Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 19.07.2023 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 A 15/22 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2023:0719.OVG3A15.22.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 198 GVG, § 21 RDG |
Soweit die Klägerinnen zu 21 und zu 24 die Klage zurückgenommen haben, wird das Verfahren eingestellt.
Der Beklagte wird verurteilt, den Klägern zu 1 bis 20, 22, 23, 25 und 26 jeweils 4.300 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 7. November 2022 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Klägerinnen zu 21 und 24 tragen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst; von den bis zur Klagerücknahme entstandenen Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten des Beklagten tragen sie jeweils 1/26. Im Übrigen trägt der Beklagte die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für die Kläger zu 1 bis 20, 22, 23, 25 und 26 nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Im Übrigen darf der jeweilige Vollstreckungsschuldner die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 vom Hundert des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Die Kläger begehren eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer. Sie haben als im Land Berlin tätige Krankentransportunternehmen zusammen mit 11 weiteren Klägern nach Durchführung eines Schiedsverfahrens gemäß § 21 Abs. 2 RDG am 25. Januar 2016 beim Sozialgericht Berlin Klage gegen die Schiedsstelle mit dem Ziel erhoben, diese zur erneuten Entscheidung über ihren Antrag auf Festsetzung der Entgelte für Krankentransporte im Jahre 2015 zu verpflichten. Das Klageverfahren (im Folgenden: Ausgangsverfahren) nahm im Wesentlichen folgenden Verlauf:
In der am 3. Februar 2016 eingegangenen Klagebegründung sowie der am 6. April 2016 eingegangenen Klageerwiderung der Schiedsstelle befürworteten beide Seiten die Zuständigkeit des Sozialgerichts, von der die Schiedsstelle auch in dem angegriffenen Bescheid – unter Hinweis auf die abweichende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Berlin – ausgegangen war. Mit Schriftsatz vom 2. Januar 2017 wiesen die Kläger auf ein außergerichtliches Vergleichsangebot an die (zum damaligen Zeitpunkt noch nicht beigeladene) E... (spätere Beigeladene zu 1) hin. Mit Schriftsatz vom 31. März 2017 teilten sie mit, dass der Versuch einer gütlichen Einigung gescheitert sei. Auf Bitte der Kläger und der Beklagten um baldige Terminierung lud das Sozialgericht mit Beschluss vom 28. April 2017 die im Schiedsverfahren als Antragsgegner beteiligten Kostenträger zum Verfahren bei und führte am 5. Juli 2017 einen Erörterungstermin durch. In diesem Termin wurden Vergleichsmöglichkeiten erörtert. Die Beteiligten suchten um kurzfristige Anberaumung eines Kammertermins nach, den das Gericht für den 13. September 2017 in Aussicht stellte. Das Gericht bat die Beigeladenen, zur Vorbereitung dieses Termins einen schriftlichen Vergleichsvorschlag zu unterbreiten. Am 18. August 2017 teilte das Sozialgericht mit, dass der beabsichtigte Kammertermin wegen Erkrankung der Vorsitzenden nicht stattfinden könne. Die Beigeladene zu 1 unterbreitete mit Schriftsatz vom 17. August 2017 ein Vergleichsangebot. Mit Schriftsatz vom 4. Dezember 2017 teilten die Kläger mit, dass sie am 30. November 2017 mit dem Beigeladenen zu 6 (Z...) eine Vereinbarung getroffen hätten und erklärten insoweit die Erledigung des Verfahrens. Die Beklagte und die Beigeladene zu 6 stimmten der (Teil-)Erledigung im Dezember 2017 zu. Die anderen Kostenträger schlossen sich dieser Vereinbarung nicht an. Die Beigeladene zu 1 bat mit Schriftsatz vom 2. Februar 2018 um zeitnahe Mitteilung des Verfahrensstandes und ggf. Entscheidung; die Sache sei ausgeschrieben. Dem traten die anderen Beigeladenen bis zum 9. April 2018 bei. Die Beklagte erklärte mit Schriftsatz vom 4. April 2018 ebenfalls, der Rechtsstreit sei entscheidungsreif, und bat darum, dem Verfahren Fortgang zu geben. Zum 1. Juli 2018 wurde das Verfahren an eine andere Kammer des Sozialgerichts abgegeben. Am 6. März 2019 erhoben die Kläger Verzögerungsrüge.
Ab dem 25. Juni 2019 hatte das Sozialgericht Kenntnis davon, dass das Verwaltungsgericht Berlin beabsichtigte, alsbald in einem anderen Verfahren über die Rechtswegfrage zu entscheiden. Am 2. Oktober 2019 wies das Verwaltungsgericht auf seine hierzu ergangene Entscheidung vom 1. Oktober 2019 hin. Zum 1. November 2019 wurde das Ausgangsverfahren nochmals an eine andere Kammer des Sozialgerichts abgegeben. Am 10. September 2020 hörte das Sozialgericht die Beteiligten zu der beabsichtigten Verweisung an das Verwaltungsgericht Berlin an und verwies hierzu auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Mai 2020, nach der für Streitigkeiten über die Festsetzung von Entgelten nach § 21 Abs. 2 RDG durch die Schiedsstelle der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sei (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Mai 2020 – 3 B 2.20 –; vorangehend VG Berlin, Beschluss vom 1. Oktober 2019 – 25 K 111.19 – und OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Januar 2020 – OVG 1 L 30.19 – alle bei juris).
Mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 2. Oktober 2020 beantragten die Kläger bei dem Präsidenten des Sozialgerichts die Zahlung einer Entschädigung nach § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG für die seit dem 25. Januar 2017 eingetretene Verzögerung. Sie bezifferten die Hauptforderung mit 4.400 Euro pro Antragsteller. Daneben machten sie Rechtsanwaltskosten in Höhe von 6.102,06 Euro sowie Zinsen geltend. Der Präsident des Sozialgerichts lehnte den Entschädigungsantrag mit Schreiben vom 26. November 2020 ab. Zur Begründung wies er darauf hin, dass für die Beurteilung einer Überlänge das gesamte Gerichtsverfahren maßgebend sei. Derzeit seien noch Kompensationen ggf. bereits eingetretener Verzögerungen denkbar. Eine endgültige Entscheidung über die Überlänge des Gesamtverfahrens könne erst nach dessen rechtskräftigem Abschluss getroffen werden.
