Gericht | LArbG Berlin-Brandenburg 5. Kammer | Entscheidungsdatum | 25.05.2023 | |
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Aktenzeichen | 5 Sa 1343/22 | ECLI | ECLI:DE:LAGBEBB:2023:0525.5SA1343.22.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 33 Abs 2 GG |
I.
Die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 23. September 2022 – 58 Ca 7004/21 – wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
II.
Die Revision des beklagten Landes wird nicht zugelassen.
Die Parteien streiten über den Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens.
Die Klägerin steht seit 1. Juli 2005 als Ärztin in einem Arbeitsverhältnis zum beklagten Land. Auf den zur Akte gereichten Arbeitsvertrag vom 10./22. Juni 2005, eine Änderungsvereinbarung vom 9. September 2005 und eine Nebenabrede vom 24. August 2010 (Blatt 13 ff der Akte) wird verwiesen. Die Klägerin ist Fachärztin für Allgemeinmedizin und seit Juli 2009 berechtigt, die Zusatzbezeichnung „suchtmedizinische Grundversorgung“ zu führen. Seit dem 1. September 2010 ist sie ständige Leiterin des anstaltsärztlichen Dienstes der Justizvollzugsanstalt (JVA) .... Seit dem Jahr 2012 ist die Klägerin befugt, die Weiterbildung Allgemeinmedizin nach der Weiterbildungsverordnung zu leiten. Die Klägerin verfügt aufgrund ihrer Tätigkeiten beim beklagten Land zudem über umfassende infektiologische Erfahrungen, jedoch nicht über die entsprechende Schwerpunktbezeichnung. Unter dem 15. November 2018 bestätigte die Ärztekammer Berlin, dass die Klägerin die erforderliche ärztliche Fortbildung nachgewiesen hat.
Nach einem Telefonat des Leiters Medizin im Berliner Justizvollzug mit einer Fachärztin für Innere Medizin (im Folgenden: Mitbewerberin), welches deren Interesse an einer Leitungsfunktion in der JVA und ihre Qualifikationen zum Gegenstand hatte, schrieb das beklagte Land mit einer Bewerbungsfrist bis zum 7. April 2021 die Stelle für die „Leitung des anstaltsärztlichen Dienstes im Berliner Justizvollzug“ zur Kennzahl: 51/2020/LAÄDJVK, vergütet nach Ä3/Ä4 TV-Ärzte Land Berlin aus (Blatt 19 ff der Akte). Das beklagte Land erstellte ein Anforderungsprofil, indem die Anforderungen unterschiedlich gewichtet wurden. Laut Stellenausschreibung und Anforderungsprofil waren unter anderem folgende Anforderungen zu erfüllen:
- ...
- Fachärztin/Facharzt für Innere Medizin, ggf. eines anderen passenden Fachgebietes
- Schwerpunktbezeichnung Infektiologie oder umfassende infektiologische Erfahrung
- Einschlägige Berufserfahrung und zwingend Führungserfahrung in leitender Position
- Fachkunde in suchtmedizinscher Grundversorgung oder Bereitschaft diese unverzüglich zu erwerben
- Promotion
- Gültiges Weiterbildungszertifikat einer Landesärztekammer
- ...
Die Klägerin bewarb sich unter Vorlage von Bewerbungsunterlagen (Blatt 22 ff der Akte) auf die ausgeschriebene Stelle. Neben der Klägerin bewarb sich die Mitbewerberin, die über die Schwerpunktbezeichnung Infektiologie verfügt. Suchtmedizinische Fachkunde wies diese im Bewerbungszeitpunkt nicht auf, jedoch die Bereitschaft, diese unverzüglich zu erwerben. In den letzten 15 Jahren vor ihrer Bewerbung betreute die Mitbewerberin unter anderem verschiedene Projekte im Ausland. Sie verfügte im Bewerbungszeitpunkt weder über eine Weiterbildungsbefugnis, noch über eine Bestätigung der Landesärztekammer über ärztliche Fortbildungen.
