Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 25.05.2023 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 B 43/21 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2023:0525.OVG3B43.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 3 Abs 1 GG, Art 5 Abs 1 S 2 GG, Art 21 Abs 1 GG |
Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Das auf die mündliche Verhandlung vom 30. August 2021 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin wird geändert. Es wird festgestellt, dass der Beklagte in der Nachwahlberichterstattung zur Landtagswahl in Brandenburg am 1. September 2019 in seinem Fernsehsender „rbb Fernsehen“ in den Sendungen „Brandenburg-Wahl: Die Entscheidung“, „Brandenburg aktuell“ und „rbb24“ das (geschätzte) Wahlergebnis des Klägers bei den Präsentationen der Ergebnisse nennen musste und nicht unter die Gruppe „Andere“ fassen durfte.
Die Kosten des Verfahrens tragen Kläger und Beklagter je zur Hälfte.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Kläger und Beklagter dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in Höhe von 120 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Kläger wendet sich als Landesverband einer politischen Partei dagegen, dass das von ihm voraussichtlich erzielte Stimmergebnis bei der Landtagswahl in Brandenburg in der abendlichen linearen (Fernseh-)Berichterstattung nicht gesondert ausgewiesen, sondern in der Kategorie „Andere“ zusammengefasst worden ist.
Der Kläger beteiligte sich an der Landtagswahl in Brandenburg am 1. September 2019. Zugelassen waren Landeslisten der SPD, CDU, DIE LINKE, AfD, GRÜNE/B90, BVB/FREIE WÄHLER, PIRATEN, FDP, ÖDP, Tierschutzpartei und V-Partei³ (Bekanntmachung des Landeswahlleiters vom 24. Juli 2019, ABl. Nr. 30, S. 746). Im Vorfeld der Wahl strahlte der Beklagte unter anderem die Sendungen „Wahlarena“ und „Die Herausforderer“ aus. Bei der Sendung „Wahlarena“ handelte es sich um eine Diskussionsrunde von Vertretern der Parteien SPD, AfD, CDU, GRÜNE, DIE LINKE und FDP. In der Sendung „Die Herausforderer“ wurden die Parteien BVB/Freie Wähler, Tierschutzpartei, Piratenpartei, ÖDP und V-Partei³ vorgestellt.
Am Abend des Wahltags ab 18:00 Uhr berichtete der Beklagte in seinem (linearen) Fernsehprogramm (Sendungen „Brandenburg-Wahl: Die Entscheidung“. „Brandenburg aktuell“ und „rbb24“) über das voraussichtliche Wahlergebnis, zunächst in der Form von Prognosen und Hochrechnungen. Die geschätzten Stimmenanteile präsentierte er jeweils in Form von Balkendiagrammen und in Form einer laufenden Textleiste am unteren Bildschirmrand. Dabei fasste er die Ergebnisse des Klägers, der Piratenpartei, der ÖDP und der V-Partei³ in einer Gruppe „Andere“ zusammen. Im Anschluss an die Balkendiagramme wurde jeweils eine Darstellung der voraussichtlichen Sitzverteilung gezeigt.
Nach dem amtlichen Endergebnis (Bekanntmachung des Landeswahlleiters vom 13. September 2019, ABl. Nr. 38, S. 946 ff.) verteilten sich die abgegebenen Zweitstimmen wie folgt auf die Wahlvorschläge: SPD : 26,18 %, CDU : 15,57 %, DIE LINKE : 10,72 %, AfD : 23,51 %, GRÜNE/B 90 : 10,78 %, BVB/FREIE WÄHLER : 5,05 %, PIRATEN : 0,69 %, FDP : 4,08 %, ÖDP : 0,57 %, Tierschutzpartei : 2,61 %, V-Partei³ : 0,24 %.
Der Kläger erbat mit Schreiben vom 7. November 2019 die Zusicherung des Beklagten, bei der Präsentation von Wahlergebnissen oder Hochrechnungen anlässlich der in seine Verantwortung fallenden zukünftigen Berichterstattung über politische Wahlen in Deutschland auch die Ergebnisse derjenigen Parteien und politischen Vereinigungen zu nennen, deren Stimmanteil mindestens 1,5 % betrage, und diese bei der Berichterstattung zu Wort kommen zu lassen. Das lehnte der Beklagte ab, weil eine derartige Verpflichtung nicht bestehe. Der Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit der Parteien verlange nur deren Berücksichtigung in der Vorwahlberichterstattung entsprechend ihrer Bedeutung. In der Vorwahlberichterstattung würden Prognosen unterhalb von 3 % wegen der besonderen statistischen Fehleranfälligkeit dieser geringen Werte nicht veröffentlicht. Nach der Wahl könne die Berichterstattung über Parteien deren Wahlchancen grundsätzlich nicht mehr beeinflussen. Abgesehen davon sei es mit dem Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit vereinbar, die Ergebnisse der kleineren bis kleinsten Parteien nicht im linearen Programm, sondern online darzustellen, was hier auch erfolgt sei.
