Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 134 Ds 12/23


Metadaten

Gericht AG Zossen Entscheidungsdatum 20.04.2023
Aktenzeichen 134 Ds 12/23 ECLI ECLI:DE:AGZOSSE:2023:0420.134DS12.23.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Leitsatz

Ein Überlassen einer Waffe im Sinne von § 52 Abs. 3 Nr. 7 iVm. § 34 Abs. 1 S. 1 Waffengesetz stellt es nicht dar, wenn die ungeladene Waffe in verschlossenen Räumlichkeiten einer dritten Person kurz zum Halten gegeben wird und der Berechtigte jederzeit auf die Waffe zugreifen kann.

Tenor

1. Der Angeklagte wird freigesprochen.

2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Februar 2021 händigte der Angeklagte den Zeuginnen T. B. und V. Z. im Schlafzimmer seines verschlossenen Wohnhauses in der …straße 1 in Z. zwei ungeladene Vorderschaftrepetierflinten aus, die er unmittelbar zuvor aus dem im Zimmer befindlichen verschlossenen Waffenschrank entnommen hatte. Die Zeuginnen B. und Z. setzten sich mit den Flinten auf das im Schlafzimmer befindliche Bett, worauf der Angeklagte zwei oder drei Lichtbildaufnahmen von den Zeuginnen anfertigte. Im unmittelbaren Anschluß hieran übergaben die Zeuginnen dem Angeklagten wieder die Waffen, die dieser sodann im Waffenschrank verschloß. Der Gesamtvorgang nahm einen Zeitraum von etwa zwei Minuten in Anspruch. Die Zeuginnen waren nicht im Besitz einer Erlaubnis für den Umgang mit Waffen, was dem Angeklagten bekannt war.

II.

Die Staatsanwaltschaft wirft dem Angeklagten vor, er habe Nichtberechtigten entgegen § 34 Abs. 1 S. 1 Waffengesetz erlaubnispflichtige Schußwaffen überlassen.

III.

Der Angeklagte war aus rechtlichen Gründen freizusprechen. Der dem Angeklagten durch die Staatsanwaltschaft vorgeworfene Sachverhalt hat sich in der Hauptverhandlung bestätigt. Er erfüllt jedoch nicht den Straftatbestand des § 52 Abs. 3 Nr. 7 iVm. § 34 Abs. 1 S. 1 Waffengesetz.

Der Angeklagte hat den Zeuginnen die Schußwaffen nicht überlassen. Im waffenrechtlichen Sinn überläßt eine Waffe oder Munition, wer die tatsächliche Gewalt darüber einem anderen einräumt (Gade, 3. Aufl. 2022, WaffG § 34 Rn. 1a-1). Derjenige, an den Waffen oder Munition überlassen werden, erlangt damit die tatsächliche Gewalt über sie, womit ein Erwerbsvorgang vorliegt (Steindorf/Papsthart, 11. Aufl. 2022, WaffG § 34 Rn. 2). Der Angeklagte hat jedoch den Zeuginnen nicht die tatsächliche Gewalt über die Schußwaffen und damit den Gewahrsam eingeräumt. Gewahrsam ist das tatsächliche Herrschaftsverhältnis zwischen einer Person und einer Sache, das von einem Herrschaftswillen getragen ist. Ob diese Elemente vorliegen, ist nach der natürlichen Auffassung des täglichen Lebens zu beurteilen (Schönke/Schröder/Bosch, 30. Aufl. 2019, StGB § 242 Rn. 23). Ein solches von Herrschaftswillen getragenes Herrschaftsverhältnis der Zeuginnen über die Schußwaffen ist im konkreten angeklagten Geschehen nicht zu erblicken. Die Zeuginnen hatten bereits keinen Herrschaftswillen, denn die Bestimmungsgewalt über die Gewehre lag während des gesamten Zeitraums beim Angeklagten. Auch verfügten die Zeuginnen nicht über die Sachherrschaft, denn der Angeklagte, der ihnen im selben Raum fotografierend unmittelbar gegenüberstand, hatte jederzeit Zugriff auf die Schußwaffen. Es wäre den Zeuginnen nicht möglich gewesen, die Räumlichkeiten entgegen dem Willen des Angeklagten mit den Waffen zu verlassen oder mit diesen nach freier Entscheidung zu verfahren. Entsprechend ist in der Rechtsprechung betreffend den Diebstahl anerkannt, daß ein Gewahrsamsbruch erst vorliegt, wenn der Täter ungehinderten Gewahrsam ausüben und der bisherige Gewahrsamsinhaber über die Sache nicht mehr verfügen kann. Innerhalb von Selbstbedienungsläden ist das etwa nur dann der Fall, wenn die Sache in eine Gewahrsamsenklave verbracht ist, ansonsten erst, wenn der Täter die Kassenzone passiert hat (vgl. BGH, Beschluß vom 18. Juni 2013 – 2 StR 145/13 –, juris). Innerhalb von Kommunikationsbeziehungen bleibt der Gewahrsam sogar an kurzfristig weggegebenen Sachen bestehen, so an Kleidungsstücken, die der Kunde zwecks Mitnahme in den Geschäftsräumen bereits angezogen hat, sowie bei Geldscheinen, die zum Wechseln auf den Ladentisch gelegt wurden (Schönke/Schröder/Bosch, 30. Aufl. 2019, StGB § 242 Rn. 26). Entsprechend behielt der Angeklagte den Gewahrsam an den Flinten, auch wenn sie während seiner unmittelbaren Anwesenheit im selben Raum kurzzeitig einer anderen Person zum Halten gab. Eine Überlassung im Sinne eines Gewahrsamsübergangs vom Angeklagten an die Zeuginnen ist vor diesem Hintergrund nicht zu erblicken.