Beide Bewerberinnen durchliefen ein Assessmentcenter. An dem Assessmentcenter nahmen auf Seiten des beklagten Landes vier Personen teil, die die Präsentationen der Bewerberinnen, deren Antworten auf vorbereitete Fragen und Auswertungen zu vorgegebenen Themenkomplexen mit Punkten zwischen 0 und 3 bewerteten. Im Anschluss erstellte das beklagte Land eine Gesamtauswertung, wonach die Klägerin mehr Punkte erzielte als die Mitbewerberin. Das beklagte Land fertigte sodann am 9. Juni 2021 einen Auswahlvermerk, demzufolge die Mitbewerberin schnellstmöglich eingestellt werden sollte.
Der Klägerin wurde mit E-Mail vom 15. Juni 2021 mitgeteilt, dass ihre Bewerbung nicht berücksichtigt werden könne (Blatt 34 der Akte). Sie leitete daraufhin ein einstweiliges Verfügungsverfahren auf Freihaltung der streitgegenständlichen Stelle ein. Die Kammer urteilte unter dem 27. Januar 2022, dass dem beklagten Land bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache die Besetzung der ausgeschriebenen Stelle untersagt werde (5 SaGa 1270/21).
Das beklagte Land brach daraufhin das Stellenausschreibungs- und Besetzungsverfahren ab und fertigte hierzu den Vermerk vom 11. März 2022 (Blatt 183 ff der Akte). Die Klägerin informierte es hierüber mit Schreiben vom 11. März 2022 (Blatt 167 f der Akte). Dagegen leitete die Klägerin ein weiteres einstweiliges Verfügungsverfahren auf Fortsetzung des Stellenbesetzungsverfahrens ein, welches beim Arbeitsgericht Berlin unter dem Aktenzeichen 58 Ga 3568/22 geführt wurde. In dem Verfahren einigten sich die Parteien darauf, dass die Frage, ob das streitgegenständliche Stellenbesetzungsverfahren abgebrochen werden durfte, im Hauptsacheverfahren entschieden werden solle.
Mit der am 6. Juli 2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen, zunächst auf Untersagung der Stellenbesetzung und später auf Fortsetzung des Besetzungsverfahrens und Übertragung der Stelle auf die Klägerin gerichteten Klage hat die Klägerin vorgetragen, das beklagte Land könne sich nicht auf einen sachlichen Grund für den Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens berufen. Das beklagte Land könne sich diesbezüglich nur auf Gründe berufen, die im Abbruchvermerk benannt seien. Das Landesarbeitsgericht habe in der einstweiligen Verfügung zum Aktenzeichen 5 SaGa 1270/21 keine solch schwerwiegenden Fehler gerügt, die einer Fortsetzung entgegenstünden. Soweit das beklagte Land sich darauf berufe, dass die Ausschreibung Formulierungen enthalte, die so nicht gewollt gewesen seien, ergebe sich nicht aus dem Abbruchvermerk, was gewollt gewesen sei. Es hätten sich nur zwei Bewerberinnen auf die streitgegenständliche Stelle beworben, die Klägerin erfülle alle Voraussetzungen, die Mitbewerberin hingegen nicht. Deshalb müsse die Auswahlentscheidung auf die Klägerin fallen, ein Abbruch sei in diesem Fall unsachlich.
Die Klägerin hat beantragt,
1. das beklagte Land zu verurteilen, das Stellenbesetzungsverfahren zur Stellenausschreibung unter der Kennziffer 51/2020/LAÄDJVK „Leitung des anstaltsärztlichen Dienstes im Berliner Justizvollzug“ (Ä3/Ä4 TV-Ärzte Land Berlin) fortzusetzen und dem beklagten Land zu untersagen, die Stelle „Leitung des anstaltsärztlichen Dienstes im Berliner Justizvollzug“ (Ä3/Ä4 TV-Ärzte Land Berlin) neu auszuschreiben.
2. das beklagte Land zu verurteilen, die unter der Kennziffer 51/2020/LAÄDJVK ausgeschriebene Stelle: „Leitung des anstaltsärztlichen Dienstes im Berliner Justizvollzug“ (Ä3/Ä4 TV-Ärzte Land Berlin) mit der Klägerin zu besetzen.
