023:0427.5K1035.18.A.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
"Auslandssomalier", die keine Herkunftsregion in Somalia haben, können auf sichere Landesteile, wozu auch Somaliland gehören kann, verwiesen werden, ohne dass die Voraussetzungen des § 3e AsylG vorliegen.
Keine beachtliche Gefahr ernsthaften Schadens in Mogadischu durch innerstaatlichen bewaffneten Konflikt.
Keine Abschiebungsverbote für alleinstehenden, arbeitsfähigen Mann.
Berücksichtigung von Rückkehrhilfen, die nur bei freiwilliger Ausreise gewährt werden.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Wegen der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.
Der durch keine somalischen Dokumente zur Person ausgewiesene Kläger, eigenen Angaben zufolge am 15. Februar 2000 in Mogadischu geborener somalischer Staatsangehöriger erstrebt internationalen Schutz, jedenfalls Abschiebungsverbote hinsichtlich Somalias.
Er stellte am 26. Februar 2018 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) einen Asylantrag.
In dem er am 21. Februar 2018 vom städtischen Krankenhaus E...erstellten „Fragebogen zur Gesundheit“ wird das Geburtsdatum des Klägers mit dem 25. November 2000 angegeben. Auf die Frage: „Erlitten Sie in den letzten beiden Jahren körperliche Verletzungen, z. B. Messerstich-, Schutzverletzung, Knochenbruch?“ lautet auf dem Fragebogen die Antwort: „Nein“. In dem am 26. Februar 2018 ausgefüllten Fragebogen der Erstaufnahme findet sich zur Schulbildung der Eintrag: „6. Klasse“ und zum zuletzt ausgeübten Beruf: „Handwerker“.
Die Anhörung durch das Bundesamt fand am 13. März 2018 statt. Eingangs der auf Arabisch durchgeführten Anhörung gab der Kläger an, sich mit dem Sprachmittler verständigen zu können. Dort gab er an, in Mogadischu geboren zu sein und bis zu seiner Ausreise nach Saudi-Arabien in dem Dorf Gollwaini, nahe der Stadt Schebelehahosee gelebt zu haben. Von 2002 bis zum 24. Dezember 2017 habe er im saudi-arabischen Riad gelebt, von wo er mit seiner Mutter und seiner Schwester nach Somalia zurückgekehrt sei. In Somalia habe er sich sechs Wochen lang in dem Dorf Gollwaini aufgehalten. Er habe eine Person getroffen, die ihm gefälschte Dokumente besorgt und bei der Ausreise über den Flughafen Mogadischu geholfen habe. Dieser Mann habe ihn bis zum Flüchtlingslager in Hamburg geleitet. Sein Vater habe in Saudi-Arabien gearbeitet und die Familie nachgeholt, sei aber mittlerweile verstorben. Seine Mutter lebe in Somalia. Er habe zu ihr aber keinen Kontakt mehr. Seine Schwester sei von Al-Schabaab verschleppt worden. Ein Onkel väterlicherseits sei bereits in Somalia verstorben. Einen Beruf habe er nicht erlernt. Bis zu seiner Ausreise habe er Autos gewaschen und Wohnungen gereinigt. Dies habe er auf eigene Rechnung und selbstständig getan. Somalisch spreche er genauso gut wie arabisch. Seine wirtschaftliche Situation in Somalia sei sehr schlecht gewesen. Seine Mutter und seine Schwester hätten als Reinigungskräfte gearbeitet. Mit dem Geld hätten sie auch die Behandlungskosten für seinen Vater bestritten. Sein Vater sei 2017 in Saudi-Arabien im Krankenhaus verstorben, weshalb seine Mutter, seine Schwester und er Saudi-Arabien hätten verlassen müssen. Nach dem Tod seines Vaters hätten sie eine Somalierin kennengelernt, die ihnen eine Stelle im Haushalt einer Bürgerin von Saudi-Arabien vermittelt habe, wo seine Schwester und seine Mutter hätten arbeiten können. Er habe weiterhin auf der Straße Autos gewaschen. Nach dem seine Mutter von ihrer Arbeitgeberin Lohn eingefordert habe, habe diese die Polizei eingeschaltet, so dass seine Mutter und seine Schwester verhaftet worden seien. Der Kläger habe sich bei der Polizei nach seiner Mutter und seiner Schwester erkundigt. Sei bei dieser Gelegenheit aber ebenfalls eingesperrt worden. Nach vier Monaten Gefängnisaufenthaltes seien sie am 24. Dezember 2017 nach Somalia ausgewiesen worden. Nach der Ankunft in Mogadischu hätten sie Unterkunft bei einer Nenntante gefunden. Zwei Wochen danach seien bewaffnete Al-Schabaab-Milizionäre bei der Nenntante erschienen und hätten sie darauf hingewiesen, dass in dem Haushalt auch ein Mann leben müsse. Die Mutter des Klägers habe darauf verwiesen, dass der Kläger dort leben würde. Von seiner Mutter gerufen, sei er hinzugekommen und von dem Milizionär gefragt worden, ob er lesen und schreiben könne. Woraufhin dieser den Kläger aufgefordert habe mitzukommen, um den bei Al-Schabaab lebenden Kindern den Koran und den Dschihad zu lehren. Nachdem sich der Kläger unter Hinweis darauf geweigert habe, dass er von dem Dschihad nichts verstehe, sei er von zwei weiteren Männern gefesselt worden und mit einer Augenbinde versehen in ein Zelt gebracht worden, wo er sich zwei Wochen lang aufgehalten habe. Dort hätten sie ihn mit einer Kalaschnikow derart auf den Hinterkopf geschlagen, dass er Wirbelverletzungen davongetragen habe. Anschließend hätten sie ihm vorgeschlagen, seine Schwester mit einem Al-Schabaab-Kämpfer zu verheiraten, was er jedoch abgelehnt habe. Von diesem Tage an habe er seine Schwester nicht mehr gesehen. Nach zweiwöchigem Aufenthalt in dem Zelt hätten die Milizionäre ihn in eine kleine Wohnung gebracht, wo sie jemanden beauftragt hätten, ihn zu versorgen. Eines Tages sei jedoch der Aufpasser aufgebrochen, um etwas zu erledigen. In der Zwischenzeit sei eine Frau bei der Wohnung erschienen, und habe nach zwei Tagen ihren Mann geholt, der den Kläger mitgenommen habe und an einem unbekannten Ort versteckt habe. Er habe den Kläger befreien können, weil das Haus noch nicht fertiggestellt gewesen sei und am hinteren Ende des Hauses es offene Stellen gegeben habe, die lediglich mit Holz verkleidet gewesen seien. Dieser Mann habe die Holzstücke zerschlagen und den Kläger aus dem Haus herausgezerrt. Daraufhin habe er ihn an einen unbekannten Ort gebracht, wo der Kläger zunächst sieben Stunden gewartet habe. Dieser Mann sei zu der Nenntante gegangen und habe die Mutter des Klägers geholt. Während der Fahrt habe sich die Mutter des Klägers in einem Milchwagen versteckt. Der Kläger sei in diesen Milchwagen zugestiegen und hätte sich ebenfalls zwischen den Flaschen versteckt. So seien sie an einen anderen Ort gekommen, wo sie auf einen Pickup umgestiegen seien, der sie nach Mogadischu gebracht habe. In Mogadischu seien sie zunächst in eine Moschee gebracht worden, wo der Kläger übernachtet habe. Seine Mutter habe in der Moschee nicht schlafen dürfen, weshalb sie sich auf die Suche nach einem Angehörigen ihres Clans gemacht habe. Sie habe schließlich auch einen Mann gefunden. Nachdem sie ihm alles berichtet habe, habe dieser ihnen zugesichert, jemanden zu finden, der gefälschte Papiere besorgen könne. Dies habe er auch eingehalten. So habe der Kläger den späteren Schlepper H...getroffen. Auf die Papiere habe er in der Wohnung von H...gewartet. Danach seien sie über den Flughafen ausgereist. Al-Schabaab habe zunächst ihn und später seine Schwester entführt, um sie mit einem Milizionären zu verheiraten. Der Inhaber der Wohnung, in der der Kläger von Al-Schabaab untergebracht worden sei, habe ebenfalls Al-Schabaab angehört. Seit der Abreise habe der Kläger keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter, weil er kein Telefon habe. Er vermute, dass sie in ihr Heimatdorf gegangen sei, um nach seiner Schwester zu suchen. Abschließend bestätigte der Kläger, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe. Die Protokollniederschrift wurde ihm rückübersetzt.