Mit Beschluss vom 9. November 2020 erklärte das Sozialgericht den Rechtsweg zu den Sozialgerichten unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. Mai 2020 für unzulässig und verwies den Rechtsstreit an das Verwaltungsgericht Berlin. Nach Zustellung des Verweisungsbeschlusses versandte das Sozialgericht die Akten am 26. Januar 2021 an das Verwaltungsgericht.
Dort gingen die Akten am 29. Januar 2021 ein. Die Kläger begründeten die Klage mit Schriftsatz vom 18. März 2021 nochmals. Das Verwaltungsgericht trennte die Verfahren von acht Klägern im Hinblick darauf ab, dass sieben Kläger die Klage zurückgenommen hatten und über das Vermögen eines Klägers das Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Die Beigeladene zu 1 erwiderte mit Schriftsatz vom 3. Mai 2021, die Beklagte mit Schriftsatz vom 14. Mai 2021. Mit aufgrund mündlicher Verhandlung ergangenem Urteil vom 2. Juni 2021 – VG 25 K 5/21 – wies das Verwaltungsgericht die Klage der verbliebenen 29 Kläger ab, soweit die Beteiligten das Verfahren nicht zuvor (hinsichtlich des früheren Beigeladenen zu 6) für erledigt erklärt hatten. Zur Begründung verwies es auf den der Schiedsstelle zustehenden weiten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum, den diese beurteilungsfehlerfrei ausgeübt habe. Das Urteil wurde den Klägern am 21. Juni 2021 zugestellt.
Am 21. Juli 2021 legten 24 Kläger des Ausgangsverfahrens – die hiesigen Kläger mit Ausnahme der Klägerinnen zu 21 und 24 – die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung ein. Die Begründungsfrist wurde auf ihren Antrag, den sie mit Einigungsgesprächen mit den Kostenträgern begründeten, um vier Wochen verlängert. Mit Schriftsatz vom 21. September 2021 begründeten die Kläger die Berufung. Die Beigeladene zu 1 erwiderte mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2021, die Beklagte mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2021. Die Kläger replizierten mit Schriftsatz vom 10. Januar 2022. Mit aufgrund mündlicher Verhandlung ergangenem Urteil vom 25. Februar 2022 – OVG 1 B 10/21 – verpflichtete das Oberverwaltungsgericht die Schiedsstelle zur Neubescheidung. Sie habe die gesetzlichen Voraussetzungen der Entgeltfestsetzung zu Lasten der Kläger fehlerhaft gewichtet und damit die Grenzen des ihr eingeräumten Beurteilungs- und Gestaltungsspielraums verkannt. Zwar dürfte der „Marktpreis“, der sich idealerweise in einer ausreichenden Konkurrenzsituation auf der Basis einer sparsamen und wirtschaftlichen Betriebsführung entwickle und die notwendige Leistungsfähigkeit gewährleiste, grundsätzlich eine zu berücksichtigende Referenzgröße bilden. Entscheidend sei jedoch, unter welchen tatsächlichen Umständen dieser Bezugspunkt als erschüttert anzusehen sei und deshalb nicht mehr ohne Weiteres zugrunde gelegt werden könne. Dieser Frage hätte die Schiedsstelle nachgehen müssen. In der weiteren Betrachtung der Schiedsstelle seien die qualitativen Anforderungen des § 21 Abs. 1 Satz 3 RDG an die Gewährleistung der Leistungsfähigkeit des Krankentransports aus dem Blick geraten. Es fehlten sowohl ausreichende tatsächliche Feststellungen zur Kostenseite der Leistungserbringer als auch zur Qualität der Leistungserbringung. Aufgrund der fehlenden Erkenntnisse sei die vorgenommene Abwägung rechtsfehlerhaft. Das Urteil, in dem die Revision nicht zugelassen wurde, wurde den an dem Berufungsverfahren beteiligten Klägern am 22. März 2022 und den weiteren Beteiligten im Zeitraum vom 21. bis 28. März 2022 zugestellt.
Die Kläger haben am 21. Oktober 2022 die vorliegende Klage erhoben, mit der sie eine nach gerichtlichem Ermessen zu bestimmende Entschädigung wegen unangemessener Dauer des Ausgangsverfahrens nebst Zinsen begehren, wobei sie 4.400 Euro pro Kläger für angemessen halten. Daneben begehren sie eine Entschädigung für außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 6.102,06 Euro nebst Zinsen. Die mit der Eingangsverfügung übersandte Vorabkostenrechnung vom 25. Oktober 2022 haben die Kläger am 31. Oktober 2022 beglichen. Daraufhin ist die Klage dem Beklagten am 7. November 2022 zugestellt worden.
Zur Begründung führen die Kläger im Wesentlichen aus, die von ihnen geltend gemachte Entschädigung beziehe sich nur auf die Verfahrensverzögerung vor dem Sozialgericht. Eine rechtzeitige Entscheidung des Sozialgerichts über seine Unzuständigkeit innerhalb von 12 Monaten und ein – wie geschehen über zwei Instanzen in ca. 14 Monaten – halbwegs zügiges Verfahren vor den Verwaltungsgerichten hätte zu einer Entscheidung in zweiter Instanz im Frühjahr 2018 führen müssen. Die unangemessene Verzögerung belaufe sich deshalb auf insgesamt vier Jahre oder 48 Monate. Hiervon rügten sie 44 Monate, weil ein Teil der Verzögerung zu ihren Lasten gehen könne. Das verzögerte Gerichtsverfahren sei Ursache dafür, dass die später durch das Oberverwaltungsgericht bestätigte Rechtsauffassung auch in den nachfolgenden Schiedsstellenverfahren nur unzureichend beachtet worden sei, weshalb erneut zu niedrige Entgelte festgesetzt worden seien. Bei rechtzeitiger Erledigung hätte über die im Frühjahr 2018 noch nicht abgeschlossenen bzw. noch nicht begonnenen Schiedsstellenverfahren der Jahre 2016 bis 2021 nach Maßgabe der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts verhandelt werden können. Die Schiedsstellenentscheidung wäre dann „kalkulierbar" gewesen, die Aussichten dagegen gerichteter Klagen hätten besser eingeschätzt werden können und den Klägern wie auch den gesetzlichen Krankenkassen wären hohe Verfahrenskosten erspart geblieben. Bei dem Verwaltungsgericht seien Klagen gegen die Festsetzung der Entgelte für die Jahre 2016 bis 2019 (Schiedsstellenbeschluss vom 7. September 2020) sowie für die Jahre 2020 und 2021 (Schiedsstellenbeschluss vom 9. Dezember 2021) anhängig.