3. hilfsweise für den Fall des Unterliegens mit dem Klageantrag zu 2., dem beklagten Land zu untersagen, die unter der Kennziffer 51/2020/LAÄDJVK ausgeschriebene Stelle: „Leitung des anstaltsärztlichen Dienstes im Berliner Justizvollzug“ (Ä3/Ä4 TV-Ärzte Land Berlin) mit der einzigen weiteren Bewerberin Frau Dr. C. H. oder einem sonstigen Bewerber/Bewerberin endgültig zu besetzen, sie hierin einzuweisen oder in sonstiger Art und Weise hierauf dienstlich zu verwenden oder zu befördern, so lange nicht über die Bewerbung der Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu entschieden ist und so lange nicht zwei Wochen seit der Mitteilung der Entscheidung gegenüber der Klägerin vergangen sind.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es hat vorgetragen, der Stellenabbruch sei gerechtfertigt. Das Anforderungsprofil, das der Auswahl zugrunde liege, sei rechtsfehlerhaft. Es sei teils missverständlich formuliert, wie das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg zum Begriff „Weiterbildungszertifikat“ ausgeführt habe. Das beklagte Land habe damit nicht die Weiterbildungsbefugnis, sondern das Fortbildungszertifikat einer Landesärztekammer gemeint. Die Voraussetzung eines „Weiterbildungszertifikats“ sei im Anforderungsprofil als zwingende Anforderung formuliert, die es so aber nicht gebe. Des Weiteren enthalte das Anforderungsprofil Anforderungen, die gar nicht formal gefordert würden, zudem seien im Auswahlvermerk Erwägungen angestellt worden, die die formalen Anforderungen nicht berücksichtigt hätten. Das Besetzungsverfahren leide daher an solchen Mängeln, dass es nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung führen könne. Zudem sei ein Neuzuschnitt der Stelle hinsichtlich der Führungskompetenz sowie der geforderten Zusatzweiterbildung beabsichtigt.
Mit Urteil vom 15. November 2022 hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Entscheidung des beklagten Landes, das Auswahlverfahren abzubrechen, verletze mangels eines sachlichen Grundes den Bewerberverfahrensanspruch der Klägerin. Hierbei könne nur auf Erwägungen abgestellt werden, die in der schriftlich dokumentierten Begründung des Verfahrensabbruchs angegeben seien. Zwar sei dem beklagten Land die Ernennung der ausgewählten Bewerberin aufgrund von Fehlern bei der Auswahlentscheidung im Wege der einstweiligen Verfügung untersagt worden. Es sei aber davon auszugehen, dass der Abbruch der Benachteiligung der Klägerin diene, so dass allein die gerichtliche Beanstandung noch keinen sachlichen Grund für einen Abbruch des Bewerbungsverfahrens darstelle. Es hätten sich lediglich zwei Personen beworben, nur die Klägerin aber habe alle als zwingend formulierten Kriterien des nicht zu beanstandenden Anforderungsprofils erfüllt, die deshalb von Anfang an als einzige Kandidatin im weiteren Auswahlverfahren habe berücksichtigt werden dürfen. Der Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens führe zu einer nicht hinnehmbaren Benachteiligung der Klägerin. Da als einzig rechtmäßige Entscheidung im fortzusetzenden Verfahren die Entscheidung verbleibe, die Stelle der Klägerin zu übertragen, habe sich der Bewerberverfahrensanspruch zu einem Besetzungsanspruch verdichtet.