Mit Bescheid vom 22. März 2018 lehnte das Bundesamt den Asylantrag umfassend ab, verneinte Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes, forderte den Kläger zur Ausreise auf und drohte ihm widrigendenfalls eine Abschiebung nach Somalia an. Ferner verhängte es ein auf 30 Monate befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot. Wegen der Begründung wird auf Blatt 6 bis 22 der Gerichtsakte Bezug genommen.
Mit seiner am 12. April 2018 beim Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) und an das erkennende Gericht verwiesenen Klage verfolgt der Kläger sein Verpflichtungsbegehren weiter.
Zur Begründung trägt der Kläger vor, den überwiegenden Teil seines Lebens in Saudi-Arabien verbracht zu haben, weshalb er nicht mehr das alltäglich genutzte Somali spreche und die gängige Alltags- und Jugendsprache nicht verstehe. Ferner sei er als Ausländer erkennbar. Wegen seines fließenden Arabisch sei er für Al-Schabaab von besonderem Interesse, weil der Koran auch in Somalia auf Arabisch gelesen werde. Wegen seiner Vorverfolgung komme dem Kläger der herabgesetzte Wahrscheinlichkeitsmaßstab zu gute. Ferner sind die Voraussetzungen des § 4 AsylG wegen des innerstaatlichen bewaffneten Konfliktes in Somalia gegeben. In diesem Zusammenhang verweist der Kläger auf Urteile mehrerer Verwaltungsgerichte aus den Jahren 2014 bis 2017. Wegen seiner Clanzugehörigkeit zum Clan der Madhibaan und wegen der schlechten sozio-ökonomischen Bedingungen in Somalia stehe dem Kläger jedenfalls ein Abschiebungsverbot zu, wobei er sich auf mehrere verwaltungsgerichtliche Entscheidungen in diesem Zusammenhang beruft. Schließlich sei die Sicherheitslage in Mogadischu mit Blick auf den von der Tagesschau berichteten Angriffe auf die Regionalregierung Anfang 2023 zu schlecht. Über dies verschärft der Krieg in der Ukraine die Nahrungsknappheit, weil Somalia über 90 Prozent seines Bedarfs an Weizen aus Russland und der Ukraine importiere. Der Kläger legt zwei medizinische Atteste aus dem Jahren 2018 und 2019 vor.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 22. März 2018 zu verpflichten, dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft gemäß § 3 AsylG zuzuerkennen,
hilfsweise die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten, dem Kläger subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen,
weiter hilfsweise die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten, zu Gunsten des Klägers Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich Somalias festzustellen.
Schriftsätzlich beantragt die Beklagte,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sowie die beigezogene Ausländerakte Bezug genommen. Sämtliche Akten wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG sowie der beantragten Zuerkennung des subsidiären Flüchtlings-schutzes nach § 4 AsylVfG bzw. der Feststellungen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Die geltend gemachten Ansprüche stehen dem Kläger nicht zu.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG.
Das Gericht muss sich die für seine Entscheidung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene Überzeugungsgewissheit verschaffen, die auch in Asylstreitsachen in dem Sinne bestehen muss, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit - des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat. Soweit wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylbewerber insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, für diese Vorgänge in der Regel Glaubhaftmachung genügt, ist damit nicht gemeint, dass der Richter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben sein sollte, und erst recht nicht, dass eine Glaubhaftmachung im engeren Sinne gemäß den prozessualen Vorschriften des § 294 ZPO in Verbindung mit § 173 VwGO ausreichend sein sollte. Ausgangspunkt ist vielmehr der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (BVerwGE 71, 180ff. unter Verweis auf BGHZ 53, 245/256). Darüber hinaus berücksichtigt diese Rechtsprechung die besondere Beweisnot des nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der guten Gründe für seine Verfolgungsfurcht beschwerten Asylsuchenden, indem sie den Tatsachengerichten nahelegt, dessen eigenen Erklärungen größere Bedeutung beizumessen, als dies meist sonst in der Prozesspraxis bei Bekundungen einer Partei der Fall ist, und den Beweiswert seiner Aussage im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Die Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings bestehen - häufig - im Fehlen der üblichen Beweismittel. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu. Zur Asylanerkennung kann schon allein der Tatsachenvortrag des Asylsuchenden führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne "glaubhaft" sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Dem Klagebegehren darf jedenfalls nicht mit der Begründung der Erfolg versagt werden, dass neben der Einlassung des Asylbegehrenden keine Beweismittel zur Verfügung stünden. Der Richter ist aus Rechtsgründen schon allgemein nicht daran gehindert, eine Parteibehauptung ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen (BGH LM § 286 <C> ZPO Nr. 64); das gilt für das Asylverfahren mit seinen typischen Schwierigkeiten, für das individuelle Schicksal des Asylsuchenden auf andere Beweismittel zurückzugreifen, in besonderem Maße. Einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO wird der Richter hierdurch jedoch nicht enthoben. Das Fehlen von Beweismitteln mag die Meinungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss - wenn nicht anders möglich - in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Kläger glaubt (vgl. zum Ganzen BVerwGE 71, 180 ff.). Um sich die Überzeugung von der Wahrheit einer Tatsachenbehauptung zu verschaffen, kann das Gericht Vernehmungsprotokolle aus dem behördlichen Verfahren heranziehen (BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 2002 – 1 B 392.01 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259 = NVwZ 2002, 1381f.).
