Gericht | VG Cottbus 1. Kammer | Entscheidungsdatum | 17.08.2023 | |
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Aktenzeichen | 1 L 222/23 | ECLI | ECLI:DE:VGCOTTB:2023:0817.1L222.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 50 SchulG BB, § 99 SchulG BB, § 103 SchulG BB, § 106 Abs 4 S 3 SchulG BB |
1. Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Sohn der Antragsteller O... vorläufig ab dem Schuljahr 2023/2024 den Besuch der V... -Grundschule S... zu gestatten.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 € festgesetzt.
I. Der Antrag ist zulässig und begründet.
Nach § 123 Abs. 1 S. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gefahr zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der jeweilige Antragsteller das Bestehen eines materiell-rechtlichen Anspruchs auf die begehrte Leistung (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit einer Entscheidung durch das Verwaltungsgericht (Anordnungsgrund) glaubhaft macht, § 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 und § 294 der Zivilprozessordnung (ZPO).
Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch und einen Anordnungsgrund (unter 3.) glaubhaft gemacht. Zwar hat der Sohn der Antragsteller grundsätzlich die für ihn zuständige Grundschule in B... ) zu besuchen (sogleich unter 1.); den Antragstellern steht jedoch mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit ein Anspruch zu, dass der Antragsgegner den Besuch der Grundschule in S... gestattet, denn es lässt sich zum einen nicht feststellen, dass die Kapazität dieser Schule erschöpft ist (unter 2.1) und zum anderen haben die Antragsteller auch einen wichtigen (sozialen) Grund hinreichend glaubhaft gemacht (unter 2.2).
1. Die Grund- und Oberschule „M... “ in B... ) ist nach der in einem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen und gebotenen Prüfung die für das Kind der Antragsteller zuständige Grundschule.
Grundschülerinnen und Grundschüler haben nach § 106 Abs. 4 S. 1 des Brandenburgischen Schulgesetzes (BbgSchulG) die für die Wohnung oder den gewöhnlichen Aufenthalt zuständige Schule zu besuchen. Die örtlich zuständige Schule wird von den Gemeinden oder Gemeindeverbänden festgelegt. Nach § 3 der Satzung über die Bildung von Schulbezirken für die Grundschulen des Amtes B... (Schulbezirkssatzung) vom 06. Januar 2015 bildet unter anderem das Gebiet der Gemeinde B... den Schulbezirk der Primarstufe der Grund- und Oberschule B... Substantiierte Bedenken hiergegen sind weder dargelegt noch veranlasst. Die Schulbezirkssatzung ist, wie sich im Internet ohne Weiteres verstellen lässt, im Amtsblatt für das Amt B... Nr. I vom 14. Januar 2015, S. 2, bekannt gemacht worden und im Übrigen verkennen die Antragsteller mit ihrem pauschalen „Bestreiten“ einer ordnungsgemäßen Veröffentlichung der Schulbezirkssatzung aus dem Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 02. August 2023 grundlegend ihre Darlegungslast im Rahmen eines verwaltungsgerichtlichen (Eil-)Verfahrens, in dem die Wirksamkeit einer kommunalen Satzung in Rede stehen könnte. Auch der Amtsermittlungsgrundsatz des § 86 Abs. 1 S. 1 VwGO verpflichtet das Gericht nicht zu einer ins Einzelne gehenden Prüfung der formellen und materiellen Wirksamkeit einer kommunalen Satzung „ins Blaue hinein“, sofern ihm nicht Satzungsmängel nachvollziehbar aufgezeigt werden oder sich ihm solche Mängel aufdrängen (vgl. etwa OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 14. November 2013 – OVG 9 B 35.12 –, juris Rn. 29).
