Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 26. Beschwerdekammer | Entscheidungsdatum | 20.07.2023 | |
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Aktenzeichen | 26 Ta (Kost) 6017/23 | ECLI | ECLI:DE:LAGBEBB:2023:0720.26TA.KOST6017.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 45 GKG, § 33 RVG, Anl 1 Nr 1000 RVG |
1. Auch wenn die Parteien sich nicht auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem mit einer vorsorglichen Kündigung vorgesehenen Beendigungstermin einigen, kann meist davon ausgegangen werden, dass in einem Auflösungsvergleich sämtliche in das Verfahren eingeführte Beendigungstatbestände mitgeregelt worden sind. Gegenstand der Vergleichsverhandlungen sind regelmäßig alle Be-endigungstatbestände.
Der gewählte Beendigungszeitpunkt wirkt sich im Rahmen des „Gesamtpakets“ aus, in das in der Regel sämtliche Beendigungstatbestände als wertbildende Faktoren einfließen und damit jedenfalls materiell im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 iVm. Abs. 4 GKG mit geregelt werden (vgl. LAG Baden-Württemberg 2. September 2016 – 5 Ta 101/16, Rn. 20; LAG Berlin-Brandenburg 19. Mai 2021 - 17 Ta (Kost) 6041/21).
2. Recht eindeutig ist das zB der Fall, wenn die für die Unwirksamkeit einer ersten Kündigung sprechenden Gesichtspunkte bereits in Parallelverfahren festgestellt worden sind oder die Unwirksamkeit der Kündigung sich offensichtlich aus formellen Gründen ergibt, die Parteien sich aber dennoch auf den mit dieser Kündigung beabsichtigten - früheren - Auflösungstermin einigen
(vgl. LAG Berlin-Brandenburg 24. Januar 2022 – 26 Ta (Kost) 6108/21, Rn. 20) und die Parteien eine Abfindung vereinbaren und/oder eine andere für die klägerische Partei vorteilhafte Regelung im Rahmen des „Gesamtpakets“ treffen.
3. Anders sind die Fälle zu bewerten, in denen sich die Parteien auf eine Beendi-gung des Arbeitsverhältnisses zu dem früheren Kündigungstermin einigen, ohne dass nennenswerte sonstige Leistungen seitens des Arbeitgebers in dem Vergleich (Gesamtpaket) enthalten sind.
Das spricht dann dafür, dass die weitere Kündigung auch aus Sicht der Parteien im Rahmen des Vergleichsabschlusses ohne relevante Bedeutung war, weil sie von der Wirksamkeit der ersten bzw. einer früheren Kündigung ausgegangen sind oder ein Erfolg mit dem die frühere Kündigung betreffenden Kündigungsschutzantrag keine nennenswerten wirtschaftlichen Auswirkungen für die klagende Par-tei gehabt hätte.
Auf die Beschwerde der Beklagtenvertreter wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. Februar 2023 – 38 Ca 7136/22 – abgeändert und der Tenor insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Gegenstandswert wird für das Verfahren auf 22.118,45 Euro und für den Vergleich - unter Berücksichtigung eines Vergleichsmehrwerts in Höhe von 2.924,77 Euro – auf 25.043,22 Euro festgesetzt.
I.
Die Parteien haben ua über die Wirksamkeit von zwei Kündigungen gestritten, die zum 31. August und zum 30. September 2022 ausgesprochen worden sind. Die Parteien haben sich im Rahmen eines Vergleichs auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. August 2022, die Zahlung von Vergütung und einer Abfindung geeinigt. Das Arbeitsgericht hat bei der Berechnung des Gegenstandswerts nur den auf die erste Kündigung bezogenen Antrag berücksichtigt sowie die Zahlungsanträge. Es hat den Gegenstandswert für das Verfahren auf drei Bruttoeinkommen zuzüglich der mit den Zahlungsanträgen geltend gemachten Beträgen festgesetzt. Im Übrigen hat es einen Vergleichsmehrwert in Höhe von 2.924,77 Euro berücksichtigt. Die Beklagtenvertreter haben gegen den Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt. Für die Folgekündigung sei ein weiteres Bruttoeinkommen zu berücksichtigen. Das Arbeitsgericht hat den Beschwerden nicht abgeholfen.