Wegen gravierender Widersprüche und erheblicher Ungereimtheiten ist dem klägerischen Vorbringen nicht nur jede Glaubhaftigkeit abzusprechen (vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 2002 – 1 B 39.01 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259), sondern auch dem Kläger jede Glaubwürdigkeit.
Sein Vorbringen zeichnet sich durch gravierende Widersprüche zu Schlüsselereignissen aus. In der Anhörung vor dem Bundesamt gab der Kläger an, dass Al-Schabaab-Kämpfer, namentlich ihr Anführer A...das Haus jener Freundin seiner Mutter aufgesucht hätten, die den Kläger, seine Mutter und seine Schwester aufgenommen habe. Im Laufe der Unterredung habe seine Mutter den Kläger hinzugerufen. Vor Gericht beschreibt der Kläger die erste Konfrontation mit Al-Schabaab anders. Hier gibt der Kläger an, dass die Al-Schabbab-Kämpfer unter der Führung eines Abujafer dasjenige Haus aufgesucht hätten, das die Mutter des Klägers angemietet habe, das nur sie bewohnt hätten und das etwa 200 bis 300 Meter von dem Haus der Freundin der Mutter gestanden habe. Divergierend ist auch die Beschreibung dessen, was der Anführer dem Kläger im Laufe dieser Unterredung angesonnen haben soll. Vor dem Bundesamt gab der Kläger mehrmals an, dass er die bei Al-Schabaab lebenden Kinder im Koran unterweisen und ihnen den Dschihad habe beibringen sollen. Dieses Ansinnen habe er zurückgewiesen, weil er zwar dank seiner Arabischkenntnisse den Koran hätte unterrichten können, nicht aber den Dschihad, weil er davon nichts verstehe. Vor Gericht schildert der Kläger das Angebot des Anführers so, dass dieser ihm nur den Koranunterricht habe auftragen wollen. Dass sich der Unterrichtsstoff auf den Koran habe beschränken sollen, bestätigt er auch auf Nachfrage seiner Prozessbevollmächtigten. Das Angebot habe er dennoch ausgeschlagen, weil er selbst hätte in den Dschihad ziehen müssen. Auch die Reaktion der Al-schabaab-Häscher auf seine Ablehnung beschreibt der Kläger unterschiedlich. Vor dem Bundesamt gab er an, gefesselt und mit einer Augenbinde versehen worden zu sein. In der mündlichen Verhandlung ist – auch auf Nachfrage des Gerichts – von einer Fesselung nicht mehr die Rede. Widersprüchlich ist auch die Schilderung seiner Erlebnisse nach seiner Festnahme und im Gewahrsam von Al-Schabaab. Vor dem Bundesamt hat der Kläger behauptet, dass die Al-Schabbab-Häscher ihm vorgeschlagen hätten, seine Schwester mit einem ihrer Kämpfer zu verheiraten. Dieses Ansinnen habe er zurückgewiesen, woraufhin sie geantwortet hätten, dass sie ohnehin tun könnten, was sie für richtig hielten. Vor Gericht gab der Kläger an, dass Al-Schabaab-Kämpfer mit ihm nie über die Verheiratung seiner Schwester gesprochen hätten, er von ihrer Zwangsverheiratung erstmals von seiner Mutter während der Flucht erfahren habe. Schließlich widerspricht sich der Kläger auch bei der Schilderung seiner Flucht. Vor dem Bundesamt gab er an, dass der für ihn abgestellte Bewacher eines Tages aufgebrochen sei, etwas zu erledigen. Auf den Vorhalt des Bundesamtes, ob es nicht leichtsinnig gewesen sei, seine Pflichten gegen Al-Schabaab zu vernachlässigen, ergänzte der Kläger: „Die Gründe für sein Verschwinden kenne ich nicht. Dieser Mann war eines Tages einfach weg gewesen.“ Vor Gericht gab der Kläger hingegen an, nicht zu wissen, ob der Bewacher auf seinem Posten gewesen sei. Vielmehr vermute er das. Auch die Fluchtfahr mit einem Milchtransporter beschreibt der Kläger unterschiedlich. Vor dem Bundesamt will er sich auf der Fahrt mit seiner Mutter zwischen den Milchflaschen versteckt haben. Vor Gericht gibt er hingegen an, in der Fahrerkabine auf den Sitzen hinter dem Fahrer und Beifahrer Platz genommen zu heben.
Diese sich schon auf Grund des Anhörungsprotokolls und der mündlichen Verhandlung aufdrängenden Zweifel werden zusätzlich durch die Angaben zur Eigenanamnese bestätigt. In dem er am 21. Februar 2018 vom städtischen Krankenhaus E...erstellten „Fragebogen zur Gesundheit“ findet sich zu der Frage: „Erlitten Sie in den letzten beiden Jahren körperliche Verletzungen, z. B. Messerstich-, Schutzverletzung, Knochenbruch?“ auf dem Fragebogen die Antwort: „Nein“. Gegenüber dem Bundesamt und dem Gericht behauptet der Kläger indes, Konchenverletzungen durch einen Schlag mit einem Gewehr in den Nacken erlitten haben.
Soweit der Kläger schriftsätzlich bereits vorsorglich etwaige Widersprüche zu seinen Angaben vor dem Bundesamt damit erklärt, dass er verwirrt und vergesslich gewesen sei, überzeugt dies nicht. Ausweislich des Anhörungsprotokolls hat der Kläger eingangs der Anhörung bestätigt, sich gesundheitlich in der Lage zu sehen, die Anhörung durchzuführen. Auch hat er bestätigt, den Dolmetscher gut zu verstehen. Auch nach der Anhörung gab der Kläger zu Protokoll, dass es keine Verständigungsschwierigkeiten gegeben habe. Schließlich ist ihm die Niederschrift rückübersetzt worden und der Kläger hat keine Einwände erhoben. Auch in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger bestätigt, dass er sich in der Lage sehe, den Fragen des Gerichts zu folgen und sie zu beantworten.
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 AsylG. Subsidiärer Schutz kommt für den unverfolgt ausgereisten Kläger allenfalls auf der Grundlage von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG in Betracht.
