Gericht | LG Potsdam 5. Strafkammer | Entscheidungsdatum | 21.08.2023 | |
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Aktenzeichen | 25 Qs 39/23 | ECLI | ECLI:DE:LGPOTSD:2023:0821.25QS39.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 140 StGB |
1. Die Friedensschutzklausel des § 140 StGB erzwingt eine restriktive Auslegung der Strafvorschrift. Sie dient der Wahrung des Grundrechts der freien Meinungsäußerung gemäß Art. 5 Abs. 1 GG.
2. Das Tatbestandsmerkmal der Gefährdung des öffentlichen Friedens bedarf einer Gesamtwürdigung, wobei neben dem Inhalt auch Art, Umfang der Verbreitung und weitere Umstände – wie das aktuelle politische Klima – von Bedeutung sind. Nur dann, wenn nach dem Ergebnis der Gesamtabwägung die Billigung der Tat die Gefahr begründet, das Vertrauen der Bevölkerung in den Bestand der Rechtsgüter zu stören bzw. ein die Begehung gleichartiger Straftaten begünstigendes Klima zu schaffen, kann eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens angenommen werden.
Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Cottbus gegen den Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 5. Juli 2023, Az. 82 Cs 66/23, wird als unbegründet zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Staatskasse zur Last.
I.
Die Staatsanwaltschaft Cottbus ermittelte gegen den Angeschuldigten wegen der Billigung von Straftaten gemäß § 140 Nr. 2, § 138 Abs. 1 Nr. 5 StGB. Der Angeschuldigte soll am 25. November 2022 über seinen Twitter-Account den folgenden Kommentar veröffentlicht haben: „Einfach kleben lassen und mit dem Flugzeug drüber rollen. Dann sind wir eine Sorge los! Ich hoffe ihr seid wirklich die letzte Generation!“
Nach Abschluss der Ermittlungen beantragte die Staatsanwaltschaft am 15. Juni 2023, den Angeschuldigten durch Erlass eines Strafbefehls zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15,00 Euro zu verurteilen.
Das zuständige Amtsgericht Potsdam lehnte den Erlass des Strafbefehls aus rechtlichen Gründen ab. Die Vorschrift des § 140 StGB setze voraus, dass die gutgeheißene Tat versucht oder vollendet worden sei, was hier nicht der Fall sei. Weiterhin sei eine derart überspitzte Äußerung auch in satirischer Weise in den öffentlich-rechtlichen Medien geäußert worden.
Gegen den ablehnenden Beschluss des Amtsgerichts Potsdam vom 05. Juli 2023, zugestellt am 13. Juli 2023, hat die Staatsanwaltschaft Cottbus am 14. Juli 2023 sofortige Beschwerde eingelegt. In der Beschwerdebegründung weist die Staatsanwaltschaft darauf hin, dass durch die Gesetzesnovelle vom 30. März 2023 auch die Billigung zukünftiger Straftaten unter Strafe gestellt wurde. Eine vollendete oder versuchte Straftat sei daher nicht Voraussetzung. Die Grenzen der Meinungsfreiheit und nicht strafbaren Satire seien hier zudem überschritten, insbesondere da vermehrt Aggressionen und Straftaten gegen Klimaaktivisten zu beobachten seien.
II.
Die sofortige Beschwerde ist statthaft gemäß § 408 Abs. 2, § 210 Abs. 2, § 311 StPO und zulässig, insbesondere innerhalb der Wochenfrist erhoben.
In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
Zunächst stellt die Staatsanwaltschaft zutreffend fest, dass die Neufassung des § 140 StGB auch die Billigung zukünftiger Straftaten unter Strafe stellt. Es ist damit verfehlt, den Erlass des Strafbefehls abzulehnen, weil ein Tötungsdelikt an Klimaaktivisten durch Überrollen mit einem Flugzeug weder stattgefunden hat noch versucht wurde.
Das Billigen muss sich jedoch auf eine konkrete Katalogtat beziehen. Das ist hier der Fall. Aus dem sozialpolitischen Kontext der Äußerung und dem Inhalt des Kommentars selbst wird deutlich, dass sich der Verfasser auf die Tötung von Aktivisten der „Letzten Generation“, die Flughäfen blockieren, bezieht und diese gutheißt. Mitglieder der „Letzten Generation“ hatten eine solche Blockade des Flugbetriebes am Hauptstadtflughafen BER am 24. November 2022, einen Tag vor der vorgeworfenen Tat, durchgeführt. Die gebilligte (fiktive/zukünftige) Tat ist damit hinreichend konkret umschrieben. Eine Konkretisierung der Tat durch Zeit und Ort ist nicht erforderlich (BeckOK StGB/Heuchemer StGB, Stand 1.5.2023, § 140 Rn. 11).
