Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen 1. Der Dauerhaftigkeit einer unternehmerischen Entscheidung zum Personalabbau...

1. Der Dauerhaftigkeit einer unternehmerischen Entscheidung zum Personalabbau steht es entgegen, wenn über den endgültigen Abbau der Betriebsmittel erst im Rahmen eines nachgelagerten - weiteren - unternehmerischen Entscheidung entschieden wird.2. Die Einigung auf einen Personalabbau in bestimmter Höhe, ohne dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 5 KSchG vorliegen, vermindert die Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast für die Arbeitgeberin nicht.


Metadaten

Gericht ArbG Cottbus 3. Kammer Entscheidungsdatum 14.09.2021
Aktenzeichen 3 Ca 108/21 ECLI ECLI:DE:ARBGCOT:2021:0914.3CA108.21.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 1 KSchG

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 25.11.2020 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens als „Flugkapitän“ weiterzubeschäftigen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

6. Der Streitwert wird auf 67.415 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung, einen allgemeinen Feststellungsantrag, einen Anspruch auf Erteilung eines Zwischenzeugnisses und einen Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens.

Die Beklagte ist eine Fluggesellschaft mit Sitz in Großbritannien, die günstige Flüge innerhalb Europas und den angrenzenden Staaten anbietet und damit im Low-Cost-Segment agiert. Sie betreibt dabei innerhalb von Europa mehrere Standorte. Mit Eröffnung des Flughafens Berlin-Brandenburg (BER) am 31.10.2020 und der Einstellung der bisherigen Standorte am Flughafen Berlin Tegel (TXL) und Berlin Schönefeld (SXF) ist der BER der einzige Standort der Beklagten in Deutschland. Vor Ausspruch der betriebsbedingten Kündigungen beschäftigte die Beklagte am BER zuletzt regelmäßig mehr als 1.000 Mitarbeiter.

Bei der Beklagten existiert eine Personalvertretung für das fliegende Personal, die aufgrund eines gemäß § 117 Absatz 2 BetrVG geschlossenen Tarifvertrages (zuletzt mit Wirkung ab dem 07.02.2018) gebildet wurde. Die Personalvertretung ist für das gesamte Cockpit- und Kabinenpersonal, das an deutschen Standorten eingesetzt ist, zuständig.

Aufgrund der Corona Pandemie ist die Nachfrage nach Flügen stark zurückgegangen. Aus diesem Grund befinden sich die Mitarbeiter des fliegenden Personals der Beklagten in Deutschland seit Anfang April 2020 auf Grundlage von mehreren mit der Personalvertretung geschlossenen Betriebsvereinbarungen in Kurzarbeit.

Seit dem 30. Juni 2020 verhandelte die Beklagte darüber hinaus auf Grund eines von der Beklagten beabsichtigten Personalabbaus über einen Interessensausgleich- und Sozialplan. Am 21. Oktober 2020 schlossen die Beklagte und die Personalvertretung über die geplante Betriebsänderung einen Interessensausgleich- und Sozialplan. Hinsichtlich der Einzelheiten des Interessensausgleichs- und Sozialplanes wird auf die Anlage 6 der Beklagten Bezug genommen. Unter anderem sieht der Interessensausgleich vor, in einem ersten Schritt ab November 2020 insgesamt 418 Positionen (69 Kapitäne, 76 First-Officer, 76 Cabin Manager und 197 Flugbegleiter) und in einem zweiten Schritt ab Juni 2021 möglicherweise weitere 320 Positionen abzubauen.

Aufgrund des vorhergehenden Ausscheidens von Mitarbeitern des fliegenden Personals kündigte die Beklagte im ersten Schritt insgesamt noch 346 Mitarbeitern (64 Kapitäne, 70 First Officers, 63 Cabin Manager, 149 Flugbegleiter), um auf die abzubauenden 418 Positionen zu kommen.

Die Beklagte kündigte die klagende Partei mit Schreiben vom 25. November 2020, zugegangen am gleichen Tag, zum 28. Februar 2021. Die klagende Partei ist Jahr geboren und Familienstand. Sie ist bei der Beklagten seit dem 29. Mai 2018, zuletzt als Flugkapitän, mit einem durchschnittlichen Monatsgehalt in Höhe von 13.483 Euro brutto beschäftigt.

Die klagende Partei hat am 16. Dezember 2020 beim Arbeitsgericht Berlin Kündigungsschutzklage erhoben. Das Arbeitsgericht Berlin hat mit Beschluss vom 22. Januar 2021 den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht Cottbus verwiesen.

Die klagende Partei trägt vor, die Kündigung sei unwirksam. Der Arbeitsplatz der klagenden Partei sei nicht aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung der Beklagten und deren Umsetzung ersatzlos und dauerhaft entfallen. Es gäbe keine unternehmerische Entscheidung, am Standort BER dauerhaft nur noch 18 Flugzeuge einzusetzen. Die Beklagte habe im Übrigen freie Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten an anderen Standorten in Europa nicht ausreichend berücksichtigt. Auch habe die Beklagte die Sozialauswahl fehlerhaft durchgeführt. Eine ordnungsgemäße Beteiligung der Personalvertretung, die im Übrigen auch nicht ordnungsgemäß gebildet worden sei, sei nicht erfolgt. Auch liege keine ordnungsgemäße Massenentlassungsanzeige vor. Aufgrund der Unwirksamkeit der Kündigung habe die klagende Partei einen Anspruch auf die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses und auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreites. Hinsichtlich der Einzelheiten des klägerischen Vortrags wird auf die Klageschrift sowie die Schriftsätze der Klägerseite vom 1. Juli 2021 und vom 9. September 2021 Bezug genommen.

Die klagende Partei stellt folgende Anträge:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die beklagtenseitige Kündigung vom 25. November 2020 aufgelöst worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern über den 28. Februar 2021 hinaus fortbesteht.

