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Entscheidung 10 TaBV 355/23


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 10. Kammer Entscheidungsdatum 27.07.2023
Aktenzeichen 10 TaBV 355/23 ECLI ECLI:DE:LAGBEBB:2023:0727.10TABV355.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 100 ArbGG

Tenor

I.

Auf die Beschwerde des Betriebsrats wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 9. März 2023 – 26 BV 618/23 und 26 BV 1089/23 abgeändert.

1.

Zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Betriebsvereinbarung anlassbezogene Gefährdungsbeurteilung SML Clarity-App Filiale 111“ wird der Vizepräsident des Arbeitsgerichts C, Herr Dr. B, bestellt.

2.

Die Zahl der von jeder Betriebspartei zu benennenden Beisitzenden wird auf zwei festgesetzt.

II.

Die weitergehende Beschwerde des Betriebsrats wird zurückgewiesen.
III.

Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel gegeben (§ 100 Abs. 2 Satz 4 ArbGG).

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten in der Beschwerdeinstanz anlässlich der Einführung und Anwendung eines Warenmanagementsystems, bei dem die Waren einen RFID-Mikrochip erhalten, dessen Daten mit einem speziellen Lesegerät gescannt und über eine sogenannte Clarity-App verarbeitet werden über die Einsetzung einer Einigungsstelle zur Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich des Rechtsschutzbedürfnisses, der Person des Vorsitzenden der Einigungsstelle und der Anzahl der Beisitzenden.

Die Arbeitgeberin und Beteiligte zu 2) betreibt in dem Einkaufszentrum East Side Mall in Berlin eine Filiale 111 (Verkaufsstelle „A“) mit 8 Arbeitsplätzen.

Nach Einleitung des Beschwerdeverfahrens hat der aus einer Person bestehende Betriebsrat mit E-Mail vom 19. Juni 2023 gegenüber der Store-Managerin ihre inhaltlichen Vorstellungen übermittelt. Hierzu fand zwischen den Betriebsparteien am 19. Juni 2023 ein Gespräch statt. Nachdem die Store-Managerin zu der E-Mail vom 19. Juni 2023 Stellung genommen hatte und zu einigen Punkten Klarstellungen erbeten hatte, fanden am 6. Juli 2023 und am 13. Juli 2023 weitere Gespräche zwischen den Betriebsparteien statt.

Zum Sachverhalt hat das Arbeitsgericht Berlin in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt:

Zur Einführung dieses Systems fand eine Einigungsstelle mit dem Gesamtbetriebsrat statt, die im Januar 2022 mit einem Spruch über Regelungen zu technischen Einführung endete. Der Spruch wurde vom Gesamtbetriebsrat angefochten; der Antrag wurde im Oktober 2022 zurückgenommen.

Mit E-Mail vom 16.12.2022 teilte der Betriebsrat der Arbeitgeberin mit, er habe erfahren, dass die Clarity-App ab Januar genutzt werden solle, und forderte sie zu Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung Gefährdungsbeurteilung Clarity-App auf. Ferner bat der Betriebsrat um Bestätigung, dass die Einführung nicht erfolge, bis eine Gefährdungs-beurteilung verhandelt und durchgeführt worden sei. Falls bis zum 20.12.2022 keine Bestätigung eingehe, müsse man davon ausgehen, dass an einer Einführung der App ohne Gefährdungsbeurteilung festgehalten werde und die Verhandlungen gescheitert seien.

Am 21.12.2022 beschloss der Betriebsrat, die Verhandlungen als gescheitert anzusehen und eine Einigungsstelle anzurufen. Mit der Einleitung des Verfahrens nach § 100 ArbGG wurden die hiesigen Verfahrensbevollmächtigten beauftragt.

Mit der am 18.01.2023 bei Gericht eingegangenen Antragsschrift verlangt der Betriebsrat die gerichtliche Errichtung einer Einigungsstelle. Er verweist auf sein Mitbestimmungsrecht aus § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG und hält die Arbeitgeberin verpflichtet, eine anlassbezogene Gefährdungsbeurteilung durchzuführen. Der Betriebsrat trägt vor, Einigungsversuche hätten stattgefunden. Die Arbeitgeberin habe auf die Kontaktaufnahme durch ihn nicht reagiert.