Soweit das Sozialgericht seit September/Oktober 2019 die Klärung der Zuständigkeitsfrage durch das Oberverwaltungsgericht und Bundesverwaltungsgericht abgewartet habe, müsse auch dieser Zeitraum zur entschädigungspflichtigen Verzögerung hinzugerechnet werden, weil das Sozialgericht die Beteiligten darüber nicht informiert und das Verfahren nicht förmlich ausgesetzt habe. Die Kläger hätten erst im Nachhinein von den verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen erfahren. Entgegen der Auffassung des Beklagten könne sich das Sozialgericht nicht mit den Verhältnissen während der Corona-Pandemie entlasten. Ebenso wenig dürfe dem Beklagten das zügige Verfahren vor dem Verwaltungsgericht im Sinne einer Kompensation zugutekommen. Wie das Urteil des Oberverwaltungsgerichts zeige, habe das Verfahren keine besonderen materiell-rechtlichen Schwierigkeiten aufgewiesen. Andererseits handele es sich auch nicht um einen einfachen Fall, der ggf. mit richterlichem Hinweis an die Beteiligten vorzeitig hätte beendet werden können. Die wesentlichen Tatsachen seien unstreitig gewesen, so dass weder umfangreiche Erörterungen zur Sache noch schwierige Rechtsfragen aufzuarbeiten gewesen wären. In der Sache sei es „nur" um die Überprüfung der Schiedsstellenentscheidung auf Ermessensfehler gegangen. Das Verfahren sei für die klagenden Unternehmer von existenzieller Wichtigkeit gewesen.
Nachdem die Klägerinnen zu 21 und zu 24 ihre Klage zurückgenommen haben, beantragen die übrigen Kläger,
den Beklagten zu verurteilen,
1. den Klägern jeweils gesondert eine nach gerichtlichem Ermessen angemessene Entschädigung wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Berlin und dem Verwaltungsgericht Berlin in der ersten Instanz geführten Verfahrens nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit dem 2. Oktober 2020, hilfsweise Prozesszinsen, zu zahlen, wobei die Kläger einen Betrag von jeweils 4.400 Euro als angemessen ansehen, und
2. den Klägern eine Entschädigung für die ihnen entstandenen Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von insgesamt 6.102,06 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins ab dem 3. Oktober 2020 zu zahlen.
In Bezug auf den Klageantrag zu 2) haben die Kläger hilfsweise Schriftsatznachlass geltend gemacht, um vortragen zu können, inwieweit ihnen ein Schaden entstanden ist.
Der Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Er macht im Wesentlichen geltend, unter Berücksichtigung des gesamten Verfahrens verblieben im Ergebnis keine entschädigungspflichtigen Zeiträume. Zwar sei das Verfahren vom Sozialgericht von Mai 2018 bis Juli 2020, d.h. in insgesamt 27 Monaten nicht wesentlich gefördert worden. Diese Inaktivität führe jedoch wegen des den Gerichten zustehenden Vorbereitungs- und Bedenk- beziehungsweise Gestaltungsspielraums sowie wegen der pandemiebedingten Einschränkungen des Gerichtsbetriebs und wegen der instanzübergreifenden Kompensationsmöglichkeiten nicht zu einem Entschädigungsanspruch.
Für den Verfahrensabschnitt vor dem Sozialgericht verblieben unter Berücksichtigung der ihm nach sozialgerichtlichen Maßstäben über die Phasen der aktiven Verfahrensförderung hinaus regelmäßig einzuräumenden Vorbereitungs- und Bedenkzeit von zwölf Monaten allenfalls 15 Monate entschädigungsrelevanter gerichtlicher Inaktivität. Nach verwaltungsgerichtlichen Maßstäben ergebe sich kein anderes Ergebnis. Im Hinblick auf die tatsächliche und rechtliche Komplexität des Verfahrens mit zahlreichen Beteiligten und ungeklärten Rechtsfragen – neben den übrigen prozessualen und materiellen Fragen sei die Rechtswegzuständigkeit offen gewesen – erscheine ein Gestaltungsspielraum von zwölf Monaten angemessen.
Die gerichtliche Inaktivität in den Monaten März bis Mai 2020 sei dem Beklagten nicht zuzurechnen. Aufgrund der am Sozialgericht Berlin getroffenen Schutzmaßnahmen nach Auftreten der Sars-CoV-2-Pandemie sei der Gerichtsbetrieb von März bis Mai 2020 auf das Notwendigste beschränkt geblieben. Die Mitarbeitenden der Geschäftsstellen seien überwiegend zunächst ins Homeoffice beordert worden und auch für die Richterschaft sei dies angeregt worden. In den folgenden Wochen seien aufgrund dringlicher Aufforderung der Gerichtsverwaltung lediglich eilige Rechtssachen zur Entscheidung gelangt. Erst im Juni 2020 sei wieder ein eingeschränkter Regelbetrieb aufgenommen worden. Dementsprechend verbleibe eine entschädigungspflichtige Verzögerung von allenfalls 12 Monaten.