Mit seiner Klage hat der Kläger zunächst beantragt festzustellen, dass der Beklagte dessen Recht auf Chancengleichheit verletzt habe, weil das geschätzte Wahlergebnis und das vorläufige amtliche Wahlergebnis der Tierschutzpartei in der Nachwahlberichterstattung zur Landtagswahl in Brandenburg am 1. September 2019 im Fernsehsender „rbb Fernsehen“ und im Fernsehsender „Das Erste“ am 1. und 2. September 2019 nicht genannt worden seien. Da kleinere Parteien, die regelmäßig an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterten, sich nicht über ihre parlamentarische Arbeit präsentieren könnten, seien sie in besonderem Maße auf eine Darstellung in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang zu Wahlen angewiesen. Der Kläger habe mit 2,6 % der Zweitstimmen ein starkes Wahlergebnis erzielt, das bei gesonderter Nennung viele Zuschauer zur Kenntnis genommen und möglicherweise abgespeichert hätten. Auch die Nachwahlberichterstattung müsse einem redaktionellen Konzept genügen, das die Chancengleichheit der Parteien berücksichtige. Durch sein Vorgehen habe der Beklagte nicht nur die Chancen des Klägers bei zukünftigen Wahlen verschlechtert, sondern ihn auch in seinen Bemühungen um Mitgliedergewinnung und Spendenaufkommen benachteiligt.
Das Verwaltungsgericht hat die - nach entsprechendem Hinweis auf konkret bezeichnete Sendungen bezogene - Klage abgewiesen. Der geltend gemachte Anspruch folge nicht aus dem verfassungsrechtlichen Recht auf Chancengleichheit politischer Parteien, das mit dem Grundrecht der Rundfunkfreiheit im Wege der praktischen Konkordanz abzuwägen sei. Für die Nachwahlberichterstattung könnten keine strengeren Maßstäbe gelten als im Vorfeld von Wahlen. Das Vorgehen des Beklagten sei im Hinblick auf sein redaktionelles Konzept zur Ergebnispräsentation, mit dem er eine übersichtliche, schnell greifbare und den überwiegenden Erwartungen der Zuschauer entsprechende Mitteilung der Ergebnisse bieten wolle, gerechtfertigt. Die wegen der Vielzahl der teilnehmenden Parteien erforderliche Auswahl orientiere sich an einem geeigneten und konsistent angewandten Differenzierungskriterium, das auf die Nähe zur Fünf-Prozent-Hürde und den zu erwartenden Einzug in den Landtag abstelle. Es sei nicht ermessensfehlerhaft, den Zweitstimmenanteil der FDP von über 4 % zu nennen, wohingegen die von dem Kläger geforderte zusätzliche Nennung seines Ergebnisses zu einer Ungleichbehandlung mit den weiteren unter „Andere“ zusammengefassten Kleinparteien geführt hätte. Eine Pflicht des Beklagten, stets alle Parteien nennen zu müssen, würde die Rundfunkfreiheit unangemessen verkürzen.
Mit seiner von dem Senat zugelassenen Berufung wiederholt und vertieft der Kläger sein Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren und macht im Wesentlichen geltend: Das Verwaltungsgericht habe die mit dem Begehren des Klägers verbundene mögliche Beschränkung der Rundfunkfreiheit und die Nachteile, die das Vorgehen des Beklagten für den Kläger bedeute, nicht zutreffend gegenübergestellt und gewichtet. Der Kläger sei von der gesamten Nachwahlberichterstattung im Fernsehen ausgeschlossen gewesen, was auch nicht durch den Hinweis des Beklagten auf sein Online-Angebot kompensiert werde. Der Fernsehzuschauer habe nicht erkennen können, dass Kläger, der ein Wahlergebnis zwischen 2 und 3 % erreicht habe, mit anderen Parteien zusammengefasst worden sei, deren Stimmanteil weniger als 1 % betragen habe.