[Die Arbeitgeberin] hält den Antrag des Betriebsrats unter anderem wegen eines fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses für unzulässig und trägt vor, es hätten bisher noch keine Verhandlungen mit einem ernsthaften Willen zur Einigung stattgefunden. Die Storemanagerin habe sich am 20.12.2022 an den Betriebsrat gewandt und ihm mitgeteilt, dass Verhandlungen bis zum Jahresende zeitlich nicht umsetzbar seien, man sich aber des Themas im Januar 2023 annehmen könne. Der Betriebsrat habe ausdrücklich zugestimmt. Der Einsatz der Clarity- App sei verschoben worden; dies ist unstreitig.

Ein zersplittertes Vorgehen sei nicht von § 5 ArbSchG gedeckt. Vielmehr sei eine umfassende Gefährdungsbeurteilung durchzuführen, die nicht auf die Clarity-App beschränkt sei. Der Bezugspunkt für eine Verfahrensregelung sei daher weiter zu fassen.

Darüber hinaus hat der Betriebsrat einen Vorsitzenden für die Einigungsstelle benannt und die Festsetzung von vier Beisitzenden je Seite begehrt. Die Arbeitgeberin hat hilfsweise einen anderen Vorsitzenden für die Einigungsstelle benannt und hilfsweise die Festsetzung von zwei Beisitzenden je Seite begehrt.

Mit Beschluss vom 9. März 2023 hat das Arbeitsgericht die Anträge des Betriebsrats zurückgewiesen. Der Antrag zum Regelungsgegenstand sei zwar hinreichend bestimmt. Dem Antrag des Betriebsrats sei mit ausreichender Klarheit zu entnehmen, dass eine Einigungsstelle zum Regelungsgegenstand Betriebsvereinbarung Gefährdungsbeurteilung SML Clarity-App eingesetzt werden solle. Dabei sei der Antrag dahingehend zu verstehen, dass der Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über grundsätzliche Regelungen zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung anstrebe. Dem Begehren des Betriebsrats mangele es jedoch am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