Äußerungen im Internet sind auch grundsätzlich für eine öffentliche Erklärung geeignet, Tatbestandsvoraussetzung ist jedoch darüber hinaus, dass die Erklärung geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören. Diese Friedensschutzklausel soll es ermöglichen, den abstrakten Gefährdungsstraftatbestand des § 140 StGB restriktiv auszulegen (vgl. Fischer, StGB, 70. Auflage 2023, § 140 Rn. 8a). Die herrschende Kommentarliteratur weist weiter auf die Erforderlichkeit einer solchen engen Auslegung in Hinblick auf das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 GG hin (vgl. Fischer, aaO.; BeckOK/Heuchemer aaO). „Rohe Äußerungen der fiktiven Zustimmung zu (nicht begangenen, aber angeblich erwünschten) Taten“ allein sollen demnach die Eignung zur Gefährdung des öffentlichen Friedens in der Regel nicht aufweisen, zumal „das ausdrückliche Wünschen, jemandem solle etwas Schlimmes angetan werden, meist Ausdruck von Herabsetzung und nicht wörtlich gemeint“ sei (so Fischer, aaO, Rn. 8, 8a). Dieser Auffassung ist zuzustimmen.
Bei der Gesamtwürdigung des Tatbestandsmerkmals der Gefährdung des öffentlichen Friedens sind neben dem Inhalt auch Art, Umfang der Verbreitung und weitere Umstände – wie das aktuelle politische Klima – von Bedeutung. Nur dann, wenn – unter Berücksichtigung dieser Aspekte – die Billigung der Tat die Gefahr begründet, das Vertrauen der Bevölkerung in den Bestand der Rechtsgüter zu stören bzw. ein die Begehung gleichartiger Straftaten begünstigendes Klima zu schaffen, kann eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens angenommen werden (vgl. MüKoStGB/Hohmann StGB § 140 Rn. 29).
Bei dem hier gegenständlichen Tweet handelt es sich um eine Äußerung im gesellschaftlichen Meinungsdiskurs, der einen zeitlich und inhaltlich eindeutigen Bezug zu einem (zum Zeitpunkt der Äußerung) sehr aktuellen politischen Thema aufweist, da erst einen Tag zuvor eine medienwirksame Flughafenblockade stattgefunden hatte. Zum Zeitpunkt der Erfassung durch die zuständigen Behörden hatten den Tweet lediglich zwei Nutzer positiv (mit „Daumen hoch“/ „Like“) bewertet. Dem Account des Angeschuldigten folgten nach Recherche des Bundeskriminalamtes fünf Personen auf Twitter. Trotz der theoretischen Wahrnehmbarkeit für eine unbestimmte Anzahl an Twitter-Nutzern, ist die Öffentlichkeitswirksamkeit und der Verbreitungsumfang der in Frage stehenden Äußerung daher als gering zu betrachten.
Zwar ist der Staatsanwaltschaft in ihrer Wertung Recht zu geben, dass die sich mehrenden Übergriffe auf Klimaaktivisten in die Beurteilung des Tatbestandsmerkmals der Gefährdung des öffentlichen Friedens einfließen muss. In einem zunehmend aggressiven öffentlichen Diskurs steigt zwingend auch die abstrakte Gefährlichkeit derartiger Äußerungen.
Die Äußerung ist hier jedoch derart realitätsfern, flapsig formuliert und überzogen („mit dem Flugzeug drüber rollen“), dass durch sie wohl kaum ein Klima geschaffen wird, das gleichartige Taten der gescheiterten Art begünstigt. Anders zu beurteilen wäre unter Umständen die Äußerung, man möge die Aktivisten auf den innerstädtischen Kreuzungen doch mal mit dem Auto anfahren. Solch eine fiktive Tat ist weitaus lebensnaher, praktisch umsetzbar und daher auch vorstellbar geeignet, die abstrakte Bereitschaft zu derartigen Übergriffen auf Protestierende zu fördern.
Die hier in den Raum gestellte Begehungsweise der fiktiven Tat (kleben lassen und überrollen) greift direkt die kritisierte Protestform (nämlich das Festkleben auf dem Rollfeld) auf. Eine derartige (wenngleich geschmacklose und polemische) inhaltliche Auseinandersetzung mit einem konkreten und aktuellen politischen Thema ist hinzunehmen.
Es ist in der Gesamtschau der Umstände daher nicht ersichtlich, dass die augenscheinlich überzogene Äußerung einer Privatperson mit äußerst geringer Reichweite geeignet ist, das „psychische Klima aufzuhetzen“.
Der objektive Tatbestand des § 140 Nr. 2 StGB ist damit nicht erfüllt.
Das Amtsgericht Potsdam hat den Erlass des Strafbefehls daher im Ergebnis zutreffend gemäß § 408 Abs. 2 Satz 1 StPO, mangels hinreichenden Tatverdachts, abgelehnt.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.