Gericht | VG Cottbus 1. Kammer | Entscheidungsdatum | 31.08.2023 | |
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Aktenzeichen | 1 L 226/23 | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2023:0831.1L226.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 35 S 1 VwVfG, § 27 Abs 1 VwVG BB, § 34 VwVG BB |
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
I. Das vorläufige Rechtsschutzbegehren der Antragstellerin aus dem Antragsschriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 31. Juli 2023 ist teilweise bereits unzulässig; in jedem Fall ist es unbegründet.
1. Dem Begehren, „im Wege einer Zwischenverfügung (Hängebeschluss) dem Beklagten/Antragsgegner aufzugeben, bis zur Entscheidung über den Antrag nach § 80 VwGO keine Vollziehungsmaßnahmen in Form einer Veräußerung der fortgenommenen Tiere durchzuführen“, fehlt das Rechtsschutzbedürfnis.
Es hatte sich schon im Zeitpunkt der Antragstellung am 31. Juli 2023 erledigt, weil der Antragsgegner die am 19. Juli 2023 weggenommenen Tiere – 3 Ponys und 12 Pferde/Kleinpferde –, soweit er sie nicht den Eigentümern nach Vorlage entsprechender Nachweise ausgehändigt hatte (Bl. 2132 ff. des Verwaltungsvorgangs [VV]), bereits mit dem „Kaufvertrag für Pferde“ vom 21. Juli 2023 (N...) an einen privaten Dritten veräußert und übereignet hatte (Bl. 2129 ff. VV).
2. Der Antrag, „die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verfügung des Beklagten vom 19.07.2023 gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen…“ ist – wörtlich verstanden – ebenfalls unzulässig.
Die Antragstellerin wendet sich mit diesem Antrag (in Übereinstimmung mit ihrem Klageantrag des Verfahrens VG 1 K 739/23, „die Verfügung des Beklagten vom 19.07.2023 – Wegnahme/Sicherstellung von 3 Ponys und 12 Pferden/Kleinpferden am Standort ‚A...aufzuheben“) gegen ein von der Sachgebietsleiterin Veterinärwesen des Landkreises D... unterzeichnetes und handschriftlich ergänztes Formular, das den Anforderungen an einen Verwaltungsakt i. S. v. § 1 Abs. 1 S. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Brandenburg (VwVfGBbg) i. V. m. § 35 S. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) nicht genügt.
Zwar nimmt das mit „Wegnahme/Sicherstellung von Tieren“ überschriebene Schriftstück auf „§ 16a Tierschutzgesetz (Vernachlässigung von Tieren)“ und damit auf die wesentliche Ermächtigungsgrundlage des Tierschutzrechts Bezug, die befugt, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen zu treffen und unter anderem ein Tier, das nach dem Gutachten des beamteten Tierarztes mangels Erfüllung der Anforderungen des § 2 erheblich vernachlässigt ist oder schwerwiegende Verhaltensstörungen aufzeigt, dem Halter fortnehmen und so lange auf dessen Kosten anderweitig pfleglich unterbringen, bis eine den Anforderungen des § 2 entsprechende Haltung des Tieres durch den Halter sichergestellt ist, § 16a Abs. 1 S. 1 und S. 2 Nr. 2 S. 1 des Tierschutzgesetzes (TierSchG). Auch ist das Formular der Antragstellerin dem Einsatzbericht der Polizeidirektion Süd vom 19. Juli 2023 nach bekannt gegeben worden, indem „die Mitteilung der Tierwegnahme in den Briefkasten ihrer Wohnanschrift ... hinterlegt“ wurde (Bl. 2125 VV).
Diese Umstände genügen für sich genommen jedoch nicht, um davon ausgehen zu können, dass die Behörde hiermit aus der maßgeblichen Sicht des Empfängers, § 133, § 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) analog, auf der Rechtsgrundlage des § 16a TierSchG eine Verfügung zur Regelung eines Einzelfalls erlassen wollte. Das Schriftstück teilt der Antragstellerin mit, dass aufgrund § 16a TierschG „heute, am 19.07.2023, die Wegnahme/Sicherstellung folgender Tiere …(erfolgte)“ und es lässt mit diesem Erklärungsinhalt eine Regelung und schon im Ansatz eine Subsumtion unter die Tatbestandsvoraussetzungen der allgemeinen und besonderen Ermächtigungsgrundlagen des § 16a TierSchG vermissen. Auch im Übrigen lässt das Schriftstück weder seiner Aufmachung noch seinem Inhalt nach auf einen Verwaltungsakt schließen und die Antragstellerin konnte es auch vor dem Hintergrund der ihr bekannten Verfahrensweise des Antragsgegners – vgl. auf der einen Seite entsprechende Formulare aus dem Jahr 2022, Bl. 1786, 1788, 1789 VV, auf der anderen Seite die Ordnungsverfügung vom 10. Mai 2022, Bl. 1985 VV – auch nicht als verbindliche Regelung verstehen.
3. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wäre als Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zulässig, wenn der Antragsgegner die Tiere am 19. Juli 2023 entweder im Wege des Sofortvollzuges oder aber – was näher liegt – in Vollstreckung von Ziffer 4. der (bestandskräftigen) Ordnungsverfügung vom 10. Mai 2022 fortgenommen hätte. In beiden Fällen wäre von einem Realakt der Vollziehung – nicht aber einem Verwaltungsakt – auszugehen, so dass der Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO unstatthaft wäre. Auch fehlt dem Verwaltungsvollstreckungsrecht des Landes Brandenburg eine § 18 Abs. 2 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (VwVG) vergleichbare Regelung, wonach, sofern ein Zwangsmittel ohne vorausgehenden Verwaltungsakt angewendet wird (Fälle des § 6 Abs. 2 VwVG), hiergegen die Rechtsmittel zulässig sind, die gegen Verwaltungsakte allgemein gegeben sind (vgl. dazu ausf.: Kuznik in: Brandt/Domgörgen, Handbuch Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozess, 5. Aufl. 2023, unter E. III. Rn. 79 ff.).
Ob die Umdeutung des Antrages auf Regelung der Vollziehung nach § 80 Abs. 5 VwGO in einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO hier vor dem Hintergrund der Vertretung der Antragstellerin durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt in Betracht käme, kann dahinstehen, denn dieser Antrag wäre – jedenfalls – unbegründet. Die Antragstellerin hat zumindest einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht. Das Vorgehen des Antragsgegners unterliegt dem Prüfungsmaßstab in einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach keinen rechtlichen Bedenken.
Nach § 27 Abs. 1 S. 2 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes für das Land Brandenburg (VwVGBbg) können Zwangsmittel ohne vorausgehenden Verwaltungsakt eingesetzt werden, soweit dies zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr notwendig ist und die Vollstreckungsbehörde hierbei innerhalb ihrer Befugnisse handelt. Diese Voraussetzungen dürften vorgelegen haben. Zwar ist der Sofortvollzug aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf Fälle begrenzt, in denen der Zweck der Maßnahme nicht durch den Erlass eines Verwaltungsakts und die Anordnung von dessen sofortiger Vollziehung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO erreicht werden kann, weil etwa die polizeipflichtige Person nicht vorhanden, erreichbar oder zur Gefahrenabwehr in der Lage ist (vgl. etwa: BVerwG, Urt. v. 12. Januar 2012 – BVerwG 7 C 5.11 –, juris Rn. 23-24; Beschl. d. 3. Kammer v. 05. März 2020 – VG 3 L 639/19 –, juris Rn. 24 m. w. N.).
Die Antragstellerin hat ihr Begehren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes allerdings ungeachtet der Aufforderung in der Eingangsverfügung vom 01. August 2023 bis zum heutigen Tag nicht begründet und das Gericht hätte vorliegend keine Bedenken, dass die Voraussetzungen eines Sofortvollzuges vorgelegen hätten. Die Vollzugsbehörde hat im Rahmen ihrer Befugnisse gehandelt – nach § 1 Abs. 1 S. 1 der Tierschutzzuständigkeitsverordnung (TierSchZV) vom 30. November 2007 (GVBl. II 2007, S. 495) handeln die Landkreise und kreisfreien Städte als Kreisordnungsbehörden – und von einer gegenwärtigen Gefahr für die von der Antragstellerin gehaltenen 11 (Klein-)Pferde und Ponys geht das Gericht angesichts des Kontrollberichts der amtlichen Tierärztinnen über die ausführliche Inaugenscheinnahme der Haltungsbedingungen und des Pflege- und Ernährungszustandes der Tiere – von einer separat gehaltenen „alten Fuchsstute“ abgesehen – am 19. Juli 2023 aus. Auch Gründe der Verhältnismäßigkeit stehen einem Sofortvollzug nach § 27 Abs. 1 S. 2 VwVGBbg vor dem Hintergrund der Verfahrensgeschichte und der beharrlichen Weigerung der Antragstellerin, dem Haltungs- und Betreuungsverbot für Wirbeltiere aller Art zu genügen (bzw. vor dem Hintergrund ihrer Versuche, es zu umgehen) nicht entgegen.
Einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung bliebe auch in der Sache der Erfolg versagt, wenn der Antragsgegner in Vollzug von Ziffer 4. der Ordnungsverfügung vom 10. Mai 2022 (Bl. 1985 VV) vorgegangen wäre.
Mit dieser Verfügung hat der Landrat des Landkreises D... der Antragstellerin das künftige Halten und Betreuen von Wirbeltieren aller Arten untersagt. Das Verbot gilt auch für jede Inobhutnahme von Wirbeltieren, unabhängig davon, ob die Antragstellerin als Eigentümerin, Halterin oder Betreuerin handele, und es beinhaltet auch eine nur kurzzeitige, ggf. nur vorübergehende, Haltung oder Betreuung von Wirbeltieren.
Die Vollstreckungsvoraussetzungen liegen vor.
Das Haltungsverbot unterliegt nach § 3 Nr. 1 und 2 VwVGBbg der Vollstreckung. Der Bescheid vom 10. Mai 2022 ist der Antragstellerin am 13. Mai 2022 durch Postzustellungsurkunde ordnungsgemäß zugestellt worden (Bl. 2014 VV) und er ist nach Ablauf der einmonatigen Widerspruchsfrist, § 70 Abs. 1 S. 1 VwGO, bestandskräftig geworden, § 3 Nr. 1 VwVGBbg; im Übrigen hat die Behörde in Ziffer 6. die sofortige Vollziehung von Ziffer 4. der Ordnungsverfügung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO angeordnet und diese Anordnung hat nach wie vor Bestand, § 3 Nr. 2 VwVGBbg. Auch die besonderen Voraussetzungen der Vollstreckung eines Verwaltungsakts im gestreckten Verfahren, § 27 Abs. 1 S. 1 VwVGBbg, liegen vor. Der unmittelbare Zwang in Form einer Wegnahme von Wirbeltieren aller Art, die die Antragstellerin verbotswidrig hält oder betreut, ist ihr mit Ziffer 7. der Ordnungsverfügung vom 10.Mai 2022 schriftlich angedroht worden, § 28 Abs. 1 S. 1 VwVGBbg, und einer Fristbestimmung bedurfte es bei der Vollstreckung einer Unterlassung ebenso wenig wie im Falle eines sofortigen Vollzugs, § 28 Abs. 1 S. 3 und 4 VwVGBbg. Die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen einer Androhung des Zwangsmittels, § 28 Abs. 3 und 6 VwVGBbg – ungeachtet der Frage, inwieweit diese im vorliegenden Verfahren noch der verwaltungsgerichtlichen Überprüfung unterliegen – liegen ebenfalls vor, ein Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, § 29 Abs. 3 VwVGBbg, ist nicht ersichtlich und die Anwendung des unmittelbaren Zwangs unterliegt auch den Voraussetzungen des § 34 VwVGBbg nach keinen Bedenken, insbesondere wäre eine Anwendung von Zwangsgeld vorliegend (ersichtlich) untunlich gewesen, § 34 Abs. 2 VwVGBbg.
II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1 und 2 und § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i. V. m. den Ziffern 1.5, 35.1 und 35.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt u. a. bei Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, Ahn. § 164 Rn. 14). Das Gericht hat sich hinsichtlich der Hauptsache an den letztgenannten Ziffern orientiert, die für eine „polizeiliche Sicherstellung“ und eine „Anordnung gegen Tierhalter“ den Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG in Höhe von 5.000,00 € vorschlagen. Diesen Streitwert hat die Kammer im vorläufigen Rechtsschutzverfahren halbiert, Ziffer 1.5 S. 1 1. Hs. des Streitwertkatalogs.
Zwar entspricht der Streitwert nach Ziffer 1.7.1. des Streitwertkatalogs „in selbstständigen Vollstreckungsverfahren“ der Höhe des festgesetzten Zwangsgeldes oder der geschätzten Kosten der Ersatzvornahme und er beträgt im Übrigen lediglich ¼ des Streitwertes der Hauptsache. Diese Streitwertreduzierung ist allerdings nur gerechtfertigt, wenn sich das selbstständige Vollstreckungsverfahren als ein Nebenverfahren zu einem bereits gegen den Vollstreckungsschuldner als Hauptverfahren geführtes Verwaltungs- oder Erkenntnisverfahren darstellt (vgl. etwa: Sächsisches OVG, Beschl. v. 3. Juni 2020 – 5 E 6/20 –, juris Rn. 3 m. w. N.). Das steht vorliegend nicht inmitten.