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Recht der Landesbeamten


Metadaten

Gericht VG Cottbus 4. Kammer Entscheidungsdatum 21.10.2020
Aktenzeichen 4 K 1556/19 ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2020:1021.4K1556.19.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 45 BeamtStG

Leitsatz

1. Die in der Verwaltungsvorschrift des Ministeriums des Innern und für Kommunales über die Gewährung von Rechtsschutz für Bedienstete des Landes Brandenburg in Straf- und anderen Verfahren vom 06.07.2018 (VV Rechtsschutz) vorgesehene Kostenübernahme der notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung ist nicht zu beanstanden.

2. Das Kriterium der Notwendigkeit kann der Dienstherr auch zulässig weiter durch Anwendungsvorschriften konkretisieren. Zwar dürfen die Anforderungen an die Annahme der Notwendigkeit nicht überspannt werden. Eine an Sachkriterien, insbesondere der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage des Falles ausgerichtete Verwaltungspraxis ist aber mit der Fürsorgepflicht zu vereinbaren.

3. Ist durch eine Verwaltungsvorschrift die Fürsorgepflicht konkretisiert, besteht kein Raum mehr für eine Kostenübernahme außerhalb dieser Verwaltungsvorschrift, es sei denn, der Wesenskern ist verletzt. Dies ist nicht der Fall, wenn der Dienstherr die Gewährung einer Kostenübernahme zur Bestreitung notwendiger Kosten der Rechtsverteidigung von der Erforderlichkeit der Verteidigungs-maßnahme wegen der Eigenart der Sach- oder Rechtslage im Einzelfall abhängig macht (Anschluss BVerwG, Beschluss vom 03. Dezember 2013 – 2 B 65/12 –, Rn. 7 - 12, juris).

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Übernahme der Kosten einer anwaltlichen Vertretung in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt.

Der Kläger ist als Polizeiobermeister Beamter in Diensten des Beklagten. Am 03.12.2017 führte der Kläger zusammen mit vier anderen Beamten eine Personenkontrolle durch. Am 03.01.2018 stellte die kontrollierte Person, Herr S..., Strafanzeige gegen den Kläger und drei der vier ebenfalls an der Personenkontrolle beteiligten Beamten wegen Körperverletzung im Amt. Die Staatsanwaltschaft leitete hierauf ein Ermittlungsverfahren (A... ) gegen den Kläger und drei weitere Beamte ein. Der Kläger beauftragte Herrn Rechtsanwalt M... mit seiner Vertretung. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens stellte die Staatsanwaltschaft Potsdam u.a. fest, dass Herr S... im Zeitpunkt der Personenkontrolle erheblich alkoholisiert war (2,33 mg/g). Sie vernahm darüber hinaus Herrn S..., seinen bei der Personenkontrolle anwesenden Cousin Herrn K... und die ebenfalls anwesende Polizeibeamtin Frau S... als Zeugen. Der Anzeigende führte u.a. in seiner Anzeige aus, dass einer der Beamten ihn mit Wucht gegen seinen Hinterkopf geschlagen habe. Dann sei er von hinten angegriffen und zu Boden gedrückt worden. Er habe mehrere Faustschläge gegen seinen Kopf und ins Gesicht erhalten.

Das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wurde durch die Staatsanwaltschaft Potsdam mit Verfügung vom 06.11.2018 gemäß § 170 Abs. 2 der Strafprozessordnung (StPO) eingestellt. Die Staatsanwaltschaft Potsdam begründete dies gegenüber Herrn S... damit, dass der von den beschuldigten Polizeibeamten beschriebene Ablauf der Personenkontrolle, währenddessen der Anzeigende aggressiv gewesen sein und um sich geschlagen haben soll, weswegen die Beamten ihn zu Boden gebracht und gefesselt hätten, durch die Zeugin U... vollumfänglich bestätigt worden sei. Auch der Zeuge W... könne die Angaben des Anzeigenden nicht bestätigen. Weder habe dieser einen Schlag auf den Hinterkopf des Anzeigenden bestätigt, noch habe er gesehen, dass der Anzeigende am Boden liegend geschlagen worden sei. Bei Würdigung dieser Beweissituation sei festzustellen, dass die von den Polizeibeamten angewandte Gewalt nicht rechtswidrig gewesen sei. Aufgrund des Verdachts der Straftat der Trunkenheit im Verkehr seien die Beamten zur Identitätsfeststellung berechtigt gewesen. Nachdem der Anzeigende Widerstand geleistet habe, habe den Beamten das Notwehrrecht zugestanden.