Für die Frage, welche Region als Zielort seiner Rückkehr anzusehen ist, kommt es weder darauf an, für welche Region sich ein unbeteiligter Betrachter vernünftigerweise entscheiden würde, noch darauf, in welche Region der betroffene Ausländer aus seinem subjektiven Blickwinkel strebt. Zielort der Abschiebung ist in der Regel seine Herkunftsregion, in die er typischerweise zurückkehren wird (BVerwG, Urteil vom 14.7.2009 – 10 C 9.08 – Juris Rn. 17 unter Hinweis auf EuGH, Urteil vom 17.2.2009 – C-465/07 [Elgafaji]; BVerwG, Urteil vom 31.1.2013 – 10 C 15.12 – BVerwGE 146, 12, LS 1 und Rn. 13/14; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16.12.2015 – 10 A 10689/15 – Juris = Asylmagazin 2016, 29; BayVGH, Urteil vom 17.7.2018 – 20 B 17.31659 – Juris Rn. 25; VG Würzburg, Urteil vom 13. November 2020 – W 9 K 19.32033 – Juris Rn. 51). Allerdings ist jedenfalls dann nicht (mehr) auf die Herkunftsregion abzustellen, wenn sich der Ausländer schon vor der Ausreise und unabhängig von den fluchtauslösenden Umständen von dieser gelöst und in einem anderen Landesteil mit dem Ziel niedergelassen hatte, dort auf unabsehbare Zeit zu leben. Durch eine solche freiwillige Ablösung verliert die Herkunftsregion ihre Bedeutung als Ordnungs- und Zurechnungsmerkmal und scheidet damit als Anknüpfungspunkt für die Gefahrenprognose bei aus (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – 10 C 15/12 –, BVerwGE 146, 12-31, Rn. 14).
An einem solchen Bezugspunkt fehlt es jedoch im Falle des Klägers. Folgt man den Angaben des Klägers soll er in Mogadischu geboren sein. Bereits im Alter von zwei Jahren will er aber nach Saudi-Arabien ausgereist sein, wo er 15 Jahre lang gelebt habe. Wo er vor der Ausreise gelebt hat, bleibt unklar. Vor dem Bundesamt gab er an, in einem Dorf namens Gollwaini gelebt zu haben, vor Gericht konnte sich der Kläger daran nicht daran mehr erinnern. Nach der Rückkehr aus Saudi-Arabien habe er sich in einem Dorf aufgehalten, welches – jedenfalls nach seinem Bekunden in der mündlichen Verhandlung – nicht etwa der Heimatort seiner Eltern sei. Der einzige Grund, in dieses Dorf zu ziehen, sei es gewesen, dass eine Freundin seiner Mutter dort gewohnt habe. Wo sich seine Mutter oder deren Freundin jetzt aufhalten würden, wisse der Kläger nicht. Im Übrigen habe er sich in diesem Dorf lediglich zwei Wochen aufgehalten, ohne dort, etwa durch Arbeitsaufnahme, Wurzeln zu schlagen. Dass er es verfolgungsbedingt verlassen hat, ist nicht glaubhaft.
Fehlt es aber, etwa wegen eines langjährigen Auslandsaufenthaltes, an einer solchen Herkunftsregion, ist auf die Region abzustellen, in der der Ausländer aufgrund der sonstigen Umstände des Einzelfalls typischerweise zurückkehren wird (VG Wiesbaden, Urteil vom 2. Dezember 2021 – 4 K 2354/17.WI.A – Juris Rn. 78; bei fehlender Glaubhaftmachung VG München, Urteil vom 4. Mai 2021 – M 11 K 18.33548 – Juris Rn. 22).
In solchen Fällen muss sich der Kläger auf sichere Landesteile, wie etwa Somalialand verweisen, lassen. (VG München, Urteil vom 4. Mai 2021 – M 11 K 18.33548 – Juris Rn. 22). Unabhängig von der Sicherheitslage kann mangels einer bestimmten Herkunftsregion auch etwa das Siedlungsgebiet des Clans zur Bestimmung des Zielortes herangezogen werden (vgl. Sächs. OVG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 5 A 78/19.A – Juris Rn. 27). Auch dieses Kriterium weist jedenfalls dann auf Somaliland, wenn man dem Vorbringen des Klägers folgt, dass er dem Clan der Gabooye angehöre. Denn Gabooye sind primär im Norden Somalias (Somaliland) beheimatet, obwohl einige Mitglieder in Mogadischu leben (ACCORD, Anfragebeantwortung zu Somalia: Aktuelle Lage von Angehörigen der Madhiban/Migdan .. vom 27. Februar 2013, Seite 2).
In Somaliland besteht bereits kein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt (VG München, Urteil vom 4. Mai 2021 – M 11 K 18.33548 – Juris Rn. 22; VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 13. Januar 2021 – A 1 K 6530/18 – Juris; VG Würzburg, Urteil vom 13. November 2020 – W 9 K 19.32033 – Juris; VG München, Urteil vom 22. Dezember 2020 – M 11 K 17.43380 – Juris). Der Kläger kann auf Somaliland verwiesen werden, ohne dass die einschränkenden Voraussetzungen des § 3e AsylG vorliegen müssen. Es kommt deshalb nicht darauf an, ob er dorthin sicher und legal reisen kann, dort aufgenommen wird und vernünftigerweise erwartet werden kann, dass er sich dort niederlässt. Sozio-ökonomische Bedingungen sind bei dieser Konstellation im Rahmen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG nur insoweit von Relevanz, als die Gefahr von Folter, unmenschlicher und erniedrigender Behandlung zielgerichtet durch einen Akteur hervorgerufen wird. Schlechte humanitäre Verhältnisse in einem Land sind typischerweise auf eine Vielzahl von Faktoren zurückzuführen. Bedarf es für die Gewährung subsidiären Schutzes nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG eines Akteurs, dem die unmenschliche Lebenssituation zuzurechnen ist, muss diese jedenfalls maßgeblich und nicht nur in geringem Umfang auf das bewusste und zielgerichtete Handeln eines Akteurs zurückzuführen sein (BVerwG, Urteil vom 20. Mai 2020 – 1 C 11.19 – Buchholz 402.251 § 4 AsylG Nr 1). Das ist in Somalia nicht der Fall (OVG Lüneburg, Beschluss vom 25. Februar 2021 – 4 LA 212/19 – Juris Rn. 8).
Subsidiärer Schutz nach § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG steht dem Kläger auch dann nicht zu, wenn man auf die Hauptstadt, hier also auf Mogadischu, als das traditionelle Ziel von Rückkehrern und Binnenmigranten abstellt (vgl. zu diesem Kriterium VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12. Oktober 2018 – A 11 S 316/17 – Juris Rn. 107).
Es kann auf sich beruhen, ob in der Region um Mogadischu und in Mogadischu selbst ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt herrscht. Jedenfalls fehlt es im Falle des Klägers an einer ernsthaften individuellen Bedrohung seines Lebens oder seiner Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt.
Bei der Feststellung, ob eine „ernsthafte individuelle Bedrohung“ im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG bzw. Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU vorliegt, ist eine umfassende Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls, insbesondere derjenigen, die die Situation des Herkunftslands des Antragstellers kennzeichnen, erforderlich. Konkret können auch insbesondere die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzungen, der Organisationsgrad der beteiligten Streitkräfte und die Dauer des Konflikts als Faktoren berücksichtigt werden, die bei der Beurteilung der tatsächlichen Gefahr eines ernsthaften Schadens im Sinne von Art. 15 Buchst. c der Richtlinie 2011/95/EU zu berücksichtigen sind, ebenso wie andere Gesichtspunkte, etwa das geografische Ausmaß der Lage willkürlicher Gewalt, der tatsächliche Zielort des Antragstellers bei einer Rückkehr in das betreffende Land oder Gebiet und die Aggression der Konfliktparteien gegen Zivilpersonen, die eventuell mit Absicht erfolgt (EuGH, Urt. v. 10. Juni 2021 - C-901/19 - Juris Rn. 42 ff.).
