Gericht | VG Cottbus 6. Kammer | Entscheidungsdatum | 28.07.2023 | |
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Aktenzeichen | 6 K 1697/20 | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2023:0728.6K1697.20.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 12 Abs 1 Nr 3 Buchst b AO, § 122 AO, § 8 KAG BB, § 130 Abs 1 AO |
Der Bescheid des Beklagten vom 24. April 2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2020 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger wendet sich gegen einen Aufhebungsbescheid des seinerzeit ergangenen Beitragsbescheides vom 7. August 2007 Bescheid-Nr.: 3... an die S.... Die GmbH ist am 23. Dezember 2010 aus dem Handelsregister gelöscht worden.
Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks R....
Mit Schreiben vom 16. April 2020 bat der Beklagte den Kläger um Stellungnahme bis zum 23. April 2020 dahingehend, dass der Verband die Absicht verfolge den oben benannten Beitragsbescheid aufzuheben.
Mit persönlich in den Briefkasten des Prozessbevollmächtigten des Klägers eingeworfenem Bescheid vom 24. April 2020 hob der Beklagte den oben benannten Beitragsbescheid gegenüber dem Kläger auf. Zur Begründung führte er aus, dass der Bescheid vom 7. August 2007, der gegenüber der S... seinerzeit erlassen wurde, rechtswidrig gewesen sei, weil es im Zeitpunkt des damaligen Bescheiderlasses an einer wirksamen Beitragssatzung gefehlt habe und die sachliche Beitragspflicht dementsprechend noch nicht entstanden sei. Ein rechtswidriger Bescheid könne auch nach Eintritt der Bestandskraft jederzeit mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Durch die Aufhebung des Bescheides entfalle die vom V... mit Urteil vom 11. Februar 2020 (Az.: 6 K 2979/17) festgestellte Sperrwirkung des Beitragsbescheides Nr. 3... mit Wirkung zum Zeitpunkt der Rücknahme am 7. August 2007. Dies habe zur Folge, dass der auf das Flurstück 1... entfallende - im Bescheid vom 24. November 2015 auf 18.664,74 Euro festgesetzte - Anschlussbeitrag in voller Höhe zu erheben sei. Der Aufhebungsbescheid habe nicht nur an die L... als seinerzeitige Adressatin gerichtet werde können. Vielmehr habe der Bescheid auch an den jeweils Betroffenen gerichtet werden können. Betroffen sei neben dem Adressaten jeder, der durch den Aufhebungsbescheid selbst beschwert sei. Dies sei vorliegend der Kläger.
Hiergegen legte der Kläger am 18. Mai 2020 Widerspruch ein und begründete ihn damit, dass der Bescheid dem Kläger nicht wirksam bekannt gegeben worden sei. Die Bescheidaufhebung sei rechtsmissbräuchlich. Aus seiner Sicht sei der aufgehobene bestandskräftige Bescheid nicht rechtswidrig gewesen. Alleine die fehlende Beitreibbarkeit impliziere nicht die Rechtswidrigkeit des Bescheides. Die Bescheidaufhebung diene lediglich dazu, anderweitig den fehlenden Beitrag einziehen zu können. Es mangele dem Aufhebungsbescheid an einer ordnungsgemäßen Begründung.
Mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2020 wies der Beklagte den eingelegten Widerspruch zurück. Zur Begründung gab er an, dass der Bescheid auch gegenüber dem Prozessbevollmächtigten bekannt gegeben werden könne und diesem bekannt gegeben werden solle, wenn eine schriftliche Empfangsvollmacht vorliege. Der von ihm im Widerspruchsverfahren gegen den Beitragsbescheid vom 24. November 2015 vorgelegten Vollmacht sei zu entnehmen, dass der Prozessbevollmächtigte zur Entgegennahme von Zustellungen und Mitteilungen berechtigt sei. Eine Beschränkung der Zustellbevollmächtigung auf Zustellungen im Rahmen des Verfahrens zum Geschäftszeichen 6 K 2979/17 sei der Vollmacht nicht zu entnehmen. Der Aufhebungsbescheid sei rechtmäßig. Das hierzu gegebene Ermessen sei ordnungsgemäß unter Abwägung des Interesses an der Beseitigung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes und des Interesses an der Beibehaltung der Bestandskraft ausgeübt worden. Im Rahmen der Abwägung sei berücksichtigt worden, dass bereits mehrere Altbescheide in vergleichbaren Fällen aufgehoben worden seien, um die Beitragserhebung auf eine satzungsgemäße Rechtsgrundlage zu stützen. Zur Wahrung des Gleichheitsgrundsatzes und der daraus abzuleitenden gleichmäßigen Verwaltungspraxis sei es notwendig gewesen, auch im hiesigen Verfahren den rechtswidrig ergangenen Bescheid aufzuheben. Der beklagte Verband sei gesetzlich dazu verpflichtet Erschließungsbeitragsansprüche in vollem Umfang auszuschöpfen und zu erheben. Hier überwiegten die wirtschaftlichen Interessen des Verbandes. Zwar sei die durch die Bestandskraft des ursprünglichen Bescheides vermittelte Rechtssicherheit und der Rechtsfrieden zu berücksichtigen, es bestünde grundsätzlich aber kein schützenswertes Interesse an der Aufrechterhaltung rechtswidriger, belastender Verwaltungsakte. Es überwiege insofern das Interesse der Allgemeinheit an der Herstellung rechtmäßiger Zustände.
Daraufhin hat der Kläger am 27. Oktober 2020 Klage erhoben.
Er ist ergänzend zu seinem Vortrag aus dem Widerspruch der Ansicht, dass es an einer ordnungsgemäßen Anhörung fehle. Eine Bevollmächtigung im hiesigen Verfahren habe erst nach Bescheiderlass vorgelegen. Eine Zustellbevollmächtigung an den Prozessbevollmächtigten habe weder für das Anhörungsschreiben noch den streitgegenständlichen Bescheid vorgelegen. Eine Empfangsvollmacht könne auch nicht aus dem vor dem V... geführten Verfahren 6 K 2979/17 konstruiert werden, weil die Vollmacht sich nur auf dieses Verfahren erstreckt habe. Ebenso sei er nicht der richtige Bescheidadressat gewesen. Der Verwaltungsakt sei demjenigen bekanntzugeben, für den er bestimmt sei oder der von ihm betroffen sei. Der aufgehobene Bescheid sei seinerzeit gegenüber der damaligen Eigentümerin, der S... erhoben worden. Der Rücknahmebescheid habe insofern ihr gegenüber bekannt gegeben werden müssen. Er selbst sei allenfalls Drittbetroffener. Etwaige Schwierigkeiten bei der Bekanntgabe könnten nicht zu seinen Lasten gehen. Die bloße Rechtswidrigkeit des Bescheides reiche für dessen Rücknahme nicht aus. Der Beklagte habe ermessensfehlerhaft gehandelt, lediglich mit dem Ziel einen insolventen Schuldner gegen einen Solventen auszutauschen. Dass auch andere Altbescheide aufgehoben worden seien, sei ihm nicht bekannt. Erst aufgrund der zitierten Kammerentscheidung des V... habe der Beklagte sich zur Bescheidrücknahme entschieden. Da dem Beklagten der rechtswidrige Zustand bereits schon seit Jahren bekannt gewesen sei, sei Verwirkung eingetreten. Im Verhältnis zu ihm stelle sich der aufgehobene Bescheid als begünstigender Verwaltungsakt dar, so dass er nur nach den Regeln eines begünstigenden Verwaltungsaktes ihm gegenüber habe aufgehoben werden dürfen. Diese Voraussetzungen seien nicht gegeben. Die Rücknahmefrist für einen begünstigenden Verwaltungsakt sei ebenfalls abgelaufen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 24. April 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2020 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist ergänzend zu seinem Vorbringen aus dem Widerspruchsbescheid der Ansicht, dass die Äußerungsfrist der Anhörung angemessen gewesen sei. Jedenfalls sei sie im Widerspruchsverfahren geheilt worden. Die eigentliche Inhaltsadressatin, die S... sei nach Löschung aus dem Handelsregister am 23. Dezember 2010 nicht mehr existent gewesen, so dass die Bekanntgabe an sie nicht mehr möglich und nicht erforderlich gewesen sei. Der Bescheid habe somit dem Betroffenen, also hier dem Kläger bekanntgegeben werden können. Mit der Bescheidrücknahme falle die Sperrwirkung der Beitragserhebung für den klägerischen Grundstücksteil weg. Selbst wenn der Prozessbevollmächtigte nicht zur Entgegenahme bevollmächtigt gewesen sei, so trete Heilung ein, wenn der fehlerhaft bekanntgegebene Bescheid an den Adressaten weitergeleitet werde. Bereits mit Fax vom 21. April 2020 habe der Prozessbevollmächtigte auf die notwendige Rücksprache mit seinem Auftraggeber verwiesen. An der tatsächlichen Weiterleitung an den Kläger und dessen Kenntnisnahme bestünden keine Zweifel. Die Rücknahme des Bescheides sei innerhalb eines Jahres nach Kenntnis der Sperrwirkung erfolgt. Kenntnis von der Sperrwirkung habe er erst nach der Feststellung des Gerichts vom 11. Februar 2020 erlangt; der Aufhebungsbescheid datiere vom 24. April 2020. Der aufgehobene Beitragsbescheid sei für den Kläger kein begünstigender Verwaltungsakt gewesen. Die Entscheidung über die Rücknahme sei angemessen und verhältnismäßig. Ein schutzwürdiges Interesse des Adressaten oder Drittbetroffenen bestehe regelmäßig nicht.