2. Nach § 106 Abs. 4 S. 3 BbgSchulG kann das staatliche Schulamt aus wichtigem Grund den Besuch einer anderen als der örtlich zuständigen Grundschule gestatten – insbesondere, wenn (Nr. 1) die zuständige Schule nur unter Schwierigkeiten erreicht werden kann, (Nr. 2) dies die Wahrnehmung des Berufsausbildungsverhältnisses erleichtern würde, (Nr. 3) pädagogische Gründe hierfür sprechen oder (Nr. 4) soziale Gründe vorliegen –, und wenn die Aufnahmekapazität der anderen Schule nicht erschöpft ist.
2.1 Es lässt sich nicht feststellen, dass die Aufnahmekapazität der von den Antragstellern gewünschten V... -Grundschule S... erschöpft ist.
Die Aufnahmekapazität einer Schule ist nach § 50 Abs. 3 S. 2 BbgSchulG so zu bemessen, dass nach Ausschöpfung der verfügbaren personellen, räumlichen, sächlichen und fachspezifischen Ausstattung die Unterrichts- und Erziehungsarbeit gesichert ist. Wie die Aufnahmekapazität einer Schule im Einzelnen zu bestimmen ist – und, mit Blick auf die divergierenden Auffassungen des Amtes L... und der Schulleitung der V... -Grundschule auf der einen und des Staatlichen Schulamtes auf der anderen Seite vor allem die Frage, welche Stelle über die Frage der Zügigkeit neu einzurichtender Klassen zu befinden hat –, ergibt sich aus weiteren Vorschriften des formellen Landesrechts und Verwaltungsvorschriften in Verbindung mit den örtlichen Gegebenheiten (vgl. zuletzt: Beschl. d. Kammer v. 11. August 2023 – VG 1 L 180/23 –, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Nach § 103 Abs. 1 S. 1, 2 und 3 BbgSchulG müssen Schulen die für einen geordneten Schulbetrieb erforderliche Zahl von Parallelklassen (Zügigkeit) haben und sie müssen im Grundsatz mindestens zweizügig, Grundschulen müssen mindestens einzügig, sein.
Die im Schuljahr 2023/2024 neu einzurichtende(n) Primarklasse(n) der V... -Grundschule S... (A... ) soll(en) nach den von Seiten des Antragsgegners vorgelegten Unterlagen des Schulträgers und der Schulleitung zweizügig geführt werden. Der Antragsgegner vertritt demgegenüber die Auffassung, die Schule sei insoweit einzügig zu führen und in diesem Fall sei die Aufnahmekapazität der neu einzurichtenden 1. Klasse mit 28 Schülerinnen und Schülern erschöpft.
Zwar mag die Auffassung des Antragsgegners, die Aufnahme eines zusätzlichen Schülers sei bei einem einzügigen 1. Jahrgang des neu einzurichtenden Primarbereichs der Grundschule aus Rechtsgründen nicht möglich, zutreffen: Nach § 103 Abs. 4 S. 2 BbgSchulG legt das für Schule zuständige Ministerium unter anderem die Richtwerte für die Klassenfrequenz neu einzurichtender Klassen (Nr. 1.) und die Bandbreiten für die Klassenfrequenz bestehender Klassen (Nr. 2.) fest. In Übereinstimmung mit diesen Vorgaben des Brandenburgischen Schulgesetzes bestimmt Nr. 5 Abs. 1 S. 1 der hiernach maßgeblichen Verwaltungsvorschriften des Ministeriums für Bildung, Jugend und Sport über die Unterrichtsorganisation vom 26. Juli 2017 (VV-Unterrichtsorganisation – ABl. MBJS/17, S. 302), dass bei der Einrichtung von Klassen unter anderem in den Jahrgangsstufen 1 und 7 der jeweilige Frequenzrichtwert gemäß Anlage 1 gilt; für die Fortführung bestehender Klassen gilt die Bandbreite gemäß Anlage 1, die durch den oberen und den unteren Wert bestimmt wird, Nr. 5 Abs. 2 S. 1 und 2 VV-Unterrichtsorganisation. Die Anlage 1 VV-Unterrichtsorganisation wiederum setzt den Frequenzrichtwert bei Grundschulen und Primarstufenteilen von Schulzentren auf 23 Schülerinnen und Schüler fest; die – nach § 103 Abs. 4 S. 2 BbgSchulG und Nr. 5 Abs. 1 und 2 VV-Unterrichtsorganisation für die Fortführung bestehender Klassen relevante (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. vom 2. September 2021 – OVG 3 S 102/21 –, juris Rn. 7) – Bandbreite beträgt danach 15 bis 28 Schülerinnen und Schüler. Hiervon ausgehend würde sich die Schule bei Aufnahme des Antragstellers mit 29 Schülerinnen und Schülern nicht nur außerhalb des Frequenzrichtwertes, sondern ebenfalls außerhalb der Bandbreite bewegen.