Unter dem 22.01.2019 beantragte der Kläger die Erstattung der für die Vertretung durch den Rechtsanwalt M... im Ermittlungsverfahren aufgewandten Kosten von 707,63 Euro.

Mit Bescheid vom 26.03.2019 lehnte der Beklagte dies ab. Er begründete dies damit, dass wegen der Eigenart der Sach- und Rechtslage die Bestellung eines Verteidigers nicht geboten gewesen sei. Gegen Polizeivollzugsbeamte geführte Strafverfahren stellten ein immer wieder auftretendes Geschehen dar. Der Kläger sei bereits seit 01.04.2015 im Polizeivollzugsdienst tätig. Ihm seien daher die Formalitäten, der Gang eines Strafverfahrens und die damit verbundenen Aspekte bekannt. Da ihm auch die rechtlichen Regelungen im Zusammenhang mit unmittelbarem Zwang bekannt seien, könne er die Rechtmäßigkeit des Handelns gut einschätzen.

Der Kläger erhob mit Schreiben vom 16.04.2019 Widerspruch. Er führte aus, die Strafanzeige wegen Köperverletzung im Amt sei für den jeweiligen Polizeibeamten kein Standardvorwurf. Auch die Ladung zur Beschuldigtenvernehmung sei keine Standardsituation. Ohne Beauftragung des Anwalts kenne der Beamte weder den Inhalt der Strafanzeige, noch die Zahl der möglichen Zeugen, noch die Bewertung des Handeln des Beamten. Die Ausübung des Ermessens sei durch den Beklagten nicht dargestellt.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.11.2019 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Er begründete dies damit, dass die Ausübung der Fürsorgepflicht im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherren stehe. Nach Maßgabe der Regelungen der Verwaltungsvorschrift des M... über die Gewährung von Rechtsschutz für Bedienstete des Landes Brandenburg in Straf- und anderen Verfahren vom 06.07.2018 (VV Rechtsschutz) käme hier eine Kostenübernahme nicht in Betracht. Die Bestellung eines Verteidigers sei insbesondere dann geboten, wenn Gefahr drohe, den Überblick über die Beweisaufnahme zu verlieren und eine Verteidigung ohne Akteneinsicht und damit ohne anwaltliche Hilfe nicht umfassend vorbereitet werden könne. Hier seien im Rahmen der Beweisaufnahme lediglich zwei Zeugen vernommen worden, sodass ein Verlieren des Überblicks nicht zu befürchten gewesen sei. Die übrigen anwesenden Beamten hätten die Rechtmäßigkeit des Handelns ebenfalls bezeugen können. Der Anzeigende sei stark alkoholisiert gewesen, die von diesem geltend gemachten Verletzungen seien bei der Blutprobenentnahme nicht festgestellt worden. Auch habe der Anzeigende auf die Hinzuziehung eines Rettungswagens verzichtet. Diese Kenntnisse habe der Kläger bereits vor Akteneinsicht gehabt. Auch werde bei Fällen mit einfacher Sach- und Rechtslage, die erfahrungsgemäß eingestellt würden, angenommen, dass eine Einschaltung eines Rechtsbeistandes unverhältnismäßig sei. Nach den Anwendungshinweisen des M... vom 30.09.2019 zur VV Rechtsschutz sei die Sachlage als schwierig zu beurteilen, wenn