Das Arbeitsgericht könne mit einem Antrag nach § 100 ArbGG erst angerufen werden, wenn sich entweder die Gegenseite Verhandlungen über den Regelungsgegenstand ausdrücklich oder konkludent verweigert habe oder mit Verständigungswillen geführte Verhandlungen zwar stattgefunden hätten, jedoch gescheitert seien. Die Anforderungen an die Feststellung des Scheiterns von Verhandlungen dürften dabei nicht überspannt werden. Es sei vielmehr dem Beschleunigungszweck des § 100 ArbGG Rechnung zu tragen, wonach beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung stehen solle. Hätten die Betriebspartner über die zu regelnde mitbestimmungspflichtige Angelegenheit ernsthaft miteinander verhandelt und habe dabei die eine Seite die Kernelemente ihrer künftigen Verhandlungsposition gegenüber der anderen Seite dargestellt, könne sie vom Scheitern des innerbetrieblichen Einigungsversuchs ausgehen. Auch wenn die andere Seite keine Verhandlungsbereitschaft zeige, sei es dadurch, dass sie auf das Verhandlungsangebot schweige, oder sei es dadurch, dass sie Verhandlungen pauschal ablehne, könne von einem Scheitern der Verhandlungen ausgegangen werden. Schließlich liege ein Scheitern von Verhandlungen vor, wenn zwar zügig und ernsthaft in Verhandlungen eingetreten werde, hiernach jedoch eine der Seiten nach ihrer nicht offensichtlich unbegründeten subjektiven Einschätzung Anlass zu der Annahme habe, dass die Verhandlungen nicht, zumindest nicht in absehbarer Zeit zum Erfolg führen würden. Letztlich finde damit in den Fällen aufgenommener, dann aber von der antragstellenden Seite wegen Aussichtslosigkeit abgebrochener Verhandlungen allein noch eine Rechtsmissbrauchskontrolle bei der Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses statt. Das diene dem gesetzlich an mehreren Stellen zum Ausdruck kommenden Bestreben, betriebliche Konflikte in Mitbestimmungsangelegenheiten einer zwar das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit beachtenden, aber auch möglichst zügigen Klärung zuzuführen. Anderenfalls hätte die verhandlungsunwillige Seite es durch geschicktes Taktieren in der Hand, die Einsetzung einer Einigungsstelle längere Zeit zu blockieren. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze sei ein Scheitern von Verhandlungen nicht erkennbar. Dies gelte sowohl für den Zeitpunkt der Beschlussfassung des Betriebsrats am 21. Dezember 2022 als auch für den Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 3. Februar 2023. Zwischen den Betriebsparteien hätten bislang noch keinerlei „echten“ Verhandlungen über Regelungen zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich der Clarity-App stattgefunden. Der Betriebsrat habe vor Einleitung des gerichtlichen Verfahrens keine eigenen Vorstellungen zum Regelungsthema formuliert, über die sodann hätte verhandelt werden können. Einen Entwurf des Betriebsrats für eine Betriebsvereinbarung über Regelungen zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung Clarity-App gebe es offensichtlich noch nicht. Der Betriebsrat habe der Arbeitgeberin lediglich eine Vergütungsvereinbarung über das Honorar der Verfahrensbevollmächtigten eingereicht. Im vorliegenden Fall habe die Arbeitgeberin auch Verhandlungen über Regelungen zu einer spezifischen Gefährdungsbeurteilung bezüglich der Clarity-App nicht rundheraus abgelehnt, sondern habe sich - laut Betriebsrat - lediglich innerhalb der sehr kurzen Frist nicht geäußert bzw. - laut Arbeitgeberin - mit dem Betriebsrat auf eine Verschiebung der Verhandlungen bis zum Januar 2023 verständigt. Die Arbeitgeberin hat zu keiner Zeit das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats generell in Frage gestellt, sondern strebe - in der hiesigen Verkaufsstelle A wie auch in anderen Filialen - eine umfassende, allgemeine Regelung über die Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung an.

Der Betriebsrat hat gegen diesen Beschluss rechtzeitig Beschwerde eingelegt und begründet. Entgegen den Ausführungen des Arbeitsgerichts seien die Verhandlungen gescheitert, da sich die Arbeitgeberin ausdrücklich Verhandlungen über eine BV Gefährdungsbeurteilung SML-Clarity-App entzogen habe und diese ablehne. Das habe bereits die nicht fristgerechte Rückmeldung zur Verhandlung gezeigt. Es sei unstreitig, dass die Arbeitgeberin die Mitteilung des Betriebsrates gelesen hat. Auch wenn die Frist für die Rückmeldung lediglich 4 Tage betragen habe und auch wenn es sich um das Weihnachtsgeschäft gehandelt habe, hätte die Arbeitgeberin zumindest einen Fristaufschub erbitten oder zumindest irgendeine (kurze) Rückmeldung geben können. Das entsprechende Ausbleiben habe der Betriebsrat nur dahingehend deuten können, dass die Verhandlungen abgelehnt würden. Dieses Verständnis sei spätestens zum Zeitpunkt des Anhörungstermins bestätigt worden. Über ihre Verfahrensbevollmächtigte habe die Arbeitgeberin mit Schriftsatz vom 31. Januar 2023 mitteilen lassen, dass das „zersplitterte Vorgehen“ des Betriebsrates unzulässig sei und keine entsprechende Rechtsgrundlage bestehe. Die Arbeitgeberin habe somit spätestens im Kammertermin den Anspruch des Betriebsrates eine BV anlassbezogene Gefährdungsbeurteilung SML Clarity-App verhandeln zu können in Frage gestellt und abgelehnt. Der Betriebsrat könne deshalb die Verhandlungen als gescheitert erklären. Hinzu komme, dass bereits viele Wochen verstrichen seien und im Rahmen des Einsetzungsverfahrens auch der Beschleunigungsgrundsatz zu beachten sei.

Der Betriebsrat beantragt,

den Beschluss des Arbeitsgerichts Berlin vom 9. März 2023 – 26 BV 618/23 und 26 BV 1089/23 – abzuändern und wie folgt neu zu fassen:

1.