Der Kläger hat den zweiten Teil seines Antrags betreffend den Fernsehsender „Das Erste“ in der mündlichen Verhandlung mit Einwilligung des Beklagten zurückgenommen.
Der Kläger beantragt,
das aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. August 2021 ergangene Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin zu ändern und festzustellen, dass der Beklagte in der Nachwahlberichterstattung zur Landtagswahl in Brandenburg am 1. September 2019 in seinem Fernsehsender „rbb Fernsehen“ in den Sendungen „Brandenburg-Wahl: Die Entscheidung“, „Brandenburg aktuell“ und „rbb24“ am 1. September 2019 das (geschätzte) Wahlergebnis des Klägers bei den Präsentationen der Ergebnisse nennen musste und nicht unter die Gruppe „Andere“ fassen durfte.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil und macht ergänzend geltend: Bei der Ausstrahlung der streitigen Sendungen am Wahlabend hätten ihm exakte Informationen zu den Stimmanteilen der Parteien nicht vorgelegen, sondern die veröffentlichten Ergebnisse zum Ausgang der Wahl hätten auf Prognosen und Hochrechnungen beruht. Die auf diesem Wege ermittelten Stimmenanteile seien mit erheblichen statistischen Ungenauigkeiten behaftet. Gehe man von einer bei mindestens 3 % liegenden Fehlertoleranz aus, hätte sich für den Kläger am Wahlabend ein zu präsentierender Stimmenanteil zwischen 0 % und 5,7 % ergeben, was eine manifeste Verfälschung der Wettbewerbslage unter den Parteien bedeute. Aus diesen methodischen Gründen verzichte der Beklagte seit Jahrzehnten in seiner Wahlberichterstattung bewusst darauf, Stimmenanteile von Parteien zu präsentieren, deren Anteil unter 3 % liege.
Anders als die Berichterstattung vor der Wahl, die erheblichen Einfluss auf das Wahlergebnis haben könne, sei die Nachwahlberichterstattung nur im Vorgriff auf die folgende Wahl von Bedeutung. Für sie könnten danach jedenfalls keine strengeren Maßstäbe gelten als für die Berichterstattung im Vorfeld von Wahlen. Der Berichterstattung des Beklagten liege ein schlüssiges journalistisches Konzept zugrunde, das die erheblichen statistischen Unsicherheiten der Ergebnisermittlung aufgrund von Prognosen und Hochrechnungen berücksichtige. In den Blick zu nehmen sei dabei das gesamte Berichterstattungsprogramm einschließlich des Internetangebots. Der Nennung nur der Parteien, die den Einzug in den Landtag geschafft hätten, sowie der FDP mit 4,1 %, der anders als dem Kläger über Jahrzehnte hinweg bundesweite Bedeutung zukomme, lägen offenkundig nachvollziehbare Erwägungen zugrunde. Die gesonderte Nennung von – hier - zwölf Parteien diene jedenfalls nicht der Klarheit der Informationsübermittlung. Es sei dem Beklagten nicht zumutbar, solche den Kern seines Programmauftrags erheblich beschneidenden Vorgaben von außen umzusetzen. Dies stelle einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Rundfunkfreiheit dar.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung war.
Soweit der Kläger die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat, ist das Verfahren nach § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen. Im Übrigen ist die Berufung begründet. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage insoweit nicht abweisen dürfen.
Die Klage ist als Feststellungsklage nach § 43 Satz 1 VwGO, gerichtet auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines konkreten Rechtsverhältnisses, zulässig. Die Frage, ob der Beklagte in seinen Ergebnispräsentationen zur Landtagswahl 2019 in den fraglichen Fernsehsendungen am Wahlabend und am Folgetag den Kläger und das von ihm erzielte Ergebnis ausdrücklich nennen musste, oder ob er ihn mit weiteren Listenbewerbern unter „Andere“ zusammenfassen durfte, beschreibt ein hinreichend konkretes Rechtsverhältnis. Ein Feststellungsinteresse des Klägers ergibt sich aus der Möglichkeit, dass er bei der nächsten Landtagswahl einen ähnlichen Stimmenanteil erzielt wie bei der letzten Wahl. Insoweit bestehen keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine fehlende Absicht des Klägers, sich an der nächsten Landtagswahl zu beteiligen. Unter vergleichbaren tatsächlichen Voraussetzungen ist damit zu rechnen, dass der Beklagte bei seiner Nachwahlberichterstattung das Wahlergebnis des Klägers erneut mit anderen kleineren Parteien unter „Andere“ zusammenfasst und der Kläger nicht rechtzeitig gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch nehmen könnte.
