Gericht | VG Potsdam 3. Kammer | Entscheidungsdatum | 18.08.2023 | |
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Aktenzeichen | 3 L 284/23 | ECLI | ECLI:DE:VGPOTSD:2023:0818.3L284.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 50 Abs 1 AufenthG, § 51 Abs 1 Nr 5 AufenthG, § 58 Abs 2 S 1 Nr 2 AufenthG, § 81 Abs 4 AufenthG, § 84 Abs 2 S 1 AufenthG |
1. Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines noch zu benennenden Rechtsanwalts ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung in dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Bewilligungsreife des Prozesskostenhilfegesuchs aus den unter 2. genannten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 166 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. §§ 114, 121 Zivilprozessordnung (ZPO).
2. Der Antrag des Antragstellers,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 13. März 2023 gegen die Ausweisung in Ziffer 1 des Bescheids des Antragsgegners vom 13. Februar 2023 wiederherzustellen und gegen die Ablehnung der beantragten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis anzuordnen,
hat keinen Erfolg.
Er ist unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.
a) Soweit der Antragsteller die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs gegen die Ausweisung in Ziffer 1 des Bescheids begehrt, ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO unstatthaft, weil die Ausweisung nicht sofort vollziehbar ist. Vielmehr entfaltet bereits der vom Antragsteller erhobene Widerspruch insoweit aufschiebende Wirkung (vgl. § 80 Abs. 1 VwGO). Ein gesetzlicher Ausschluss der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 VwGO besteht nicht; die Ausweisungsverfügung wird nicht vom Katalog der in § 84 Abs. 1 AufenthG genannten Maßnahmen umfasst. Auch ergibt sich nichts Anderes aus § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG. Danach lassen Widerspruch und Klage die Wirksamkeit der Ausweisung unberührt, dies aber „unbeschadet ihrer aufschiebenden Wirkung“. Nach dieser Vorschrift bleiben zwar die materiellen Rechtswirkungen der Ausweisung, insbesondere die gesetzliche Ausreisepflicht (§§ 51 Abs. 1 Nr. 5, 50 Abs. 1 AufenthG) bestehen, deren Vollstreckbarkeit ist aber aufgrund des erhobenen Widerspruchs des Antragstellers gehemmt (vgl. hierzu Kluth, in: BeckOK AuslR, Stand: Januar 2023, § 84 AufenthG, Rn. 26 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Der Antragsgegner hat die aufschiebende Wirkung der Klage auch nicht durch eine Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ausgeschlossen, weshalb eine gerichtliche Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO ebenfalls nicht in Betracht kommt. Es sind ferner keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Antragsgegner entgegen der gesetzlichen Regelung von einer sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisungsverfügung ausgeht, weshalb auch eine Feststellung der aufschiebenden Wirkung nicht in Betracht kommt.
b) Hinsichtlich der begehrten Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO gegen die Versagung der wohl bereits im April 2021, spätestens aber am 25. Mai 2021 telefonisch beantragten Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis (vgl. den handschriftlichen Vermerk auf Bl. 209 VV, vgl. auch Bl. 208) steht dem Antragsteller kein Rechtsschutzbedürfnis zur Seite. Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn das prozessuale Vorgehen die Rechtsstellung des Antragstellers nicht verbessern kann und daher nutzlos ist oder wenn der Antragsteller sein Begehren auf anderem Wege schneller und leichter durchsetzen kann und es hierfür keiner gerichtlichen Inanspruchnahme bedarf (vgl. VGH Mannheim, Urteil vom 21. Dezember 2016 – 1 S 1843/16 –, juris Rn. 20; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 349 f.; Schenke, in: Kopp/ders., VwGO, 28. Aufl. 2022, Vorb. § 40 Rn. 38, 48). Der Antrag ist nutzlos, wenn ein zu beseitigender Nachteil nicht vorliegt