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Entscheidung OVG 3 B 24/22


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 17.05.2023
Aktenzeichen OVG 3 B 24/22 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2023:0517.OVG3B24.22.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 26 Abs 1 AsylVfG 1992, § 26 Abs 5 AsylVfG 1992, § 29 Abs 1 Nr 5 AsylVfG 1992, § 71 Abs 1 S 1 AsylVfG 1992, § 51 Abs 1 Nr 1 VwVfG, § 51 Abs 3 VwVfG, Art 6 Abs 1 GG, Art 3 BGBEG, Art 6 BGBEG, Art 13 Abs 1 BGBEG, Art 2j EURL 95/2011, Art 23 Abs 2 EURL 95/2011, Art 12 Abs 1 GFKTRL

Leitsatz

Die weitere Ehefrau eines in polygamer Ehe lebenden Flüchtlings kann keinen Familienflüchtlingsschutz nach § 26 Abs. 1 i.V.m. Abs. 5 AsylG beanspruchen, wenn dieser Schutz bereits einer Ehefrau desselben Mannes zuerkannt worden ist.

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 5. April 2022 geändert. Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Frage, ob der Klägerin als weiterer Ehefrau eines Flüchtlings Familienflüchtlingsschutz zuerkannt werden kann.

Die am 10. März 1994 geborene Klägerin, syrische Staatsangehörige arabischer Volks- und muslimisch-sunnitischer Religionszugehörigkeit, reiste eigenen Angaben zufolge im November 2015 in das Bundesgebiet ein und stellte am 26. April 2016 für sich und ihre beiden Kinder einen Asylantrag. Ihren Familienstand gab sie als verheiratet an. Mit Bescheid vom 2. Juni 2016 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge der Klägerin und ihren Kindern den subsidiären Schutzstatus zu und lehnte den Asylantrag im Übrigen ab.

Dem Ehemann der Klägerin, Herrn M., der auch am 26. April 2016 mit seiner ersten Ehefrau und neun Kindern einen Asylantrag gestellt hatte, erkannte das Bundesamt mit Bescheid vom 18. Mai 2016 unter Ablehnung des Asylantrags im Übrigen ebenfalls den subsidiären Schutzstatus zu. Auf die hiergegen erhobene Klage verpflichtete das Verwaltungsgericht Sigmaringen die Beklagte mit Gerichtsbescheid vom 18. April 2017 (A 3 K 2444/16), dem Ehemann der Klägerin, dessen erster Ehefrau sowie den neun Kindern die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Nachdem der Gerichtsbescheid rechtskräftig geworden war, erließ das Bundesamt unter dem 14. Juni 2017 den entsprechenden Bescheid.

Die Klägerin, die mit Schreiben vom 18. Juli 2017 und anwaltlichem Schriftsatz vom 22. September 2017 unter Verweis auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft an ihren Ehemann beim Bundesamt erneut um Zuerkennung von Flüchtlingsschutz gebeten hatte, stellte am 18. Dezember 2017 persönlich bei der Außenstelle des Bundesamtes in Eisenhüttenstadt für sich und ihre beiden Kinder einen Folgeantrag.

Unter dem 30. April 2018 erkannte das Bundesamt den beiden Kindern der Klägerin Familienflüchtlingsschutz nach § 26 AsylG zu, weil ihrem Vater die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei. Demgegenüber lehnte das Bundesamt den Folgeantrag der Klägerin mit Bescheid vom 7. Mai 2018 als unzulässig ab. Eine Änderung der Sachlage bestehe nicht, weil Familienflüchtlingsschutz grundsätzlich nur einer Ehegattin des Flüchtlings, nicht aber dessen Zweitehegattin gewährt werde. Das gelte selbst dann, wenn die polygame Ehe im Herkunftsland legal geschlossen worden sei. Art. 6 Abs. 1 GG schütze grundsätzlich nur die Verbindung eines Mannes und einer Frau.

Auf die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht den Bescheid des Bundesamtes mit Urteil vom 5. April 2022 aufgehoben.