Hierauf kommt es jedoch nicht entscheidungserheblich an, weil der Antragsgegner auch auf wiederholte gerichtliche Verfügungen nicht nachvollziehbar aufgezeigt hat, dass die Einrichtung einer weiteren Klasse in der zum Schuljahr 2023/2024 einzurichtenden 1. Jahrgangsstufe der Grundschule ausscheidet. Vielmehr spricht derzeit Überwiegendes dafür, dass diese Entscheidung solange nicht der Kompetenz des Antragsgegners unterfällt, solange der Schulträger mit seiner abweichenden Entscheidung zur Zügigkeit nicht gegen geltendes Recht verstoßen würde. Das jedoch lässt sich nach derzeitiger Sachlage nicht feststellen.
Der Schulträger – nämlich diejenige juristische oder natürliche Person, die für die Errichtung, Organisation und Verwaltung der einzelnen Schule rechtlich unmittelbar die Verantwortung trägt und zur Unterhaltung der Schule eigene Leistungen erbringt, § 2 Nr. 7 BbgSchulG – verwaltet seine Schulangelegenheiten in eigener Verantwortung nach Maßgabe dieses Gesetzes, § 99 Abs. 1 BbgSchulG. Er beschließt über die Errichtung, Änderung und Auflösung einer Schule und unterhält und verwaltet die Schule als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe, § 99 Abs. 2 S. 1 BbgSchulG, wobei er insbesondere die Schulanlagen, Gebäude, Einrichtungen, Lehrmittel und das sonstige Personal stellt, § 99 Abs. 2 S. 2 BbgSchulG.
Die äußeren Schulangelegenheiten führt die Schulleitung in enger Zusammenarbeit mit dem Schulträger durch, dessen Anordnungen für sie verbindlich sind, § 70 Abs. 4 S. 1 und 2 BbgSchulG. Zu diesen äußeren Schulangelegenheiten gehört auch die, vorliegend inmitten stehende, Frage der Zügigkeit der jeweiligen Schule, die zuvörderst von dem Schulträger zu entscheiden ist (zur entspr. Rechtlage in Nordrhein-Westfalen: OVG f. d. Ld. Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 31. Juli 2023 – 19 B 692/23 –, juris Rn. 4; VG Köln, Beschl. v. 01. Dezember 2021 – 10 L 1743/21 –, juris Rn. 11).