Der Berichterstatter konnte im Einverständnis der Beteiligten gemäß§ 87a Abs. 2, 3 VwGO anstelle der Kammer und nach § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides ist rechtswidrig und verletzt den Kläger daher in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
Gemäß § 130 Abs. 1 AO kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b des Kommunalabgabengesetzes für das Land Brandenburg (KAG) ist § 130 AO hier anwendbar.
Der aufgehobene Bescheid war rechtswidrig, weil es ihm bereits an einer tauglichen Rechtsgrundlange mangelte (vgl. hierzu: VG Cottbus, Urteil vom 14. Mai 2009 – 6 K 1037/05 –, juris; Rn. 49 ff.). Gemäß § 130 Abs. 1 AO kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Auch wenn es dem Beklagten insoweit prinzipiell freisteht, den rechtswidrigen Bescheid zurückzunehmen, so muss dieser allerdings an den richtigen Adressaten gerichtet sein. Ein Rücknahmebescheid ist an den Adressaten des zurückzunehmenden Bescheides zu richten bzw. an dessen Rechtsnachfolger. Adressat des ursprünglichen Bescheides ist nicht der Kläger, sondern die G... gewesen, so dass der Bescheid ihr bzw. ihrem Gesamtrechtsnachfolger gegenüber hätte ergehen müssen (vgl. hierzu bereits VG Cottbus, Urteil vom 1. April 2020 – 4 K 2779/17 –, juris, Rn. 42). Bei dem Kläger handelt es sich nicht um den Rechtsnachfolger der G..., so dass er vorliegend nicht Adressat des Rücknahmebescheides sein kann. Er ist auch nicht, wie seitens des Beklagten vorgetragen, Betroffener im Sinne des § 122 AO, weil er selber auch nicht mittelbar Regelungsadressat des zurückgenommenen Bescheides gewesen ist. Der damalige Beitragsbescheid, der nunmehr zurückgenommen werden soll, war kein Verwaltungsakt mit Drittwirkung. Er löste zugunsten des Klägers nur die Folge aus, als Nachfolger im Grundeigentum nicht mehr zu demselben Beitrag herangezogen werden zu können, wie er gegenüber der Voreigentümerin festgesetzt worden war. Diese Folge konnte dem Kläger allerdings keine eigene Rechtsposition etwa in dem Sinne verleihen, dass er gegen eine Rücknahme, die gegenüber dem ursprünglichen Beitragsadressaten ausgesprochen worden wäre, etwa eine Drittanfechtungsklage habe erheben können. Hierfür hätte es ihm an der notwendigen Klagebefugnis gemangelt. Hieraus folgt insoweit die Konsequenz, dass der Kläger auch nicht an die Stelle des ursprünglichen Beitragspflichtigen treten kann, so dass eine Rücknahme, die an ihn als Inhaltsadressaten ausgesprochen wird, ins Leere geht.
Vor diesem Hintergrund kommt es auf die weiteren klägerischen Einwendungen nicht weiter an.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Vollstreckbarkeitsentscheidung folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 2 ZPO.