Die Situation in Somalia und konkret in Mogadischu stellt sich wie folgt dar:
Somalia hat den Zustand eines failed state überwunden, bleibt aber ein sehr fragiler Staat. Es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind schwach und weiterhin im Aufbau befindlich. Die islamistische Al-Schabaab-Miliz kann einige ländliche Gebiete im Süden des Landes halten und stellt weiterhin die größte Bedrohung für die Sicherheit in Somalia dar. In vielen Gebieten der fünf föderalen Gliedstaaten Somalias und der Bundeshauptstadt Mogadischu kommt es regelmäßig zu Kampfhandlungen. In den von Al-Schabaab befreiten Gebieten, zu denen auch Mogadischu gehört, kommt es weiterhin zu Terroranschlägen durch diese islamistische Miliz. Insbesondere seit Jahresbeginn 2022 waren nahezu täglich Anschläge in Mogadischu durch Al-Schabaab zu verzeichnen (vgl. Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 28. Juni 2022). Nach der Wahl von Hassan Sheikh Mohamud zum Präsidenten im Mai 2022 hat sich die Atmosphäre in Mogadischu verändert, die Stadt ist ruhiger geworden, zumindest hinsichtlich der politischen Auseinandersetzungen. Al-Schabaab ist im gesamten Stadtgebiet von Mogadischu präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich. Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische. Relevante Verwaltungsstrukturen gelten als von Al-Schabaab unterwandert. Der Gruppe gelingt es nach wie vor, selbst die am besten abgesicherten Ziele in der Stadt zu erreichen. So drang ein Kommando am 23. März 2022 auf das Flughafengelände vor und tötete dort fünf Personen. In Mogadischu betreibt Al-Schabaab nahezu eine Schattenregierung: Betriebe werden eingeschüchtert und „besteuert“ und eigene Gerichte sprechen Recht. Al-Schabaab ist in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzunehmen. Mogadischu bleibt ein Hotspot terroristischer Gewalt. Al-Schabaab verübt gezielte Tötungen und Anschläge mit improvisierten Sprengsätzen, einige wenige Mörserangriffe und kleinere sogenannte hit-and-run-Angriffe auf Positionen von Regierungskräften am Stadtrand sowie Attentate mit Handgranaten. Die Gruppe ist zudem weiterhin in der Lage, in Mogadischu auch größere Sprengstoffanschläge durchzuführen. Üblicherweise zielt Al-Schabaab mit Angriffen auf Sicherheitskräfte einschließlich AMISOM/ATMIS und Vertreter des Staates. Es werden auch jene Örtlichkeiten angegriffen, die von Regierungsvertretern und Wirtschaftstreibenden sowie Sicherheitskräften frequentiert werden, z. B. Restaurants, Hotels oder Einkaufszentren. Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von Al-Schabaab gleich unsicher. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der Al-Schabaab. Die Hauptziele von Al-Schabaab befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal. Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Allerdings kommt es dort öfter zu gezielten Tötungen. Zivilisten, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von Al-Schabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden, sind einem erhöhten Risiko ausgesetzt (vgl. zu Vorstehendem BFA, Länderinformation der Staatendokumentation, Somalia, vom 27. Juli 2022).
Das Risiko, Schaden zu erleiden, ist nicht zuverlässig abschätzbar. Zum einen ist die exakte aktuelle Einwohnerzahl von Mogadischu nicht bekannt. Zum anderen wird nur über die Zahl der Todesopfer von Anschlägen berichtet, nicht aber auch über die Zahl der bei § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AsylG zu berücksichtigenden Verletzten und es erfolgt auch keine Unterscheidung zwischen zivilen Opfern und Opfern auf Seiten der Al-Schabaab bzw. der Sicherheitskräfte. Nach zugänglichen Quellen und Berechnungen gab es im Jahr 2018 in Banaadir (Großraum Mogadischu) 489 Vorfälle mit 976 Toten und im Jahr 2019 308 Vorfälle mit insgesamt 738 Toten. Im ersten Quartal 2021 gab es 133 Todesopfer, was einer auf das gesamte Jahr 2021 gerechneten Zahl von 532 Todesfällen entspräche. Bei einer zugrunde gelegten Einwohnerzahl Mogadischus von 1,84 (2018) bzw. 1,89 Millionen (2019) ergab sich so ein Tötungsrisiko von 1:1.885 für das Jahr 2018 und 1:2.560 für das Jahr 2019, das Risiko war 2021 geringer (Sächsisches OVG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 5 A 78/19.A – Juris Rn. 31). Die - nicht exakt ermittelbare - Zahl ziviler Opfer des Konflikts ist nicht so hoch, dass allein deshalb schon eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson vorliegt. Die Intensität der bewaffneten Auseinandersetzung ist nicht besonders hoch. Zwar gibt es quantitativ eine Vielzahl von Terroranschlägen. Deren Intensität erreicht jedoch regelmäßig nicht die Intensität militärischer Angriffe, wie sie für einen Bürgerkrieg typisch sind. Der Organisationsgrad von Al-Schabaab - der einzigen in Frage kommenden Konfliktpartei, die im Untergrund organisiert den Regierungskräften und AMISOM/ATMIS gegenüber steht - ist in Mogadischu nicht besonders hoch, da das entsprechende Gebiet nicht mehr unter der Kontrolle von Al-Schabaab, sondern unter der Kontrolle der Regierung und von AMISOM/ATMIS steht, wenn Al-Schabaab auch - versteckt - im gesamten Stadtgebiet präsent ist und nach wie vor Anschläge durchführen kann und dies auch tut. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Atmosphäre in Mogadischu nach der Wahl von Hassan Sheikh Mohamud zum Staatspräsidenten am 15. Mai 2022 - zumindest hinsichtlich der politischen Auseinandersetzungen - deutlich ruhiger geworden ist. Die lange Dauer des Konflikts ist nicht gefahrerhöhend zu berücksichtigen, da Al-Schabaab vor zehn Jahren noch die Hälfte der Stadt kontrolliert hat, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Grabenkämpfe war, und Al-Schabaab danach die Gebietshoheit in der Stadt verloren hat und seit 2014 das Leben wieder nach Mogadischu zurückgekehrt ist und sich die Stadt unter der Kontrolle der Regierung und von AMISOM/ATMIS befindet. Gefahrerhöhend ist die sehr schlechte medizinische Versorgung in Somalia und auch in Mogadischu zu berücksichtigen, die dazu führt, dass eventuelle Verletzungen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht oder nur unzulänglich behandelt werden können. Entscheidend gegen eine ernsthafte individuelle Bedrohung spricht, dass Al-Schabaab mit Angriffen üblicherweise auf Sicherheitskräfte und Vertreter des Staates („officials“) zielt und auch jene Örtlichkeiten angegriffen werden, die von Regierungsvertretern und Wirtschaftstreibenden sowie Sicherheitskräften frequentiert werden, z.B. Restaurants, Hotels oder Einkaufszentren, jedoch nicht alle Teile von Mogadischu bezüglich Übergriffen von Al-Schabaab gleich unsicher sind. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der Al-Schabaab. Die Hauptziele von Al-Schabaab befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal. Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Es gibt es für den Kläger im Falle eines Aufenthalts in Mogadischu keine Veranlassung, sich in Stadtbezirken oder an Orten aufzuhalten, die typischerweise Ziel von Anschlägen von Al-Schabaab sind. Es kann ihm angesonnen werden, zum Selbstschutz auf Tätigkeiten für die Regierung zu verzichten. Diese „kleinteilige“ Betrachtungsweise innerhalb von Mogadischu ist geboten, da es sich hierbei um einen relevanten Umstand des Einzelfalls bei der Feststellung, ob eine ernsthafte individuelle Bedrohung vorliegt, handelt. Der Umstand, dass auch der Flughafen von Mogadischu zu den anschlagsgefährdeten Einrichtungen zählt und der Kläger diesen bei einer Einreise auf dem Luftweg nicht meiden kann, ist von untergeordneter Bedeutung, da es sich um einen einmaligen Aufenthalt an diesem Ort handelt. Soweit in den Erkenntnismitteln ausgeführt wird, dass es am Stadtrand öfter zu gezielten Tötungen kommt, ist dies hier unerheblich, da nichts dafür ersichtlich ist, dass der Kläger dem auch sonst keine gefahrerhöhenden Merkmale zueigen sind, einer Zielgruppe von gezielten Tötungen durch Al-Schabaab oder anderen bewaffneten Organisationen unterfällt (vgl. Sächsisches OVG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 5 A 78/19.A – a.a.O Rn. 33; VG Göttingen, Urteil vom 26. September 2022 – 3 A 683/17 – Juris Rn. 42).