§ 26 Abs. 1, Abs. 5 AsylG setze nicht voraus, dass die Klägerin die alleinige Ehefrau ihres Ehemannes sei. Bei polygamen Ehen komme es nach Art. 13 Abs. 1 EGBGB und Art. 12 GFK auf deren Wirksamkeit im Herkunftsstaat an. Die Einbeziehung von Ehegatten aus Mehrehen sei nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift geboten. Eine vergleichbare Klarstellung wie in § 26 Abs. 1 Satz 2 AsylG fehle im Hinblick auf Mehrehen. Art. 6 GG stehe einer asylrechtlichen Schutzgewährung für Personen, deren Schutzbedürfnis sich aus einer polygamen Ehe ergebe, nicht entgegen. Das Familienasyl knüpfe an eine Gefährdungs- bzw. Verfolgungsgemeinschaft an, der Ehegatten angehörten. Nichts anderes ergebe sich aus der Richtlinie 2011/95/EU.

Zur Begründung der von dem Senat zugelassenen Berufung macht die Beklagte im Wesentlichen Folgendes geltend: Art. 6 Abs. 1 GG konstituiere das Prinzip der Einehe als verfassungsrechtliches Strukturprinzip. Lasse ein anderer Staat die Mehrehe gesetzlich zu, sei diese Rechtsnorm wegen eines Verstoßes gegen den deutschen ordre public im Sinne von Art. 6 EGBGB unanwendbar. Die Einehe gehöre zu den Wertvorstellungen des deutschen Rechts, das im Verbot der Doppelehe (§ 1306 BGB) sowie der dazugehörigen strafrechtlichen Sanktion (§ 172 StGB) seinen Ausdruck finde. Danach und nach dem Willen des Gesetzgebers gehöre ein Schutzsuchender, der mit einem Schutzberechtigten in Mehrehe verbunden sei, nicht zu dem von § 26 AsylG erfassten Personenkreis. Art. 6 Abs. 1 GG gebiete nicht, der Zweitehefrau den Nachzug in gleicher Weise zu ermöglichen wie der in Einehe verbundenen Ehefrau. Aus der Richtlinie 2011/95/EU ergebe sich keine Verpflichtung, den Schutz von Familienangehörigen derart weit zu fassen, wie es das Verwaltungsgericht vertrete.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Cottbus vom 5. April 2022 zu ändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie bezieht sich auf das angefochtene Urteil, das sie verteidigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage abweisen müssen. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes vom 7. Mai 2018 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beklagte durfte den Asylfolgeantrag der Klägerin als unzulässig ablehnen, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG vorlagen.

Die Ablehnung der Durchführung eines weiteren Asylverfahrens bei Folgeanträgen kann mit der isolierten Anfechtungsklage angegriffen werden (vgl. im Einzelnen BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 2016 - 1 C 4.16 - juris Rn. 16 ff.). Bei dem Asylantrag der Klägerin vom 18. Dezember 2017 handelt es sich unstreitig um einen Folgeantrag im Sinne von § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG, denn sie hat ihn nach dem auch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichteten Asylantrag vom 26. April 2016 und der insoweit mit Bescheid des Bundesamtes vom 2. Juni 2016 bestandskräftig verfügten Versagung gestellt.

Die Klage ist jedoch unbegründet. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn im Falle eines Folgeantrags nach § 71 AsylG ein weiteres Asylverfahren nicht durchzuführen ist. Gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist ein weiteres Asylverfahren nur durchzuführen, wenn die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 bis 3 VwVfG vorliegen. Nach § 51 Abs. 1 VwVfG setzt das Wiederaufgreifen des Verfahrens voraus, dass eine Änderung der Sach- oder Rechtslage nachträglich zu Gunsten des Betroffenen eingetreten ist (Nr. 1) oder neue Beweismittel vorliegen, die eine dem Betroffenen günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würden (Nr. 2) oder Wiederaufnahmegründe entsprechend § 580 ZPO gegeben sind (Nr. 3). Die Geeignetheit dieser Umstände für eine dem Antragsteller günstigere Entscheidung ist dabei schlüssig darzulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 - 10 C 23.12 - juris Rn. 14). Es genügt schon die Möglichkeit einer günstigeren Entscheidung aufgrund der geltend gemachten Wiederaufnahmegründe. Nur dann, wenn das Vorbringen des Antragstellers zwar glaubhaft und substantiiert, jedoch von vornherein nach jeder vertretbaren Betrachtungsweise ungeeignet ist, zur Asylberechtigung beziehungsweise zur Zuerkennung internationalen Schutzes zu verhelfen, darf der Folgeantrag als unzulässig abgelehnt beziehungsweise die Unzulässigkeitsentscheidung gerichtlich bestätigt werden (vgl. BVerfG, Beschluss vom 3. März 2000 - 2 BvR 39/98 - juris Rn. 32; Beschluss vom 4. Dezember 2019 - 2 BvR 1600/19 - juris Rn. 20 f.). Gemäß § 51 Abs. 2 VwVfG ist ein Folgeantrag nur zulässig, wenn der Betroffene ohne grobes Verschulden außerstande war, den Grund für das Wiederaufgreifen in dem früheren Verfahren, insbesondere durch Rechtsbehelf, geltend zu machen.