a) die dem Ermittlungsverfahren zugrundeliegende Strafanzeige durch mehrere Personen erstattet wurde,

b) vom Anzeigenerstatter Zeugen benannt wurden, die tatsächlich vernommen werden können,

c) der Anzeigenerstatter nicht Adressat der eigentlichen polizeilichen Maßnahme war,

d) die Anzeigenerstattung öffentlichkeitswirksam geworden ist,

e) fremde Videoaufzeichnungen den Tatvorwurf stützen sollen,

f) die angezeigte Straftat auch im minderschweren Fall mit Freiheitsstrafe bedroht ist (z.B. Körperverletzung im Amt) und

g) die angezeigte Straftat zugleich ein Dienstvergehen im Kernbereich der Dienstpflichten darstellt.

Je mehr dieser Fallbeispiele bejaht werden könnten, desto mehr spreche für die Gebotenheit der Verteidigungsmaßnahme. Im Falle des Klägers träfen lediglich 2 der 7 Punkte (Bedrohung mit Freiheitsstrafe auch im minderschweren Fall, Benennung eines Zeugen). Der Zeuge sei aber nicht erschienen. Auch sei die Körperverletzung im Amt zwar grundsätzlich ein Dienstvergehen im Kernbereich der Dienstpflichten. Aufgrund der Rechtmäßigkeit des Handelns, wäre ein mögliches Disziplinarverfahren indes eingestellt worden.

Der Kläger hat am 05.12.2019 Klage erhoben.

Er führt aus, der Umstand, dass ein Zeuge auf Vorladung nicht erschienen sei, spiele keine Rolle, da die Anwendungshinweise allein darauf abstellten, dass im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Zeugen benannt wurden, was hier der Fall sei. Auch spiele der Ausgang des Ermittlungsverfahrens, für die Frage, ob ein Dienstvergehen i.S.d. Anwendungshinweise vorliege, keine Rolle. Hinsichtlich der Schwierigkeit der Sachlage läge nach den Anwendungshinweisen hier ein Kriterium vor, hinsichtlich der Schwierigkeit der Rechtslage hingegen alle Kriterien. Auch würden die Anwendungshinweise weitere Negativkriterien benennen, mit denen sich der Beklagte nicht auseinandersetze. Die Fürsorgepflicht gebiete, alles Erforderliche zu tun, wenn ein Beamter in Zusammenhang mit seiner dienstlichen Tätigkeit in ein Strafverfahren verwickelt werde, um eine umfassende und zweckentsprechende Rechtsverteidigung zu gewährleisten. Der Beklagte verkenne, dass es sich bei den Kriterien der Anwendungshinweise um Beispiele handele und das Vorliegen auch nur eines Beispiels für das Verneinen einer besonders einfachen Sach- und Rechtslage ausreichend sein kann. Auch sei entgegen der Auffassung des Beklagten bei dem Kriterium „fremde Videoaufzeichnungen, die den Tatvorwurf stützen“ nicht das Gegenteil gegeben, da auch keine Videoaufzeichnungen vorlägen, die den Tatvorwurf widerlegen. Dass gar keine Videoaufzeichnungen vorliegen, verhalte sich neutral. Auch sei nur durch einen Verteidiger Einsichtnahme in die Ermittlungsakte möglich, um die Verteidigung vorzubereiten.