Gegen dieses dem beklagten Land am 12. Dezember 2022 zugestellte Urteil richtet sich seine am 15. Dezember 2022 eingegangene und am Montag, dem 13. Februar 2023 begründete Berufung. Es trägt vor, das Arbeitsgericht überdehne die Anforderungen an den wirksamen Abbruch eines Auswahlverfahrens, insbesondere verneine es den Abbruch fehlerhaft mit der Begründung, der Abbruch diene allein der Benachteiligung der Klägerin. Es stelle einen sachlichen Grund für die vorzeitige Beendigung des Auswahlverfahrens zur Besetzung einer Beförderungsstelle dar, wenn ein Gericht die durch den Arbeitgeber getroffene Auswahlentscheidung beanstandet habe und die gerichtlichen Erwägungen zumindest bedenkenswert erschienen, was hier der Fall sei. Bei der Heranziehung von im Eilverfahren gerichtlich festgestellten Mängeln, die den Abbruch eines Auswahlverfahrens in der Regel rechtfertigen könnten, sei nicht zwischen den unterschiedlichen Phasen des Auswahlverfahrens zu unterscheiden, vielmehr könnten auch Fehler in der Auswahlentscheidung sachlich relevante Gründe für den Verfahrensabbruch sein. Die Annahme des Arbeitsgerichts, dass das Anforderungskriterium eines „gültigen Weiterbildungszertifikats einer Landesärztekammer“ als „Fortbildungszertifikat“ auszulegen sei, verkenne, dass die gerichtlichen Erwägungen zu Mängeln des Auswahlverfahrens nur bedenkenswert erscheinen und dem Dienstherrn berechtigten Anlass geben müssten, seine Entscheidungsfindung zu überdenken. Ferner läge die vom Arbeitsgericht angenommene Benachteiligung der Klägerin nicht vor, einen Eignungsvorsprung der Klägerin gegenüber der Mitbewerberin habe das Landesarbeitsgericht in seiner Entscheidung vom 27. Januar 2022 an keiner Stelle angenommen. Erforderlich sei insoweit, dass der Abbruch nach dem Willen des Dienstherrn den alleinigen Zweck habe, einen Bewerber zu bevorzugen oder zu benachteiligen. was nicht festgestellt werden könne. Hieraus folge zugleich die Unbegründetheit des Antrags, die Stelle mit der Klägerin zu besetzen.
Das beklagte Land beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 15. November 2022 – 58 Ca 7004/21 – abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie trägt vor, das beklagte Land habe nicht dargelegt, dass die vom Landesarbeitsgericht gerügten Mängel des Auswahlverfahrens Fehler nicht mehr zu einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung hätten führen können. Soweit in Stellenausschreibung und Anforderungsprofil ein gültiges Weiterbildungszertifikat einer Landesärztekammer gefordert sei, handele es sich allenfalls um eine sprachliche und für einen Dritten ohne weiteres verständliche Unklarheit, nicht jedoch einen objektiven Sachgrund zur Änderung des Anforderungsprofils in einem neuen Auswahlverfahren. Ferner sei nicht ersichtlich, dass die Frauenvertreterin vor dem Abbruch nach § 17 Absatz 1 Landesgleichstellungsgesetz Berlin mitgewirkt habe. Der Bewerberverfahrensanspruch der Klägerin habe sich zu einem Besetzungsanspruch verdichtet, da sie die einzige Bewerberin sei, die das Anforderungsprofil der Stelle erfülle und sogar im Assessmentcenter für geeignet und befähigt befunden worden sei. Soweit im Berufungserwiderungsschriftsatz ein Hilfsantrag formuliert worden sei, handele es sich lediglich um einen klarstellenden Hinweis auf den bereits erstinstanzlich gestellten Hilfsantrag.
Wegen des weiteren Vortrages der Parteien in der zweiten Instanz wird auf die Schriftsätze des beklagten Landes vom 13. Februar 2023 (Blatt 272 bis 281 der Akte), der Klägerin vom 14. April 2023 (Blatt 306 bis 316 der Akte) und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25. Mai 2023 (Blatt 319 bis 320 der Akte) verwiesen.
I. Die Berufung ist gemäß §§ 8 Absatz 2, 64 Absatz 2 Buchstabe b) und Absatz 6, 66 Absatz 1 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG), 519 Zivilprozessordnung (ZPO) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden und wurde gemäß §§ 64 Absatz 6 ArbGG, 520 Absatz 3 ZPO ausreichend begründet.