Es ist unschädlich, dass die Klägerin den Folgeantrag unter Nennung des geänderten Umstands erst am 18. Dezember 2017 wirksam gestellt hat, obwohl sie jedenfalls im Juli 2017 Kenntnis von der Flüchtlingseigenschaft ihres Ehemannes hatte. Der Verweis in § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG auf die Drei-Monats-Frist des § 51 Abs. 3 VwVfG ist hier im Hinblick auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts unangewendet zu lassen (vgl. dazu EuGH, Urteil vom 9. September 2021 - C 18/20 - curia.europa.eu Rn. 54 ff.). Dem Gerichtshof der Europäischen Union zufolge erlaubt die Richtlinie 2013/32/EU – insbesondere deren Art. 42 Abs. 2 – den Mitgliedstaaten nicht mehr, eine Frist bei Folgeanträgen zu normieren, innerhalb derer Neues vorgebracht werden muss (vgl. dazu VG Gelsenkirchen, Urteil vom 26. August 2022 - 3a K 3323/21.A - juris Rn. 26; Gerichtsbescheid vom 3. August 2022 - 12a K 4352/21.A - juris Rn. 17 ff.; VG München, Urteil vom 28. Juni 2022 - M 22 K 21.30972 - juris Rn. 22; VG Saarland, Urteil vom 14. April 2022 - 6 K 703/20 - juris Rn. 41 ff.; VG Köln, Gerichtsbescheid vom 11. Januar 2022 - 20 K 4473/21.A - juris Rn. 19; VG Freiburg, Urteil vom 27. September 2021 - A 14 K 6699/18 - juris Rn. 52 ff.; VG Schleswig, Urteil vom 23. September 2021 - 13 A 196/21 - juris Rn. 33 ff.; Dickten, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: Januar 2023, AsylG § 71 Rn. 7, 12; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, AsylG § 71 Rn. 21; Müller, in: Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl. 2023, AsylG § 71 Rn. 39).

Die Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Asylverfahrens nach § 71 Abs. 1 Satz 1 AsylG in Verbindung mit § 51 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG liegen im hier maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) nicht vor. Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, dass sich durch die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gegenüber ihrem Ehemann durch Bescheid des Bundesamtes vom 14. Juni 2017 die Sachlage zu ihren Gunsten geändert habe. Sie kann die Zuerkennung von Familienflüchtlingsschutz nach § 26 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 AsylG nicht beanspruchen.

Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 AsylG wird der Ehegatte eines Asylberechtigten auf Antrag als Asylberechtigter anerkannt, wenn die Anerkennung des Asylberechtigten unanfechtbar ist (Nr. 1), die Ehe oder Lebenspartnerschaft mit dem Asylberechtigten schon in dem Staat bestanden hat, in dem der Asylberechtigte politisch verfolgt wird (Nr. 2), der Ehegatte oder der Lebenspartner vor der Anerkennung des Ausländers als Asylberechtigter eingereist ist oder er den Asylantrag unverzüglich nach der Einreise gestellt hat (Nr. 3) und die Anerkennung des Asylberechtigten nicht zu widerrufen oder zurückzunehmen ist (Nr. 4). Nach § 26 Abs. 5 Sätze 1 und 2 AsylG ist § 26 Abs. 1 bis 4 AsylG entsprechend auf Familienangehörige im Sinne von § 26 Abs. 1 bis 3 AsylG von international Schutzberechtigten anzuwenden; an die Stelle der Asylberechtigung tritt dabei die Flüchtlingseigenschaft oder der subsidiäre Schutz. Diese Voraussetzungen sind hier schon deshalb nicht erfüllt, weil die Klägerin nicht Ehefrau eines Flüchtlings im Sinne dieser Vorschrift ist, denn sie ist nicht die einzige Ehefrau des Herrn M., sondern seine Zweitfrau.