Besonders gewichtig ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass auch der UNHCR Mogadischu für alleinstehende Männer und erwerbsfähige Ehepaare unter dem Gesichtspunkt der Sicherheitslage sogar als Ort internen Schutzes für zumutbar hält (UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing, Somalia, September 2022, Seiten 129 ff.). Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente gehören zu den Instrumenten, die geeignet sind, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, die tatsächlichen Risiken für einen Asylbewerber im Fall seiner Überstellung zu bewerten. Im Rahmen dieser Beurteilung sind die genannten Dokumente angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, die bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist, besonders relevant (vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C-528/11 – Juris Rn. 44; EuGh, Urteil vom 23. Mai 2019 – C-720/17 – Juris). Für die Beurteilung des internen Schutzes schreibt dies § 3 e Abs. 2 Satz 2 AsylG ausdrücklich vor. Soweit der UNHCR die Zumutbarkeit von bestimmten sozio-ökonomischen Bedingungen, wie etwa Zugang zu Obdach, kommt es hierauf im vorliegenden Zusammenhang nicht an, weil der Kläger unverfolgt ausgereist ist und Mogadischu nicht etwa der Ort internen Schutzes, sondern wie seine Herkunftsregion zu behandeln wäre. Unabhängig davon sind diese Bedingungen im Falle des Klägers erfüllt (vgl. hierzu Ausführungen zu § 60 Abs. 5 AufenthG).
Soweit der Kläger auf erstinstanzliche Entscheidungen verschiedener, auch brandenburgischer Verwaltungsgerichte verweist, vermögen diese Entscheidungen keine andere Bewertung zu rechtfertigen, weil sie andere Fallgestaltungen betreffen und nicht die oben zitierten aktuellen Erkenntnisse zu Grunde legen können.
Der zulässige Hilfsantrag auf Verpflichtung der Beklagten auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5, 7 AufenthG ist unbegründet, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Ein Anspruch auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 oder § 60 Abs. 7 AufenthG besteht nicht.
Nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist eine Abschiebung unzulässig, wenn sich dies aus der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt. Diese sog. zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse folgen aus Gefahren, die dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen.
Bei einer Rückkehr nach Somaliland bestehen wegen der sozio-ökonomischen Bedingungen keine Bedenken unter dem Gesichtspunkt von Art. 3 EMRK. Dies gilt umso mehr, wenn es zuträfe, dass der Kläger dem Clan der Madhibaan angehört, der dort schwerpunktmäßig beheimatet ist (vgl. hierzu auch VG Darmstadt, Urteil vom 27. Dezember 2022 - 3 K 834/20.DA – Seite 11 zit. nach Juris; VG Berlin, Urteil vom 14. Dezember 2021 – 28 K 583.17 A – Juris Rn. 25). Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes ist in Somaliland die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln zwar nicht gewährleistet. Allerdings ist es den Menschen aufgrund der im Vergleich zu anderen Landesteilen besseren Organisation der staatlichen Stellen und besseren staatlichen Intervention im Krisenfalle rascher möglich, den Lebensunterhalt wieder aus eigener Kraft zu bestreiten (Auswärtiges Amt, Lagebericht Stand Mai 2022 Seite 23). Sollten die Angaben des Klägers zu seiner Clanzugehörigkeit zutreffen, ist es nicht unwahrscheinlich, dass ihm durch den dort schwerpunktmäßig siedelnden Clan der Madhibaan bzw. Gabooye Hilfe zu Teil würde. Somaliland ist im Übrigen auch tatsächlich erreichbar. Da Einreisekontrollen nur am Flughafen und an wenigen offiziellen Grenzübergängen erfolgen, reisen nach Somalia abgeschobene Personen teilweise nach Somaliland weiter (Auswärtiges Amt, a.a.O. Seite 25).
Nichts Anderes würde gelten, wenn der Kläger nicht nach Somaliland, sondern nach Mogadischu zurückkehren würde. Im Falle eines arbeitsfähigen gesunden Mannes, der nach Mogadischu zurückkehrt, sind die hohen Anforderungen des Abschiebungsverbots nach § 60 Abs 5 AufenthG (Juris: AufenthG 2004) i. V. m. Art 3 EMRK (Juris: MRK) regelmäßig nicht erfüllt (Sächsisches OVG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 5 A 78/19.A –, Juris; Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Dezember 2021 – A 13 S 3196/19 – Juris Rn. 59). In Somalia herrscht hohe Armut und prekäre Beschäftigungsbedingungen dokumentiert (EASO-Report „Somalia Key socio-economic indicators“, 2021, S. 15). In Mogadischu ist der Zugang zu grundlegenden Leistungen wie Elektrizität, Wasser, Hygiene, Unterkünften, Bildung und Gesundheitsversorgung besser ausgeprägt als in anderen Städten im Süden und Zentralsomalias (ebenda). Der Report hält Mogadischu deshalb als Ort internen Schutzes für zumutbar (EASO-Report „Somalia Key socio-economic indicators“, 2021, S. 11ff.). Männer finden unter anderem auf Baustellen, beim Graben, in Steinbrüchen, als Schuhputzer oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Die verbesserte Sicherheitslage hat in Mogadischu zu einem Bauboom geführt (BFA, 2019, S. 115 ff.).
