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Entscheidung 9 L 168/23


Metadaten

Gericht VG Cottbus 9. Kammer Entscheidungsdatum 25.08.2023
Aktenzeichen 9 L 168/23 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2023:0825.9L168.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen § 123 VwGO

Tenor

1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts für das Eilverfahren wird abgelehnt.

2. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.

Die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladen, die diese selbst trägt, tragen die Antragsteller.

3. Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Antragsteller auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung ihres Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt, weil die Rechtsverfolgung – wie es sich aus den nachstehenden Gründen ergibt – keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 S. 1 VwGO i. V. m. § 114 Abs. 1 S. 1 und § 121 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO)).

Der auf einstweiligen Rechtsschutz gerichtete Antrag mit dem sinngemäßen Antragsbegehren,

den Antragsgegner vorläufig zu verpflichten, die in den Fiktionsbescheinigungen der Antragsteller und eventuell nachfolgend erteilten Aufenthaltstiteln enthaltene Auflage, ihren Wohnsitz im Land B... zu nehmen, aufzuheben und den Antragsstellern zu gestatten, ihren Wohnsitz im Freistaat S... und namentlich in der L... (Beigeladene) zu nehmen,

hat keinen Erfolg.

Der insoweit statthafte und von den anwaltlich vertretenen Antragstellern ausdrücklich als solcher auch gestellte Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO ist nicht begründet. Nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) sind dabei glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Dem Wesen und Zweck der einstweiligen Anordnung entsprechend kann das Gericht dabei grundsätzlich nur vorläufige Regelungen treffen und einem Antragsteller nicht schon in vollem Umfang, wenn auch nur auf beschränkte Zeit und unter Vorbehalt einer Entscheidung in der Hauptsache, das gewähren, was er nur in einem Hauptsacheverfahren erreichen könnte. Ein Antrag ist dann auf eine (grundsätzlich unzulässige) Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, wenn und soweit die im Anordnungsverfahren begehrte Regelung in Inhalt und Wirkung der Entscheidung im Klageverfahren entspricht (vgl. Finkelnburg/Jank, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Auflage, Rdnr. 203). So liegt es aber hier, denn die Antragsteller wollen – wenn auch zunächst nur begrenzt bis zur Entscheidung in der Hauptsache (VG 9 K 321/23) – erreichen, dass sie ihren Wohnsitz nicht mehr im Land B... zu nehmen haben, sondern diesen in S... und insbesondere in der L... nehmen können. Sie wären – im Falle eines Erfolges ihres Antragsziels – damit so gestellt, als ob sie bereits in der Hauptsache obsiegt hätten. Mit diesem Begehren müssen sie sich jedoch auf das Hauptsacheverfahren verweisen lassen, es sei denn – was hier nicht der Fall ist – es lägen Gründe vor, die ausnahmsweise etwas anderes gebieten würden. Eine Durchbrechung des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache kommt dabei nur dann in Betracht, wenn das Abwarten in der Hauptsache für die Antragsteller unzumutbar wäre (vgl. BVerwG, B. v. 21. Januar 1999 – 11 VR 8.98 – juris Rn. 5). Eine solche Ausnahme setzt unter dem Gesichtspunkt der Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs voraus, dass das Rechtsschutzbegehren in der Hauptsache schon aufgrund der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes lediglich summarischen Prüfung erkennbar Erfolg haben wird. Im Rahmen des Anordnungsgrundes muss ein Antragsteller darüber hinaus glaubhaft machen, dass ihm ohne die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes schwere und unzumutbare, anders nicht abwendbare Nachteile entstehen, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (vgl. BVerwG, B. v. 08. September 2017 – 1 WDS-VR 4.17 – juris Rn. 15).

Hiervon ausgehend haben die Antragsteller einen die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Ein solcher ergibt sich zunächst nicht mit Blick auf den vom Antragsteller zu 1. bei dem U... beabsichtigten Sprachkurs. Dabei kann dahinstehen, ob der Antragsteller zu 1. hinreichend glaubhaft gemacht hat, dass es in unmittelbarer Nähe seines derzeitigen Wohnortes in S... bzw., worauf es vor dem Hintergrund, dass eine Wohnsitznahme im Land B... in Rede steht, ankommen dürfte, im gesamten Land B... gegebenenfalls auch im Land B..., was bekanntlich zentral in B... gelegen ist, keinen vergleichbaren Sprachkurs gibt. Selbst wenn man hier zu Gunsten des Antragstellers zu 1. unterstellt, er müsse und könne nur den in D... angebotenen Sprachkurs absolvieren, ist festzustellen, dass von S... bis zum Hauptbahnhof D... im Stundentakt eine Zugverbindung besteht. So fährt z.B. ausweislich der Angaben der Fahrplanauskunft der Deutschen Bahn (https://reiseauskunft.bahn.de) ein Zug um 5.47 Uhr von S..., der laut Fahrplanauskunft um 7.05 Uhr am Hauptbahnhof D... ankommt, so dass der Antragsteller zu 1. den nach seinem Vorbringen um 8.00 Uhr beginnenden Sprachkurs zeitlich erreichen kann. Die Fahrtzeit beträgt dabei gerade einmal ca. 1 Stunde und 20 Minuten, was – auch unter Berücksichtigung der Zeiten zum bzw. von den jeweiligen Bahnhöfen – angesichts dessen, dass in der modernen Berufs- und Arbeitswelt viele Arbeitnehmer täglich längere Zeit zwischen Wohn- und Arbeitsort pendeln und diese teils noch längere Fahrtzeiten in Kauf nehmen, ersichtlich nicht derart schwerwiegend ist, dass dem Antragsteller zu 1. bzw. den Antragstellern in ihrer Gesamtheit und Familie, schwere und unzumutbare Nachteile drohen würden.