3. Die Beklagte wird verurteilt, der klagenden Partei ein qualifiziertes, sich auf Art und Dauer sowie Führung und Leistung erstreckendes Zwischenzeugnis zu erteilen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, die klagende Partei über den 28. Februar 2021 hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu den bisherigen Bedingungen als „Flugkapitän/Captain“ weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Die Beklagte habe zuletzt insgesamt 1.482 Mitarbeiter (= 1.416,40 Vollzeitstellen) des fliegenden Personals im Flugbetrieb sowie durchschnittlich 23 Mitarbeiter im Bodenbetrieb beschäftigt. Die Beklagte habe vor Ausspruch der Kündigung die unternehmerische Entscheidung getroffen, die vom Standort BER eingesetzten Flugzeuge auf verbleibende 18 Flugzeuge dauerhaft zu reduzieren und das fliegende Personal auf den Betrieb von 18 Flugzeugen anzupassen. Für den Vollzeitbetrieb von 18 Flugzeugen benötige die Beklagte 99 Flugkapitäne, 99 First Officers, 99 Cabin Manager und 297 Flugbegleiter. Die hiernach erforderlichen 594 Mitarbeiter würden sich aus 6 Besatzungsmitgliedern pro Flugzeug und einem Crewfaktor von 5,5 für eine Vollauslastung des Flugzeugs ergeben (6 Besatzungsmitglieder x 5,5 Crewfaktor x 18 Flugzeuge = 594 Mitarbeiter). Dies rechtfertige an sich einen Abbau von 822,40 Positionen im Bereich des fliegenden Personals. Aufgrund sozialer Rücksichtnahme und aus Gründen operativer Vorsicht habe die Beklagte im Interessensausgleich mit der Personalvertretung vereinbart, insgesamt nur bis zu 738 Positionen abzubauen. Jedenfalls seien die im ersten Schritt abgebauten 418 Positionen (davon 346 betriebsbedingte Kündigungen) sozial gerechtfertigt. Die unternehmerische Entscheidung habe beim Ausspruch der Kündigung auch bereits greifbare Formen angenommen. Die Beklagte habe bereits im Juli 2020 der Flughafengesellschaft BER angezeigt, künftig für den Sommerflugplan, vorbehaltlich der Abstimmung mit der Personalvertretung, nur noch mit maximal 18 Flugzeugen zu fliegen. Dem Standort BER seien seit Dezember 2020 nur noch 18 Flugzeuge zugeordnet. Auch seien die erforderlichen Bodenabfertigungsdienstleistungen ab 2021 unter Anpassung an die reduzierte Flugzeuganzahl und das reduzierte Flugaufkommen ausgeschrieben worden. Auch seien die Mietflächen für Verwaltung, Bodenbetrieb und Personal auf die entsprechend geringere Mitarbeiteranzahl angepasst worden. Der Dauerhaftigkeit der Entscheidung der Beklagten stehe nicht entgegen, dass im Interessensausgleich vereinbart worden sei, im Sommer 2021 darüber zu entscheiden, ob und in welcher Höhe weitere 320 Arbeitsplätze durch Entlassungen abgebaut werden würden. Dies ändere nichts an der unbedingten und bereits beschlossenen Entlassungsentscheidung für 418 Positionen. Auch die Entscheidung, Flug- und Landeberechtigungen für Flughäfen (sogenannte Slots) nicht zurückzugeben, stehe der unternehmerischen Entscheidung nicht entgegen. Das Vorhalten dieser Berechtigungen ermögliche der Beklagten eine höhere Flexibilität und verhindere, dass diese Berechtigungen an etwaige Mitbewerber gehen könnten. Etwaige Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten an anderen Standorten in anderen Ländern stehe der Wirksamkeit der Kündigung nicht entgegen, da diese außerhalb des Geltungsbereiches des Kündigungsschutzgesetzes lägen. Die Sozialauswahl sei ordnungsgemäß durchgeführt worden. Es sei, soweit zulässig, die Sozialauswahl anhand des von der Beklagten angewendeten Punkteschemas vorzunehmen. Mitarbeiter mit einem besonderen Kündigungsschutz (Schwerbehinderung, Mutterschutz, Elternzeit) seien nicht in die Sozialauswahl einzubeziehen gewesen. Auch Mitarbeiter, deren Weiterbeschäftigung im besonderen Interesse der Beklagten stehe, seien aus der Sozialauswahl herauszunehmen. Die Beklagte habe mit Schreiben vom 17. November 2020 unter teilweisem Verweis auf den Interessensausgleich die Personalvertretung ordnungsgemäß zur Kündigung der klagenden Partei angehört. Auch die Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit sei mit Schreiben vom 20. November 2020 ordnungsgemäß erfolgt. Ein Anspruch auf ein Zwischenzeugnis und auf vorläufige Weiterbeschäftigung bestehe nicht, da die Kündigung das Arbeitsverhältnis mit Ablauf der Kündigungsfrist aufgelöst habe. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beklagten vom 21. April 2021, 24. Juni 2021 und 6. September 2021 Bezug genommen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Der allgemeine Feststellungsantrag ist unzulässig. Die Klage ist überwiegend zulässig und begründet. Die Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Die klagende Partei hat einen Anspruch auf Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses und auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtstreites.

I.

Die Kündigung der Beklagten ist gemäß § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt. Die Kammer konnte nicht feststellen, dass die Kündigung durch dringende betriebliche Erfordernisse gerechtfertigt ist, die einer dauerhaften Weiterbeschäftigung der klagenden Partei entgegenstehen.

1.

Das Kündigungsschutzgesetz findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Kündigung regelmäßig mehr als 10 Arbeitsnehmer, ausschließlich der Auszubildenden, beschäftigt hat und das Arbeitsverhältnis der Parteien länger als sechs Monate besteht.

2.