Der Kläger beantragt,

den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 26.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2019 zu verurteilen, dem Kläger Rechtsschutz zu gewähren und die Kosten für die anwaltliche Vertretung in dem gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt zu übernehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte führt aus, eine fehlerhafte Zugrundelegung der Anwendungshinweise sei nicht ersichtlich. Das Merkmal des Vorhandenseins eines Zeugen sei anerkannt worden. Erst im Rahmen der Gesamtbetrachtung sei berücksichtigt worden, dass der Zeuge auf Vorladung nicht erschienen sei. Dadurch sei die Sach- und Rechtslage einfacher geworden, da ein Beweismittel wegfalle und eine rechtliche Bewertung der Zeugenaussage entbehrlich werde. Zu Recht sei nicht berücksichtigt worden, dass die angezeigte Straftat zugleich ein Dienstvergehen darstelle. Es sei nämlich zu unterscheiden, ob ein Antrag auf Gewährung von Rechtsschutz bereits bei Einleitung des Ermittlungsverfahrens oder erst nach Abschluss gestellt werde. Im ersten Fall würde nur ein Darlehen gewährt, während im anderen Fall direkt über die Gewährung entschieden würde, sodass auch das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens mit einzubeziehen sei. Bei vier der sieben Kriterien (Anzeige durch mehrere Personen; Anzeigenerstatter ist nicht Adressat der Maßnahme; Öffentlichkeitswirksamkeit der Anzeige; fremde Videoaufzeichnungen, die den Tatvorwurf stützen) läge das Gegenteil vor. Auch die Anzeige wegen Verdachts des Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte sei ein Indiz für rechtmäßiges Handeln des Klägers. Es handele sich in der Gesamtschau um einen einfachen und überschaubaren, in der Praxis häufig vorkommenden Fall. Daran ändere auch die Ladung zu einer Beschuldigtenvernehmung nichts.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen, die jeweils Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Der Bescheid des Beklagten vom 26.03.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.11.2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 S. 1 VwGO. Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Übernahme der Kosten für die anwaltliche Vertretung in dem gegen den Kläger geführten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Körperverletzung im Amt.

1. Ein solcher folgt hier nicht aus der Nr. II 2 und 3 der VV Rechtsschutz vom 06.07.2018 (ABl./18, [Nr. 30], S.643).

a) Der Beklagte hat mit dieser Verwaltungsvorschrift die ihm gemäß § 45 BeamtStG obliegende Fürsorgepflicht gegenüber den Beamten, gegen die wegen einer dienstlichen Tätigkeit oder eines mit einer dienstlichen Tätigkeit in Zusammenhang stehenden Verhaltens staatsanwaltschaftlich ermittelt wird, hinsichtlich des zu gewährenden Rechtsschutzes konkretisiert (BVerwG, Beschluss vom 9. Juli 1984 - BVerwG 2 B 45.84 - Buchholz 237.7 § 85 LBG Nordrhein-Westfalen Nr. 4 S. 1).

Das Bundesverwaltungsgericht hat schon wiederholt ausgesprochen, dass der Dienstherr befugt ist, die ihm durch das Gesetz eingeräumte Gestaltungsfreiheit in der Ausübung der Fürsorgepflicht durch Verwaltungsvorschriften für bestimmte Fallgruppen nach generellen Gesichtspunkten zu binden, sofern die zugrundeliegenden Erwägungen der Zielsetzung der vom Gesetz eingeräumten Ermächtigung entsprechen. Derartige, im Interesse einer einheitlichen Ausübung der Fürsorgepflicht erlassene Verwaltungsvorschriften haben zur Folge, dass der Dienstherr alle in ihnen angesprochenen Fälle hiernach behandeln muss und nur davon abweichen darf, wenn wesentliche Besonderheiten dies rechtfertigen (BVerwG, Beschluss vom 9. Juli 1984 a.a.O. m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 03. Dezember 2013 – 2 B 65/12 –, Rn. 7 - 12, juris).

