Gericht | VG Cottbus 1. Kammer | Entscheidungsdatum | 11.08.2023 | |
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Aktenzeichen | 1 L 177/23 | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2023:0811.1L177.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 80 Abs 5 VwGO, § 14 Abs 1 S 3 VwVfG, § 80 Abs 2 S 1 Nr 4 VwGO, § 80 Abs 1 VwGO |
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
I. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller ist abzulehnen, weil ihrer Rechtsverfolgung aus den Gründen zu II. die hinreichende Aussicht auf Erfolg fehlt, § 166 Abs. 1 S. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i. V. m. § 114 Abs. 1 S. 1 und § 121 der Zivilprozessordnung (ZPO).
II. Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zwar statthaft, aber unzulässig.
Dem (sinngemäßen) Begehren der Antragsteller, die aufschiebende Wirkung der Klage (VG 1 K 597/23) gegen den Bescheid des Beklagten vom 28. Februar 2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02. Juni 2023 wiederherzustellen, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis. Die Antragsteller könnten ihre Rechtsposition durch einen – unterstellt – erfolgreichen Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 2. Alt. i. V. m. Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO nicht verbessern, weil einer offensichtlich unzulässigen Klage auch ohne die behördliche Anordnung der sofortigen Vollziehung, § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO, keine aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO zukommt (OVG f. d. Ld. Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 24. September 2009 – 8 B 1342/09.AK –, juris Rn. 27; VGH Baden-Württemberg, Beschl. v. 03. Juni 2004 – 6 S 30/04 –, juris Rn. 4 m. zahlr. w. N.; Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO, August 2022, § 80 Rn. 78 ff. m. ausf. Darstellung zum Meinungsstand; Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 80 Rn. 50).
Die Klage vom 23. Juni 2023 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 28. Februar 2023 in Gestalt seines Widerspruchsbescheids vom 02. Juni 2023 ist (offensichtlich) unzulässig. Die Antragsteller haben das Vorverfahren nach §§ 68 ff. VwGO als Sachurteilsvoraussetzung der Klage nicht ordnungsgemäß durchgeführt. Der mit rechtsanwaltlichem Schriftsatz vom 28. März 2023 für die Antragsteller erhobene Widerspruch gegen den Ausgangsbescheid war schwebend unwirksam und er ist mit dem Widerspruchsbescheid vom 02. Juni 2023 endgültig unwirksam geworden. Im Einzelnen:
Das Elternrecht aus Art. 6 GG steht ungeachtet seines individualrechtlichen Charakters beiden Elternteilen in unteilbarer Verantwortung zur gemeinsamen Ausübung zu. Nach § 1626 Abs. 1 S. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) haben die Eltern die Pflicht und das Recht, für das minderjährige Kind zu sorgen (elterliche Sorge). Die elterliche Sorge umfasst die Sorge für die Person (Personensorge) und das Vermögen des Kindes (Vermögenssorge) sowie seine Vertretung, § 1626 Abs. 1 S. 2, § 1629 Abs. 1 S. 1 BGB. Nach § 1627 S. 1 BGB haben die Eltern die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben; sie vertreten das Kind gemeinschaftlich, § 1629 Abs. 1 S. 2 1. Hs BGB. Die damit im Regelfall gemeinsame elterliche Sorge erfordert eine einvernehmliche Ausübung der elterlichen Befugnisse im Verwaltungsverfahren aber auch bei etwaigen gerichtlichen oder außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 30. August 2011 – OVG 3 S 93.11 –, juris Rn. 3; zuletzt: OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 10. September 2015 – OVG 3 A 5.14 –, juris Rn. 68 [Normenkontrolle gegen eine Schülerbeförderungssatzung]; VG Aachen, Beschl. v. 17. August 2006 – 9 L 429/06 –, juris Rn. 4). Die Eltern handeln in prozessualer Hinsicht, ähnlich wie bei gesamthänderisch verbundenen Mitberechtigten, im Rahmen einer materiell-rechtlichen (eigentlich) notwendigen Streitgenossenschaft (OVG des Saarlandes, Beschl. v. 21. August 1997 – 8 Y 12/97 –, juris Rn. 5 – 6; OVG f. d. Ld. Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 05. Juli 1974 – XV A 1150/71 –, juris, nur LS; Nieders. OVG, Beschl. v. 29. Juni 1981 – 13 B 27/81 –, NVwZ 1982, 321; VG Aachen, Beschl. v. 17. August 2006 – 9 L 429.06 –, juris Rn. 4; VG Cottbus, Beschl. d. 5. Kammer v.11. November 2016 – 5 L 551/16.A –, juris Rn. 8; W.-R. Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 64 Rn. 7; Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand Mai 2010, § 64 Rn. 17). Nach § 64 VwGO i. V. m. § 62 Abs. 1 ZPO ist eine Streitgenossenschaft notwendig, wenn das streitige Rechtsverhältnis allen Streitgenossen gegenüber nur einheitlich festgestellt werden kann oder wenn die Streitgenossenschaft aus einem sonstigen Grund eine notwendige ist. Aus einem sonstigen Grund ist die Streitgenossenschaft im Sinne von § 62 Abs. 1 2. Alt. ZPO notwendig, wenn die Sache, wie vorliegend, aus Gründen des materiellen Rechts nur einheitlich entschieden werden kann (BGH, Urt. v. 12. Januar 1996 – V ZR 246/94 –, juris Rn. 7).