Herr. Dr. B (Vizepräsident am Arbeitsgericht C) wird zum Vorsitzenden einer Einigungsstelle, die über den Regelungsgegenstand „Betriebsvereinbarung anlassbezogene Gefährdungsbeurteilung SML Clarity-App Filiale 111“ entscheiden soll, bestellt.

2.

Die Zahl der von jeder Betriebspartei zu benennenden Beisitzer*innen wird auf vier festgesetzt.

Die Arbeitgeberin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Die Arbeitgeberin verteidigt im Ergebnis die angefochtene Entscheidung. Der Antrag sei aber mangels Bestimmtheit bereits unzulässig. Selbst wenn man der Entscheidung des Arbeitsgerichts insoweit folge, dass der Betriebsrat mit seinem Antrag eine Betriebsvereinbarung über eine grundsätzliche, d.h. ganzheitliche Regelung der Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung anstrebe, gehe dies jedenfalls aus dem Antrag des Betriebsrats vom 17. Januar 2023 nicht klar hervor. Vielmehr sei nur von einer „anlassbezogenen Gefährdungsbeurteilung SML Clarity-App Filiale 111“ die Rede, ohne zu konkretisieren, was damit gemeint sei, z.B. ob die Beurteilung der psychischen und physischen Gefährdungen von dem Regelungsgegenstand erfasst sein solle oder nicht. Die Arbeitgeberin bestreite nicht, dass im Hinblick auf die Ausgestaltung des Verfahrens zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung im Sinne von § 5 ArbSchG ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG bestehe. Die Gefährdungsbeurteilung, um deren Verfahren es vorliegend gehe, müsse sich aber auf eine ergebnisoffene Beurteilung der Gefährdung bei der Arbeit gemäß § 5 ArbSchG beziehen, nicht auf die Beurteilung einzelner Arbeitsmittel. Die von dem Betriebsrat im Antrag vorgenommene Beschränkung auf das Arbeitsmittel RFID App verhindere eine solche umfassende Gefährdungsbeurteilung. Ein Mitbestimmungsrecht lasse sich hierauf nicht mit Erfolg stützen. Eine andere Bewertung ergebe sich auch nicht aus § 3 BetrSichV. Auch diese Vorschrift sehe eine Beurteilung vor, bei der alle Gefährdungen einzubeziehen seien, die bei der Verwendung von Arbeitsmitteln ausgingen, nicht aber eine Bewertung einzelner Arbeitsmittel, wie hier der RFID App. § 3 BetrSichV könne im Übrigen auch nicht als Rechtsvorschrift im Sinne des § 87 Abs. 1 Nr. 7 BetrVG herangezogen werden, da sich die Norm auf „Arbeitsmittel“ beziehe, worunter die hier in Rede stehende RFID App jedenfalls nicht fallen könne. Denn während „Arbeitsmittel“ im Sinne des § 3 BetrSichV vor allem verkörperte Sachgegenstände meine („Werkzeuge, Geräte, Maschinen oder Anlagen, die für die Arbeit verwendet werden, sowie überwachungsbedürftige Anlagen“) handele es sich bei der hier in Rede stehenden RFID App gerade um nichtverkörperte Software.

Vorsorglich wies die Arbeitgeberin zudem darauf hin, dass kein Einverständnis mit dem Vorsitz durch den Vizepräsidenten des Arbeitsgerichts C. Dr. B bestehe. Im Anhörungstermin konkretisierte die Arbeitgeberin dieses auf Nachfrage dahin, dass dieses durch Erfahrungen mit Herrn Dr. B in anderen Betrieben der Arbeitgeberin begründet sei. Auch sei die Besetzung der Einigungsstelle mit jeweils zwei Beisitzern auf jeder Seite ausreichend. Denn es handele sich hier lediglich um die Aufstellung einer Verfahrensregelung für die Durchführung der Gefährdungsbeurteilung in einer kleinen Filiale zu einem überschaubaren Regelungsgegenstand.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten in der Beschwerdeinstanz wird auf den vorgetragenen Inhalt der Beschwerdebegründung des Betriebsrats vom 28. März 2023, dessen Schriftsätze vom 30. Juni 2023 und 18. Juli 2023 sowie die Beschwerdeerwiderung der Arbeitgeberin vom 16. Mai 2023 und ihren Schriftsatz vom 14. Juli 2023 und auf das Sitzungsprotokoll vom 27. Juli 2023 Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 8 Abs. 4 und 87 Abs. 1 ArbGG statthafte Beschwerde des Betriebsrats ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht im Sinne von §§ 87 Abs. 2, 89 Abs. 1 und 2 ArbGG eingelegt und begründet worden.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache auch überwiegend Erfolg.