Auch im vorliegenden Zusammenhang ist es von besonderer Bedeutung, dass der UNHCR Mogadischu für alleinstehende Männer und erwerbsfähige Ehepaare sogar als Ort internen Schutzes unter dem Gesichtspunkt sozio-ökonomischer Bedingungen für zumutbar hält (UNHCR, International Protection Considerations with Regard to People Fleeing, Somalia, September 2022, Seiten 129 ff.). Die vom Amt des UNHCR herausgegebenen Dokumente gehören zu den Instrumenten, die geeignet sind, die Mitgliedstaaten in die Lage zu versetzen, die tatsächlichen Risiken für einen Asylbewerber im Fall seiner Überstellung zu bewerten. Im Rahmen dieser Beurteilung sind die genannten Dokumente angesichts der Rolle, die dem Amt des UNHCR durch die Genfer Flüchtlingskonvention übertragen worden ist, die bei der Auslegung der unionsrechtlichen Asylvorschriften zu beachten ist, besonders relevant (vgl. EuGH, Urteil vom 30. Mai 2013 – C-528/11 – Juris Rn. 44; EuGh, Urteil vom 23. Mai 2019 – C-720/17 – Juris). Für die Beurteilung des internen Schutzes schreibt dies § 3 e Abs. 2 Satz 2 AsylG ausdrücklich vor. Die vom UNHCR aufgezeigten Ausschlusskriterien greifen im Falle des Klägers nicht ein. Es ist auch nicht beachtlich wahrscheinlich, dass der Kläger in Mogadischu darauf angewiesen sein würde, in einem Lager für Binnenflüchtlinge nach Obdach zu suchen. Sollte die Schilderung des Klägers hinsichtlich jenes Voraufenthaltes in Mogadischu zutreffen, welcher der Ausreise unmittelbar vorausging, dann ist es ihm auch ohne familiären Rückhalt möglich, jedenfalls vorübergehend eine Unterkunft zu finden. Eigenem Vortrag zufolge will er noch am Abend der Ankunft in einer Moschee eine Übernachtungsmöglichkeit gefunden haben. Seine Mutter habe zwar als Frau nicht in der Moschee übernachten dürfen, es sei ihr aber aus dem Stand möglich gewesen, in der Nachbarschaft der Moschee eine Unterkunft für sich selbst zu finden. Letzteres weckt im Übrigen zusätzliche Zweifel an der behaupteten Clanzugehörigkeit des Klägers, der in der mündlichen Verhandlung selbst angegeben hat, dass Gabooye bzw. Madhibaan mit Angehörigen anderer Clans nicht wohnen dürfen. Jedenfalls zeigt dieses Vorbringen, dass es dem Kläger in Mogadischu möglich wäre, auch ohne Hilfe von Verwandten wenigstens vorübergehend, d.h. bis er vor Ort Fuß fasst und erste Schwierigkeiten überwindet, eine Bleibe zu finden. Damit steht aber nicht fest, dass seine Obdachlosigkeit als beachtlich wahrscheinlich anzusehen ist. Dies schließt aber die Annahme eines Abschiebungsverbotes aus. Ein Abschiebungsverbot wegen ernsthaften Risikos eines Verstoßes gegen Art. 4 GRC und Art. 3 EMRK besteht nämlich nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern erst, wenn die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist (BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 – 1 B 66.21 – Juris Rn. 18).
Der Möglichkeit des Klägers, seine elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, steht auch nicht entgegen, dass in Somalia die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln in weiten Landesteilen nicht gewährleistet ist. Die Stadtbevölkerung ist von einer gravierenden Unterversorgung mit Nahrungsmitteln anteilig weniger betroffen als die Menschen in ländlichen Gebieten, da Sicherheitsprobleme eine Versorgung der ländlichen Gebiete mit Hilfsgütern in großem Umfang verhindern und die Landbevölkerung vom Regen abhängig ist, der in den letzten Jahren ausgefallen ist. In Banaadir/Mogadischu befanden sich im Mai 2022 77 % der Menschen in den IPC-Stufen 1 und 2, 20 % in der Stufe 3 und 3 % in der Stufe 4. Die Stufe 5 (Hungersnot) wurde in Mogadischu nicht erreicht. Nach anderen Quellen waren Anfang 2022 etwa 14,5 % der Unter-Fünfjährigen in Banaadir/Mogadischu akut unterernährt, 2,6 % schwer akut unterernährt. Unter den Binnenflüchtlingen war dieser Prozentsatz mit 17,0 % bzw. 3,9 % geringfügig höher. Die Hungerproblematik betrifft vor allem Kinder, Frauen und ältere Menschen. Der Kläger als gesunder arbeitsfähiger Mann, dem in der Anfangsphase finanzielle Mittel aus den Rückkehrhilfen und später Einkünfte aus Erwerbstätigkeit zur Verfügung stehen und der keine Unterhaltsverpflichtungen hat, ist von der allgemeinen Unterversorgung mit Nahrungsmitteln nicht in gleichem Maße betroffen. Zudem verfügt der Kläger mit seinen Kenntnissen des Arabischen über eine Zusatzqualifikation, die ihm gerade in einer Region, die mit Saudi-Arabien wirtschaftlich verflochten ist, Vorteile auf dem Arbeitsmarkt verschafft. Zu berücksichtigen ist auch, dass die Menschen gerade wegen des Mangels an Nahrung in Städte wie insbesondere Mogadischu flüchten (vgl. Sächsisches OVG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 5 A 78/19.A – Juris Rn. 57).
Unabhängig vom Vorstehenden ist für einen absehbaren Zeitraum nach Rückkehr schon auf Grund der Rückkehrbeihilfen das Existenzminimum des Klägers gesichert. Kann der Rückkehrer Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, die eine Verelendung innerhalb eines absehbaren Zeitraums ausschließen, so kann Abschiebungsschutz ausnahmsweise nur dann gewährt werden, wenn bereits zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten behördlichen oder gerichtlichen Tatsachenentscheidung davon auszugehen ist, dass dem Ausländer nach dem Verbrauch der Rückkehrhilfen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht. Je länger der Zeitraum der durch Rückkehrhilfen abgedeckten Existenzsicherung ist, desto höher muss die Wahrscheinlichkeit einer Verelendung nach diesem Zeitraum sein (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 – BVerwGE 175, 227-241, Rn. 25).