Ein die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigender Anordnungsgrund ist auch nicht glaubhaft gemacht, soweit auf einen Arbeitsvertrag der Antragstellerin zu 2. mit der Firma E... verwiesen wird, dessen Abschluss nach dem Vortrag der Antragstellerin zu 2. von einem Wohnortwechsel nach D... abhängig sei. Ausweislich des vorgelegten Arbeitsvertrages soll die Antragstellerin zu 2. als „Bürohelferin und Betreuerin arabischer Patienten“ tätig werden; das monatliche Gehalt soll 975,- Euro, der Stundenlohn 12,50 Euro, die wöchentliche Arbeitszeit 18 Stunden betragen. Die Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes scheitert vorliegend bereits daran, dass die Antragstellerin zu 2. nicht glaubhaft gemacht hat, dass es ihr in S... bzw. in anderen Regionen des Landes B... nicht möglich sein soll, eine Arbeitsstelle mit einem vergleichbaren, im Übrigen nur knapp über dem Mindestlohn liegenden Stundenlohn und vergleichbaren Bedingungen zu erhalten. Sie hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass die von ihr angestrebte Beschäftigung als „Bürohelferin und Betreuerin arabischer Patienten“ eine besondere berufliche Qualifikation voraussetzen würde und es ihr deshalb oder aus anderen z.B. gesundheitlichen Gründen nicht zuzumuten wäre, in anderen Tätigkeitsbereichen eine Arbeitsstelle im Raum S... bzw. in B... anzunehmen.

Soweit die Antragsteller zudem behaupten, die Betreuung der Kinder und namentlich des Antragstellers zu 5. sei infolge der Abwesenheiten der Eltern nicht sicherzustellen, was eine Gefährdung des Kindeswohls darstelle, ist auch insoweit kein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Wie eben dargelegt, ist bereits nicht glaubhaft gemacht, dass die Antragstellerin zu 2. die ihr angebotene Arbeit bei der Firma E... in D... aufnehmen müsse, so dass nach Lage der Dinge auch nicht erkennbar ist, aus welchen Gründen eine Betreuung der Kinder der Antragsteller zu 1. und 2., soweit diese überhaupt noch minderjährig sind und einer Betreuung bedürfen, nicht sichergestellt sein könnte.

Hinsichtlich der von den Antragstellern in Bezug auf die schulische Ausbildung des Antragstellers zu 4. vorgebrachten Behauptungen, dass dieser einen Sprachkurs und er namentlich eine Schule, die „Deutsch als Zweitsprache“ anbiete, benötige, verweist die Kammer auf den Vortrag des Antragsgegners in dessen Schriftsatz vom 31. Juli 2023, in welchem dieser substantiiert dargelegt hat, dass es in S... aber auch im Raum C... mehrere Möglichkeiten gibt, bei denen die entsprechende Sprachförderung geboten werde. Gegenteiliges haben die Antragsteller nicht substantiiert glaubhaft gemacht. Zudem haben die Antragsteller, sollte es – wie von ihnen behauptet – tatsächlich keine Schule mit dem Angebot „Deutsch als Zweitsprache“ geben, nicht glaubhaft gemacht, dass die anderen in S... vorhandenen Integrations- und Sprachangebote ungeeignet sein könnten, dass sich der Antragsteller zu 4. sprachlich und auch im Übrigen in Deutschland integrieren kann. Hier bleibt auch unklar, woraus die Antragsteller schließen, der Antragsteller zu 4. habe einen Anspruch auf eine Schule mit den von ihnen gewünschten Angeboten. Schließlich ist nicht glaubhaft gemacht, weshalb der Antragsteller zu 4. auf eine Schule angewiesen sein sollte, die „Deutsch als Zweitsprache“ anbietet, und er nicht an anderen Sprachkursen teilnehmen könne. Allein die nicht weiter substantiierte Behauptung, der Antragsteller zu 4. benötige dringend einen qualifizierten Sprachkurs wie „Deutsch als Zweitsprache“ genügt insoweit ersichtlich nicht, weil sich aus dieser die Gründe und Umstände, weshalb der Antragsteller zu 4. gerade eine solche Schule benötigen soll und andere Angebote zur Vermittlung der deutschen Sprache für seine Person von vornherein untauglich seien, nicht entnehmen lassen.

Soweit darüber hinaus noch vorgebracht wird, es sei auf „unzumutbare Einschränkungen und eine besondere Härte für die Kinder hingewiesen, die bereit und in der Lage sind, an Integrationsangeboten, insbesondere zur Sprachförderung teilzunehmen“, ist darauf hinzuweisen, dass bundesweit und auch im Land B... Sprach- und Integrationskurse angeboten werden und es den Antragstellern zu 3. bis 5. freisteht, an solchen teilzunehmen. Im Übrigen verbleibt das Vorbringen der Antragsteller im Unsubstantiierten und ist damit nicht geeignet, einen Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Hinsichtlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die keinen eigenen Antrag gestellt hat und die deshalb auch kein Kostenrisiko eingegangen ist (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO), ergibt sich die Kostenentscheidung aus § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 und § 52 Abs. 1 und 2 VwGO. Angesichts der erstrebten Vorwegnahme der Hauptsache kommt eine Reduzierung dieses Betrages (Auffangwert 5.000,- Euro) für das Eilverfahren nicht in Betracht.