Die Kündigung gilt nicht nach §§ 4, 7 KSchG als sozial gerechtfertigt. Die klagende Partei hat unstreitig innerhalb der Klagefrist von drei Wochen Klage gegen die streitgegenständliche Kündigung vor dem Arbeitsgericht erhoben.

3.

Die Kündigung ist jedoch nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer dauerhaften Weiterbeschäftigung der klagenden Partei entgegenstehen, gerechtfertigt.

a)

Nach § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG muss die Kündigung bedingt sein durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen. Das ist unter anderem der Fall, wenn die Umsetzung einer unternehmerischen Entscheidung spätestens mit Ablauf der Kündigungsfrist zu einem voraussichtlich dauerhaften Wegfall des Bedarfs an einer Beschäftigung des betroffenen Arbeitnehmers führt. Erforderlich ist, dass der Arbeitgeber im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung den ernsthaften und endgültigen Entschluss zu einer dauerhaften Änderung der Betriebsorganisation gefasst hat, die zu einem dauerhaften Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer geführt hat (vgl. BAG, Urteil vom 14. Mai 2020 - 6 AZR 235/19 -, Rn. 90).

Führen die außer- oder innerbetrieblichen Umstände nicht zu einer dauerhaften Reduzierung des Arbeitskräftebedarfs im Betrieb, so besteht kein dringendes betriebliches Erfordernis zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses (vgl. BAG, Urteil vom 23. Februar 2012 – 2 AZR 548/10 –, Rn. 18). Für die Prognose der Dauerhaftigkeit des Wegfalls des Beschäftigungsbedürfnisses ist von Bedeutung, ob die Kündigung im zeitlichen Zusammenhang mit einer vereinbarten oder prognostizierten Kurzarbeit erfolgt. Wird Kurzarbeit geleistet, so spricht dies dafür, dass die Betriebsparteien nur von einem vorübergehenden Arbeitsmangel und nicht von einem dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf ausgehen. Ein nur vorübergehender Arbeitsmangel wiederum kann eine betriebsbedingte Kündigung nicht rechtfertigen. Entfällt die Beschäftigungsmöglichkeit für einzelne von der Kurzarbeit betroffene Arbeitnehmer aufgrund später eingetretener weiterer Umstände oder veränderter wirtschaftlicher und/oder organisatorischer Rahmenbedingungen auf Dauer, so kann aber trotz der Kurzarbeit ein dringendes betriebliches Erfordernis für eine Kündigung bestehen (vgl. BAG, Urteil vom 23. Februar 2012 – 2 AZR 548/10 –, Rn. 21; BAG, Urteil vom 26. Juni 1997 – 2 AZR 494/96 – Rn. 15).

Das aus der Kurzarbeit folgende Indiz der nur vorübergehenden Verringerung des Beschäftigungsbedarfs kann der Arbeitgeber durch konkreten Sachvortrag entkräften (vgl. BAG, Urteil vom 23. Februar 2012 – 2 AZR 548/10 –, Rn. 21; BAG, Urteil vom 26. Juni 1997 – 2 AZR 494/96 – Rn. 15). Nach § 1 Absatz 2 Satz 4 KSchG hat der Arbeitgeber dabei die tatsächlichen Voraussetzungen für die Annahme eines betrieblichen Erfordernisses darzulegen und zu beweisen. Das Gericht muss anhand des Vortrages erkennen können, ob im Zeitpunkt des Zuganges der Kündigung feststand, dass das Bedürfnis der Beschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers bis zum Fristablauf auf Dauer entfallen werde. Dazu hat der Arbeitgeber die tatsächlichen Grundlagen für die Berechtigung seiner Prognose von sich aus schlüssig vorzutragen. Zu diesen Tatsachen gehört auch schon der bei Kündigungszugang getroffene endgültige Entschluss zur Vornahme einer Maßnahme, die zu einem solchen Wegfall führen werde. Trifft der Arbeitgeber eine autonome, gestaltende Unternehmerentscheidung, muss erkennbar sein, wie sich diese in greifbare betriebliche und objektivierbaren Form niederschlägt. Gericht und Arbeitnehmer müssen anhand von Tatsachen nachvollziehen können, wie die nach der Umsetzung des Konzepts vorhandene Arbeit von dem verbleibenden Personal ohne regelmäßige überobligatorische Leistung bewältigt werden soll. Bestreitet der Arbeitnehmer eine solche unternehmerische Entscheidung, wird der Arbeitgeber mehrere tatsächliche Einzelheiten darlegen müssen, aus denen unmittelbar oder mittelbar geschlossen werden kann, er habe die entsprechende Absicht bereits im Kündigungszeitpunkt endgültig gehabt. Fehlt es an einer entsprechenden Dokumentation der unternehmerischen Entscheidung, kommt es auf die genaue Darlegung der Umstände des inneren Willensbildungsprozesses des Arbeitgebers bzw. der für diesen handelnden natürlichen Personen und deren Glaubwürdigkeit an (vgl. BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 512/13 –, Rn. 17; Kiel in: Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 6. Auflage 2021, § 1 KSchG, Rn. 471).

Ein dringendes betriebliches Erfordernis, das einer Weiterbeschäftigung entgegensteht, ist gegeben, wenn die Arbeitskraft des Arbeitnehmers im Betrieb nicht mehr erforderlich ist. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht gehalten, nicht mehr benötigte Arbeitsplätze und Arbeitskräfte weiterhin zu besetzen bzw. zu beschäftigen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die dem Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses zugrundeliegende unternehmerische Entscheidung ihrerseits – etwa aus wirtschaftlichen Gründen – „dringend“ war oder die Existenz des Unternehmens auch ohne sie nicht gefährdet gewesen wäre. Die unternehmerische Entscheidung zur Umorganisation bis zur Grenze der offensichtlichen Unsachlichkeit, Unvernunft oder Willkür ist frei. Für eine beschlossene und tatsächliche durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht dabei die Vermutung, dass sie aus sachlichen – nicht zuletzt wirtschaftlichen – Gründen getroffen wurde und nicht auf Rechtsmissbrauch beruht (vgl. BAG, Urteil vom 20.11.2014 - 2 AZR 512/13 -, Rn. 15).