Wer Ehegatte im Sinne des § 26 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist, definiert das Asylgesetz nicht. Es setzt den Begriff der Ehe vielmehr voraus. Das Bundesverwaltungsgericht hat ihn dahingehend bestimmt, dass mit „Ehe“ in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Sprachgebrauch die mit Eheschließungswillen eingegangene, staatlich anerkannte Lebensgemeinschaft gemeint ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1992 - 9 C 61.91 - juris Rn. 7; Beschluss vom 11. August 1999 - 9 B 19.99 - juris Rn. 3; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Dezember 2022, AsylG § 26 Rn. 66; Epple, in GK-AsylG, Stand: März 2023, § 26 Rn. 39; Marx, AsylG, 11. Aufl. 2022, § 26 Rn. 27). Der Begriff ist dabei im rechtstechnischen (zivilrechtlichen) Sinne zu verstehen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2005 - 1 C 17.03 - juris Rn. 9).

Hier fehlt es allerdings nicht an der Grundvoraussetzung einer im maßgeblichen Zeitpunkt für den deutschen Rechtskreis wirksamen Ehe zwischen dem Ausländer, der den Familienflüchtlingsschutz begehrt, und dem Stammberechtigten. Diese Frage ist bei im Ausland geschlossenen Ehen - vorbehaltlich hier nicht einschlägiger unmittelbar anwendbarer unionsrechtlicher Bestimmungen - nach den Vorschriften des internationalen Privatrechts zu beurteilen. Danach ist zu unterscheiden zwischen den sachlichen Voraussetzungen der Eheschließung einerseits und der Form der Eheschließung andererseits. Erstere richten sich gemäß Art. 13 Abs. 1 EGBGB für jeden der Verlobten nach dem Recht des Staates, dem er angehört. Erfolgte die Eheschließung im Ausland, richten sich die maßgeblichen Formerfordernisse nach Art. 11 Abs. 1 EGBGB. Danach gelten alternativ die Formvorschriften des Eheschließungsortes oder die Formvorschriften jener Sachrechtsordnung, die kraft Verweisung auf das Heimatrecht jedes Verlobten für die sachlichen Eheschließungsvoraussetzungen zuständig ist (vgl. Coester, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 13 Rn. 127, 148; Mörsdorf, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, Stand: Februar 2022, EGBGB Art. 13 Rn. 1, 71). Art. 13 Abs. 1 EGGBG regelt zugleich die Voraussetzungen der inländischen Anerkennung im Ausland geschlossener Ehen. Sie werden in Deutschland grundsätzlich als wirksam angesehen, wenn sie nach dem Recht des Orts der Eheschließung formal wirksam zustande gekommen sind und die Eheschließungsvoraussetzungen nach dem jeweiligen Recht des Staates vorlagen, dem die Verlobten zum Zeitpunkt der Eheschließung angehörten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. Februar 2023 - 1 BvL 7/18 - juris Rn. 6).

Im vorliegenden Fall ist sowohl hinsichtlich der Eheschließungsvoraussetzungen als auch in Bezug auf die Form allein das syrische Recht maßgeblich, denn zum einen sind die Klägerin und ihr Ehemann syrische Staatsangehörige und zum anderen ist die Ehe in Syrien geschlossen worden. Das vorgelegte Familienbuch weist als Registerort Al Jaraa aus.

Aus Art. 12 GFK folgt hier nichts anders. Grundsätzlich kommt dieser völkerrechtliche Regelung nach Art. 3 Nr. 2 EGBGB gegenüber Art. 13 EGBGB Vorrang zu. Gemäß Art. 12 Abs. 1 GFK gilt für einen Flüchtling, dass sich sein Personalstatut nach dem Recht des Landes seines Wohnsitzes (im Sinne eines gewöhnlichen Aufenthalts, vgl. von Hein, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 5 Anhang II Rn. 67; Makowsky/Schulze, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 5 Anhang II Rn. 26; Lorenz, in: Hau/Poseck, BeckOK BGB, Stand: Februar 2023, EGBGB Art. 5 Rn. 33) oder, in Ermangelung eines Wohnsitzes, nach dem Recht seines Aufenthaltslandes bestimmt. Danach wäre für die familienrechtliche Beziehung des Ehemanns der Klägerin, da er seinen gewöhnlichen Aufenthalt schon infolge der langjährigen Anwesenheit inzwischen im Bundesgebiet hat, grundsätzlich das deutsche Recht maßgeblich (vgl. Thorn, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, EGBGB, Art. 5 Anhang Rn. 23a).