Diese Verzögerung sei dadurch vollständig kompensiert worden, dass das Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht innerhalb von nur sieben Monaten beendet und damit sehr zügig behandelt worden sei. Nach sozialgerichtlichen Maßstäben sei in dem Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht kein einziger Monat gerichtlicher Inaktivität festzustellen, so dass erneut 12 Monate Vorbereitungs- und Bedenkzeit abzuziehen seien. Dies führe zu einer vollständigen Kompensation der erstinstanzlichen Verzögerung. Auch bei Anlegung verwaltungsgerichtlicher Maßstäbe habe dem Oberverwaltungsgericht ein Gestaltungsspielraum von zwölf Monaten ab Entscheidungsreife zur Verfügung gestanden, der wegen des sofort nach Entscheidungsreife gefällten Urteils insgesamt als Kompensation zur berücksichtigen sei.
Der Senat hat den begehrten Schriftsatznachlass gewährt und das Verfahren für die Kläger zu 1 bis 20, 22, 23, 25 und 26 in Bezug auf den Klageantrag zu 2 durch Beschluss abgetrennt. Das Verfahren wird unter dem Aktenzeichen OVG 3 A 8/23 fortgeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Streitakte und die beigezogenen Gerichtsakten des Ausgangsverfahrens Bezug genommen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Beratung gewesen sind.
Soweit die Klägerinnen zu 21 und 24 ihre Klage zurückgenommen haben, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Da der Senat das Verfahren der übrigen Kläger (zu 1 bis 20, 22, 23, 25 und 26) in Bezug auf den Klageantrag zu 2 abgetrennt hat, ist im vorliegenden Verfahren nur noch über deren Antrag zu 1 zu entscheiden. Die Klage hat insoweit in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang – ganz überwiegend - Erfolg.
1. Die Klage ist als allgemeine Leistungsklage statthaft und auch sonst zulässig.
Das Oberverwaltungsgericht ist für die Entscheidung über die Entschädigungsklage gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG i.V.m. § 173 Satz 2 VwGO zuständig. Dass das als überlang gerügte Ausgangsverfahren zunächst beim Sozialgericht anhängig war, steht dem nicht entgegen. Das Ausgangsverfahren bildet in seiner Gesamtdauer – von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss – den einheitlichen Gegenstand der Entschädigungsklage (vgl. § 198 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 6 Nr. 1 GVG). Es ist durch die Verweisung nicht mit der Folge aufgespalten worden, dass im Entschädigungsverfahren nach § 198 ff. GVG zwei Streitgegenstände vorliegen. Die bindende Verweisung eines Verfahrens in die Verwaltungsgerichtsbarkeit und sein Abschluss im dortigen Instanzenzug eröffnen daher für einen Entschädigungsrechtsstreit wegen überlanger Verfahrensdauer die Rechtswegzuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit für das gesamte Ausgangsverfahren (vgl. ebenso zu einer Verweisung in die ordentliche Gerichtsbarkeit m.w.N. BVerwG, Beschluss vom 8. Dezember 2021 – 5 B 1.21 – juris Rn. 18).
Dass sich der Klageantrag auf eine Entschädigung für die überlange Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens vor dem Sozialgericht Berlin und dem Verwaltungsgericht Berlin beschränkt, begegnet im Hinblick auf die Dispositionsbefugnis der Kläger als Rechtsmittelführer (vgl. § 88 VwGO) keinen Bedenken. Ein Rechtsmittel kann auf einen von mehreren selbstständigen Streitgegenständen einer Klage oder auf einen Teil des Streitgegenstandes beschränkt werden, wenn dieser Teil vom Gesamtstreitstoff abteilbar ist und materiell-rechtliche Gründe einer gesonderten Entscheidung darüber nicht entgegenstehen. Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf einen Verfahrenszug wie hier das erstinstanzliche Verfahren gegeben (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 – 5 C 23.12 D – juris Rn. 60 und vom 27. Februar 2014 – 5 C 1.13 D – juris Rn. 12). Bezugsrahmen für die materiell-rechtliche Frage, ob sich die Verfahrensdauer als angemessen im Sinne von § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG darstellt, bleibt allerdings die Gesamtdauer des Ausgangsverfahrens im Sinne des § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG. Bei einem Verfahren, das über mehrere Instanzen geführt worden ist, kann deshalb durch die zügige Behandlung der Sache in einer höheren Instanz eine etwaige Überlänge in der Vorinstanz ganz oder teilweise kompensiert werden (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 – 5 C 23.12 D – juris Rn. 17 und 61 sowie vom 27. Februar 2014 – 5 C 1.13 D – juris Rn. 11 ff.).
Die Klagefrist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG ist durch den Klageeingang am 21. Oktober 2022 gewahrt. Das Berufungsurteil, durch das das Ausgangsverfahren für die Kläger abgeschlossen worden ist, wurde ihnen am 22. März 2022 zugestellt und ist ihnen gegenüber im Hinblick auf die einmonatige Frist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO mit Ablauf des 22. April 2022 rechtskräftig geworden. Die Frist des § 198 Abs. 5 Satz 2 GVG endete demnach am 24. Oktober 2022 (Montag). Zwar ist die Klage gemäß § 90 Satz 2 VwGO erst mit der Zustellung an den Beklagten am 7. November 2022 rechtshängig geworden. Den Klägern kommt indes die Regelung des § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 167 ZPO zugute (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17. September 2019 – OVG 3 A 10.18 – juris Rn. 22 f.). Die Zustellung ist im Sinne des § 167 ZPO „demnächst“ erfolgt, denn die Kläger haben die mit der Eingangsverfügung übersandte Kostenrechnung vom 25. Oktober 2022 umgehend beglichen – die Zahlung ist am 31. Oktober 2022 eingegangen – und somit die daraufhin erfolgte Zustellung (vgl. § 12a i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 GKG) nicht mehr als geringfügig verzögert.