Für die erste Zeit in Mogadischu kann der Kläger auf Übergangshilfen zurückgreifen. Im Rahmen des REAG/GARP-Programms erhält der Kläger bei einer freiwilligen Ausreise neben der Übernahme von Transportkosten Reisebeihilfen in Höhe von 50 €. Weiter erhalten u. a. volljährige somalische Staatsangehörige eine erste Starthilfe in Höhe von 1.000 € unmittelbar vor der Ausreise. Darüber hinaus ist eine Medikamentenmitgabe für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten nach der Ausreise möglich, um die gesundheitliche Anschlussversorgung bzw. den Zugang zum örtlichen Gesundheitssystem im Zielland sicherstellen, zudem ist eine Kostenübernahme notwendiger medizinischer Hilfsmittel von bis zu 200 € möglich. Zusätzlich kann der Kläger Leistungen aus dem Reintegrationsprogramm JRS (Joint Reintegration Services) erhalten. Nach diesem Programm ist eine Unterstützung sowohl für freiwillig rückkehrende als auch für rückgeführte Personen möglich. Die Leistungen werden grundsätzlich als Sachleistungen gewährt und enthalten eine Kurzzeit-Unterstützung (bis zu drei Tage nach der Ankunft) und eine Langzeit-Unterstützung (bis zu 12 Monate nach der Ausreise). Zur Kurzzeit-Unterstützung gehören die Flughafenabholung, Weitertransport zum Zielort, notwendige Übernachtungen vor der Zielorterreichung und medizinischer Zusatzbedarf. Die Langzeit-Unterstützung umfasst u. a. eine Wohnungsunterstützung, medizinischen Bedarf bei schweren Erkrankungen, Beratung zu Arbeitsmöglichkeiten und Hilfestellung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, Unterstützung bei der Gründung eines (eigenen) Geschäftes und rechtliche Beratung und administrative Unterstützung. Die Höhe der Unterstützung orientiert sich an 2.000 € bei freiwilliger Rückkehr und 1.000 € bei einer rückgeführten Person. Angesichts eines durchschnittlichen Pro-Kopf-Jahreseinkommens von 875 US-Dollar und des Umstands, dass 70 % der Bevölkerung mit weniger als 1,90 US-Dollar pro Tag auskommen muss, genügt die Starthilfe von 1.000 € auch unter Berücksichtigung höherer Kosten in der Anfangsphase und einem eventuell höheren Preisniveau in Mogadischu im Vergleich zum gesamten Land zur Finanzierung der grundlegenden Bedürfnisse in Mogadischu in den ersten Monaten. In dieser Zeit wird es dem Kläger, auch unter Berücksichtigung der Sachleistungen aus dem JRS-Programm, gelingen, sich eine wirtschaftliche Existenz, die der Befriedigung der elementarsten Bedürfnisse genügt, aufzubauen (vgl. zum Vorstehenden Sächsisches OVG, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 5 A 78/19.A – Juris Rn. 54 - 55).
Soweit die Rückkehrhilfen von freiwilliger Rückreise abhängig gemacht werden, steht dies ihrer Berücksichtigung im Rahmen der Rückkehrprognose nicht entgegen. Es ist anerkannt, dass die Rückkehrprognose nicht allein die zwangsweise Abschiebung, sondern auch Varianten bei freiwilliger Ausreise in das Herkunftsland zu Grunde legen darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2008 – 10 C 11.07 –, BVerwGE 131, 186-198, Rn. 19). Ein etwaiger Wille betroffener Personen, nur zwangsweise rückgeführt zu werden, und sich gegen nur bei einer freiwilligen Ausreise gewährte Rückkehrhilfen zu entscheiden, wäre unbeachtlich, weil die dann eintretende Situation extremer Not gerade nicht von ihren persönlichen Entscheidungen unabhängig wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 3.21 – Juris Rn. 27 = Buchholz 402.251 § 29 AsylG Nr. 21). Der Konnex von Abschiebung und Verelendung würde durch die selbstverantwortete Nichtinanspruchnahme erreichbarer Hilfen ausgelöst (VG Berlin, Urteil vom 2. Mai 2023 – 31 K 226/20 A –, Rn. 27 unter Berufung auf Berlit in JurisPR-BVerwG 18/2022 vom 12.09.2022, Anm. 1). Dieses Ergebnis entspricht obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. etwa OVG Münster, Urteil vom 25. Februar 2022 - 9 A 322/19.A -, Juris Rn. 132; OVG Hamburg, Urteil vom 23. Februar 2022 - 1 Bf 282/20.A -, Juris Rn. 64; OVG Hamburg, Urteil vom 27. Oktober 2021 - 4 Bf 106/20.A -, Juris Rn. 106 m.w.N.; VGH München, Urteil vom 24. Januar 2022 - 10 B 20.30598 -, Juris Rn. 36). Die freiwillige Rückreise ist in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht unzumutbar, weil der Ausländer damit seiner gesetzlichen Ausreisepflicht nachkommt.
Soweit der Kläger schließlich befürchtet, dass die Versorgung mit Nahrungsmitteln infolge des Ukrainekrieges zunehmend gefährdet sein könnte, trifft dies gegenwärtig nicht zu. Angesichts dessen, dass Somalia mindestens 90% seines Weizens aus Russland und der Ukraine bezog (tagesschau.de vom 5. September 2022 „UN warnen vor Katastrophe in Somalia“), helfen der starke Anstieg der Getreideexporte (tagesschau.de vom 16. August 2022 „Ukraine exportiert deutlich mehr Getreide“) und die Entspannung auf dem Getreidemarkt sowie das Absinken des Weizenpreises auf das Vorkriegsniveau (tagesschau.de vom 27. Juni 2022 „Weizenpreis sinkt auf Stand vom Februar“) bei der Versorgung der Bevölkerung, wobei die Versorgungslage in Mogadischu als Hafenstadt, wo auch internationale Hilfen ankommen, ohnehin besser ist als im Hinterland. Das ist der Grund, weshalb die Menschen gerade wegen des Mangels an Nahrung in Städte wie insbesondere Mogadischu flüchten (Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 12. Oktober 2022 – 5 A 78/19.A –, Rn. 57 Juris).
Künftige, derzeit nicht abschätzbare Entwicklungen, wie etwa eine weltweite Lebensmittelknappheit, können der hier inmitten stehenden Prognose schon deshalb nicht zu Grunde gelegt werden, weil diese nicht auf Spekulationen beruhen darf (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 13). Im Übrigen fehlte es bei Eintreten einer solchen weltweiten Entwicklung an der Zurechnung zur Abschiebung. Die Gefahr muss indes in dem Sinne konkret sein, dass die drohende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Würde der Person in einem solchen engen zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung durch den Vertragsstaat eintritt, dass bei wertender Betrachtung noch eine Zurechnung zu dieser Abschiebung - in Abgrenzung zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder gewählten Verhaltensweisen des Ausländers - gerechtfertigt erscheint (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 21).
Liegen die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots wegen schlechter humanitärer Bedingungen nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art 3 EMRK (Juris: MRK) nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung allein relevante extreme Gefahrenlage aus. Das nationale Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung bei Allgemeingefahren unterliegt strengeren Maßstäben, sodass es unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage denklogisch keinen weitergehenden Schutz gewähren kann als § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (so auch VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 13. Januar 2021 – A 1 K 6530/18 – Juris)
Die Kostenentscheidung für das gerichtskostenfreie Verfahren aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.