Die Klage ist auch begründet. Die Entscheidung des Beklagten, in seiner linearen Nachwahlberichterstattung zur Landtagswahl in Brandenburg am 1. September 2019 in den im Tenor genannten Sendungen des „rbb Fernsehen“ das (geschätzte) Wahlergebnis des Klägers bei der Präsentation der Ergebnisse nicht gesondert aufzuführen, sondern es mit den Ergebnissen der anderen Parteien, die weniger als 4 % der Stimmen erhalten hatten, unter der Bezeichnung „Andere“ zusammenfassen, war rechtswidrig. Hierdurch wird der Kläger als Landesverband einer Partei in seinem Recht auf Chancengleichheit nach Art. 3 Abs. 1, Art. 21 Abs. 1 GG verletzt (vgl. dazu BVerfG, Beschluss vom 30. August 2002 - 2 BvR 1332/02 - juris Rn. 3 ff.; VerfGH Saarbrücken, Beschluss vom 16. März 2017 - Lv 3/17 - juris Rn. 24 ff.; OVG Münster, Beschluss vom 15. August 2002 - 8 B 1444/02 - juris Rn. 22 ff.; OVG Münster, Beschluss vom 30. April 2012 - 13 B 528/12 - juris Rn. 7) und zwar auch in Anbetracht dessen, dass das Recht auf Chancengleichheit hier mit der dem Beklagten zustehenden Rundfunkfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zu einem verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen ist. Insofern können die vom Kläger angeführten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum für den Gesetzgeber geltenden Differenzierungsverbot m Rahmen der Parteienfinanzierung (BVerfG, Urteil vom 26. Oktober 2004 - 2 BvE 1/02, 2 BvE 2/02 - juris Rn. 61 ff.) oder zur Verfassungswidrigkeit der Fünfprozentklausel bei Europawahlen (BVerfG, Urteil vom 9. November 2011 - 2 BvC 4/10 u.a. - juris Rn. 82 ff.) nicht unmittelbar herangezogen werden, auch wenn sie die besondere Bedeutung gerade kleinerer Parteien für den politischen Wettbewerb und die Offenheit des demokratischen Prozesses hervorheben (vgl. BVerfG, Urteil vom 26. Oktober 2004 - 2 BvE 1/02, 2 BvE 2/02 - juris Rn. 2 ff.).
Obwohl redaktionell gestaltete Sendungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu Wahlen keine öffentlichen Leistungen im Sinne § 5 Abs. 1 Satz 1 PartG darstellen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 30. August 2002 - 2 BvR 1332/02 - juris Rn. 4; OVG Münster, Beschluss vom 15. August 2002 - 8 B 1444/02 - juris Rn. 13 ff.), haben die Rundfunkanstalten die Parteien nach dem Prinzip der abgestuften Chancengleichheit entsprechend ihrer Bedeutung (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 2 PartG) zu berücksichtigen, die sich insbesondere auch nach den Ergebnissen vorangegangener Wahlen zu Volksvertretungen bemisst (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 3 PartG). Voraussetzung ist ein redaktionelles Gesamtkonzept, das dafür Sorge trägt, den von der konkreten Sendung ausgeschlossenen Parteien auf andere Weise hinreichende Publizität zu verschaffen, so dass auch den Parteien, die bisher nicht im Parlament vertreten waren, sich aber gleichwohl nicht nur gelegentlich am politischen Leben beteiligt haben, noch hinreichend Gelegenheit verbleibt, die Wähler zu erreichen (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 15. August 2002 - 8 B 1444/02 - juris Rn. 35 ff.; OVG Münster, Beschluss vom 30. April 2012 - 13 B 528/12 - juris Rn. 10 ff.; OVG Bremen, Beschluss vom 20. Mai 2003 - 1 B 201/03 - juris Rn. 9 f.; OVG Saarlouis, Beschluss vom 13. März 2017 - 2 B 340/17 - juris Rn. 16 ff.).