Vorliegend hat das Amt L... als Schulträger der V... -Grundschule S... auf Grund einer Bedarfserhöhung zum Schuljahr 2023/2024 die Einrichtung einer zweizügigen ersten Jahrgangsstufe an dieser Grundschule beschlossen, die – soweit die Kammer das auf Grund der ihr von Seiten des Antragsgegners vorgelegten Unterlagen beurteilen kann – keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken unterliegt und die den Antragsgegner im Rahmen des Tatbestandsmerkmals der Kapazität nach § 106 Abs. 4 S. 3 BbgSchulG bindet. Die Schulleiterin der V... -Grundschule ist in ihrem Schreiben an den Schulträger vom 07. August 2023 (vgl. die „Ergänzung“ des Verwaltungsvorgangs um die mit Schriftsatz des Antragsgegners vom 08. August 2023 nachgereichten „Anlagen“) davon ausgegangen, dass eine Kapazitätserhöhung von 180 auf 190 Schülerinnen und Schüler im Schuljahr 2023/2024 notwendig sei und dass die bisherige Kapazität von 180 Kindern (und erst Recht die Schulentwicklungsplanung des Landkreises, die noch von 161 Schülerinnen und Schülern ausging) daher überholt sei. Aufgrund der aktuellen Aufnahmen von ukrainischen Schülern und der Bereitstellung von Plätzen für Heimkinder sei die bisherige Kapazität nicht ausreichend. Die Schule sei – wie bereits 2008/2009 und 2013/2014 – „sowohl personell als auch räumlich in der Lage (…), 10 Klassen zu führen“. Diese Kapazitätserhöhung hat der Schulträger mit Schreiben vom 03. „Juli“ 2023 gebilligt und ebenfalls dem Wunsch der Schule nach der Einrichtung einer weiteren 1. Klasse in dem neuen Schuljahr zugestimmt.
Zwar ist der Schulträger im Rahmen seiner kommunalen Selbstverwaltung, Art. 28 Abs. 2 S. 1 des Grundgesetzes (GG) und Art. 97 Abs. 1 S. 1 der Verfassung des Landes Brandenburg (Verf BB) – so auch bei der ihm obliegenden Organisation des äußeren Schulbetriebs – an das geltende Recht gebunden (vgl. die Formulierung in Art. 28 Abs. 1 S. 2 GG „im Rahmen der Gesetze“ und Art. 97 Abs. 1 S. 2 Verf BB). So steht die Entscheidung des Schulträgers über die Zügigkeit der Schule unter dem Vorbehalt eines geordneten Schulbetriebs, § 103 Abs. 1 S. 1 BbgSchulG, und dieser geordnete Schulbetrieb wird auch durch Verwaltungsvorschriften über die Unterrichtsorganisation, so durch die darin festgelegten Frequenzrichtwerte und Bandbreiten, ausgestaltet. Dass die vom Schulträger festgelegte Zweizügigkeit der ersten Klassen an der V... -Grundschule dem entgegensteht, lässt sich jedoch nicht zur Überzeugung des Gerichts feststellen. Zwar ist in dem Schriftsatz des Antragsgegners vom 08. August 2023 weiterhin die Rede davon, die Schule habe insgesamt 28 Schülerinnen und Schüler aufgenommen. Dieser Vortrag lässt sich jedoch nach wie vor nicht überprüfen, weil der Antragsgegner Unterlagen lediglich auszugsweise vorlegt bzw. diese nicht hinreichend aussagekräftig sind. So ist etwa hinsichtlich der als Blatt 85 des „Verwaltungsvorgangs“ vorgelegten Schülerliste (“Aufstellung 1. Klasse“) offen, wann und von welcher Stelle sie gefertigt wurde. Ebenso offen ist, für welche Jahrgangsstufe(n) die von Seiten des Schulträgers gebilligte Kapazitätserhöhung um jedenfalls 10 Schülerinnen und Schüler maßgeblich wäre. Auch insoweit wäre es an dem Antragsgegner vor dem Hintergrund der deutlichen Hinweise in der gerichtlichen Eingangsverfügung vom 27. Juli 2023 und dem weiteren Schreiben der Berichterstattung vom 05. August 2023 gewesen, zu Fragen der Kapazität substantiiert und lückenlos vorzutragen und alle Unterlagen, die für eine gerichtliche Prüfung relevant sein könnten, ggf. nach Anforderung entsprechender Unterlagen von der Schule und dem Schulträger, vorzulegen. Das ist jedoch nach wie vor nicht geschehen. Angesichts dessen ist der Vortrag des Antragsgegners, es sei im Interesse eines „effektiven und effizienten Personaleinsatzes nicht vertretbar“ eine weitere Klasse am unterer Wert der Bandbreite einzurichten, nicht hinreichend überprüfbar. Das Gericht erlaubt sich in diesem Zusammenhang die Bemerkung, dass jedenfalls die (fortgeschriebene) Schulentwicklungsplanung des Landkreises D... für die Schuljahre 2022/2023 und – hierauf beruft sich der Antragsgegner bemerkenswerter Weise selbst – auch für die Schuljahre 2024/2025 zweizügige erste Klassen an der Schule mit insgesamt 29 Schülerinnen und Schülern ausweist.