So liegt es hier im Hinblick auf die VV Rechtsschutz vom 06.07.2018. Das Bundesverwaltungsgericht hat bereits zu einer entsprechenden Regelung in Sachsen entschieden, dass es insbesondere nicht zu beanstanden ist, wenn der Dienstherr die Übernahme entsprechender Kosten zur Strafverteidigung von der Gebotenheit abhängig macht (BVerwG, Beschluss vom 03. Dezember 2013 – 2 B 65/12 –, Rn. 10f., juris).

b) Im vorliegenden Fall sind zudem die im Schreiben vom 30.09.2019 niedergelegten „Anwendungshinweise“ des M... zur VV Rechtsschutz ergänzend heranzuziehen. Zwar erreichen diese nicht die Stufe einer Verwaltungsvorschrift. Vielmehr sind diese „Anwendungshinweise“ die Reaktion des Dienstherren auf eine Vielzahl gleichgelagerter, bereits anhängiger Verwaltungsverfahren im Rahmen der VV Rechtsschutz. Insoweit dienen sie aber dem gleichen Zweck wie die VV Rechtsschutz und sind insoweit auch nicht zu beanstanden: Ziel ist es, die einheitliche Anwendung der durch die VV Rechtsschutz konkretisierten Fürsorgepflicht zu gewährleisten. Dagegen bestehen vor dem Hintergrund, dass sowohl die VV Rechtsschutz als auch das Schreiben vom 30.09.2019 von derselben Stelle, nämlich dem M... als oberster Dienstbehörde (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 LBG, § 5 Abs. 1 LOG) stammen, keine Bedenken.

Nach den im Schreiben vom 30.09.2019 enthaltenen Festlegungen des Beklagten zur Beurteilung der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage, ist die Sachlage dann als schwierig zu bewerten, wenn Gefahr droht den Überblick über die Beweisaufnahme zu verlieren und eine Verteidigung ohne Aktenkenntnis und damit ohne anwaltliche Hilfe nicht umfassend vorbereitet werden kann. Hierfür benennt das Schreiben vom 30.09.2019 weiter Fallbeispiele:

a) die dem Ermittlungsverfahren zugrundeliegende Strafanzeige durch mehrere Personen erstattet wurde,

b) vom Anzeigenerstatter Zeugen benannt wurden, die tatsächlich vernommen werden können,

c) der Anzeigenerstatter nicht Adressat der eigentlichen polizeilichen Maßnahme war,

d) die Anzeigenerstattung öffentlichkeitswirksam geworden ist,

Ergänzend sei die Sachlage auch dann als schwierig zu bewerten, wenn e) fremde Videoaufzeichnungen den Tatvorwurf stützen sollen. Ferner sei die Rechtslage beispielsweise dann als schwierig zu bewerten oder wenn f) die angezeigte Straftat auch im minderschweren Fall mit Freiheitsstrafe bedroht ist (z.B. Körperverletzung im Amt) und g) die angezeigte Straftat zugleich ein Dienstvergehen im Kernbereich der Dienstpflichten darstellt.

Bei der Anwendung dieser Vorgaben gelte, dass je mehr der Fallbeispiele bejaht werden können, desto mehr für die Gebotenheit der Verteidigungsmaßnahme spreche. Dies sei bei der Ausübung des Ermessens zu beachten. Dagegen wäre die Beauftragung einer anwaltlichen Vertretung laut dem Schreiben vom 30.09.2019 kaum geboten, wenn a) genau das Gegenteil der Fallbeispiele vorliege, b) polizeiliche Videoaufzeichnungen den Tathergang zweifelsfrei zeigen oder c) weder eine mündliche noch schriftliche Beschuldigtenvernehmung vorgesehen bzw. erfolgt ist.

Diese im Schreiben vom 30.09.2019 niedergelegten Grundsätze zur Anwendung der VV Rechtsschutz stoßen nicht auf Bedenken. Vielmehr sind diese offenkundig an sachlichen Kriterien ausgerichtet und offenbaren eine vernünftige Abwägung der widerstreitenden Problempunkte, insbesondere im Hinblick auf die Beurteilung der Schwierigkeit der Sachlage.

c) Schließlich bestehen auch nicht aus intertemporalen Gründen Bedenken gegen die Berücksichtigung der VV Rechtsschutz und der im Schreiben vom 30.09.2019 niedergelegten, die Fürsorgepflicht konkretisierenden Grundsätze. Zwar datiert der hier streitige Vorfall, der letztlich Auslöser des Begehrens des Klägers auf Kostenerstattung war, auf den 03.12.2017. Auch die Beauftragung des Verteidigers des Klägers ist spätestens am 25.06.2018 und damit vor Inkrafttreten der VV Rechtsschutz am 02.08.2018 (vgl. Ziffer XI der VV Rechtsschutz) erfolgt. Das Schreiben vom 30.09.2019 ist sogar erst weit nach Antragstellung entstanden. Insoweit dürfte aber alles dafür sprechen, dass der Beklagte gerade im Angesicht der aus dem Schreiben vom 30.09.2019 ersichtlichen Vielzahl von gleichartigen Verwaltungsverfahren im Hinblick auf die VV Rechtsschutz gehalten war, bestehende Unklarheiten aus der VV Rechtsschutz zu beseitigen und so die gleichmäßige Anwendung sicherzustellen. Insoweit kommt es nach Auffassung des Gerichtes nicht auf den maßgeblichen Zeitpunkt an, da der Beklagte ersichtlich die bei ihm anhängigen Verwaltungsverfahren zur Begründung einer neuen, einheitlichen Verwaltungspraxis genutzt hat und nicht etwa nur einen Einzelfall erfassen wollte.

d) Die Voraussetzungen der Kostenübernahme nach Nr. II VV Rechtsschutz liegen hier nicht vor.

Ist gegen einen Bediensteten wegen einer dienstlichen Tätigkeit oder eines Verhaltens, das mit einer dienstlichen Tätigkeit im unmittelbaren Zusammenhang steht, ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft eingeleitet worden, kann hiernach auf schriftlichen Antrag zur Bestreitung der notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung ein zinsloses Darlehen gewährt werden.

Wird ein Bediensteter im Strafverfahren freigesprochen, so werden die nicht anderweitig gedeckten notwendigen Kosten der Rechtsverteidigung endgültig vom Land getragen. Die nicht anderweitig gedeckten Kosten in Strafverfahren können ganz oder teilweise vom Land übernommen werden, wenn das Verfahren nicht nur vorläufig eingestellt wird.

Zwischen den Beteiligten ist unstreitig, dass hier wegen einer dienstlichen Tätigkeit ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen den Kläger eingeleitet worden ist und dieses endgültig eingestellt wurde.

Streitig ist allein, ob die Voraussetzungen der Nr. II 2 c VV Rechtsschutz vorliegen. Hiernach ist Voraussetzung für die Gewährung des Darlehens, dass die Maßnahme der Rechtsverteidigung oder Rechtsverfolgung, beispielsweise die Bestellung einer Verteidigerin oder eines Verteidigers oder die Einholung eines Gutachtens, wegen der Eigenart der Sach- und Rechtslage geboten erscheint.

Mit dem Beklagten ist aus Wortlaut und Systematik der Nr. II 2, 3 der VV Rechtsschutz davon auszugehen, dass die Voraussetzungen, die für die Gewährung eines Darlehens nach Nr. II 2 der VV Rechtsschutz gelten, auch für die endgültige bzw. nachträgliche Kostenübernahme nach Nr. II 3 der VV Rechtsschutz Gültigkeit beanspruchen.

Der Beklagte stellt für die Frage der Gebotenheit in nicht zu beanstandender Weise auf die Konkretisierung der VV Rechtsschutz durch das Schreiben des M... vom 30.09.2019 ab.

Insoweit ist anhand diesem, die Fürsorgepflicht konkretisierenden Verwaltungsinnenrecht des Beklagten vorliegend kein Anspruch auf die Kostenübernahme gegeben. Die dies aussprechende Wertung des Beklagten in den angegriffenen Bescheiden ist nicht zu beanstanden.