Die für die Vorwahlberichterstattung, namentlich die Teilnahme von Parteivertretern an Diskussionsrunden im Vorfeld der Wahl entwickelten Grundsätze sind auf die Nachwahl- bzw. Wahlabendberichterstattung nur modifiziert übertragbar. Einerseits hat die Berichterstattung im Vorfeld von Wahlen - einschließlich der besonders bedeutsamen Beteiligung an Diskussionsrunden im Fernsehen - einen deutlich größeren Einfluss auf die Wahlchancen der Parteien als die Nachwahlberichterstattung, deren direkter Einfluss auf die nächste, regelmäßig erst mehrere - in Brandenburg fünf - Jahre später stattfindende Wahl wegen des großen zeitlichen Abstands erheblich geringer ausfallen dürfte.
Das spricht dafür, an die Nachwahlberichterstattung jedenfalls keine höheren Anforderungen zu stellen als an die Vorwahlberichterstattung und die von dem Beklagten vorgenommene Abstufung nach der Bedeutung der Parteien, die er an dem aufgrund von Prognosen und Hochrechnungen ermittelten Wahlergebnis sowie an der Wahrscheinlichkeit eines Einzugs in den Landtag bemessen hat, grundsätzlich für zulässig zu halten.
Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Berichterstattung am Wahlabend über die (voraussichtlichen) Wahlergebnisse vor allem dann Bedeutung für die zukünftigen Chancen der Parteien haben kann, wenn das Zweitstimmenergebnis - wie hier das des Klägers mit 2,6 % - zwar deutlich unterhalb der Fünfprozentklausel nach § 3 Abs. 1 Satz 1 BbgLWahlG liegt, aber doch einen Achtungserfolg darstellt, der geeignet sein kann, dem Zuschauer den Eindruck zu vermitteln, die betroffene Partei könnte bei zukünftigen Wahlen noch besser abschneiden und womöglich die Grenze von 5 % der Zweitstimmen überspringen. Das hat hier für den Kläger umso größere Bedeutung als er sich - mangels Einzugs in den Landtag - bis zur nächsten Wahl nicht durch parlamentarische Aktivitäten profilieren kann. Ferner ist es plausibel, dass die konkrete Darstellung des Wahlergebnisses in der linearen Fernsehberichterstattung die Chancen einer kleinen Partei auf zusätzliche Unterstützer, Mitglieder oder Spenden erhöhen kann. Der Achtungserfolg des Klägers geht jedoch unter und bleibt von vornherein ohne mögliche Auswirkungen, wenn das Wahlergebnis mit weiteren, hier sogar jeweils deutlich unter einem Prozent liegenden Wahlbewerbern unter „Andere“ zusammengefasst wird. Diese Ungleichbehandlung ist hier auch mit Blick auf die grundrechtlich geschützte Freiheit des Beklagten zur Programmgestaltung nicht mehr gerechtfertigt.
Der Beklagte beruft sich zu Recht darauf, dass seine Berichterstattung am Wahlabend in redaktionell gestalteten Sendungen der gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verfassungsrechtlich geschützten Rundfunkfreiheit unterfällt. Bei der Präsentation von Prognosen und Hochrechnungen am Wahlabend besteht jedoch – anders als z.B. bei am Wahlabend geführten Interviews mit Parteivertretern und Spitzenkandidaten oder sonstigen Gesprächsrunden – ein deutlich geringerer redaktioneller Gestaltungsspielraum. Dieser Spielraum bezieht sich in der Regel nur darauf, auf welche Weise die jeweils prognostizierten oder hochgerechneten Wahlergebnisse präsentiert werden. Danach ist zu entscheiden, für welche Parteien die Stimmergebnisse gesondert genannt, welche unter der Rubrik „Andere“ zusammengefasst und welche Diagramme zur Veranschaulichung der Ergebnisse eingeblendet werden. Nennt der Beklagte ein bestimmtes Wahlergebnis, so muss dies möglichst genau geschehen.
Gemessen daran stellt die Verpflichtung des Beklagten, das Stimmergebnis des Klägers gesondert zu nennen, zwar einen Eingriff in seine redaktionelle Gestaltungsfreiheit bei der Auswahl und Präsentation der Einzelergebnisse dar. Allerdings kommt dem Eingriff, der die Programmgestaltung eher in ihrem Randbereich berührt, nur ein geringes Gewicht zu. Ihm steht die nicht unerhebliche Ungleichbehandlung des Klägers durch das Vorgehen des Beklagten gegenüber. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Umsetzung der Verpflichtung vor allem die eher technische Frage nach der Darstellung des (voraussichtlichen) Wahlergebnisses z.B. in einem Schaubild betrifft.