2. Die Klage ist ganz überwiegend begründet. Den Klägern steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch in Höhe von jeweils 4.300 Euro nebst in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 7. November 2022 zu. Hinsichtlich der darüber hinausgehenden Haupt- und Zinsforderung bleibt der Klageantrag dagegen ohne Erfolg.
a) Die Rechtsgrundlage für den Entschädigungsanspruch ergibt sich aus § 198 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Sätze 1 bis 3, Abs. 3 Satz 1 GVG. Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Der durch eine unangemessene Verfahrensdauer eingetretene immaterielle Nachteil ist nach Maßgabe des § 198 Abs. 2 GVG zu entschädigen. Nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG erhält ein Verfahrensbeteiligter eine Entschädigung nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verfahrensdauer ist unangemessen, wenn eine insbesondere an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls ergibt, dass die aus konventions- und verfassungsrechtlichen Normen (Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) folgende Verpflichtung des Staates, Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zum Abschluss zu bringen, verletzt ist.
Als Kriterien für die Angemessenheit der Verfahrensdauer nennt § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Beteiligten und Dritter. Für die konkrete Bestimmung, ab wann die Verfahrensdauer wegen der verzögerten Verweisung an das Verwaltungsgericht unangemessen war, ist zu beurteilen, inwieweit die durch die Verfahrensführung des Gerichts eingetretene Verfahrensverzögerung unter Berücksichtigung des den Ausgangsgerichten insoweit zukommenden Gestaltungsspielraums noch als sachlich gerechtfertigt angesehen werden muss (vgl. m.w.N. BVerwG, Beschluss vom 12. März 2018 – 5 B 26.17 D – juris Rn. 6). Der Senat folgt insoweit den für verwaltungsgerichtliche Verfahren geltenden Maßstäben, weil es sich bei dem Ausgangsverfahren um eine verwaltungsgerichtliche Streitigkeit handelt. Die bei einem unzuständigen Gericht eines anderen Rechtswegs erhobene Klage kann nicht dazu führen, dass entschädigungsrechtlich die in dieser Gerichtsbarkeit entwickelten Kriterien berücksichtigt werden.
Hieran gemessen weist das Ausgangsverfahren im ersten Verfahrenszug eine entschädigungspflichtige überlange Verfahrensdauer auf. Der Senat hält für das erstinstanzliche Verfahren, das – gerechnet von der Klageerhebung beim Sozialgericht am 25. Januar 2016 bis zur Zustellung des Urteils des Verwaltungsgerichts an die Kläger am 21. Juni 2021 – fünf Jahre und fünf Monate, d.h. 65 Monate, gedauert hat, lediglich eine Dauer von gut 18 Monaten für angemessen, woraus sich eine unangemessene Verfahrensdauer des erstinstanzlichen Verfahrens von 47 Monaten ergibt.
Zwar ist zu berücksichtigen, dass das erstinstanzliche Verfahren, nachdem die Kläger zunächst den unzuständigen Rechtsweg beschritten hatten und der Rechtsstreit vom Sozialgericht an das Verwaltungsgericht zu verweisen war, länger dauern durfte, als wenn die Klage sofort im zuständigen Rechtsweg erhoben worden wäre. Jedoch hätte das Sozialgericht die Verweisung erheblich früher beschließen müssen.
Dem Sozialgericht hätten sich bereits bei Eingang der Klage Zweifel an seiner Zuständigkeit aufdrängen müssen. Die Schiedsstelle hatte in dem angefochtenen Bescheid die Auffassung vertreten, dass der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit eröffnet sei, und hierzu zugleich auf die anderslautende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Berlin (Urteil vom 10. Dezember 2008 – 38 A 38.08 –) hingewiesen. Auch die Kläger hatten in ihrer Klagebegründung, in der sie der Rechtsauffassung der Schiedsstelle beipflichteten, die hiervon abweichende Ansicht des Verwaltungsgerichts Berlin (zuletzt mit Urteil vom 29. September 2009 – VG 21 K 7.09 –) erwähnt.
Die sich danach aufdrängende, von Amts wegen gebotene Prüfung, ob der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet war, betraf eine weder komplexe noch besonders schwierige Rechtsfrage. Zwar lag bei Klageerhebung im Ausgangsverfahren noch keine obergerichtliche oder höchstrichterliche Rechtsprechung zum Rechtsweg für Streitigkeiten über die Festsetzung von Entgelten durch die Schiedsstelle nach § 21 Abs. 2 RDG vor. Entsprechende Entscheidungen sind erst im späteren Verlauf des Verfahrens ergangen, nachdem das Verwaltungsgericht Berlin in einem parallel gelagerten Verfahren erneut, nunmehr im Wege der Vorabentscheidung nach § 17a Abs. 3 Satz 1 GVG, seine Zuständigkeit bejaht hatte (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 1. Oktober 2019 – 25 K 111.19 –, nachfolgend OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. Januar 2020 – 1 L 30.19 – und BVerwG, Beschluss vom 7. Mai 2020 – 3 B 2.20 – jeweils bei juris). Die maßgeblichen rechtlichen Gesichtspunkte waren jedoch bereits in der von der Schiedsstelle zitierten Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin sowie in früheren Entscheidungen des Verwaltungsgerichts Schleswig und des Verwaltungsgerichtshofs München herausgestellt worden.