Legt man diese vorgesehenen Kriterien zu Grunde, so sind die Kriterien b) (vom Anzeigenerstatter wurden Zeugen benannt, die tatsächlich vernommen werden können), f) (die angezeigte Straftat ist auch im minderschweren Fall mit Freiheitsstrafe bedroht (z.B. Körperverletzung im Amt)) und g) erfüllt (die angezeigte Straftat stellt zugleich ein Dienstvergehen im Kernbereich der Dienstpflichten dar). Die Übrigen vier Kriterien sind nicht erfüllt, wobei bei jedenfalls drei (a, c, d) das Gegenteil vorliegt. In dieser Lage handelt es sich anhand der VV Rechtsschutz und der „Anwendungshinweise“ zwar nicht offensichtlich um einen einfach gelagerten Fall.

Der Beklagte ist naturgemäß gehalten, die von ihm aufgestellten Kriterien nicht schematisch anzuwenden. Ein reines Auszählen dürfte nur dann genügen, wenn das Ergebnis dieser Auszählung sich als eindeutig darstellt (etwa nur ein oder zwei Kriterien gegeben sind). So liegt es hier nicht.

Die Annahme des Beklagten, dass die Sachlage nicht als schwierig zu bewerten war, ist aber dennoch nicht zu beanstanden, da zu der vertretbaren Anwendung der VV Rechtsschutz vor dem Hintergrund seiner durch das Schreiben vom 30.09.2019 konkretisierten Verwaltungspraxis hier auch eine vertretbare Einzelfallwertung hinzukommt.

Als schwierig ist eine Sachlage dann zu bewerten, wenn Gefahr droht den Überblick über die Beweisaufnahme zu verlieren und eine Verteidigung ohne Aktenkenntnis und damit ohne anwaltliche Hilfe nicht umfassend vorbereitet werden kann (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 7. Oktober 2011, - III 3 WS 321/11 -, juris; OLG Köln, Beschluss vom 12. September 2011 - III 2 WS 566/11 -, juris; ThürOLG, Beschluss vom 23. Oktober 2003 - 1 Ss 232/03 -, juris). Das ist vorliegend nicht der Fall. Denn es handelte sich nach richtiger Einschätzung des Beklagten bei dem hier streitgegenständlichen Vorwurf eines angetrunkenen Radfahrers gegen die von der Polizei veranlassten Maßnahmen im Zusammenhang mit einer Kontrolle um einen einfach überschaubaren sowie häufig vorkommenden Standardfall. Der Kläger konnte deshalb auch im Hinblick auf seine berufsbedingten Kenntnisse im Strafrecht davon ausgehen, dass die Strafanzeige gegen ihn und seine Kollegen zur Einstellung kommen würde. Vor diesem Hintergrund drängte sich eine Akteneinsicht und das Erfordernis eine Verteidigerbestellung gerade nicht auf. Zu einer anderen Einschätzung musste der Kläger auch nicht aufgrund seiner Einladung zur Beschuldigtenvernehmung kommen, weil diese in aller Regel zur Durchführung eines Ermittlungsverfahrens gehört, ohne dass daraus zwingend auf eine bevorstehende Anklageerhebung geschlossen werden kann (so ausdrücklich zu einem ähnlich gelagerten Fall: Sächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 12. Juni 2012 – 2 A 895/11 –, Rn. 22, juris). Zutreffend stellt der Beklagte insoweit auch auf die weiteren Umstände der Alkoholisierung des Anzeigenerstatters, die Tatsache, dass neben dem Kläger vier weitere Beamte als Zeuge für den Vorfall zur Verfügung standen und die Nichtfeststellbarkeit der vom Anzeigenerstatter behaupteten Verletzungen ab.

Die Einwände des Klägers hiergegen greifen nicht.