Die dem anwaltlichen Widerspruchsschreiben beiliegende Vollmacht vom 27. März 2023 war lediglich von dem Vater der für ihren Sohn gemeinsam sorgeberechtigten Antragsteller unterzeichnet – bei dem unleserlichen Schriftzug hinter dem Datum handelt es sich ersichtlich, Abweichendes behaupten auch die Antragsteller nicht, nicht um die Unterschrift der Mutter –, so dass der Antragsgegner jedenfalls deshalb Veranlassung hatte, die Bevollmächtigung durch die Mutter zu bezweifeln und nach § 1 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Brandenburg (VwVfGBbg) i. V. m. § 14 Abs. 1 S. 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) den Nachweis der Bevollmächtigung durch die Mutter durch Vorlage der schriftlichen Vollmacht zu verlangen. Der Aufforderung des Antragsgegners jedoch, die Vollmacht bis zum 26. Mai 2023 nachzureichen, ist der Verfahrensbevollmächtigte weder fristgemäß noch bis zum Erlass des Widerspruchsbescheides am 02. Juni 2023 nachgekommen. Eines Hinweises, dass bei „Nichteinreichung der ‚weiteren Vollmacht‘ der Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen würde“, bedurfte es nicht. Das Verwaltungsverfahrensrecht sieht eine Hinweispflicht nicht vor und es bedarf ihrer bei einem Rechtsanwalt auch nicht etwa aus „Gründen der Klarheit und Fairness“ (so: LSG f. d. Ld. Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 16. Oktober 2013 – L 2 AS 1342/13 B –, juris Rn. 13). Ein Rechtsanwalt muss als Organ der Rechtspflege, § 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), seiner Ausbildung und Erfahrung nach vielmehr mit der Möglichkeit rechnen, dass die Widerspruchbehörde den Widerspruch ohne nochmalige Aufforderung als unzulässig zurückweist, wenn dieser seine Bevollmächtigung innerhalb der für einen ausreichend langen Zeitraum gesetzten Frist weder nachweist noch auch nur um Fristverlängerung nachsucht. Der Verweis auf die Rechtsprechung des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (Beschl. v. 18. Juni 2015 – L 8 R 999/13 B ER –, juris Rn. 32) und die dort bezeichnete Rechtsprechung zu § 13 Abs. 1 des Zehnten Buchs Sozialgesetzbuch (SGB X) trägt schon deshalb nicht, weil dort die Einlegung eines Widerspruchs durch eine Steuerberatungssozietät – und nicht einen Rechtsanwalt – in Rede stand.
Eine Heilung des Mangels war im gerichtlichen Verfahren nicht mehr möglich. Hat die Widerspruchsbehörde einen Widerspruch als unzulässig zurückgewiesen, weil der Bevollmächtigte die von ihm geforderte schriftliche Vollmacht trotz Fristsetzung bis zur Entscheidung über den Widerspruch nicht vorgelegt hat, kann die Vorlage einer Prozessvollmacht im gerichtlichen Verfahren den fehlenden Nachweis der Bevollmächtigung im Widerspruchsverfahren nicht mehr heilen, denn mit der Befugnis der Behörde, von einem Bevollmächtigten nach § 14 Abs. 1 S. 3 VwVfG einen schriftlichen Nachweis der Vollmacht zu verlangen, verfolgt das Gesetz die Absicht, eine durch den fehlenden Nachweis der Vollmacht und das Fehlen der Genehmigung des Vertretenen eingetretene Unklarheit zu einem bestimmten Zeitpunkt enden zu lassen. Dieses Ziel aber würde verfehlt, wenn der mangelnde Nachweis der Bevollmächtigung im Widerspruchsverfahren auch noch nach Zurückweisung seines Widerspruchs als unzulässig durch Vorlage einer Prozessvollmacht rückwirkend geheilt werden könnte (BVerwG, Beschl. v. 18. Juli 2022 – BVerwG 3 B 37/21 –, juris Rn. 49 – 50; Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschl. v. 17. April 1984 – GmS-OGB 2/83 –, juris Rn. 15 m. w. N.).
Eine Heilung dieses Mangels ist im gerichtlichen Verfahren aber auch nicht erfolgt. Die von dem Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller mit der Antragsschrift und auf die gerichtliche Verfügung vom 29. Juni 2023 vorgelegten Vollmachten (Bl. 4 und 36 der Gerichtsakte) erfassen das Widerspruchverfahren nicht.
Angesichts der Unzulässigkeit des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes weist die Kammer lediglich informierend darauf hin, dass es dem Klageantrag des Verfahrens VG 1 K 597/23 an der gebotenen Bestimmtheit fehlen und dem Begehren der Antragsteller auch in der Sache kein Erfolg beschieden sein dürfte.
III. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens folgt aus § 154 Abs. 1 i. V. m. § 159 S. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i. V. m. Ziffer 38.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.