Hängt der Wegfall des Beschäftigungsbedarfes von einer solchen unternehmerischen organisatorischen Maßnahme des Arbeitgebers ab, braucht diese bei Kündigungszugang noch nicht tatsächlich umgesetzt zu sein. Es genügt, dass sie sich konkret und greifbar abzeichnet. Dazu müssen – soweit die Kündigung in ihrem Grund eine dauerhafte Änderung der betrieblichen Organisation hat – zumindest die Absicht und der Wille des Arbeitgebers, die fraglichen Maßnahmen vorzunehmen, schon vorhanden und abschließend gebildet worden sein. Andernfalls lässt sich im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung – auf den es dafür unverzichtbar ankommt – nicht hinreichend sicher prognostizieren, es werde bis zum Ablauf der Kündigungsfrist tatsächlich zum dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedarfs kommen (vgl. BAG, Urteil vom 20. November 2014 - 2 AZR 512/13 -, Rn. 16).

b)

Die Kammer konnte bei Anwendung dieser Grundsätze nicht feststellen, dass zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs eine unternehmerische Entscheidung vorgelegen hat, die zum dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses für die klagende Partei geführt hat.

(1)

Die Beklagte behauptet, dass es zum Zeitpunkt der Kündigung die unternehmerische Entscheidung gab, den Flugbetrieb am Standort BER dauerhaft nur noch mit 18 Flugzeugen zu bewältigen, das Flugprogramm dauerhaft um 16 Lines of Flying (16 Flugzeugen entsprechend) zu reduzieren und den Personalbedarf dauerhaft anzupassen und um insgesamt bis zu 738 Positionen zu verringern. Es kann dahinstehen, ob die Beklagte tatsächlich ursprünglich beabsichtigte, eine solche unternehmerische Entscheidung zu treffen. Jedenfalls hat sie mit der Personalvertretung im Interessenausgleich diese behauptete Organisationsänderung nicht endgültig vereinbart, sondern vielmehr die Umsetzung dieser Gesamtmaßnahme von einer nachgelagerten, weiteren unternehmerischen Entscheidung der Beklagte auf Grundlage der Sachlage im Mai/Juni 2021, also nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung, abhängig gemacht. Dies ergibt sich aus der mit Interessensausgleich vom 21. Oktober 2020 zwischen den Betriebspartnern vereinbarten Betriebsänderung und deren Umsetzung.

(2)

Die Auslegung eines Interessenausgleichs als Betriebsvereinbarungen eigener Art - richtet sich wegen ihrer normativen Wirkung (§ 77 Abs. 4 Satz 1, § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG) nach den Grundsätzen der Tarifvertrags- und Gesetzesauslegung. Ausgehend vom Wortlaut und dem durch ihn vermittelten Wortsinn kommt es auf den Gesamtzusammenhang und die Systematik der Bestimmung an. Darüber hinaus sind Sinn und Zweck der Regelung von besonderer Bedeutung. Im Zweifel gebührt derjenigen Auslegung der Vorzug, die zu einem sachgerechten, zweckorientierten, praktisch brauchbaren und gesetzeskonformen Verständnis der Regelung führt (vgl. BAG, Urteil vom 15. Mai 2018 – 1 AZR 37/17 –, Rn. 15; BAG, Urteil vom 26. September 2017 - 1 AZR 717/15 - Rn. 24). Über den reinen Wortlaut hinaus ist der wirkliche Wille der Betriebsparteien nur zu berücksichtigen, soweit er in den Vorschriften seinen Niederschlag gefunden hat (vgl. BAG, Urteil vom 19. April 2011 – 3 AZR 272/09 –, Rn. 20).

(3)

Durch den Interessenausgleich ist hinsichtlich der Betriebsänderung als bereits entschiedene dauerhafte Maßnahme nur geregelt, beginnend ab dem 1. November 2020 bis zu 418 betriebsbedingte Kündigungen auszusprechen (Nr. 3. b) Interessenausgleich). Es heißt dort insoweit, „Beginnend ab dem 01.11.2020 wird (…) e. ... unter Berücksichtigung der jeweiligen Kündigungsfristen bis zu 418 betriebsbedingte Kündigungen aussprechen“. Der Personalabbau von 418 Positionen bedurfte insoweit keiner weiteren Einschätzungen oder Entscheidungen der Beklagten.

(4)

Im Übrigen sollten der Ausspruch weiterer Kündigungen und auch eine mögliche dauerhafte Verringerung des Flugzeugbestands am BER von der Einschätzung der Sachlage und der dann zu treffenden unternehmerischen Entscheidung der Beklagten erst im Mai/Juni 2021 abhängen. Dies ergibt die Auslegung der Regelungen des Interessenausgleichs zu der zwischen den Betriebspartnern vereinbarten Betriebsänderung.

(4.1.)

Hinsichtlich des Ausspruchs weiterer Kündigungen haben die Betriebspartner im Interessenausgleich geregelt, dass die Beklagte erst im Mai/Juni 2021 prüft und endgültig entscheidet, ob die ursprünglich geplante unternehmerische Entscheidung - Abbau von 738 Positionen wegen der beabsichtigten Reduzierung von Flugzeugen - tatsächlich in dieser Form umgesetzt werden soll (Nr. 3 c) Interessenausgleich). Grundlage für diese Entscheidung im Sommer 2021 sollte dann unter anderem die dann absehbare Nachfrage nach Flügen und die Anzahl der angebotenen Flüge sein. Konkret haben die Betriebspartner geregelt „Beginnend ab dem 01.06.2021 kann e. ... (…) bis zu 320 weitere betriebsbedingte Kündigungen aussprechen, wenn und soweit nach Einschätzung von e. ... aufgrund von Nachfrage, Anzahl angebotener Flüge und/oder wirtschaftlicher/finanzieller Situationen dann kein Beschäftigungsbedarf besteht/entstanden ist“.