Zwar mag eine Ungleichbehandlung kleinerer Parteien unter dem Gesichtspunkt der Praktikabilität gerechtfertigt sein, wenn die Berücksichtigung ihrer (voraussichtlichen) Wahlergebnisse eine unverhältnismäßige Belastung der betreffenden Rundfunk- bzw. Fernsehanstalt bedeuten würde. Dafür ist hier aber nichts ersichtlich, ohne dass es der genauen Klärung bedarf, ob weitere Ergebnisse nur mit Hilfe einer zusätzlichen Grafik dargestellt werden konnten, und wie viele zusätzliche Sekunden deren Darstellung im Fernsehprogramm gedauert hätte. Immerhin war es bei der Wahlsendung zur Europawahl, auf die der Kläger sich beruft, ohne Probleme möglich, jeweils eine weitere Ergebnisübersicht für diejenigen Parteien einzublenden, die mangels Fünfprozenthürde Aussicht auf einen Platz im Europaparlament hatten. Auch der Beklagte hat dem nicht widersprochen und lediglich eingewandt, dass die Sachlage dort wegen des Fehlens der Fünfprozenthürde eine andere gewesen sei.
Für die hier streitige Berichterstattung über die Landtagswahl ist ferner zu berücksichtigen, dass ohnehin nur elf Landeslisten zugelassen waren (Bekanntmachung des Landeswahlleiters vom 24. Juli 2019, ABl. 2019 Nr. 30, S. 746) und der Beklagte in den von ihm veröffentlichten Diagrammen die Ergebnisse von sieben dieser Listen gesondert aufgeführt hat. Die zusätzliche Darstellung des von dem Kläger erzielten Zweitstimmenergebnisses hätte die entsprechenden Diagramme nur geringfügig, von sieben auf acht, erweitert. Auch wenn hier einiges dafür spricht, dass der Beklagte ohne Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz allein das herausragende Wahlergebnis des Klägers nennen durfte und die übrigen drei Listen aufgrund ihres deutlich unter einem Prozent der Zweistimmen liegenden Ergebnisses (Piraten: 0,69 %, ÖDP: 0,57 %, V-Partei³: 0,24 %) unter „Andere“ zusammengefasst werden konnten, wäre selbst deren gesonderte Nennung – ggf. in insgesamt zwei Grafiken – ebenfalls ohne größeren Aufwand möglich gewesen und dieses Vorgehen hätte die Aufmerksamkeit der Zuschauer nicht über Gebühr strapaziert.
Aus den Einwänden des Beklagten ergibt sich nichts anderes. Soweit er sich auf eine hohe Fehlerquote bei Werten unterhalb von 3 % und zum Beleg dafür auf Ausführungen der Forschungsgruppe Wahlen zum Politbarometer beruft, berücksichtigt er nicht, dass diese sich nicht auf Prognosen oder Hochrechnungen am Wahlabend beziehen, sondern auf Projektionen für die sog. Sonntagsfrage („Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Bundestagswahl wäre?“), die aus Augenblicksstimmungen Schlüsse auf ein hypothetisches Wahlergebnis ziehen will. Vor diesem Hintergrund ist schon nicht plausibel gemacht, dass sich der statistische Fehlerbereich bei der Prognose oder Hochrechnung zum Wahlausgang gleichermaßen auswirkt. Der Kläger hat für die Europawahlen 2014 und 2019 die in der Tagesschau um 20.00 Uhr und den Tagesthemen um 21.55 Uhr bzw. 22.55 Uhr für die einzelnen Parteien angegebenen Zweitstimmenanteile gegenübergestellt, nach denen die Werte gerade im Bereich der Kleinparteien (unter 5 %) recht konstant sind mit einer Schwankungsbreite von maximal 0,2 %. Diese Angaben hat der Beklagte nicht durchgreifend in Frage gestellt.
Unabhängig davon bleibt es dem Beklagten unbenommen, auf die Unsicherheiten von Prognosen und Hochrechnungen hinzuweisen, wie dies ohnehin geschieht, und zwar insbesondere bei Ergebnissen, die knapp über oder unter der Fünf-Prozent-Hürde liegen, sodass ein Einzug ins Parlament in besonderem Maße ungewiss ist. Der Beklagte hat auch nicht substantiiert geltend gemacht, dass es für ihn mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden wäre, bei den Umfragen am Wahltag Ergebnisse für kleinere Parteien zu berücksichtigen; bei Hochrechnungen auf Grund der Auszählungsergebnisse repräsentativer Wahllokale scheint dies ohnehin kaum vorstellbar, denn die Auszählungen müssen in diesen Fällen abgeschlossen sein.