II. Die Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Arbeitsgericht das beklagte Land zur Fortsetzung des Stellenbesetzungsverfahrens mit der Kennziffer 51/2020/LAÄDJVK sowie der Besetzung der ausgeschriebenen Stelle mit der Klägerin verurteilt. Das Berufungsgericht folgt den Gründen der angefochtenen Entscheidung (§ 69 Absatz 2 ArbGG). Ergänzend gilt – auch im Hinblick auf die Berufungsbegründung – Folgendes:
1. Der Antrag zu 1., gerichtet auf Fortsetzung des Stellenbesetzungsverfahrens, ist zulässig. Zwar haben nicht nur das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), sondern auch das Bundesarbeitsgericht (BAG) die Auffassung vertreten, der Anspruch auf Fortsetzung eines abgebrochenen Auswahlverfahrens könne allein im Wege eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, gerichtet auf Fortführung des abgebrochenen Auswahlverfahrens, erreicht werden und ein entsprechendes Hauptsacheverfahren sei ausgeschlossen (vgl. BAG vom 12. Dezember 2017 – 9 AZR 152/17; BVerwG 10. Dezember 2020 – 2 C 12/20). Die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts betreffen allerdings materielle Aussagen zur Frage des Ausschlusses der Amtshaftung im Sinne von § 839 Absatz 3 BGB. Besondere Zulässigkeitsvoraussetzungen lassen sich hieraus nicht ableiten (Landesarbeitsgericht Hamm, Urteil vom 30. Juni 2022 – 11 Sa 39/22 –, Randnummer 160). Zudem hat die Klägerin im vorliegenden Fall einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Fortsetzung des Stellenbesetzungsverfahrens auch gestellt. In dem Verfahren haben sich die Parteien sodann darauf geeinigt, dass die Frage, ob das streitgegenständliche Stellenbesetzungsverfahren abgebrochen werden durfte, im vorliegenden Hauptsacheverfahren entschieden werden solle. Schon deshalb bestehen keine Zweifel an der Zulässigkeit des im Hauptsacheverfahren gestellten Antrages.
2. Der Klageantrag zu 2. ist hinreichend bestimmt (§ 253 Absatz 2 Nummer 2 ZPO). Die Bezeichnung des Klageziels, die streitgegenständliche Stelle "mit der Klägerin zu besetzen" entspricht einer im öffentlichen Dienst geläufigen Formulierung. Sie bringt zum Ausdruck, dass die Klägerin ihre tatsächliche Beschäftigung auf der ausgeschriebenen Stelle anstrebt. Der Klageantrag umfasst damit die vom Land hierfür zu schaffenden rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen einschließlich der gegebenenfalls erforderlichen Vertragsänderung (vergleiche: BAG, Urteil vom 2. Dezember 1997 – 9 AZR 668/96 –, BAGE 87, 171-180, Randnummer 14).
3. Ein – im Vermerk des beklagten Landes vom 11. März 2022 dokumentierter – sachlicher Grund zum Abbruch des streitgegenständlichen Stellenbesetzungsverfahrens folgt nicht daraus, dass sich im Laufe des Auswahlverfahrens herausgestellt hätte, dass das Anforderungsprofil Formulierungen enthielt, die vom beklagten Land so nicht gemeint und gewollt gewesen seien.