(4.2.)

Damit wurde die Entscheidung, in welchem Umfang der dauerhafte Personalabbau letztendlich erfolgen soll, davon abhängig gemacht, ob nach Einschätzung der Beklagten im Sommer 2021 aufgrund der Nachfrage, der Anzahl der angebotenen Flüge und der wirtschaftlichen/ finanziellen Situation der Beklagten dann Beschäftigungsbedarf besteht bzw. entstanden ist. Damit ist zum Kündigungszeitpunkt der streitgegenständlichen Kündigung noch offen gewesen, ob und in welchem Umfang tatsächlich ein weitergehender Personalabbau erfolgen wird.

(4.3.)

Für die Prognose eines nur vorübergehenden (nicht dauerhaften) Arbeitsmangels für diese 320 Mitarbeiter im Oktober/November 2020, spricht zudem, dass die Beklagte für diese Mitarbeiter unstreitig Kurzarbeit angeordnet und Kurzarbeitergeld beantragt und gezahlt hat. Wird Kurzarbeit geleistet, so spricht dies dafür, dass die Betriebsparteien tatsächlich nur von einem vorübergehenden Arbeitsmangel und nicht von einem dauerhaft gesunkenen Beschäftigungsbedarf ausgehen (vgl. BAG, Urteil vom 23. Februar 2012 – 2 AZR 548/10 –, Rn. 21). Ein hiervon abweichender Wille der Betriebspartner hat in den Regelungen des Interessenausgleichs keinen Niederschlag gefunden.

(5)

Dem Interessenausgleich lässt sich entgegen der Auffassung der Beklagten auch nicht entnehmen, dass unabhängig vom dauerhaften Abbau von 738 Positionen in jedem Fall zukünftig auf Dauer unabhängig von der im Sommer 2021 absehenden, weiteren Entwicklung des Beschäftigungsbedarfs die Entscheidung getroffen worden ist, nur noch mit 18 Flugzeugen zu fliegen, so dass hierdurch jedenfalls der Abbau von 418 Positionen sozial gerechtfertigt ist. Die Regelung im Interessensausgleich, erst später die endgültige Entscheidung über weitere Kündigungen oder die Weiterbeschäftigung zur Deckung des Beschäftigungsbedarfs zu treffen, macht keinen Sinn, wenn im Mai/Juni 2021 nicht gleichzeitig auch eine Entscheidung über den dauerhaften Flugzeugbedarf am BER getroffen wird.

(5.1.)

Zwar haben die Betriebspartner im Interessenausgleich geregelt, dass die Anzahl der am Standort BER stationierten Flugzeuge bereits mit Wirkung ab dem 1. Dezember 2020 auf 18 verringert werden soll (Nr. 3. a) Interessenausgleich). Es findet sich in dieser Regelung aber kein ausdrücklicher Hinweis darauf, ob die Verringerung der vom BER aus eingesetzten Flugzeuge auf Dauer, also über die Dauer der Pandemie hinaus und unabhängig von der weiteren Entwicklung der Nachfrage an Flügen erfolgen soll oder nur vorübergehend ist. Die Betriebspartner haben ausdrücklich nur geregelt, „e. ... wird mit Wirkung ab 01.12.2020 (Umsetzungsstichtag) die Anzahl der (…) zuvor stationierten 34 Flugzeuge um 16 auf 18 Flugzeuge verringern und somit aus der neuen Base von e. ... in BER herausnehmen bzw. an andere Bases verlegen.“ Alleine aus dem Wortlaut dieser Regelung lässt sich nicht ableiten, ob die Anzahl der Flugzeuge nur für die Zeit der Pandemie vorübergehend oder aber dauerhaft unabhängig von den weiteren Entwicklungen erfolgen soll.

(5.2.)

Die Regelung in Nr. 3 c) Interessenausgleich zeigt aber, dass auch die Anzahl der am BER eingesetzten Flugzeuge von der Einschätzung und der unternehmerischen Entscheidung der Beklagten im Sommer 2021 abhängen sollte. Wenn tatsächlich, wie es die dortige Regelung vorsieht, bei einer erhöhten Nachfrage und einer erhöhten Anzahl von Flügen von Kündigungen abgesehen werden soll, um den zusätzlichen Beschäftigungsbedarf abzudecken, setzt dies zwingend den Einsatz zusätzlicher Flugzeuge voraus. Die Beklagte hat im Einzelnen dargetan, dass 18 Flugzeuge voll ausgelastet mit 594 Mitarbeitern des fliegenden Personals (99 Kapitäne, 99 First Officer, 99 Cabin Manager, 297 Flugbegleiter) betrieben werden können. Die Besatzung eines Flugzeugs betrage dabei 6 Personen (1 Kapitän, 1 First Officer, 1 Cabin Manager, 3 Flugbegleiter) und es würden 5,5 Besatzungen pro Flugzeug (sog. Crew-Faktor) benötigt, um den durchgehenden Flugbetrieb des Flugzeugs zu gewährleisten. Dies bedeutet dann aber, dass durch den Einsatz von mehr als den für 18 Flugzeuge erforderlichen 594 Mitarbeitern (18 Flugzeuge x 6 Besatzungsmitglieder x 5,5 Crew-Faktor) ohne den Einsatz weiterer Flugzeuge nicht die Anzahl der Flüge erhöht werden kann, um eine eventuell höhere Nachfrage an Flügen und höheren Beschäftigungsbedarf abzudecken. Ohne weitere Flugzeuge könnten diese weiteren 320 Mitarbeiter nämlich nicht im Flugbetrieb eingesetzt werden und damit auch keinen höheren Bedarf an Flügen abdecken. Ein Einsatz von mehr Mitarbeitern würde nur dann zu mehr Flügen eines Flugzeugs führen können, wenn hierdurch die Flugzeiten eines Flugzeuges noch weiter erhöht werden könnten. Das ist aber hier nicht der Fall, da nach dem letzten Vortrag der Beklagten die Vollauslastung der 18 Flugzeuge nur 594 Vollzeitmitarbeiter erfordert.