Das Verwaltungsgericht Berlin (Urteil vom 10. Dezember 2008 – 38 A 38.08 – juris Rn. 27) hatte im Wesentlichen darauf abgestellt, dass der Rechtsstreit im landesrechtlichen Rettungsdienstrecht fuße und die in Teil 5 des Rettungsdienstgesetzes geregelte Finanzierung des Rettungsdienstes betreffe. Es handele sich weder um eine Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung (§ 51 Abs. 1 Nr. 2 SGG) noch um eine sonstige Angelegenheit der Sozialversicherung (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 SGG). Zwar würden durch die landesrechtlich geregelte Vergütung auch gesetzliche Versicherungsträger als Kostenträger verpflichtet, die die entsprechenden Leistungen im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung oder sonstigen Sozialversicherung als Sachleistungen zu erbringen hätten. Die in der Regelungskompetenz des Landes liegenden Finanzierungsfragen des Krankentransportes würden dadurch jedoch nicht zu durch Bundesrecht geregelten kranken- oder sozialversicherungsrechtlichen Angelegenheiten. Die Regelung in § 21 Abs. 1 Satz 4 RDG zeige lediglich materiell-rechtliche Grenzen für die Finanzierung des Rettungsdienstes auf. Das Verwaltungsgericht Schleswig, auf dessen Entscheidung das Verwaltungsgericht Berlin Bezug genommen hatte, sowie der Verwaltungsgerichtshof München hatten darüber hinaus darauf hingewiesen, dass § 133 SGB V zwar eine ausdrückliche Regelung über die Entgelte für die Inanspruchnahme von Leistungen des Rettungsdienstes enthalte, die indes gemäß § 133 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz SGB V unter dem ausdrücklichen Vorbehalt anderweitiger landesrechtlicher und kommunalrechtlicher Bestimmungen stehe. Habe der Landesgesetzgeber, wie nach dem jeweils zu beurteilenden Landesrecht geschehen, von diesem Vorbehalt Gebrauch gemacht und nähere Grundsätze über die Art und Weise der Festlegung der Entgelte und deren Höhe aufgestellt, so seien die wesentlichen streitentscheidenden Regelungen dem Landesrecht zu entnehmen und die subsidiäre Vorschrift des § 133 Abs. 1 SGB V (i.V.m. § 71 Abs. 1 bis 3 SGB V) komme nicht zur Anwendung (vgl. VG Schleswig, Urteil vom 19. Dezember 2006 – 3 A 249.03 – juris Rn. 20; VGH München, Beschluss vom 11. Juli 2001 – 25 C 00.1271 – juris Rn. 3).
Die von der Schiedsstelle im Bescheid vom 15. Dezember 2015 angeführten Gegenargumente waren danach unschwer zurückzuweisen: Ersichtlich hat auch der Berliner Landesgesetzgeber in § 21 Abs. 1 Sätze 2 und 3 RDG materiell-rechtliche Grundsätze zur Höhe der Entgelte aufgestellt. Angesichts dessen war weder aus der in § 21 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 RDG vorgesehenen Beteiligung der Krankenkassenverbände an der Entgeltvereinbarung und am Schiedsstellenverfahren noch aus der nur subsidiären Verweisung in § 21 Abs. 1 Satz 4 RDG auf die Vorschriften des § 133 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V abzuleiten, dass die maßgebliche materielle Rechtsgrundlage für die Entgeltfestsetzung im Sozialgesetzbuch zu sehen war. Ebenso wenig bestand danach Grund für die Annahme, die – unter dem Vorbehalt einer fehlenden landesrechtlichen Regelung stehenden – Bestimmungen des § 133 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V seien originär anwendbar. Ohne Aussagekraft war schließlich der Verweis auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 20. November 2008. Dieser Entscheidung lag ein Streit über vertragliche Vergütungsansprüche nach Abschluss von Vereinbarungen im Sinne von § 133 Abs. 1 Satz 1 SGB V zugrunde, wobei das Bundessozialgericht im Anschluss an die Vorinstanz zugrunde gelegt hatte, dass keine vorgehenden landesrechtlichen oder kommunalrechtlichen Bestimmungen im Sinne des § 133 Abs. 1 Satz 1 SGB V bestünden (vgl. BSG, Urteil vom 20. November 2008 – B 3 KR 25/07 R – juris Rn. 31).
Bei der gebotenen Prüfung hätte sich dem Sozialgericht hiernach ohne weiteres aufdrängen müssen, dass der Rechtsstreit, wie es auch später selbst – wenngleich erst nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom Mai 2020 – erkannt hat, an die Verwaltungsgerichtsbarkeit zu verweisen war.
Dass über die deshalb gebotene Verweisung möglichst zügig entschieden werden musste, ergab sich nicht allein aus dem auch § 17a GVG zugrunde liegenden verfahrensökonomischen Interesse daran, den Rechtsstreit möglichst schnell dem gesetzlichen Richter zuzuleiten. Hinzu kam hier außerdem die besondere wirtschaftliche Bedeutung des Ausgangsverfahrens für die Kläger sowie die beizuladenden Kostenträger. Der plausiblen Einlassung der Kläger zufolge genügte das durch den angegriffenen Schiedsspruch lediglich geringfügig erhöhte Entgelt nicht, um die entstandenen Kosten zu decken, sodass ihre Leistungsfähigkeit und die notwendige medizinische Versorgung gefährdet waren. Welcher Betrag insgesamt im Streit stand, lässt sich aus dem vom Oberverwaltungsgericht im Ausgangsverfahren für den ersten Rechtszug auf anfangs 3.800.000 Euro sowie ab der Teilerledigung infolge der Einigung mit dem ursprünglichen Beigeladenen zu 6 auf 1.900.000 Euro und für das Berufungsverfahren auf 1.700.000 Euro festgesetzten Streitwert ableiten. Der Wertfestsetzung lag die Differenz zwischen festgesetztem und gefordertem Entgelt sowie die Gesamtzahl der Einsatzfahrten der beteiligten Kläger zugrunde, wobei die hieraus berechnete Gesamtsumme nur zur Hälfte angesetzt wurde, weil die Klage allein auf Neubescheidung gerichtet war. Das Verfahren war zudem über den eigentlichen Streitgegenstand hinaus auch für die Folgejahre von erheblicher Bedeutung. Zwar beschränkte sich der Streitgegenstand auf die Entgelte für das bereits abgelaufene Jahr 2015. Es war aber absehbar, dass es um Fragen ging, die sich in gleicher Weise für die Entgeltfestlegung der Folgejahre stellten. Dies wurde im Laufe des Verfahrens, in dem die parallel anhängigen Schiedsstellenverfahren für die Jahre 2016 bis 2021 zu Sprache kamen, zunehmend klar. Im Hinblick auf den Charakter der Entgeltvereinbarung nach § 21 Abs. 1 RDG als „Kollektivvereinbarung“ war das Verfahren über den Kreis der Kläger hinaus auch für die anderen in Berlin tätigen Krankentransportunternehmen von Relevanz. Es betraf außerdem das Gesundheitswesen, denn nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen der Kläger stand die angemessene Versorgung der Bevölkerung mit Krankentransportleistungen auf dem Spiel. Für die als Kostenträger beigeladenen Versicherungsträger ging es ebenfalls um wirtschaftliche Auswirkungen.