1.

Das Arbeitsgericht hatte aus seiner Sicht zutreffend die vom Betriebsrat begehrte Einigungsstelle nicht eingesetzt. Maßgeblich ist jedoch der Zeitpunkt der Entscheidung in der jeweiligen Instanz, also hier nun der 27. Juli 2023. Seit der erstinstanzlichen Entscheidung hat der Betriebsrat der Arbeitgeberin am 19. Juni 2023 zumindest eine Reihe von Aspekten übermittelt, die im Zusammenhang mit dem Regelungsgegenstand der Einigungsstelle relevant bzw. regelungsbedürftig seien. Auch hatten dazu drei Gespräche der Betriebsparteien stattgefunden. Auf Nachfrage im Anhörungstermin am 27. Juli 2023 hat die Betriebsrätin Frau D noch einmal ausdrücklich erklärt, dass sie nicht davon ausgehe, mit der Arbeitgeberin eine einvernehmliche Regelung zu erzielen und deshalb für sie die Verhandlungen gescheitert seien. Angesichts der Tatsache, dass der Betriebsrat hier nur aus Frau D besteht, bedurfte es auch keiner Sitzung des Betriebsrates zur Beschlussfassung über das Scheitern der Verhandlungen.

Zutreffend hatte das Arbeitsgericht ausgeführt, dass die Anforderungen an die Feststellung des Scheiterns von Verhandlungen nicht überspannt werden dürften. Es sei vielmehr dem Beschleunigungszweck des § 100 ArbGG Rechnung zu tragen, wonach beim Auftreten von Meinungsverschiedenheiten in einer mitbestimmungspflichtigen Angelegenheit möglichst rasch eine formal funktionsfähige Einigungsstelle zur Verfügung stehen solle. Hätten die Betriebspartner über die zu regelnde mitbestimmungspflichtige Angelegenheit ernsthaft miteinander verhandelt und habe dabei die eine Seite die Kernelemente ihrer künftigen Verhandlungsposition gegenüber der anderen Seite dargestellt, könne sie vom Scheitern des innerbetrieblichen Einigungsversuchs ausgehen. Dem ist nichts hinzuzufügen. Lediglich dann, wenn es sich um ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Betriebsrates handeln sollte, wäre dieses zu berücksichtigen. Anhaltspunkte für einen solchen Rechtsmissbrauch hat die Arbeitgeberin aber nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht ersichtlich.

2.

Wie das Arbeitsgericht ebenfalls zutreffend festgestellt hat, begehrt der Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über grundsätzliche Regelungen zur Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung anlässlich der Einführung der SML Clarity-App.

Alleiniger Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 100 ArbGG ist, ob die Einigungsstelle für diesen Gegenstand offensichtlich unzuständig ist. Von einer solchen offensichtlichen Unzuständigkeit kann aber nicht ausgegangen werden. Generell strebt die Arbeitgeberin die Einführung dieser App in der hiesigen Filiale an. Die App muss dann von den Beschäftigten bedient werden, um ihre Arbeit zu erledigen. Damit ändern sich Arbeitsabläufe und dadurch auch Anforderungen an die Beschäftigten. Ob es sich bei der App um ein Arbeitsmittel im Sinne der BetrSichV handelt oder um einen Aspekt aus der „Insbesondere-Aufzählung“ des § 5 Abs. 3 ArbSchG, ob es sich um eine abgrenzbare oder nur im Zusammenhang mit weiteren Aspekten zu beurteilende Angelegenheit handelt, hat die Einigungsstelle jedenfalls vor einer streitigen Entscheidung im Rahmen der Zuständigkeitsprüfung zu beurteilen.