(5.3.)

Zwar ist es grundsätzlich der Beklagten unbenommen, mehr Mitarbeiter als erforderlich zu beschäftigen. Soziale Erwägungen oder das Vorhalten einer zusätzlichen Sicherheitsreserve (über die bereits eingeplante Sicherheitsreserve von 102,4 Vollzeitstellen hinaus) ist jedoch nicht die Zielrichtung von Nr. 3 c) Interessenausgleich. Nach dieser Regelung im Interessenausgleich geht es ausschließlich um den Verzicht auf weitere Kündigungen, um einen bestehenden oder entstehenden Beschäftigungsbedarf im Sommer 2021 abzudecken, der „aufgrund von Nachfrage, Anzahl angebotener Flüge und/oder wirtschaftlicher/finanzieller Situation“ entsteht. Dem Verzicht auf weitere Kündigungen und dem Einsatz von mehr als 18 Flugzeugen stehen die Regelungen des Interessenausgleichs damit nicht entgegen. Vor Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung ist im Ergebnis nur über den dauerhaften Abbau von 418 Positionen entschieden worden und im Übrigen sollte die Beklagte erst auf Grundlage der Sachlage im Mai/Juni 2021 entscheiden.

(6)

Die Festlegung im Interessenausgleich bis zu 418 Positionen dauerhaft abzubauen, genügt alleine nicht, um den dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses für die klagende Partei darzulegen. Die soziale Rechtfertigung der Kündigung kann nicht alleine anhand der von den Betriebsparteien geregelten Entscheidung, im November 2020 bis 418 Positionen abzubauen, festgestellt werden.

(6.1.)

Der bloße Entschluss zum Abbau von Arbeitsplätzen lässt als solcher noch keinen Beschäftigungsbedarf entfallen. Der Arbeitgeber muss daher grundsätzlich darlegen und gegebenenfalls beweisen, welche Arbeitsmenge aufgrund der Auftragslage zu erwarten ist und wie sie auf die verbleibenden Arbeitnehmer verteilt werden soll. Wenn die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und sein Kündigungsentschluss ohne nähere Konkretisierung „praktisch deckungsgleich“ sind, bedarf es somit grundsätzlich zur Darlegung des Kündigungsgrundes konkreten Sachvortrages, in welchem Umfang gegebenenfalls Arbeiten zukünftig im Vergleich zum bisherigen Zustand entfallen und ob sich die Organisationsentscheidung im Sinne einer dauerhaften Reduzierung des Personalbedarfs auswirkt (vgl. BAG, Urteil vom 23. Februar 2012 – 2 AZR 548/10 –, Rn. 18; BAG, Urteil vom 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 14; BAG, Urteil vom 12.04.2002 - 2 AZR 740/00 -, Rn. 23; Quecke in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrechtkommentar, 9. Auflage 2020, § 1 KSchG, Rn. 270).

Erschöpft sich die unternehmerische Entscheidung der Beklagten im November 2020 nach den Festlegungen im Interessenausgleich darin, Personal in Höhe von 418 Positionen einzusparen, so ist sie vom Kündigungsentschluss selbst kaum zu unterscheiden. Da die Kündigung nach dem Gesetz an das Vorliegen von Gründen gebunden ist, die außerhalb ihrer selbst liegen, muss der Arbeitgeber in solchen Fällen seine Entscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit und zeitlichen Nachhaltigkeit verdeutlichen. Nur so kann das Gericht prüfen, ob sie missbräuchlich ausgesprochen worden ist (vgl. BAG, Urteil vom 23. Februar 2012 – 2 AZR 548/10 –, Rn. 18; BAG, Urteil vom 16. Dezember 2010 - 2 AZR 770/09 - Rn. 14). Dies gilt insbesondere, wenn die Kündigung, wie hier, während einer vorübergehenden Pandemie und einer aus diesem Grunde angeordneten Kurzarbeit erfolgt. Der Arbeitgeber muss konkret erläutern, in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom gekündigten Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen. Er muss anhand einer schlüssigen Prognose konkret darstellen und angeben, welche Arbeiten zukünftig voraussichtlich anfallen und wie diese vom verbliebenen Personal ohne überobligationsmäßige Leistungen, d. h. im Rahmen ihrer vertraglich geschuldeten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit, erledigt werden können (vgl. BAG, Urteil vom 23. Februar 2012 – 2 AZR 548/10 –, Rn. 18; BAG, Urteil 16. Dezember 2010 – 2 AZR 770/09 – Rn. 15).

(6.2.)

Dieser Darlegungslast ist die Beklagte nicht im ausreichendem Maße nachgekommen. Nachdem aus den oben genannten Gründen nicht davon ausgegangen werden kann, dass es bereits eine endgültige Entscheidung der Beklagten zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs gab, dauerhaft, also auch noch über den Sommer 2021 und die Auswirkungen der Pandemie hinaus, 738 Positionen abzubauen und mit maximal 18 Flugzeugen vom Standort BER zu fliegen, hätte es der Beklagten oblegen, näher darzulegen, wieso sie zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruches aber davon ausgehen konnte, dass zumindest für bis zu 418 Positionen der Beschäftigungsbedarf dauerhaft entfallen ist. Es hätte genau dargestellt werden müssen, wieso für 320 Positionen zunächst nur von einem vorübergehenden Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses und für die anderen 418 Positionen von einem bereits zum Zeitpunkt der Kündigung feststehenden dauerhaften Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses ausgegangen worden ist. Es genügt insoweit nicht die Tatsache, dass eine entsprechend Einigung zwischen den Betriebspartnern erzielt worden ist. Es ist vielmehr konkret, für das Gericht nachvollziehbar vorzutragen, mit welchen Flugaufkommen die Beklagte nach dem Abklingen der Pandemie tatsächlich rechnet und wie viele Mitarbeiter sie hierfür konkret benötigt. Dies ist nicht nachvollziehbar erfolgt.