Gemäß Art. 12 Abs. 2 Satz 1 GFK werden allerdings die von einem Flüchtling vorher erworbenen und sich aus seinem Personalstatut ergebenden Rechte, insbesondere die aus der Eheschließung, geachtet, gegebenenfalls vorbehaltlich der Formalitäten, die nach dem in diesem Staat geltenden Recht vorgesehen sind. Zu den abgeschlossenen Rechtsverhältnissen, die danach anzuerkennen sind und weiterhin dem ursprünglichen Heimatrecht unterstehen, gehört u.a. die Wirksamkeit einer Ehe (vgl. Gordzielik, in: Hruschka, GFK, 1. Aufl. 2022, Art. 12 Rn. 28; Coester/Coester-Waltjen, in: FamRZ 2016, 1618, 1624; OVG Lüneburg, Urteil vom 9. Dezember 2002 - 2 L 3490/96 - juris Rn. 44; Beschluss vom 9. Februar 2023 - 9 LA 259/21 - juris Rn. 11; VGH Mannheim, Urteil vom 17. Januar 1995 - A 12 S 64/92 - juris Rn. 22; OVG Koblenz, Urteil vom 5. Juli 1993 - 13 A 10564/92 - NVwZ 1994, 514, 515). Nach dem somit einschlägigen Eherecht Syriens ist von einer wirksamen Ehe zwischen der Klägerin und ihrem Ehemann auszugehen.

Für die familienrechtlichen Angelegenheiten der Muslime gilt in Syrien das Personalstatutsgesetz (PSG) von 1953, das 1975, 2003, 2010 sowie 2019 geändert worden ist (vgl. Yassari/Krell, in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand: Februar 2023, Syrien, S. 15; Möller, in: StAZ 2017, 298). Die Ehe ist nach syrischem Recht ein zivilrechtlicher Vertrag, der durch Angebot und Annahme zustande kommt (Art. 5 PSG), für den der Grundsatz der Vertragsfreiheit gilt und der grundsätzlich formfrei geschlossen wird. Die Eheschließung unterliegt keiner Pflicht zur Beteiligung des Staates. Eine Mitwirkung von Gerichten oder Behörden stellt keine Ehewirksamkeitsvoraussetzung dar. Zwar besteht eine Verpflichtung zur Registrierung der Ehe, die jedoch nur deklaratorisch wirkt und kein Wirksamkeitserfordernis ist. In der Praxis wird eine zunächst informell geschlossene Ehe häufig erst bei Bedarf registriert, insbesondere nach der Geburt von Kindern, um das vielfach benötigte Familienbuch zu erhalten (vgl. Yassari/Krell, in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand: Februar 2023, Syrien, S. 26, 29 f.; Möller, StAZ 2017, 298, 300).

Das syrische Eherecht lässt - in Übereinstimmung mit dem klassischen islamischen Familienrecht - die Polygamie dergestalt zu, dass ein Mann mit bis zu vier Frauen die Ehe schließen kann. Zwar ist für eine polygyne Eheschließung die Einwilligung eines Gerichts erforderlich, die von einem legitimen Grund und der Unterhaltsfähigkeit des Mannes gegenüber allen Frauen abhängig ist (Art. 17 PSG). Gleichwohl stellt die gerichtliche Einwilligung keine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Mehrehe dar. Als Folge einer unterbliebenen Genehmigung können Ehefrauen unter bestimmten Voraussetzungen lediglich die Scheidung verlangen (Yassari/Krell, in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand: Februar 2023, Syrien, S. 27; Forschungsgruppe „Das Recht Gottes im Wandel“, Kommentar zum staatlichen Familienrecht: Die Ehe, www.familienrecht-in-nahost.de/8555/Syrien-Kommentar-Ehe; Möller, in: StAZ 2017, 298, 300).

Gemessen daran bestehen an der Wirksamkeit der Ehe zwischen der Klägerin und Herrn M. keine durchgreifenden Zweifel. Es ist zwischen den Beteiligten unstreitig, dass eine Eheschließung in Syrien stattgefunden hat. Durch die Eintragung der Klägerin als zweite Ehefrau in das amtliche syrische Familienbuch ist die Eheschließung hinreichend belegt. Dem ist auch die Beklagte nicht entgegengetreten. Ferner sind keine Anhaltspunkte für eine Nichtigkeit der Ehe erkennbar.