Insbesondere ist aber davon auszugehen, daß die Einheitlichkeit der Terminologie innerhalb eines einzelnen Gesetzes gewahrt ist. Das Verständnis des Gesetzgebers von der Begrifflichkeit des „Überlassens“ innerhalb des Waffengesetzes geht offensichtlich dahin, daß dies erst erfüllt ist, wenn der Person, der Waffen überlassen werden, gesicherten Gewahrsam von jedenfalls einiger Dauer an dieser erlangt. So regelt § 20 Abs. 3 S. 2 Waffengesetz, daß im Falle des Erwerbs einer Schußwaffe durch Erbfall diese unbrauchbar oder einem Berechtigten zu überlassen sei. Das Verständnis der Staatsanwaltschaft vom Begriff des „Überlassens“ wäre mit dieser Regelung nicht in Übereinstimmung zu bringen. Nach dem Begriffsverständnis der Staatsanwaltschaft genügte der Erbe einer Schußwaffe dem Gesetz, wenn er die Schußwaffe einem Berechtigten für die Zeitdauer von zwei Minuten in die Hand gäbe (und ihn dabei fotografierte). Das Wortverständnis des Gesetzgebers in anderen Normen außerhalb des Waffengesetzes ist mit der Leseart der Staatsanwaltschaft ebenfalls nicht in Übereinstimmung zu bringen: „Nach Abschluß eines Versicherungsvertrages und Zahlung der Prämie überläßt der Versicherer dem Halter auf Antrag das Versicherungskennzeichen zusammen mit einer Bescheinigung hierüber für das jeweilige Verkehrsjahr“ (§ 26 FZV). Auch hier besteht die vom Normgeber verlangte „Überlassung“ nicht darin, daß der Versicherungsnehmer Versicherungskennzeichen und Bescheinigung kurz halten darf und nach Anfertigung eines Lichtbildes wieder zurückgibt.