(6.3.)

Die Beklagte hat zwar zu Rückgängen von Flügen und Flugzielen vorgetragen und behauptet, dass dieser Rückgang eine Verringerung von 16 Lines of Flying zur Folge hätte, die dann wieder gleichzusetzen sei mit der Auslastung von 16 Flugzeugen, die einen entsprechenden Abbau rechtfertigen. Dieser Vortrag ist aber streitig. Für die Kammer ist aus dem Vortrag der Beklagten nicht im Einzelnen nachvollziehbar, wie sich die behauptete Anzahl der Lines of Flying aus den behaupteten Flügen und Flugzielen ergibt. Die Kammer kann aus diesen Angaben nicht unmittelbar ermitteln, wie viele der Flüge und Flugziele mit einem Flugzeug tatsächlich geleistet werden können und woher die Beklagte die Gewissheit nimmt, dass es auch nach der Pandemie bei diesen Flugzielen und Flügen bleiben soll und es insoweit voraussichtlich keine höhere Nachfrage und keine höhere Anzahl von Flügen geben wird, und damit der Beschäftigungsbedarf für diese Positionen entgegen den 320 zunächst in Kurzarbeit weiterbeschäftigten Mitarbeitern tatsächlich dauerhaft entfallen ist. Die Unterscheidung in der Beurteilung der 418 Mitarbeiter und der 320 in Kurzarbeit weiterbeschäftigten Mitarbeiter wird aus dem Vortrag der Beklagten nicht deutlich. Die einen werden sofort entlassen. Bei den anderen wird die Entscheidung auf den Sommer 2021 vertagt und angenommen, dass zunächst nur ein vorübergehender Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses besteht und Kurzarbeit angeordnet. Wieso der einen Gruppe 418 Positionen angehören und der anderen Gruppe 320 Positionen wird alleine mit einer entsprechenden Einigung zwischen den Betriebspartnern erklärt, ohne dass näher die unterschiedliche Beurteilung der Gruppen durch die Betriebspartner für die Kammer nachvollziehbar erläutert wird.

(6.4.)

Auch die Erörterungen im Kammertermin haben insoweit keine Klärung diese Frage herbeigeführt. Vielmehr ist deutlich geworden, dass die Beklagte tatsächlich keine langfristig gültigen Flugpläne hinsichtlich bestimmter Ziele und die Häufigkeit, in der diese angeflogen werden, aufstellt. Die Beklagte orientiert ihre Flüge kurzfristig vielmehr äußerst flexibel an der Nachfrage an bestimmten Flügen. So werden Ziele, die nicht mehr oder nicht mehr so oft nachgefragt werden (z. B. wegen restriktiver Einreisebestimmungen aufgrund der Pandemie) seltener oder zeitweise nicht mehr angeflogen, wohingegen Ziele mit erhöhter Nachfrage dann häufiger angeflogen werden. Unter anderem zur Beibehaltung dieser Flexibilität sind dann nach den Erörterungen im Kammertermin unstreitig die bisherigen Start- und Landerechte der Beklagten (sogenannte „slots“), die an bestimmten Flughäfen erforderlich sind, nicht verringert worden, sondern können von der Beklagten weiterhin in vollem Umfang genutzt werden. Auch sind dem BER keine bestimmbaren Flugzeuge zugeordnet. Vielmehr erhält die Beklagte die vom BER aus eingesetzten Flugzeuge aus einem „Gesamtpool“ der Beklagten. Das einzelne Flugzeug ist dabei nicht dauerhaft einem bestimmten Standort zugeordnet, sondern wird zur Abdeckung des geplanten Bedarfs jeweils vorübergehend vom jeweiligen Standort aus eingesetzt. Die Schwierigkeiten, die sich aus dieser von der Beklagten praktizierten Flexibilität für die Darlegung der zukünftig geplanten Flüge, der zukünftig eingesetzten Flugzeuge und des hierfür benötigten Personals, führen jedoch nicht zu einer Absenkung der Darlegungslast. Das Gericht muss nachvollziehen können, dass für die klagende Partei tatsächlich dauerhaft durch eine unternehmerische Organisationsentscheidung, dass Beschäftigungsbedürfnis entfallen ist und es sich hierbei nicht nur um vorübergehende Auswirkungen der Pandemie handelt.

(6.5.)

Die Darlegungslast der Beklagten wird hier auch nicht dadurch abgemildert, dass die Entscheidung 418 Positionen abzubauen, in einem Interessenausgleich von den Betriebspartnern gemeinsam festgelegt worden ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers führt nur ein wirksam abgeschlossener Interessensausgleich mit Namensliste im Sinne von § 1 Abs. 5 KSchG zu einer Erleichterung der Darlegungs- und Beweislast (vgl. Kiel in: Ascheid/Preis/Schmidt/Kiel, Kündigungsrecht, 6. Auflage 2021, § 1 KSchG Rn. 709, 727 f. m.w.N.). Vorliegend haben die Betriebspartner keinen Interessenausgleich mit Namensliste vereinbart. Eine namentliche Benennung der zu kündigenden Arbeitnehmer in Form einer Namensliste ist im Interessensausgleich unstreitig nicht erfolgt.

4.

Da die Kündigung aus den genannten Gründen bereits unwirksam ist, erübrigen sich Ausführungen insbesondere zu etwaigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten an anderen ausländischen Standorten, zur Sozialauswahl, sowie zur ordnungsmäßen Anhörung der Personalvertretung und ordnungsgemäßen Massenentlassungsanzeige.