Soweit der Kläger geltend macht, die nur durch einen Verteidiger mögliche Akteneinsicht zur Vorbereitung der Verteidigung bzw. Einschätzung des Tatvorwurfs würde die Beauftragung eines Anwalts gebieten, trifft dies offenkundig nicht zu. Denn dann wäre das Kriterium der Gebotenheit entwertet, da dies der Sache nach in jedem Ermittlungsverfahren gelten müsste. Dies ist erkennbar mit der zulässigen Ausgestaltung der Fürsorgepflicht durch die VV Rechtsschutz nicht bezweckt. Soweit der Kläger geltend macht, im Hinblick auf das Kriterium e) - fremde Videoaufzeichnungen sollen den Tatvorwurf stützen – liege nicht das Gegenteil vor, sondern da diese Videoaufzeichnungen fehlen, verhalte sich das Kriterium neutral, kann ihm nicht gefolgt werden. Zwar mag sich das Kriterium hier konkret neutral verhalten. Es liegt aber jedenfalls nicht vor.

Auch vor dem Hintergrund, dass nach den Kriterien die Rechtslage hier als schwierig zu bewerten ist (beide Kriterien sind erfüllt) ist eine Kostenübernahme hier nicht veranlasst. Insoweit war der Beklagte berechtigt darauf abzustellen, dass nach der VV Rechtsschutz es auf die Eigenart der Sach- und Rechtslage ankommt, sodass beide wertend zu betrachten sind und allein die Schwierigkeit der einen oder der anderen Seite nicht den Ausschlag geben muss. Dies hat der Beklagte nachvollziehbar abgewogen.

2. Ein Anspruch auf die begehrte Übernahme der Kosten für die anwaltliche Vertretung folgt auch nicht unmittelbar aus der Fürsorgepflicht.

Ein über die in Konkretisierung der Fürsorgepflicht des Dienstherrn erlassene Verwaltungsvorschrift hinausgehendes Zurückgreifen auf die allgemeine gesetzlich geregelte Fürsorgepflicht kommt nur in den Fällen in Betracht, in denen sonst die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern verletzt würde (BVerwG, Beschluss vom 9. Juli 1984 a.a.O. <insoweit in Buchholz nicht abgedruckt> m.w.N.; vgl. zum Beihilferecht zuletzt Urteil vom 24. Januar 2013 - BVerwG 5 C 12.12 - BVerwGE 145, 315 Rn. 26 m.w.N.). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn keine Ansprüche hergeleitet werden, die über die Ansprüche hinausgehen, die im Gesetz selbst speziell und abschließend geregelt sind. Nur dann, wenn ohne Fürsorgeleistung eine unerträgliche Belastung der amtsangemessenen Lebensführung des Beamten eintreten und dadurch die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern beeinträchtigt würde, kommen unmittelbar auf die Fürsorgepflicht gestützte Ansprüche in Betracht (BVerwG, Urteil vom 25. August 2011 - BVerwG 2 C 43.10 - Buchholz 245 Landesbesoldungsrecht Nr. 2 Rn. 8 m.w.N.).

Die Fürsorgepflicht ist jedoch nicht und schon gar nicht in ihrem Wesenskern verletzt, wenn der Dienstherr die Gewährung einer Kostenübernahme zur Bestreitung notwendiger Kosten der Rechtsverteidigung von der Erforderlichkeit der Verteidigungsmaßnahme wegen der Eigenart der Sach- oder Rechtslage im Einzelfall abhängig macht. Ist die Bestellung eines Verteidigers im konkreten Fall nicht erforderlich, erfordert die Fürsorgepflicht des Dienstherrn auch nicht die Kostenübernahme für die durch eine solche Bestellung entstehenden Kosten. Gerade angesichts der nicht seltenen Fälle von vornherein haltloser Beschuldigungen gegen Beamte und insbesondere gegen Polizeivollzugsbeamte kann der Dienstherr mit der Beschränkung der Gewährung auf Fälle der erforderlichen Verteidigungsmaßnahme seine Einstandspflicht sachgerecht begrenzen. Allerdings dürfen bei der Erforderlichkeitsprüfung keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden (BVerwG, Beschluss vom 03. Dezember 2013 – 2 B 65/12 –, Rn. 7 - 12, juris).

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.