Schließlich stellt es kein durchgreifendes Problem dar, dass die am 10. März 1994 geborene Klägerin bei der Eheschließung am 9. Februar 2009 erst 14 Jahre alt war. Das Ehemündigkeitsalter lag im Zeitpunkt der Heirat für Männer bei 18 und für Frauen bei 17 Jahren (Art. 16 PSG). Für eine Eheschließung vor Erreichen der Ehemündigkeit ist (nach wie vor) gemäß Art. 18 PSG die Genehmigung des Familiengerichts erforderlich, für die es auf die Zustimmung des Ehevormunds, sofern diese Rolle vom Vater oder Großvater wahrgenommen wird, ankommt und für die das Erreichen eines Mindestalters erforderlich ist. Diese Altersuntergrenze liegt seit der Novellierung 2019 für beide Geschlechter bei 15 Jahren, während zuvor Jungen das 15. Lebensjahr und Mädchen das 13. Lebensjahr vollendet haben mussten. Auch wenn eine solche gerichtliche Genehmigung hier nicht nachgewiesen ist (als Indiz für die Erteilung einer Genehmigung könnte die Ausstellung des amtlichen syrischen Familienbuchs sprechen), ist dies hier im Ergebnis unschädlich. Eine Ehe kommt auch ohne eine vorherige Einholung der gerichtlichen Genehmigung zustande, sie ist jedoch fehlerhaft und könnte auf Antrag der Parteien aufgelöst werden. Bei Vollzug der lediglich fehlerhaften Ehe ist diese gemäß Art. 51 Abs. 1 PSG nicht unwirksam (vgl. Yassari/Krell, in: Bergmann/Ferid/Henrich, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht, Stand: Februar 2023, Syrien, S. 27 f.; Forschungsgruppe „Das Recht Gottes im Wandel“, Kommentar zum staatlichen Familienrecht: Die Ehe, www.familienrecht-in-nahost.de/8555/Syrien-Kommentar-Ehe; Möller, StAZ 2017, 298, 299). Von einem solchen Vollzug ist hier angesichts der beiden aus der Ehe hervorgegangenen Kinder auszugehen.

Die gemäß dem syrischen Recht wirksame bigamische Ehe der Klägerin ist für den deutschen Rechtskreis nicht deshalb unwirksam, weil Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB fordert, dass der oder die Verlobte im Zeitpunkt der (im Ausland) geschlossenen Ehe das 16. Lebensjahr vollendet hatte. Diese Regelung ist hier nicht anwendbar, weil sie gemäß der Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 44 Abs. 4 Nr. 1 EGBGB nicht gilt, wenn der minderjährige Ehegatte – wie hier die Klägerin - vor dem 22. Juli 1999 geboren ist.

Die polygame Ehe der Klägerin verstößt auch nicht gegen den Vorbehalt des ordre public im Sinne von Art. 6 Satz 1 EGBGB. Danach ist die Rechtsnorm eines anderen Staates nicht anzuwenden, wenn ihre Anwendung zu einem Ergebnis führt, das mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar ist. Eine Prüfung dieser Vorschrift ist trotz der Beteiligung eines Flüchtlings nicht ausgeschlossen, denn Art. 12 Abs. 2 Satz 2 GFK lässt diesen Rückgriff zu (vgl. Gordzielik, in: Hruschka, GFK, 1. Aufl. 2022, Art. 12 Rn. 32; Makowsky/Schulze, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 5 Anhang II Rn. 28).

Für die im Ausland nach dem einschlägigen Heimatrecht der Ehegatten wirksam geschlossene Mehrehe wird in der Regel zu Recht ein Verstoß gegen den deutschen ordre public verneint und deren Anerkennung (etwa für Fragen nach Unterhaltsansprüchen oder der Ehelichkeit der Kinder) im Inland bejaht (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 1985 - 1 C 33.81 - juris Rn. 17; Urteil vom 29. Mai 2018 - 1 C 15.17 - juris Rn. 61; Coester, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 13 Rn. 71; Mankowski/Schulze, in: Heidel/Hüßtege/Mansel/Noack, BGB, 4. Aufl. 2021, EGBGB Art. 6 Rn. 62; Thorn, in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl. 2023, EGBGB Art. 6 Rn. 20; von Hein, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2020, EGBGB Art. 6 Rn. 273; Coester/Coester-Waltjen, FamRZ 2016, 1618, 1625). Es wird auch nicht als sittenwidrig gewertet, wenn die Partner einer im Ausland wirksam eingegangenen Mehrehe ihr Zusammenleben im Inland freiwillig fortsetzen (vgl. BVerwG, Urteil vom 30. April 1985 - 1 C 33.81 - juris Rn. 17; Urteil vom 29. Mai 2018 - 1 C 15.17 - juris Rn. 61 ff.).