II.

Die klagende Partei hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses entsprechend § 109 Gewerbeordnung.

1.

Nach § 109 GewO kann der Arbeitnehmer bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ein Zeugnis verlangen. Die Voraussetzungen, unter denen der Arbeitnehmer die Ausstellung eines Zwischenzeugnisses beanspruchen kann, sind gesetzlich nicht geregelt. Soweit tarifliche Regelungen nicht bestehen, kann sich die Verpflichtung zur Erteilung eines Zwischenzeugnisses als vertragliche Nebenpflicht ergeben. Eine solche Verpflichtung setzt voraus, dass der Arbeitnehmer aus einem triftigen Grund auf ein Zwischenzeugnis angewiesen ist. Das ist unter anderem dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer das Zwischenzeugnis wegen der bevorstehenden Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu Bewerbungszwecken benötigt, der Vorgesetzte wechselt oder die Tätigkeit sich ändert (vgl. BAG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 7 AZR 100/19 -, Rn. 42; BAG, Urteil vom 17. April 2019 - 7 AZR 292/17 -, Rn. 51). Nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. nach Ende der Laufzeit eines befristeten Vertrages kann der Arbeitnehmer grundsätzlich nur ein (Abschluss-)Zeugnis beanspruchen. Streiten die Parteien aber gerichtlich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, besteht ein triftiger Grund für die Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Dieser Grund entfällt mit rechtskräftigem Abschluss des Beendigungsstreites (vgl. BAG, Urteil vom 20. Mai 2020 - 7 AZR 100/19 -, Rn. 42; BAG, Urteil vom 04. November 2015 - 7 AZR 933/13 -, Rn. 39).

2.

Danach kann die klagende Partei die Erteilung eines Zwischenzeugnisses beanspruchen. Der erforderlich triftige Grund ist in dem gerichtlichen Streit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu sehen.

III.

Die klagende Partei hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreites gemäß §§ 242, 1004 BGB, Artikel 2 GG.

1.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes hat ein Arbeitnehmer auch nach Ablauf der Kündigungsfrist einen Weiterbeschäftigungsanspruch, wenn ein Arbeitsgericht durch ein (noch nicht rechtskräftiges) Urteil der Kündigungsschutzklage stattgegeben hat und die Interessen des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung die des Arbeitgebers an einer Nichtbeschäftigung überwiegen. In diesem Fall spricht eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung, was bei der gebotenen Interessensabwägung zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen ist (vgl. BAG, Beschluss vom 27.02.1985 - GS 1/84 -, Rn. 27).

2.

Bei der Anwendung dieser Grundsätze kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass ein Anspruch auf vorläufige Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens besteht. Aus den oben genannten Gründen hat das Arbeitsgericht entschieden, dass das Arbeitsverhältnis durch die streitgegenständliche Kündigung nicht aufgelöst worden ist. Dies ist im Rahmen der Interessenabwägung zu Gunsten der klagenden Partei zu berücksichtigen. Die Beklagte hat außer der aus ihrer Sicht gegebenen Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine Gründe vorgetragen, die einer vorläufigen Weiterbeschäftigung entgegenstehen könnten. Etwaige vorübergehenden Leistungshindernisse, wie etwa andauernde Kurzarbeit wegen des Andauerns der Pandemie stehen dem allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens nicht entgegen. Jedoch hat die klagende Partei für Zeiträume wirksam angeordneter Kurzarbeit, ähnlich wie bei einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit, keinen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung.

IV.

Die von der klagenden Partei erhobene allgemeine Feststellungsklage ist zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung unzulässig und aus diesem Grunde abzuweisen.

1.

Der allgemeinen Feststellungsklage fehlt, insoweit sie sich nicht gegen einen konkreten Beendigungstatbestand wendet, das erforderliche Rechtschutzinteresse. Die Feststellungsklage nach § 256 ZPO setzt ein besonderes Feststellungsinteresse voraus. Dies besteht nicht schon deshalb, weil ein bestimmter konkret bezeichneter Beendigungstatbestand streitig ist und der Rechtsstreit darüber anhängig ist. Es ist vielmehr erforderlich, dass der klagende Arbeitnehmer durch Tatsachenvortrag weitere streitige Beendigungstatbestände in den Prozess einführt oder wenigstens deren Möglichkeit darstellt und damit belegt, warum dieser zusätzliche Antrag zulässig sei, d.h., warum an der zusätzlichen Feststellung ein rechtliches Interesse bestehen soll (vgl. BAG, Urteil vom 13. März 1997 - 2 AZR 512/96 -, Rn. 16).

2.

Gemessen an diesen Anforderungen liegt hier kein Feststellungsinteresse für den allgemeinen Feststellungsantrag vor. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass außer der streitgegenständlichen Kündigung keine weiteren Beendigungstatbestände im Streit sind.

V.

Die Beklagte hat nach den §§ 46 Absatz 2 ArbGG, 92 Absatz 2 Nr. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Zwar ist auch die klagende Partei in diesem Rechtsstreit zum Teil unterlegen. Die Zuvielforderung der klagenden Partei ist aber verhältnismäßig geringfügig und hat keine bzw. nur geringfügig höhere Kosten veranlasst. Insofern ist es sachgerecht, dass die Beklagte nach § 92 Absatz 2 Nr. 1 ZPO die gesamten Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat.

VI.

Die Entscheidung über die Höhe des Streitwertes folgt aus § 61 Absatz 1 ArbGG. Der Streitwert ist auf 67.415 Euro festzusetzen. Für die Kündigung sind drei Bruttomonatseinkommen, für den Weiterbeschäftigungsanspruch ein Bruttomonatseinkommen und für das Zwischenzeugnis ein Bruttomonatseinkommen anzusetzen. Der allgemeine Feststellungsantrag hat keinen eigenständigen Gegenstandswert.