Der zeitlich nicht differenzierte Hinweis des Beklagten auf eine aufgeschlüsselte Darstellung der Wahlergebnisse kleinerer Parteien im Internet spricht dafür, dass ihm diese Daten am Wahlabend auch schon vor dem vorläufigen amtlichen Endergebnis zur Verfügung standen. Die Veröffentlichung im Internet führt hier jedoch nicht dazu, dass die Berichterstattung jedenfalls in ihrer Gesamtheit dem Grundsatz der abgestuften Chancengleichheit gerecht würde. Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob es grundsätzlich zulässig ist, eine gleichheitswidrige Berichterstattung im Fernsehen durch Internet-Darstellungen auszugleichen (in diesem Sinne VGH Mannheim, Beschluss vom 20. September 2017 - 1 S 2139/17 - juris Rn. 14).
Der Beklagte kann sich insoweit nicht zu seinen Gunsten auf ein redaktionelles Gesamtkonzept berufen. Darauf wird typischerweise abgestellt, wenn es um die gleichheitswidrige Benachteiligung von Wahlbewerbern geht, die nicht zu bestimmten Diskussionsrunden eingeladen werden (vgl. z.B. OVG Bremen, Beschluss vom 20. Mai 2003 - 1 B 201/03 - juris Rn. 10; OVG Saarlouis, Beschluss vom 13. März 2017 - 2 B 340/17 - juris Rn. 18; OVG Münster, Beschluss vom 15. August 2002 - 8 B 1444/02 - juris Rn. 41 ff.; dazu BVerfG, Beschluss vom 30. August 2002 - 2 BvR 1332/02 - juris). In solchen Fällen kann es darauf ankommen, ob die betroffenen Parteien jedenfalls nach dem Gesamtkonzept der Vorwahlberichterstattung angemessen berücksichtigt werden, etwa in Sendungen wie der von dem Beklagten in dem fraglichen Landtagswahlkampf ausgestrahlten Sendung „Die Herausforderer“, in der sich Vertreter der Parteien präsentieren konnten, die nicht in die „Wahlarena“ eingeladen worden waren.
Hier wird die Ungleichbehandlung des Klägers bei der Darstellung des Wahlergebnisses im linearen Fernsehprogramm nicht durch die Darstellung im Internet kompensiert. Insoweit kommt es nicht darauf an, wie hoch der Anteil derjenigen ist, die sich - ggf. von vornherein - im Internet informieren, denn jedenfalls diejenigen, die die Wahlberichterstattung im Fernsehen des Beklagten verfolgten, haben das den Kläger betreffende (voraussichtliche) Ergebnis nicht aus diesen Sendungen erfahren können. Selbst wenn sie einen Internet-Anschluss zur Verfügung hatten, was nicht bei allen Haushalten der Fall ist, mussten sie durch Zugriff auf das Internet sowie Suchen und Aufrufen der entsprechenden Seite zusätzliche zielgerichtete Aktivitäten entfalten. Dagegen war dem Beklagten die gesonderte Nennung des Ergebnisses im linearen Programm - wie aufgezeigt - ohne Probleme und unter nur geringfügigem Eingriff in seine redaktionelle Gestaltungsfreiheit möglich.
Im Hinblick auf die dem Beklagten verbleibende Gestaltungsfreiheit ist nicht zu entscheiden, in welcher graphischen Form er das (geschätzte) Wahlergebnis des Klägers hätte individuell darstellen müssen. Entsprechendes gilt für die Frage, ab welchem Stimmenanteil und bis zu welcher Anzahl von Listen eine Pflicht zur gesonderten Nennung eines Wahlergebnisses besteht und unter welchen Umständen es gerechtfertigt ist, mehrere Einzelergebnisse unter „Andere“ zusammenzufassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 10, § 711 ZPO.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Sie dient der Klärung, welche Anforderungen an die Nachwahlberichterstattung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten hinsichtlich der Nennung geschätzter Wahlergebnisse zu stellen sind, wenn diese Ergebnisse voraussichtlich weniger als 5 % der Zweitstimmen betragen.