a) Die im Vermerk enthaltene Begründung könnte dies allenfalls im Hinblick auf die als zwingend formulierte Anforderung „Gültiges Weiterbildungszertifikat einer Landesärztekammer“ nahelegen. Jedoch hat das Arbeitsgericht insoweit zutreffend darauf hingewiesen, dass Stellenanzeigen nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen sind, wie sie von verständigen und redlichen potentiellen Bewerbern und Bewerberinnen verstanden werden. Im Hinblick darauf, dass der angesprochene Bewerberkreis (promovierte Fachärztinnen und Fachärzte) diese Anforderung nur im Sinne eines Fortbildungszertifikates nach § 95 d Absatz 2 Sozialgesetzbuch 5 (SGB 5) verstehen können, weil die einzige denkbare Bedeutungsalternative, nämlich die Weiterbildungsermächtigung nach der Weiterbildungsverordnung, nur für eine bestimmte Stelle zuerkannt wird, die eine Bewerberin oder ein Bewerber für eine derartige Stelle folglich gar nicht vorweisen kann, liegt eine vom Willen abweichende Formulierung in Stellenausschreibung und Anforderungsprofil nicht vor. Das beklagte Land legt im Vermerk vom 11. März 2022 dar, dass es auf das Vorliegen eines Fortbildungszertifikats im Sinne von § 95 d SGB 5 habe abstellen wollen. Nur in diesem Sinne konnte der angesprochene Bewerberkreis die Formulierung auch verstehen. Unzutreffend ist ferner die Annahme im Vermerk vom 11. März 2022, die Kammer habe im Vorverfahren bemerkt, dass das Anforderungsprofil sehr missverständlich sei und Bewerberinnen und Bewerber hier nur hätten verstehen können, dass eine Weiterbildungsbefugnis gefordert werde. Vielmehr hat die Kammer in ihrem Urteil vom 27. Januar 2022 zugunsten des beklagten Landes die von ihm gewollte Bedeutung (Fortbildungszertifikat) unterstellt und keine Feststellungen dazu getroffen, ob ein anderes Verständnis überhaupt in Betracht kommt und deshalb Anlass zu Missverständnissen besteht.
b) Die weiteren Ausführungen im Vermerk vom 11. März 2022 belegen nicht ein Abweichen von „Gesagtem“ und „Gewolltem. Dass und in welcher Hinsicht vom beklagten Land eine im Anforderungsprofil nicht oder nicht hinreichend zum Ausdruck gekommene „Gleichwertigkeitsbestätigung“ verlangt oder akzeptiert werden sollte, wird im Vermerk nicht ausgeführt. Inkonsistenzen im Auswahlvermerk folgen allein daraus, dass das beklagte Land eine Auswahlentscheidung traf, die im Widerspruch zu dem Anforderungsprofil stand. Und dass mit der Abweichung von dem für die Dauer eines Stellenbesetzungsverfahrens verbindlichen Anforderungsprofil (BAG, Urteil vom 28. Januar 2020 – 9 AZR 91/19 – Randnummer 30) der verfassungsrechtlich verbürgte Bewerberverfahrensanspruch verletzt wird, folgt hier daraus, dass in dem Anforderungsprofil festgelegte Auswahlkriterien bei der Auswahlentscheidung nicht oder nur mit unzureichender Gewichtung herangezogen wurden, nicht aber daraus, dass das beklagte Land dabei Kriterien heranzog, welche im Anforderungsprofil lediglich wegen unzutreffender oder missverständlicher Formulierungen nicht zum Ausdruck kamen.
4. Das Arbeitsgericht stellt entgegen der in der Berufungsbegründung vertretenen Auffassung nicht den Rechtssatz auf, dass, wenn Fehler im Stellenbesetzungsverfahren nur die Auswahlentscheidung beträfen, eine Benachteiligung der Bewerber naheliege, die dazu führe, dass Fehler im Auswahlverfahren nicht den Abbruch eines Auswahlverfahrens begründen könnten. Auch die Berufungskammer geht nicht von einem solchen Rechtssatz aus. Vielmehr hat das Arbeitsgericht aus den Umständen des vorliegenden Falles, wonach von zwei Bewerberinnen nur eine das Anforderungsprofil erfüllte, den Schluss auf eine Benachteiligung der Klägerin gezogen, welche einer sachlichen Rechtfertigung des Verfahrensabbruches entgegenstehe. Dabei hat es zu Recht auf die Entscheidung des BVerwG vom 29. November 2012 (2 C 6/11, Randnummer 21) abgestellt. Auch das BAG ist in der von beklagten Land herangezogenen Entscheidung davon ausgegangen, dass keine sachlichen Gründe für den Abbruch eines Stellenbesetzungsverfahrens selbst geschaffen werden dürfen, um eine nach der Bestenauslese unabweisbare Entscheidung zugunsten eines bestimmten Bewerbers zu verhindern. Die Vereitelung des Bewerberverfahrensanspruchs eines Bewerbers aus Artikel 33 Absatz 2 GG ist unzulässig. Ein Verfahrensabbruch, der gegen diese Grundsätze verstößt, ist rechtswidrig (BAG, Urteil vom 17. August 2010 – 9 AZR 347/09 –, BAGE 135, 213-221, Randnummer 21; so auch LArbG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 7. Juli 2022 – 26 Sa 91/22 –, Randnummer 30). Mit dem Arbeitsgericht ist anzunehmen, dass die Umstände des vorliegenden Falles eine solche Annahme rechtfertigen, denn die Klägerin hatte bereits einen Besetzungsanspruch zu dem Zeitpunkt erlangt, zu dem das beklagte Land in seinem Auswahlvermerk seine Entscheidung zugunsten der Mitbewerberin dokumentierte.