II.
Die zulässige Beschwerde der Beklagtenvertreter ist begründet. Sie führt zu einer Erhöhung des Gegenstandswerts um ein Bruttoeinkommen.
1) Zur Berechnung des Gegenstandswerts sind zunächst die einzelnen Anträge zu bewerten. Sodann ist ein Gesamtgegenstandswert zu bilden. Bei der Bildung des Gesamtgegenstandswerts ist zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Werte für die einzelnen Anträge zusammenzurechnen sind.
In demselben Verfahren und in demselben Rechtszug werden die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist, § 39 Abs. 1 GKG. Die Werte von Haupt- und Hilfsanträgen sind zusammenzurechnen, soweit auch über den Hilfsantrag eine Entscheidung ergeht, § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG, oder der Rechtsstreit auch insoweit durch Vergleich erledigt wird, § 45 Abs. 4 GKG. Dies gilt allerdings wiederum dann nicht, wenn die Anträge denselben Gegenstand betreffen; dann ist nur der höhere Wert maßgebend, § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG. Unter dem Begriff „Gegenstand“ in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG ist nicht der Streitgegenstand iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu verstehen. Der „Gegenstand“ iSd. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG ist nicht mit dem Streitgegenstand in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO identisch. Ob unterschiedliche (prozessuale) Streitgegenstände vorliegen, ist danach für die Frage des Additionsverbots nach § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG unerheblich (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 14. Dezember 2018 – 26 Ta (Kost) 6136/18, Rn. 6). Bei dem Begriff des Gegenstands in § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG handelt es sich vielmehr um einen selbstständigen kostenrechtlichen Begriff, der eine wirtschaftliche Betrachtung erfordert. Eine Zusammenrechnung hat dort zu erfolgen, wo eine wirtschaftliche Werthäufung entsteht (vgl. BGH 24. Januar 2019 – IX ZR 110/17, Rn. 3; 12. September 2013 – I ZR 61/11, Rn. 6). Der Grundsatz, wonach der Begriff des kostenrechtlichen „Gegenstands“ nicht mit dem des (prozessualen) Streitgegenstands übereinstimmt, gilt nicht nur für § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG, sondern auch bereits für § 39 Abs. 1 GKG (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 5. August 2022 – 26 Ta (Kost) 6047/22, Rn. 6).
2) Hier geht es um zwei Kündigungsschutzanträge. Kündigungsschutzanträge werden jeweils maximal mit einem Vierteljahreseinkommen bewertet, § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG.
3) Bei der Frage, ob und in welchem Umfang Kündigungsschutzanträge zusammenzurechnen sind, kommt es nach den unter 1) dargelegten Grundsätzen darauf an, ob und inwieweit über sie entschieden worden ist oder sie Gegenstand eines Vergleichs geworden sind. Außerdem ist zu berücksichtigen, inwieweit wirtschaftlich derselbe Streitgegenstand betroffen ist.
a) Das Arbeitsgericht hat über die Anträge im Ergebnis nicht entschieden. Die Parteien haben einen Vergleich geschlossen, in dem sie sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. August 2022 geeinigt haben, also auf den Zeitpunkt, zu dem die erste Kündigung vom 4. Juli 2022 ausgesprochen worden war, auf Vergütung eine Abfindung sowie auf eine umfassende Ausgleichsklausel.