Das Begriffsverständnis der Staatsanwaltschaft widerspricht ferner dem allgemeinen Sprachgebrauch. Das Wort „überlassen“ besteht aus dem Präfix „über“ und dem Wortstamm „lassen“. Präfixverbindungen mit dem Wortstamm „lassen“ drücken regelmäßig nicht nur momentane Situationsänderungen aus, sondern beziehen sich auf längerfristige, meist sogar dauerhafte Veränderungen. Wird eine Person „entlassen“, versteht man hierunter die dauerhafte Beendigung eines Dienst- oder Arbeitsverhältnisses. Wird eine Person „verlassen“ bedeutet dies die Beendigung einer Beziehung oder ein räumliches Sichentfernen für einen nicht nur kurzen Zeitraum. Wenn etwas „ausgelassen“ wird, entsteht eine dauerhafte Lücke. Das „Ablassen“ von einem Vorhaben ist eine dauerhafte Aufgabe des Vorhabens. Das „Erlassen“ von Schulden, läßt die Forderung endgültig entfallen. Die Formulierung „belassen wir es dabei“ bedeutet, daß das Thema dauerhaft abgeschlossen ist. Wird etwas oder jemand „zurückgelassen“ begründet auch dies einen auf Dauer angelegten Zustand. Entsprechend wird auch unter der Begrifflichkeit des „Überlassens“ ein dauerhafter Übergang einer Sache oder Verantwortung auf einem anderen und nicht nur ein ganz kurzzeitiger Zugriff auf die Sache verstanden. Wird eine Entscheidung einem anderen „überlassen“, so obliegt diesem die letztendlich Entscheidungsbefugnis. Soll eine Überlassung nicht dauerhaft erfolgen, so wird der Begriff des „Überlassens“ regelmäßig mit einem Adjektiv wie etwa „vorübergehend“ oder „kurzzeitig“ versehen.

Neben der systematischen und grammatikalischen Auslegung spricht auch die teleologische Auslegung gegen das Begriffsverständnis der Staatsanwaltschaft. Die Erlaubnispflicht für das Führen von Schußwaffen stellt ein restriktives Verbot mit Befreiungsvorbehalt dar. Es dient der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (§ 1 Abs. 1 WaffG). Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit sind Individual- und Gemeinschaftsrechtsgüter, die Funktionsfähigkeit des Staates, seine Einrichtungen und Veranstaltungen sowie die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung (Schenke/Graulich/Ruthig/Wolf-Rüdiger Schenke, 2. Aufl. 2018, BPolG § 14 Rn. 10 ff.). Unter öffentlicher Ordnung wird der Inbegriff der Regeln verstanden, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unentbehrliche Voraussetzung für ein gedeihliches Miteinanderleben der innerhalb eines Polizeibezirks wohnenden Menschen angesehen wird (Schenke/Graulich/Ruthig/Wolf-Rüdiger Schenke, 2. Aufl. 2018, BPolG § 14 Rn. 15). Weder ein Schutzgut der öffentlichen Sicherheit, noch die öffentliche Ordnung wird dadurch beeinträchtigt, daß eine Person, die nicht im Besitz einer waffenrechtlichen Erlaubnis ist, in privaten abgeschlossenen Räumlichkeiten für einen kurzen Zeitraum eine ungeladene Waffe in Anwesenheit und bei gegebener Zugriffsmöglichkeit des Erlaubnisinhabers in den Händen hält. Dieses Ergebnis wird belegt durch eine vergleichende Betrachtung mit den Ausnahmetatbeständen des § 12 Waffengesetz, aufgrund derer „Nichtberechtigten“ Schußwaffen überlassen werden dürfen. Der Gesetzgeber sieht offensichtlich nicht in jeder Gewahrsamsausübung durch einen „Nichtberechtigten“ eine abzuwehrende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Zu den Ausnahmetatbeständen gehören unter anderem das Überlassen von - naturgemäß geladenen - Schußwaffen auf Schießstätten (§ 12 Abs. 1 Nr. 5 WaffG) oder im Rahmen von Arbeits- oder Ausbildungsverhältnissen (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. a) WaffG). Hierbei sich um Sachverhaltskonstellationen in denen sich die von den überlassenen Schußwaffen ausgehenden Gefahren mit ungleich höherer Wahrscheinlichkeit realisieren könnte. Sowohl auf Schießstätten als auch im Rahmen von Arbeit- und Ausbildungsverhältnissen üben die „Nichtberechtigten“ die tatsächliche Gewalt sogar über geladene Schußwaffen außerhalb von Privaträumen, im Rahmen von Arbeitsverhältnissen, wie etwa Wachschutz oder Geldtransport, darüber hinaus oftmals im frequentierten öffentlichen Raum aus. Aus einer wertenden und vergleichenden Betrachtung mit den gesetzlichen Ausnahmetatbeständen folgt, daß der vorliegende Sachverhalt bereits den Schutzzweck des Waffengesetzes nicht berührt und letztendlich in den Bereich des noch sozialadäquaten Verhaltens fällt.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 471 Abs. 1 StPO.