a) Der Bewerberverfahrensanspruch verdichtet sich zum Besetzungsanspruch, wenn das Auswahlverfahren ordnungsgemäß abgeschlossen war und die Auswahl nach den Kriterien des Artikel 33 Absatz 2 GG zugunsten des Anspruchstellers ausgefallen ist oder hätte ausfallen müssen (BAG, Urteil vom 24. März 2009 – 9 AZR 277/08 –, BAGE 130, 107-118, Randnummer 18). Zum Zeitpunkt der Auswahlentscheidung des beklagten Landes war das Auswahlverfahren ordnungsgemäß abgeschlossen gewesen. Da allein die Klägerin alle Anforderungen des Anforderungsprofils erfüllte und demnach die einzige geeignete Bewerberin war, hätte die Auswahl zu ihren Gunsten ausfallen müssen. Ob das beklagte Land unter diesen Umständen, etwa zur Gewinnung eines größeren Bewerberkreises oder zur Änderung des Stellenprofils das Auswahlverfahren überhaupt noch hätte abbrechen dürfen, kann dahinstehen, weil das beklagte Land sich darauf im maßgeblichen Vermerk vom 11. März 2022 nicht berufen hat. Allein der Grund, dass die getroffene Auswahl fehlerbehaftet und dem beklagten Land deshalb die Besetzung der Stelle gerichtlich untersagt worden war, konnte unter diesen Umständen den Abbruch des Auswahlverfahrens nicht sachlich rechtfertigen. Aufgrund der bestehenden Bindung an das geschriebene und vom beklagten Land auch so gewollte Anforderungsprofil, welches nur eine einzige Auswahlentscheidung rechtfertigen konnte, bezweckt der Abbruch des Verfahrens allein die Benachteiligung der Klägerin. Andere sachlich begründbare Zwecke dieser Entscheidung sind nicht ersichtlich. Dem vom beklagten Land angeführten Zweck, die im Eilverfahren gerichtlich beanstandeten Mängel in einem neuen Auswahlverfahren abzustellen und ein mangelfreies Auswahlverfahren durchzuführen, konnte ein Abbruch ohne Verletzung des bereits zum Besetzungsanspruch erstarkten Bewerberverfahrensanspruchs der Klägerin nicht dienen. Vielmehr war dies allein dadurch möglich, dass auf Basis des bestehenden Anforderungsprofils und der im Auswahlverfahren erlangten Erkenntnisse eine mangelfreie und den Anforderungen des Artikel 33 Absatz 2 GG genügende Auswahlentscheidung getroffen wurde. Der in diesem Zusammenhang erfolgte Hinweis des beklagten Landes, dass der Abbruch eines Auswahlverfahrens für die beste Bewerberin oder den besten Bewerber immer eine Benachteiligung darstelle, berücksichtigt nicht, dass vorliegend nicht eine dem Beurteilungsspielraum des beklagten Landes unterliegende Entscheidung darüber zu treffen war, welche von zwei geeigneten Bewerberinnen die bessere sei, sondern dass eine der beiden Bewerberinnen das Anforderungsprofil nicht erfüllte und daher von vornherein nicht in die Auswahl mit einbezogen werden durfte. Verfolgte das beklagte Land in diesem Fall nicht den Zweck, auf Basis eines neuen Anforderungsprofils einen größeren Bewerberkreis zu gewinnen oder die Stelle neu zuzuschneiden, sondern allein den Zweck, gerichtlich gerügte Mängel abzustellen, konnte allein die Fortsetzung eines im Übrigen mangelfreien Auswahlverfahrens durch das Treffen einer erneuten, mangelfreien Auswahlentscheidung eine unsachliche Benachteiligung der Klägerin ausschließen.