3.

Nach § 76 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ist die oder der Vorsitzende der Einigungsstelle durch das Arbeitsgericht zu bestellen, wenn sich die Betriebsparteien nicht auf eine bestimmte Person einigen konnten. Dabei ist grundsätzlich von der beantragten Person auszugehen. Der Gesetzgeber hat für das Verfahren nach § 100 ArbGG keine von den allgemeinen Regeln (§ 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO, §§ 46 Abs. 2, 80 ArbGG) abweichende Festlegung getroffen. Haben sich die Betriebsparteien aber - wie hier - nicht auf einen Vorsitzenden verständigt, ist davon auszugehen, dass bei einer streitigen Entscheidung der im Antrag auf Einsetzung der Einigungsstelle genannte Vorsitzende bestellt wird, sofern nicht durch Tatsachen begründete Bedenken oder „verifizierbare Bedenken“ gegen dessen Geeignetheit für den Vorsitz dieser speziellen Einigungsstelle vorgetragen sind. (LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. Juni 2010 - 10 TaBV 1058/10). Jedenfalls sind ein bloßes „Nein“, nur schlagwortartige Einwände oder reine Mutmaßungen nicht ausreichend (LAG Berlin-Brandenburg vom 18. Juni 2015 - 21 TaBV 745/15). Entsprechende Tatsachen hat die Arbeitgeberin jedoch nicht vorgebracht. Bei dem allgemeinen Hinweis auf negative Erfahrungen mit dem beantragten Vorsitzenden in Einigungsstellen anderer Filialen ist keine entsprechende Tatsache.

4.

Die Anzahl der Beisitzer war mit zwei je Seite festzusetzen. Bei einer gerichtlichen Festsetzung der Anzahl der Beisitzer ist zunächst zu beachten, dass es entgegen einer verbreiteten Ansicht keine Regelbesetzung gibt (LAG Berlin-Brandenburg vom 22. Januar 2015 – 10 TaBV 1812/14). Maßgebend für die Anzahl der Beisitzer einer Einigungsstelle sind in erster Linie der Schwierigkeitsgrad der Meinungsverschiedenheit und die zu ihrer Beilegung notwendigen Fachkenntnisse und betriebspraktischen Erfahrungen. Nach dem Begehren des Betriebsrates geht es nicht um eine „vollständige“ Betriebsvereinbarung über die Gefährdungsbeurteilung nach § 5 ArbSchG, sondern nur um eine solche im Zusammenhang mit der neu einzuführenden App. Insofern handelt es sich anders als vom Betriebsrat angegeben nicht um eine „komplexe Thematik“. Diese bedarf zwar eines gewissen arbeitswissenschaftlichen Sachverstandes und auch Kenntnissen von der Filiale. Letztere ist aber bei der Anzahl von nur acht Beschäftigten durch die Betriebsrätin gegeben. Differenzierte Tätigkeitsbereiche wie vom Betriebsrat in der Antragsschrift angeführt, sind hier nicht ersichtlich. Soweit der Betriebsrat anführt, dass der Betriebsrat „einen juristischen Sachverständigen [benötige], um die rechtlichen Vorgaben bei der Durchführung der Gefährdungsbeurteilung bewerten zu können“, ist es nicht die Aufgabe von Beisitzenden einer Einigungsstelle, den Betriebsrat zu beraten. Dieses wäre ausgehend von der Erforderlichkeit im Rahmen einer Sachverständigenbeauftragung unabhängig von der Beisitzenden-Rolle in der Einigungsstelle zu beurteilen. Die Einigungsstelle agiert unabhängig von den Betriebsparteien (vgl. dazu BAG vom 20. August 2014 – 7 ABR 64/12).

III.

Die Entscheidung ergeht nach § 2 Abs. 2 GKG in Verbindung mit § 2a Abs. 1 Nr. 1 ArbGG gerichtskostenfrei.

IV.

Gegen die Entscheidung ist von Gesetzes wegen kein Rechtsmittel gegeben.