Der Senat kommt danach bei der an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichteten Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls zu dem Ergebnis, dass das Sozialgericht unter Ausschöpfung des ihm zustehenden Gestaltungsspielraums bis spätestens sechs Monate nach Eingang der Klagebegründung (am 3. Februar 2016) über die Verweisung an das Verwaltungsgericht Berlin hätte entscheiden und die Akten dorthin hätte abgeben müssen. Er berücksichtigt hierbei auch die für die Verweisung und Abgabe erforderlichen Verfahrensschritte wie die gebotene Anhörung der Beteiligten (§ 17a Abs. 2 GVG) und das Abwarten der Rechtskraft des Verweisungsbeschlusses (vgl. zur Beschwerdefrist § 173 SGG) sowie insbesondere auch den Umstand, dass es im Hinblick auf das rechtliche Gehör der beizuladenden Kostenträger geboten war, sie vor der Verweisung beizuladen.
In Bezug auf das weitere Verfahren bis zum Abschluss der ersten Instanz ist ebenfalls eine an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen und der dem Gericht zuzubilligende Gestaltungsspielraum einzubeziehen.
Die Schwierigkeit des Verfahrens ist in materiell-rechtlicher Hinsicht – anders als die Frage nach dem Rechtsweg – als (geringfügig) überdurchschnittlich zu bewerten. Zwar war die Prüfungsbefugnis des Gerichts begrenzt, weil der Schiedsstelle bei der Festsetzung der Entgelte ein weiter Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum zustand und die Entscheidung der Schiedsstelle nur darauf zu überprüfen war, ob sie die widerstreitenden Interessen der Vertragsparteien richtig ermittelt und alle für die Abwägung erforderlichen tatsächlichen Erkenntnisse gewonnen sowie die Abwägung frei von Einseitigkeit in einem den gesetzlichen Vorgaben entsprechenden fairen und willkürfreien Verfahren unter Beachtung der maßgeblichen rechtlichen Vorgaben vorgenommen hat (vgl. VG Berlin, Urteil vom 2. Juni 2021 – 25 K 5/21 – juris Rn. 45; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Februar 2022 – 1 B 10/21 – juris Rn. 36).
Gleichwohl wies das Verfahren in rechtlicher Hinsicht eine knapp überdurchschnittliche Schwierigkeit auf: Zu bestimmen waren die Bedeutung der landesrechtlichen Vorgaben für die Festlegung der Höhe der Entgelte in § 21 Abs. 1 Satz 3 RDG und deren Verhältnis zu den daneben zu beachtenden sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen (vgl. § 21 Abs. 1 Satz 4 RDG i.V.m. § 133 Abs. 1, § 71 Abs. 1 bis 3 SGB V), etwa im Hinblick auf die grundsätzliche Begrenzung von Vergütungserhöhungen, den Vorrang der Ausschöpfung von Wirtschaftlichkeitsreserven und allgemein den Grundsatz der Beitragssatzstabilität. Im Hinblick auf die Argumentation der Schiedsstelle stellte sich die Frage, ob die Entgeltfestsetzung sich maßgeblich an den Anbieterpreisen am Markt orientieren durfte, oder ob auch die erforderlichen Kosten auf der Seite der Aufgabenträger zu berücksichtigen waren. Hierzu fehlte es bis zu der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts im Ausgangsverfahren an einer grundsätzlichen Klärung. Auch in tatsächlicher Hinsicht ist von einem gewissen Schwierigkeitsgrad auszugehen. Zwar hatte das Verwaltungsgericht im Hinblick auf die eingeschränkte gerichtliche Überprüfung der Schiedsstellenentscheidung keine weitere Sachverhaltsaufklärung durchzuführen. Es musste aber beurteilen, ob die Schiedsstelle den Sachverhalt zutreffend erfasst und hinreichend aufgeklärt hatte. Dies erforderte im Hinblick auf die eingereichten Gutachten und Kostenkalkulationen die Erfassung und Würdigung eines komplexen Sachverhalts.
Im Hinblick auf das nach § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG außerdem bedeutsame Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter berücksichtigt der Senat, dass im Verlauf des Verfahrens vor dem Sozialgericht zeitweilig Ansätze einer Vergleichsbereitschaft zu erkennen waren. Dies betrifft etwa die nach Mitteilung der Kläger von Dezember 2016 bis März 2017 geführten außergerichtlichen Verhandlungen mit der späteren Beigeladenen zu 1 und die Ende November 2017 mit dem erstinstanzlichen Beigeladenen zu 6 erzielte außergerichtliche Einigung, die zu einer teilweisen Erledigung des Verfahrens geführt hat. Allerdings war eine vollständige vergleichsweise Erledigung des Ausgangsverfahrens angesichts der erheblich auseinander liegenden Standpunkte der Kläger einerseits sowie der Beklagten und der Beigeladenen auf der anderen Seite, auch im Hinblick auf die Anzahl der an dem Verfahren beteiligten Kostenträger, wenig wahrscheinlich. Der Senat hält es daher nicht für gerechtfertigt, die angemessene Verfahrensdauer deswegen erheblich länger anzusetzen.
Ausgehend hiervon, u.a. von der besonderen Dringlichkeit für die Kläger einerseits und von der (nur) geringfügig überdurchschnittlichen Schwierigkeit der Rechts- und Tatsachenfragen andererseits sowie unter Berücksichtigung des richterlichen Gestaltungsspielraumes und der sonstigen Umstände des Ausgangsverfahrens wie z.B. der hohen Anzahl der Beteiligten bestimmt der Senat die angemessene Verfahrensdauer bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens auf weitere 12 Monate seit dem Eingang der Akten bei dem Verwaltungsgericht. Unabhängig davon ist zu bedenken, dass das Verwaltungsgericht angesichts der bereits mehrjährigen Verfahrensdauer zu einer beschleunigten Bearbeitung aufgerufen war. Selbst wenn man dies verneint, wäre durch die Klageerhebung beim unzutreffenden Gericht auch dann ein gewisser Zeitraum „verloren“ gewesen, wenn man davon ausgeht, dass das Sozialgericht das Verfahren nach sechs Monaten verwiesen hätte.