b) Diese Annahme einer sachlich nicht gerechtfertigten Benachteiligung der Klägerin wird aus Sicht der Berufungskammer zusätzlich dadurch gestützt, dass das beklagte Land im Vorfeld des Besetzungsverfahrens mit der Mitbewerberin Kontakt aufnahm und deren Qualifikationen abfragte, die sich im später erstellten Anforderungsprofil an einigen Stellen („Fachärztin/Facharzt für Innere Medizin“, „Schwerpunktbezeichnung Infektiologie“) wiederfinden. Für sich gesehen mag dies die Annahme eines in eine bestimmte Richtung gelenkten und die Klägerin benachteiligenden Verhaltens noch nicht rechtfertigen, weil ja das Anforderungsprofil nicht ausschließlich auf die Qualifikationen der Mitbewerberin zugeschnitten war. Wird jedoch mitberücksichtigt, dass die Mitbewerberin die Anforderungen des vom beklagten Landes sodann aufgestellten Anforderungsprofils nicht vollständig erfüllt, auch im Assessmentcenter schlechter bewertet wurde als die Klägerin und dass – wie von der Kammer im vorangegangenen Verfahren einstweiligen Rechtsschutzes festgestellt – lediglich mit dem Anforderungsprofil nicht vereinbare Erwägungen dazu führten, dass sich das beklagte Land gleichwohl für die Mitbewerberin entschied, bleibt für die Kammer nur der Schluss, dass der Abbruch des Stellenbesetzungsverfahrens allein dem Zweck dient, die bei Fortsetzung des Verfahrens nach Artikel 33 Absatz 2 GG einzige ermessensgerechte Auswahlentscheidung nicht treffen zu müssen und damit der Klägerin einen bereits entstandenen Besetzungsanspruch zu nehmen.
c) Das beklagte Land geht in diesem Zusammenhang unzutreffend davon aus, die Kammer habe im Urteil vom 27. Januar 2022 an keiner Stelle einen Eignungsvorsprung der Klägerin gegenüber der Mitbewerberin angenommen. Die Kammer hat ihre Entscheidung vielmehr damit begründet, das beklagte Land habe bereits formale und zwingende Anforderung des Vorliegens eines „gültigen Weiterbildungszertifikats einer Landesärztekammer“ nicht beachtet, über das die Klägerin, nicht aber die Mitbewerberin verfüge (Ziffer II. 1. c) aa) der Entscheidungsgründe auf Seite 10 des Urteils). Ferner hat sie darauf verwiesen, dass das beklagte Land von einem Vorsprung der Klägerin nach den im Assessmentcenter erreichten Punkten ausgehen habe müssen, der aufgrund der im Auswahlvermerk aufgeführten Erwägungen zu den Leistungsmerkmalen Organisation, Entscheidungsfähigkeit und Belastbarkeit, der Fachlichkeit für Innere Medizin, der Schwerpunktbezeichnung Infektologie, den Auslandseinsätzen der Mitbewerberin und den Ergebnissen des Assessmentcenters nicht habe ausgeglichen werden können (Ziffer II. 1. c) bb) und cc) der Entscheidungsgründe auf Seiten 10 ff des Urteils).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Absatz 1 ZPO.
IV. Gründe im Sinne von § 72 Absatz 2 ArbGG dafür, die Revision des beklagten Landes zuzulassen, liegen nicht vor.