Auch die weiteren Bedenken des Antragsgegners aus dem Schriftsatz vom 08. August 2023 tragen nicht, insbesondere geht der Antragsgegner nunmehr und entgegen der Antragserwiderung vom 31. Juli 2023 (dort S. 4, unten) selbst davon aus, dass der Lehrkräftebedarf abgesichert werden kann.
Dass die Kapazitätserhöhung „im nächsten oder übernächsten Schuljahr mit ggf. doch leicht ansteigenden Zuwächsen einzuschulender Kinder zu Problemen führen“ könnte, ist weder hinreichend untersetzt worden noch vor dem Hintergrund der vorliegenden Unterlagen überzeugend. Insoweit ist schon fraglich, über wie viele Unterrichtsräume die V... -Grundschule tatsächlich verfügt. Der Antragsgegner und die Schule selbst benennen 10 Klassenräume für den allgemeinen Unterricht, die fortgeschriebene Schulentwicklungsplanung des Landkreises (Bl. 80 des Verwaltungsvorgangs) benennt hingegen 12 Unterrichtsräume, ohne dass der Antragsgegner zu den von ihm selbst vorgelegten Unterlagen Stellung genommen hätte. Aber auch, wenn das Gericht von zehn Unterrichtsräumen ausgehen würde, ergäbe sich nichts Anderes: Diese Räumlichkeiten reichen derzeit aus, um jeder Klasse einen Unterrichtsraum zur Verfügung stellen zu können, und dass künftig entgegen der Einschätzung von Schule und Schulträger 11 Schulräume benötigt würden, legt der Antragsgegner nicht schlüssig dar. Der alleinige Verweis darauf, dass in der Schulentwicklungsplanung des Landkreises im Schuljahr 2024/2025 mit zweizügigen 1. Klassen (bei einer Gesamtaufnahme von 29 Schülerinnen und Schülern) geplant wird, überzeugt angesichts der offenbar durch die Verhältnisse überholten Planung nicht.
Die Schulentwicklungsplanung des Landkreises D... in ihrer am 22. Februar 2022 vom Kreistag beschlossenen „Fortschreibung 2022/23 bis 2026/27“ führt zu keinem anderen Ergebnis. Danach wird die V... -Grundschule S... „einzügig, zum Teil zweizügig“ geführt, wobei (S. 106) für das Schuljahr 2023/2024 jedoch lediglich mit einer Klasse und 18 Schülerinnen und Schülern geplant wurde. Diese Schulentwicklungsplanung bindet das Amt L... als Schulträger weder nach § 102 BbgSchulG noch kann es über die vom Kreistag beschlossene Rechtsform Bindungswirkung entfalten. Nach § 102 Abs. 1 S. 1 BbgSchulG soll die Schulentwicklungsplanung die planerische Grundlage für ein möglichst wohnungsnahes und alle Bildungsgänge umfassendes Schulangebot und den Planungsrahmen für einen zweckentsprechenden Schulbau schaffen und sie weist den gegenwärtigen und künftigen Schulbedarf für einen fünfjährigen Planungszeitraum oder im Rahmen ihrer Fortschreibung aus, § 102 Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1 und 2 BbgSchulG. Die Landkreise nehmen die Schulentwicklungsplanung als pflichtige Selbstverwaltungsaufgabe wahr, wobei sie Benehmen mit dem Schulträger herzustellen haben, § 102 Abs. 4 S. 1 und 2 BbgSchulG. Weder stehen diese Vorschriften einer Abweichung des Schulträgers von der Schulentwicklungsplanung des Landkreises entgegen, noch ergibt sich Entgegenstehendes daraus, dass die Schulentwicklungsplanung unter dem Genehmigungsvorbehalt des § 102 Abs. 5 BbgSchulG durch das für Bildung zuständige Ministerium gestellt wird. Abweichendes könnte sich vorliegend auch bereits deshalb nicht aus der Rechtsqualität der Planung des Landkreises D... ergeben, weil die Schulentwicklungsplanung dort nicht als Satzung, sondern als Verwaltungsplanung beschlossen wird (vgl. dazu Hanßen/Glöde, BbgSchulG, Februar 2023, Rn. 18 ff. zu § 102 BbgSchulG).