Ungeachtet der zivilrechtlichen Wirksamkeit einer im Ausland geschlossenen Mehrehe wird eine weitere (zweite) Ehefrau allerdings nicht vom Anwendungsbereich des § 26 Abs. 1, Abs. 5 AsylG erfasst, wenn bereits eine Ehefrau des Mannes, dem die Flüchtlingseigenschaft im Bundesgebiet zuerkannt worden ist, Familienflüchtlingsschutz erhalten hat.

§ 26 AsylG schafft zugunsten der von der Norm erfassten Familienangehörigen der Klein-(Kern-)Familie aus Ehegatten und minderjährigen Kindern eine Privilegierung, indem diese - ohne dass sie in ihrer eigenen Person die Asylberechtigung oder den internationalen Schutz rechtfertigende Gründe nachweisen müssten - denselben Schutzstatus wie der Stammberechtigte in Anspruch nehmen können. Die Norm stellt eine einfachgesetzliche Begünstigung dar, die ihre Rechtfertigung in Art. 6 Abs. 1 GG findet (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Januar 1992 - 9 C 66.91 - juris Rn. 14), auch wenn dieses Grundrecht ein abgeleitetes Asylrecht bzw. einen abgeleiteten Flüchtlingsschutz für Familienangehörige nicht gebietet (vgl. BVerfG, Beschluss vom 19. Dezember 1984 - 2 BvR 1517/84 - juris Rn. 1; Beschluss vom 3. Juni 1991 - 2 BvR 720/91 - juris Rn. 3; Beschluss vom 20. August 1998 - 2 BvR 10/98 - juris Rn. 19).

Unter diesen Voraussetzungen ist davon auszugehen, dass für das Verständnis des § 26 Abs. 1, Abs. 5 AsylG der Ehebegriff des Art. 6 Abs. 1 GG heranzuziehen ist. Dieser umfasst - der europäischen Rechtstradition folgend - nur die Vereinigung eines Mannes und einer Frau, also die Einehe (vgl. BVerfG, Urteil vom 29. Juli 1959 - 1 BvR 205/58 - juris Rn. 27, Beschluss vom 7. Oktober 1970 - 1 BvR 409/67 - juris Rn. 32; Beschluss vom 4. Mai 1971 - 1 BvR 636/68 - juris Rn. 35; Beschluss vom 30. November 1982 - 1 BvR 818/91 - juris Rn. 27; Urteil vom 17. Juli 2002 - 1 BvF 1/01, 1 BvF 2/01 - juris Rn. 83; Badura, in: Dürig/Herzog/Scholz, GG, Stand: September 2022, Art. 6 Rn. 42; von Coelln, in: Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 6 Rn. 7; Uhle, in: Epping/Hillgruber, BeckOK GG, Stand: November 2022, Art. 6 Rn. 2a). Auch wenn sich § 26 AsylG – anders als etwa § 27 Abs. 1 AufenthG – nicht ausdrücklich auf Ehe und Familie im Sinne von Art. 6 GG bezieht, besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber bei der Normierung des Familienasyls durch das Gesetz zur Neuregelung des Ausländerrechts vom 9. Juli 1990 (BGBl. I S. 1354) und dessen Erweiterung um einen Familienflüchtlingsschutz von einem weitergehenden Eheverständnis ausgegangen sein könnte.

