Gericht | OLG Brandenburg 11. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 12.07.2023 | |
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Aktenzeichen | 11 U 250/22 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2023:0712.11U250.22.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Das Versäumnisurteil vom 17.05.2023 wird aufrechterhalten.
2. Der Kläger trägt die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf bis zu 7.000,00 EUR festgesetzt.
I.
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Prämienanpassungen im Rahmen einer privaten Krankenversicherung und sich daraus ergebende Ansprüche auf Rückerstattung und Herausgabe von Nutzungen.
Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO. i.V.m. § 313a ZPO abgesehen.
II.
Durch den fristgerechten und auch im Übrigen zulässigen Einspruch vom 31.05.2023 ist der Rechtsstreit in die Lage zurückversetzt worden, in der er sich vor der Säumnis des Klägers befand.
Das Versäumnisurteil war gleichwohl aufrechtzuerhalten. Denn die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Sie führt zur Abweisung der Klage insgesamt. Die zulässige Anschlussberufung des Klägers bleibt in der Sache ohne Erfolg.
Unzutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen zum 01.01.2017 und 01.01.2019 formell unwirksam waren.
Im Einzelnen:
1.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. nur BGH, Urt. v. 16.12.2020 - IV ZR 294/19 - juris) erfordert die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat. Der Versicherer muss dabei zwar nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. den Rechnungszins, angeben. Der Versicherungsnehmer muss den Mitteilungen aber mit der gebotenen Klarheit entnehmen können, dass eine Veränderung der genannten Rechnungsgrundlagen über dem geltenden Schwellenwert die konkrete Beitragserhöhung ausgelöst hat (vgl. BGH, Urt. v. 30.11.2022 - IV ZR 329/20; Urt. v. 09.02.2022 - IV ZR 337/20; Urt. v. 21.07.2021 - IV ZR 191/20; Urt. v. 20.10.2021 - IV ZR 148/20; Urt. v. 17.11.2021 - IV ZR 113/20 - jeweils zitiert nach juris). Ihm muss dabei grundsätzlich verdeutlicht werden, dass es einen vorab festgelegten Schwellenwert für eine Veränderung der betreffenden Rechnungsgrundlage gibt, dessen Überschreitung die in Rede stehende Prämienanpassung ausgelöst hat (vgl. insbesondere BGH, Urt. v. 09.02.2022 - IV ZR 337/20; Urt. v. 21.07.2021 - IV ZR 191/20 - zitiert jeweils nach juris). Nicht erforderlich ist es hingegen, dem Versicherungsnehmer die Rechtsgrundlage des geltenden Schwellenwerts oder die genaue Höhe der Veränderung der Rechnungsgrundlage mitzuteilen (BGH, Urt. v. 16.12.2020 – IV ZR 314/19, a.a.O., Rn. 95 und IV ZR 294/19, VersR 2021, 240; OLG Hamm, Beschl. v. 23.06.2022 - 20 U 128/22; Senat, Beschl. v. 10.08.2022 – 11 U 224/21; Beschl. v. 18.01.2023 - 11 U 209/22, m.w.N.).
Ob eine Mitteilung des Versicherers den gesetzlichen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt, hat grundsätzlich der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu befinden (vgl. BGH, Urt. v. 30.11.2022 - IV ZR 302/22, Rn. 15; Urt. v. 16.12.2020 - IV ZR 294/19, Rn. 38, juris).
Ausgehend von diesem Maßstab genügten die mit Schreiben vom 23.11.2016 (Anlage K2) mitgeteilte Beitragsanpassung zum 01.01.2017 und mit Schreiben vom 22.11.2018 (Anlage K3) mitgeteilte Beitragsanpassung zum 01.01.2019 den Anforderungen des § 203 Abs. 2 und 5 VVG.
In dem Schreiben von November 2016 wird (noch ausreichend) darauf hingewiesen, dass Beitragsanpassungen erfolgen, „wenn bestimmte Schwellenwerte überschritten sind“. Aus dem Gesamtkontext ergibt sich überdies, dass es sich um eine dauerhafte Änderung der genannten Rechnungsgrundlage (Versicherungsleistung bzw. „steigende Gesundheitsausgaben“) handelt, soweit in dem Schreiben ebenfalls mitgeteilt wird, dass die Beitragsanpassung erforderlich ist, um die zugesagten Leistungen dauerhaft finanzieren werden können, ferner, dass in den letzten Jahren die Kosten im Gesundheitswesen gestiegen sind, dies zu höheren Leistungsausgaben geführt habe und demzufolge die Beiträge der von dieser Entwicklung betroffenen Tarife angehoben werden.
Die Frage, ob aus dem Mitteilungsschreiben und den beiliegenden Unterlagen eine hinreichend konkrete Tarifbezogenheit hergestellt wird (siehe hierzu z.B. BGH, Urt. v. 11.01.2023 - IV ZR 3/21, Rn. 22, juris), stellt sich in diesem Einzelfall (anders als etwa in der Entscheidung des Senats vom 21.04.2023 - 11 U 174/22) nicht, soweit der Kläger überhaupt nur einen Krankheitskostentarif bei der Beklagten unterhielt bzw. unterhält und sich aus dem Versicherungsschein der Hinweis ergibt, dass sich der Mehrbetrag für die Krankenversicherung ab 01.01.2017 auf 85,80 EUR belaufe.