2.2 Die Antragsteller haben auch einen wichtigen Grund im Sinne des § 106 Abs. 4 S. 3 BbgSchulG hinreichend glaubhaft gemacht.
Dieser unbestimmte Rechtsbegriff ist weit auszulegen, wobei die Gestattung des Besuchs einer unzuständigen Schule allerdings nach der Konzeption des § 106 Abs. 4 S. 3 BbgSchulG nach wie vor die Ausnahme darstellt. Erforderlich ist jedenfalls eine über den bloßen Elternwunsch hinausgehende Sachlage, die sich durch besondere individuelle Nachteile auszeichnet, die im Falle des Besuchs der zuständigen Schule zu erwarten wären (OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 12. September 2008 – OVG 3 S 88/08 –, juris Rn. 3; OVG Berlin-Brandenburg Beschl. v. 21. November 2017 – OVG 3 S 59/17 –, juris Rn. 7; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 18. August 2020 – OVG 3 S 55/20 –, juris Rn. 12; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 19. August 2022 – OVG 3 S 21/22 –, juris Rn. 5).
Die Glaubhaftmachung der zur Ausfüllung des „wichtigen Grundes“ erforderlichen Tatsachen erfordert in einem verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren die substantiierte und nachvollziehbare Darlegung der hierfür maßgeblichen Umstände. Das Tatsachenvorbringen des Rechtsschutzsuchenden muss schon für sich genommen geeignet sein, den behaupteten wichtigen Grund überzeugend darzutun und insbesondere eine Abgrenzung von einem – nicht ausreichenden – bloßen „Schulwunsch“ zu ermöglichen. Diese Anforderungen an die verwaltungsgerichtliche Darlegungslast ergeben sich schon daraus, dass die Umstände, die nach Auffassung der Eltern der Schülerin oder des Schülers den Besuch einer an sich unzuständigen Grundschule rechtfertigen, ihren Grund regelmäßig in der privaten Sphäre der Familie oder des Kindes finden, die der Kenntnis der Schulbehörde und des Gerichts regelmäßig entzogen ist (OVG Berlin–Brandenburg, Beschl. v. 12. September 2008 – OVG 3 S 88/08 –, juris Rn. 4; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 19. August 2022 – OVG 3 S 21/22 –, juris Rn. 6).
Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Antragsteller in Zusammenspiel mit den Sachverhaltsumständen, die für das Gericht offensichtlich sind und die daher einer Glaubhaftmachung nicht bedürfen. Das Gericht legt dem Vortrag der Beteiligten und den vorgelegten Unterlagen nach folgenden Sachverhalt zu Grunde:
Der ehemalige Lebenspartner der Antragstellerin zu 1. T... . hat die Tochter der Antragstellerin zu 1. sexuell missbraucht. Er ist aus diesem Grund im Juli 2016 wegen sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohlenen zu einem Jahr Freiheitsstrafe verurteilt worden, die von dem Amtsgericht vor dem Hintergrund der „vielfältigen Aktivitäten“ des seinerzeit Angeklagten zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die Antragstellerin zu 1. hat sich seinerzeit von T... . getrennt. T... . ist Vater eines am 28. Februar 2019 geborenen Kindes. Er wohnt mit seiner neuen Familie unter der Anschrift N... B... und arbeitet (der Eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin zu 1. nach, Bl. 55 ff. Rs. der Gerichtsakte) in der S... B... die vom N... aus über die B... mit dem Kraftfahrzeug auf direktem Weg erreichbar ist. Das Schulgelände der für das Kind der Antragsteller zuständigen Grund- und Oberschule B... „M... “ befindet sich in der B... . Die Antragstellerin zu 1. ist den mit Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten vom 02. August 2023 vorgelegten ärztlichen Unterlagen nach jedenfalls – und ungeachtet der Frage der diagnostizierten Posttraumatischen Belastungsstörung – durch den Missbrauch ihrer Tochter psychisch deutlich beeinträchtigt, wobei ein Zusammentreffen mit dem damaligen Täter sie psychisch („psychische Krankheitssymptome“) beeinträchtigt. Das nunmehr zur Einschulung anstehende Kind der Antragsteller, der am 09. Juni 2017 geborene O... , ist ebenfalls – das ärztliche Attest vom 31. Juli 2023 geht von einer „Anpassungsstörung“, einer „emotionalen Störung“ und „sozialer Ängstlichkeit“ aus – psychisch beeinträchtigt.
Hiervon ausgehend liegt ein sozialer Grund bereits darin, dass es im Fall der Einschulung des Kindes der Antragsteller in der Grund- und Oberschule B... auf Grund des Arbeitsweges des T... . zwangsläufig jedenfalls zu Sichtkontakten zwischen dem seinerzeitigen Täter und, sollte diese das Kind auf den Schulwegen begleiten müssen, dem seinerzeitigen Missbrauchsopfer V... . bzw. der Antragstellerin zu 1. kommen könnte. Zwar lassen sich diese Begegnungen zwischen Täter und Opfer in einem kleineren Ort von unter 5.000 Einwohnern nie ganz ausschließen. Eine dahingehende Argumentation wäre jedoch in mehrfacher Hinsicht nicht zielführend. Zum einen liegt der wichtige (soziale) Grund für die Antragsteller schon in dem Umstand begründet, über diese mehr oder minder unvermeidlichen Begegnungen ein Zusammentreffen vermeiden zu wollen, mit dem sie an jedem Schultag mit erhöhter Wahrscheinlichkeit rechnen müssten. Zum anderen sieht die Kammer einen wichtigen Grund nicht lediglich darin, tatsächliche Sichtkontakte und Zusammentreffen zwischen dem Täter und der Familie der Opfer nach Möglichkeit zu vermeiden, sondern der Familie des Opfers angesichts der psychischen Beeinträchtigung von jedenfalls zwei Familienangehörigen die Angst hiervor nach Möglichkeit zu nehmen.
Darüber hinaus ist nach derzeitiger Sachlage jedenfalls mit einer Einschulung des Kindes von T... . an der für ihn zuständigen Grund- und Oberschule B... in zwei Jahren zu rechnen, wodurch es – ungeachtet der verschiedenen Jahrgangsstufen in der sich die Kinder beider Familien befinden würden – mit einer nochmals deutlich höheren Wahrscheinlichkeit zum Zusammentreffen von Angehörigen des Täters und der Opferfamilie in der Schule selbst kommen würde. Dem Kind der Antragsteller kann allerdings nicht zugemutet werden, sich nach zwei Schuljahren allein aus diesem Grund um einen Schulwechsel zu bemühen.
3. Die Antragsteller haben auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
Es kann ihnen unter Beachtung des Gebotes effektiven Rechtsschutzes nicht zugemutet werden, eine Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren abzuwarten, denn es ist zu befürchten, dass sich ihr Anspruch in diesem Fall durch Zeitablauf mit Ende des Schuljahres 2023/2024 erledigen würde. Das begründet einen wesentlichen Nachteil im Sinne von § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO.
II. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 Nr. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i. V. m. Ziffer 38.4 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Der Auffangwert von 5.000,00 € ist in dem Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach ständiger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg und der Kammer zu halbieren (Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs).