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Entscheidung 9 UF 111/23


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Senat für Familiensachen Entscheidungsdatum 17.07.2023
Aktenzeichen 9 UF 111/23 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0717.9UF111.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Jugendamtes wird der Beschluss des Amtsgerichts Eberswalde - Familiengericht - vom 09.05.2023 (Az. 30 F 19/23) zu Ziffer 2. aufgehoben.

2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben; eine Erstattung außergerichtlicher Kosten findet nicht statt.

3. Der Beschwerdewert wird auf 2.000 € festgesetzt.

4. Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Gründe

I.

Die Beteiligte zu 1. ist die Mutter des nichtehelich geborenen Kindes L...-M... G..., geboren am …2018, sowie der am …2020 geborenen Z… G... .

Mit Beschluss vom 06.04.2023 hat das Amtsgericht im Wege der einstweiligen Anordnung – ohne persönliche Anhörung der Beteiligten - der bis dahin allein sorgeberechtigten Mutter teilweise die elterliche Sorge für L...-M... hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrechts, der Gesundheitsfürsorge und das Recht auf Beantragung von Hilfen zur Erziehung entzogen und das beteiligte Jugendamt als Ergänzungspfleger bestellt. Hintergrund für die gerichtliche Maßnahme war die seit Jahren anhaltende Überforderung der Mutter mit der Betreuung und Versorgung ihres Sohnes aufgrund der Verhaltensauffälligkeiten des Kindes, die ambulante und zuletzt wiederholt stationäre Hilfemaßnahmen, in deren Rahmen auch zum Teil die Fachkräfte hinsichtlich der Betreuung und Versorgung des Kindes an ihre Grenzen stießen, erforderlich machten.

Nach Anhörung der Mutter, der Verfahrensbeiständin und des Jugendamtes hat das Amtsgericht – angesichts der Erklärung der Mutter, mit L...-M... in eine Mutter-Kind-Einrichtung zum Zwecke des Clearings zu gehen - mit Beschluss vom 09.05.2023 die einstweilige Anordnung hinsichtlich des teilweisen Sorgerechtsentzugs und der Anordnung der Ergänzungspflegschaft aufgehoben und das Jugendamt u. a. beauflagt, die zeitnahe Unterbringung der Kindesmutter und des Kindes in einer geeigneten Einrichtung zum Zwecke des Clearings für die Dauer von mindestens 3 Monaten zu betreiben. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses verwiesen.

Gegen den am 22.05.2023 zugestellten Beschluss richtet sich die am 01.06.2023 beim Amtsgericht eingegangene Beschwerde des Jugendamtes mit der es - wie erst im Anhörungstermin erklärt wurde nur - die Aufhebung der erteilten Auflage mit der Begründung erstrebt, diese Hilfemaßnahme sei nicht geeignet, den Bedarfen der Mutter und des Kindes gerecht zu werden. Eine auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmte und notwendige heilpädagogische Betreuung könne in diesem Rahmen nicht erfolgen.

Der Senat hat das Kind sowie die weiteren Beteiligten am 13.07.2023 angehört.

II.

Die Beschwerde des Jugendamtes ist nach §§ 57 Satz 2 Nr. 1, 58 Abs. 1 FamFG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 63 Abs. 2 Nr. 1, 64 Abs. 1 und 2, 65 Abs. 1 FamFG).

In der Sache hat das Rechtsmittel Erfolg und führt zur Aufhebung der dem Jugendamt unter Ziffer 2. der angefochtenen Entscheidung erteilten Auflage. Eine Rechtsgrundlage für die gegenüber dem Jugendamt angeordnete gerichtliche Maßnahme ist nicht gegeben.

Eine Anordnungskompetenz des Familiengerichts gegenüber dem Jugendamt folgt nicht aus § 1666 Abs. 3 Nr. 1 BGB. Das Gebot, Hilfe „in Anspruch zu nehmen“ richtet sich seinem Wortlaut nach an den Hilfsbedürftigen und setzt zudem ein zur Verfügung stehendes Hilfsangebot voraus, welches in Anspruch genommen werden kann. Eine Rechtsgrundlage für einen Selbsteintritt oder eine Ersetzungsbefugnis des Familiengerichts für erforderlich erachtetes Verwaltungshandeln bzw. für fachliche Weisungen zur Ausübung des behördlichen Einschreitens- oder Ausübungsermessens ist darin jedoch nicht zu sehen (Gsell/ Krüger/ Lorenz/ Reymann, beck-online Großkommentar, Stand 01.05.2023, § 1666 Rn. 110).

Eine solche kann insbesondere auch nicht in § 1666 Abs. 4 BGB gesehen werden. Zwar kann danach in besonders gelagerten Fällen bei Angelegenheiten der Personensorge auch eine Maßnahme gegen einen Dritten erfolgen, wenn von dessen Verhalten eine Gefahr für das Kindeswohl ausgeht. Eine Befugnis des Familiengerichts zum Erlass von Anordnungen zur Durchsetzung des Kindeswohls gegenüber Behörden ist damit aber nicht verbunden. Denn Dritte im Sinne der Vorschrift sind nicht Behörden und sonstige Träger der öffentlichen Gewalt (vgl. Staudinger/Coester, BGB, Kommentar, (2020), § 1666 Rn. 236.1). Auf der Grundlage des § 1666 Abs. 4 BGB können die Familiengerichte daher auch die Jugendämter nicht zur Vornahme oder Unterlassung von Maßnahmen der Jugendhilfe nach dem SGB VIII verpflichten (BGH, Beschluss vom 06.10. 2021 - XII ARZ 35/21 m. w. N.).

Eine Regelungskompetenz des Amtsgerichts zur Erteilung von Auflagen gegenüber dem Jugendamt ist danach nicht eröffnet. In Ermangelung weiterer Rechtsgrundlagen war die angefochtene Entscheidung insoweit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG.

Die Festsetzung des Beschwerdewertes folgt aus §§ 40 Abs. 1 Satz 1, 45 Abs. 1 Nr. 1, 41 FamFGKG.

Die Entscheidung ist nicht anfechtbar (§ 70 Abs. 4 FamFG).