Das Mitteilungsschreiben vom 22.11.2018 zur Beitragsanpassung zum 01.01.2019 informiert den Versicherungsnehmer zunächst darüber, dass im Rahmen des jährlichen Abgleichs der kalkulierten mit den erbrachten Versicherungsleistungen eine deutliche Abweichung festgestellt wurde. Insbesondere in dem beiliegenden Informationsblatt „Besonderheiten zur Beitragsanpassung vom 01.01.2019“ wird darüber hinaus der Schwellenwertmechanismus ausreichend erläutert und dargestellt, welche dauerhafte Veränderung einer Rechnungsgrundlage zur Prüfung der Anpassung führte. Ferner wird der angepasste, konkrete Tarif des Klägers und dessen Veränderung im Einzelnen in einem Tabellenausschnitt aufgeführt. Mehr war nicht erforderlich.
2.
Nach dem zugrundeliegenden Sach- und Streitstand ist auch nicht von einer materiellen Unwirksamkeit der Beitragsanpassung auszugehen. Das Landgericht hat diese Frage nicht thematisiert, obgleich dies jedenfalls mit Blick auf den teilweise abgewiesenen Feststellungsantrag erforderlich gewesen wäre, da eine materiell unwirksame Beitragsanpassung nicht durch nachgeholte Informationen geheilt werden kann.
Der Kläger kann mit seinem diesbezüglichen Bestreiten der Klage jedoch nicht zum Erfolg verhelfen. Denn das Bestreiten der jeweils materiell ordnungsgemäßen Beitragsanpassung erfolgte offen erkennbar „ins Blaue hinein“ und ist damit prozessual unbeachtlich (vgl. hierzu bereits Senat, Beschl. v. 24.05.2023 - 11 U 275/22; Urt. v. 21.06.2023 - 11 U 336/22; s.a. OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22.05.2023 - 1 U 218/22, Rn. 11 ff. juris; dass., Beschl. v. 22.05.2023 - 1 U 222/22, Rn. 9 ff., juris; s.a. LG München, Urt. v. 01.06.2023 - 12 O 1228/19).
Im Ansatz geht er zwar durchaus zutreffend davon aus, dass ein Klagevortrag bereits dann schlüssig und erheblich ist, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Das gilt auch dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat. Dabei darf sie von ihr nur vermutete Tatsachen als Behauptung in einen Rechtsstreit einführen, wenn sie mangels entsprechender Erkenntnisquellen oder Sachkunde keine sichere Kenntnis von Einzeltatsachen haben kann. Unbeachtlich ist der auf Vermutungen gestützte Sachvortrag einer Partei aber dann, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen "aufs Geratewohl" oder "ins Blaue hinein" aufstellt (st. Rspr. BGH, z.B. Beschl. v. 10.01.2023 - VIII ZR 9/21, Rn. 14 f., juris, m.w.N.). Der Kläger hat keinerlei Tatsachen vorgetragen, weshalb er von der materiellen Unwirksamkeit ausgeht; vielmehr beschränkte er sich in der Replik auf das bloße Bestreiten u.a. der Richtigkeit der Prämienberechnung, der Vollständigkeit der Treuhänderunterlagen, der Berechtigung zur Erhöhung des Risikozuschlages, der Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Kalkulationsmethode, der auslösenden Faktoren und die Dauerhaftigkeit der Veränderung der Rechnungsgrundlage. Dies genügt - wie ausgeführt - nicht. Ohnehin handelte es sich - mit Ausnahme des Bestreitens der Vollständigkeit der Treuhänderunterlagen, hier wurde ausdrücklich mit Nichtwissen bestritten - um ein einfaches Bestreiten. Nach dem substantiierten Vortrag der Beklagten im Schriftsatz vom 15.07.2022 hätte es dem Kläger oblegen, hierauf zunächst substantiiert zu erwidern.
3.
Da die angegriffenen Beitragsanpassungen wirksam waren, besteht weder ein Anspruch auf Rückzahlung, noch auf Feststellung oder die als Nebenforderung geltend gemachten Zinsen, Nutzungen und außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten - letztere soweit von Klägerseite überhaupt zum Gegenstand der Anschlussberufung gemacht.
4.
Die Kostengrundentscheidung folgt für beide Instanzen aus den § 91 ZPO, für die erste Instanz zudem aus § 269 Abs. 3 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Die Revision war in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 133 GVG nicht zuzulassen. Die Bewertung, ob die Mitteilungen der Beklagten zu den jeweiligen Beitragsanpassungen den Vorgaben des § 203 VVG genügen, obliegt - wie ausgeführt - dem Tatrichter.
Entgegen der Ansicht des Klägers liegt auch keine Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung vor, die eine Revisionszulassung erfordern könnte. Soweit er in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des BGH vom 22.06.2022 - IV ZR 193/20 verweist, der sich der Senat im Übrigen in ständiger Rechtsprechung anschließt, hat der Bundesgerichtshof offen erkennbar keine Abkehr von dem allgemein anerkannten - und auch von dem IV. Zivilsenat vertretenen (vgl. z.B. Urt. v. 09.12.2015 - IV ZR 272/15, Rn. 24, juris) - Grundsatz im Zivilprozessrecht erklärt, wonach „ins Blaue hinein“ bzw. „aufs Geratewohl“ erfolgter Vortrag rechtsmissbräuchlich und zivilprozessual unbeachtlich ist (in diesem Sinne auch: OLG Zweibrücken, Beschl. v. 22.05.2023 - 1 U 222/22, Rn. 9 f., juris, m.w.N.). Dies gilt umso mehr, als dass sich der BGH in der von Klägerseite im Schriftsatz vom 31.05.2023 zitierten Fundstelle vorrangig nicht auf Fragen der Darlegungs- und Beweislast bezog, sondern in Bezug auf die Verjährung thematisierte, unter welchen Voraussetzungen einem Kläger es zumutbar ist, Klage zu erheben.
5.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus den §§ 47, 48 GKG.