Danach ergibt sich für das erstinstanzliche Verfahren – gerechnet bis zur Zustellung des erstinstanzlichen Urteils – eine (noch) angemessene Verfahrensdauer von insgesamt 18 Monaten. Da das erstinstanzliche Urteil hiernach bis Anfang August 2017 hätte zugestellt werden müssen, ist eine pandemiebedingte Verfahrensverzögerung nicht zu berücksichtigen.
Die für das erstinstanzliche Verfahren ermittelte unangemessene Verfahrensdauer von 47 Monaten wird hier im Umfang von vier Monaten durch den im Berufungsverfahren erzielten Zeitgewinn kompensiert, so dass sich für das Ausgangsverfahren insgesamt eine entschädigungspflichtige Verfahrensverzögerung von 43 Monaten ergibt.
Wie bereits dargelegt, kann durch die zügige Behandlung der Sache in einer Instanz eine etwaige Überlänge in einer anderen (vorangegangenen oder nachfolgenden) Instanz ganz oder teilweise kompensiert werden. Dies ergibt sich daraus, dass die Angemessenheit der Verfahrensdauer (§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG), auch wenn ein Entschädigungsanspruch – wie hier – nur bezüglich der Dauer des Verfahrens in einer von mehreren Instanzen geltend gemacht wird, materiellrechtlich unter Berücksichtigung der Gesamtdauer des gerichtlichen Verfahrens von dessen Einleitung in der ersten Instanz bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss in der letzten Instanz (vgl. § 198 Abs. 6 Nr. 1 GVG) zu beurteilen ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 11. Juli 2013 – 5 C 23.12 D – juris Rn. 16 f. und 61 und vom 27. Februar 2014 – 5 C 1.13 D – juris Rn. 12; s. auch BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2017 – 5 B 11.17 D – juris Rn. 5 ff. und 13).
Danach ergibt sich hier ein im Berufungsverfahren erzielter Zeitgewinn von vier Monaten, denn während das Berufungsverfahren – gerechnet ab der Berufungseinlegung am 21. Juli 2021 bis zur Urteilzustellung im März 2022 – tatsächlich rund acht Monate gedauert hat, bemisst der Senat die (noch) angemessene Verfahrensdauer für diesen Verfahrensabschnitt unter Berücksichtigung der an den Merkmalen des § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ausgerichtete Gewichtung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalls und des dem Berufungsgericht zuzubilligenden Gestaltungsspielraums nach Eingang der Berufungsbegründung und der Erwiderung auf insgesamt zwölf Monate. Hierfür kann wegen der Bedeutung des Verfahrens sowie wegen der Schwierigkeit in Bezug auf die Sachentscheidung – die Rechtswegfrage stellte sich im Hinblick auf § 17a Abs. 5 GVG im Berufungsverfahren nicht mehr – auf die obigen Ausführungen verwiesen werden. Da das Berufungsverfahren danach bereits im Jahre 2018 hätte abgeschlossen werden müssen, ist auch insoweit keine längere Verfahrensdauer aufgrund der Corona-Pandemie anzusetzen.
Die Kläger haben am 6. März 2019 wirksam Verzögerungsrüge erhoben, § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 29. Februar 2016 – 5 C 31.15 D – juris Rn. 14). Die Voraussetzungen des § 198 Abs. 3 Satz 2 GVG lagen vor, weil bei deren Erhebung aufgrund der mehrjährigen Dauer Anlass zur Besorgnis bestand, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen würde.
Danach steht den Klägern jeweils eine Entschädigung in Höhe von 4.300 Euro zu.
Die Entschädigung für den nach § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG zu vermutenden immateriellen Nachteil beträgt grundsätzlich 1.200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung (§ 198 Abs. 2 Satz 3 GVG). Für Zeiträume unter einem Jahr erfolgt eine anteilige Berechnung (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Februar 2016 – 5 C 31.15 D – juris Rn. 47). Da eine unangemessene Verzögerung im Umfang von 43 Monaten festzustellen ist, für eine abweichende Bemessung (§ 198 Abs. 2 Satz 4 GVG) kein Anlass besteht und eine Wiedergutmachung auf andere Weise nicht als ausreichend angesehen werden kann (vgl. § 198 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 4 GVG), können die genannten Kläger jeweils eine Entschädigung in Höhe von 4.300 Euro beanspruchen.
b) Die Kläger haben daneben einen Anspruch auf (Prozess-)Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus dem Betrag von 4.300 Euro ab dem 7. November 2022, dem Eintritt der Rechtshängigkeit der Entschädigungsklage (§ 288 Abs. 1, § 291 BGB i.V.m. § 90 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Ihre weitergehende Zinsforderung ist nicht begründet. Eine analoge Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften des § 288 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 286 BGB über den Schuldnerverzug scheidet aus, da es sich bei dem Entschädigungsanspruch nach § 198 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 GVG nicht um eine Entgeltpflicht im Gegenleistungsverhältnis handelt. An einer anderweitigen gesetzlichen Bestimmung über die Zahlung von Verzugszinsen fehlt es. Es gibt auch keinen allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsrechts, der zur Zahlung von Verzugszinsen verpflichtet (vgl. zum Ganzen BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2014 – 5 C 1.13 D – juris Rn. 44 f.).
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich im Hinblick auf die Klagerücknahme der Klägerinnen zu 21 und 24 teilweise aus § 155 Abs. 2 VwGO. Im Übrigen beruht sie auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Im Hinblick auf das lediglich geringfügige Unterliegen der übrigen Kläger war es, zumal sie die der gerichtlichen Bewertung unterliegende Bemessung der unangemessenen Verfahrensdauer nicht genau vorhersehen konnten, gerechtfertigt, dem Beklagten die Verfahrenskosten insoweit ganz aufzuerlegen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit – hinsichtlich der Klägerinnen zu 21 und 24 – § 708 Nr. 11, § 711 ZPO bzw. – hinsichtlich der übrigen Kläger – § 709 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.