Es besteht keine gesetzliche Notwendigkeit, die in § 26 Abs. 1 AsylG vorgesehene, auf Art. 6 Abs. 1 GG basierende Privilegierung auf zweite oder weitere Ehepartner eines Flüchtlings auszudehnen. Dies gilt selbst dann, wenn man davon ausgeht, dass die Gewährung von Familienasyl bzw. Familienflüchtlingsschutz zugunsten des Ehegatten (auch) mit dessen Nähe zum Verfolgungsgeschehen und der daraus gleichfalls für ihn herrührenden Gefahr gerechtfertigt wird, weil bei Familienangehörigen häufig eine vergleichbare Bedrohungslage wie bei dem Schutzberechtigten selbst vorliegen wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Juni 1991 - 9 C 48/91 - juris Rn. 11; Urteil vom 15. Dezember 1992 - 9 C 61.91 - juris Rn. 7; Urteil vom 16. August 1993 - 9 C 7.93 - juris Rn. 8; Urteil vom 17. November 2020 - 1 C 8.19 - juris Rn. 26 unter Verweis auf BT-Drs. 17/13063 S. 21; Beschluss vom 21. Dezember 2021 - 1 B 35.21 - juris Rn. 6; s. auch Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, AsylG § 26 Rn. 2, 4; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Dezember 2022, AsylG § 26 Rn. 3). Es bleibt dem (weiteren) Ehegatten unbenommen, einen eigenständigen Asylantrag zu stellen und eine individuelle flüchtlingsrelevante Verfolgung geltend zu machen, die auch aus der familiären Verbindung zu dem als Flüchtling anerkannten Ausländer resultieren kann.

Dem auf die Ehegatten einer Einehe beschränkten Verständnis des Familienflüchtlingsschutzes stehen die Vorgaben des Unionsrechts, insbesondere der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (Qualifikationsrichtlinie), nicht entgegen. Das folgt schon daraus, dass die Richtlinie 2011/95/EU jedenfalls keinen Familienflüchtlingsschutz im Sinne von § 26 AsylG vorsieht oder gar fordert.

Art. 23 Abs. 1, Abs. 2 der Richtlinie 2011/95/EU verlangt lediglich, dass der Familienverband aufrechterhalten wird und dass ein Mitgliedstaat demjenigen Familienangehörigen der Person, der internationaler Schutz zuerkannt worden ist, die selbst nicht die Voraussetzungen dieses Schutzes erfüllt, grundsätzlich die in den Artikeln 24 bis 35 genannten Leistungen gewährt. Dies könnte der Bundesgesetzgeber allein im Wege des Aufenthaltsrechts regeln, ohne dem Familienangehörigen einen abgeleiteten Schutz zuzuerkennen. Damit stellt sich § 26 Abs. 1, Abs. 5 AsylG unionsrechtlich als günstigere Regelung im Sinne von Art. 3 der Richtlinie 2011/95/EU dar, durch den Art. 23 Abs. 2 der Richtlinie überschießend umgesetzt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 9. November 2021 - C-91/20 - curia.europa.eu Rn. 38 f.; BVerwG, Urteil vom 17. November 2020 - 1 C 8.19 - juris Rn. 26; Beschluss vom 21. Dezember 2021 - 1 B 35.21 - juris Rn. 11).

Unabhängig davon spricht sogar alles dafür, dass die weiteren Ehegatten einer Mehrehe vom Begriff des Familienangehörigen im Sinne von Art. 2 Buchst. j, 1. Spiegelstrich der Richtlinie 2011/95/EU nicht erfasst sind und es unionsrechtlich geboten ist, den Familienflüchtlingsschutz nicht auch auf weitere Ehegatten eines Flüchtlings zu erstrecken. Das Unionsrecht erkennt - den wesentlichen Grundsätzen der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten folgend (vgl. den Entwurf der Europäischen Kommission zur Familienzusammenführungsrichtlinie KOM(1999) 638 endg. S. 17) - die Mehrehe nicht an, was Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung ausdrücklich belegt. Diese Vorschrift ist, wie sich aus Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2003/86/EG ergibt, auch bei der Familienzusammenführung von Flüchtlingen anzuwenden. Vor diesem Hintergrund ist kein tragfähiger Anhaltspunkt dafür ersichtlich, dass das Unionsrecht eine differenzierte Behandlung von Ehegatten eines Flüchtlings zulässt, die daran anknüpft, ob eine Familienzusammenführung nach der Richtlinie 2003/86/EG begehrt wird oder ob sich alle Ehegatten - wie es Art. 2 Buchst. j der Richtlinie 2011/95/EU voraussetzt - bereits gemeinsam in einem Mitgliedstaat aufhalten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.

Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen, damit höchstrichterlich geklärt werden kann, ob die weitere Ehefrau eines in polygamer Ehe lebenden Flüchtlings gemäß § 26 Abs. 5 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 AsylG Familienflüchtlingsschutz beanspruchen kann, obwohl dieser Schutz bereits einer Ehefrau desselben Mannes gewährt worden ist.