aa) Bei den die Folgekündigungen betreffenden Anträgen handelt es sich der Sache nach um Hilfsanträge. Der Kläger hat sich mit dem die Folgekündigung betreffenden Antrag gegen die vorsorglich ausgesprochene weitere Kündigung zur Wehr gesetzt. Ist eine Kündigung nur „vorsorglich“ für den Fall erklärt worden, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht bereits aufgrund einer vorherigen Kündigung aufgelöst worden ist, steht bereits die Kündigungserklärung unter der - zulässigen - auflösenden Rechtsbedingung (§ 158 Abs. 2 BGB), dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses schon kraft Gesetzes eingetreten ist (vgl. BAG 23. Mai 2012 - 2 AZR 54/12, Rn. 44). Tritt diese Bedingung ein, liegt bereits eine Kündigungserklärung als solche nicht mehr vor. Eine gleichwohl aufrechterhaltene Kündigungsschutzklage ginge ins Leere und wäre unbegründet. Auch aus diesem Grund ist der gegen eine zu einem späteren Zeitpunkt wirkende Kündigungserklärung gerichtete Antrag als unechter Hilfsantrag zu verstehen, mit dem die klagende Partei sich gegen die „vorsorglich“ erklärte(n) Kündigung(en) ihrerseits nur „vorsorglich“ wehrt (vgl. BAG 21. November 2013 – 2 AZR 598/12, Rn. 20; LAG Berlin-Brandenburg 21. Juni 2021 – 26 Ta (Kost) 6066/21, Rn. 11).
bb) Auch wenn die Parteien sich nicht auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem mit einer vorsorglichen Kündigung vorgesehenen Beendigungstermin einigen, kann meist – und so auch hier - davon ausgegangen werden, dass in einem Auflösungsvergleich sämtliche in das Verfahren eingeführte Beendigungstatbestände mitgeregelt worden sind. Gegenstand der Vergleichsverhandlungen sind regelmäßig alle Beendigungstatbestände. Der gewählte Beendigungszeitpunkt wirkt sich im Rahmen des „Gesamtpakets“ aus, in das in der Regel sämtliche Beendigungstatbestände als wertbildende Faktoren einfließen und damit jedenfalls materiell im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 2 iVm. Abs. 4 GKG mit geregelt werden (vgl. LAG Baden-Württemberg 2. September 2016 – 5 Ta 101/16, Rn. 20; LAG Berlin-Brandenburg 19. Mai 2021 - 17 Ta (Kost) 6041/21). Recht eindeutig ist das zB der Fall, wenn die für die Unwirksamkeit einer ersten Kündigung sprechenden Gesichtspunkte bereits in Parallelverfahren festgestellt worden sind oder die Unwirksamkeit der Kündigung sich offensichtlich aus formellen Gründen ergibt, die Parteien sich aber dennoch auf den mit dieser Kündigung beabsichtigten - früheren - Auflösungstermin einigen (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 24. Januar 2022 – 26 Ta (Kost) 6108/21, Rn. 20) und die Parteien eine Abfindung vereinbaren und/oder eine andere für die klägerische Partei vorteilhafte Regelung im Rahmen des „Gesamtpakets“ treffen.
cc) Anders sind die Fälle zu bewerten, in denen sich die Parteien auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu dem früheren Kündigungstermin einigen, ohne dass nennenswerte sonstige Leistungen seitens des Arbeitgebers in dem Vergleich (Gesamtpaket) enthalten sind. Das spricht dann dafür, dass die weitere Kündigung auch aus Sicht der Parteien im Rahmen des Vergleichsabschlusses ohne relevante Bedeutung war, weil sie von der Wirksamkeit der ersten bzw. einer früheren Kündigung ausgegangen sind oder ein Erfolg mit dem die frühere Kündigung betreffenden Kündigungsschutzantrag keine nennenswerten wirtschaftlichen Auswirkungen für die klagende Partei gehabt hätte.
dd) Hier haben sich die Parteien auf den Kündigungstermin der ersten Kündigung geeinigt. Außerdem haben sie eine Abfindung und Vergütungsansprüche geregelt. In dieser Konstellation kann davon ausgegangen werden, dass sie auch die zweite Kündigung zum Gegenstand des Vergleichs gemacht haben.
b) Angesichts teilweiser wirtschaftlicher Identität führt der Vergleich nicht zu einer Erhöhung des Gegenstandswerts um drei, sondern nur um ein Bruttoeinkommen. Zu berücksichtigen war die Vergütungsdifferenz zwischen den beiden Beendigungsterminen, hier dem 31. August und dem 30. September 2022 (vgl. LAG Berlin-Brandenburg 28. Februar 2022 - 26 Ta (Kost) 6232/21, zu II der Gründe).
III.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 33 Abs. 9 RVG. Eine Gebühr ist nicht angefallen.
IV.
Die Entscheidung ist unanfechtbar.