oder sich ein bestehender Nachteil nicht beheben lässt (vgl. Sodan, in: ders./Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 42 Rn. 350). So liegt der Fall hier. Der Antragsgegner hat entgegen der Annahme des Antragstellers über den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis noch nicht entschieden, insbesondere nicht mit dem Bescheid vom 13. Februar 2023. Der Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wurde im Bescheid nicht thematisiert. Angesichts des klaren Wortlauts des Tenors kann nicht davon ausgegangen werden, dass mit dem Bescheid auch konkludent die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt werden sollte. Dies zeigt auch die ausdrückliche Erklärung des Antragsgegners mit Schriftsatz vom 22. Mai 2023. Zwar könnte die aufgrund des im April oder Mai 2021 gestellten Verlängerungsantrags eingetretene Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG, wonach der bisherige Aufenthaltstitel vom Zeitpunkt seines Ablaufens (hier am 31. Mai 2021) bis zur Entscheidung der Ausländerbehörde über den Antrag als fortbestehend gilt, entfallen sein. Jedenfalls scheint der Antragsgegner davon auszugehen, wie der Hinweis am Ende des Bescheids vom 13. Februar 2023 zeigt (vgl. aber die Antragserwiderung vom 22. Mai 2023, worin der Antragsgegner mitteilt, der Antragsteller besitze aktuell eine Fiktionsbescheinigung). Womöglich nimmt der Antragsteller aus diesem Grund an, sein Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei bereits abgelehnt worden. Sollte die Fiktionswirkung tatsächlich entfallen sein, was offen ist, wäre dies aber eine Folge der wirksamen Ausweisung in Ziffer 1 des Bescheids. Hierzu sei angemerkt, dass nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG der Aufenthaltstitel bei Ausweisung des Ausländers erlischt. Es ist umstritten und muss hier nicht entschieden werden, ob die Ausweisung in entsprechender Anwendung von § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG im Wege des „Erst-Recht-Schlusses“ auch zum Erlöschen der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG führt (bejahend: Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl. 2022, § 51 AufenthG, Rn. 9; OVG Hamburg, Beschluss vom 18. Januar 1995 – Bs V 262/94 –, juris Rn. 3 [zur Vorgängervorschrift]; vgl. auch VGH Mannheim, Beschluss vom 30. August 2016 – 11 S 1660/16 –; differenzierend: VG Augsburg, Beschluss vom 15. Februar 2010 – Au 1 S 10.217 –, juris Rn. 32; verneinend: OVG Lüneburg, Beschluss vom 9. Februar 1993 – 4 M 146/92 –, juris Rn. 26 [zur Vorgängervorschrift]).
c) Sollte die Fiktionswirkung gemäß § 81 Abs. 4 Satz 1 VwGO durch die Bekanntgabe der Ausweisungsverfügung entsprechend § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG entfallen sein, hätte dies zur Folge, dass der Antragsteller gemäß §§ 50 Abs. 1, 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG vollziehbar ausreisepflichtig wäre. Danach ist die Ausreisepflicht u.a. vollziehbar, wenn die Aufenthaltserlaubnis trotz der beantragten Verlängerung nicht nach § 81 Abs. 4 Satz 1 AufenthG als fortbestehend gilt. Sollte der Antragsteller mit dem Eilantrag bezwecken, vorerst weiterhin in der Bundesrepublik Deutschland bleiben zu dürfen und nicht ausreisen zu müssen, wofür sein Vortrag spricht, „wegen der Androhung des sofortigen Vollzugs der Ausreise“ sei Eile und Dringlichkeit geboten (vgl. S. 5 der Antragsschrift), kommt eine Umdeutung seines bei Gericht gestellten Antrags in Betracht. Unter Berücksichtigung des Gesamtvorbringens nach §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO könnte sein Rechtsschutzziel darin bestehen, die Vollstreckung der Ausreisepflicht zu verhindern, die wegen Entfallens der Fiktionswirkung vollziehbar ist. Ein solcher Antrag wäre indessen unzulässig, weil die Rechtsverfolgung dem Antragsteller keinen Vorteil brächte. Denn der Antragsgegner gibt deutlich zu erkennen, dass er eine Vollstreckung der Ausreisepflicht gegenwärtig nicht beabsichtigt (vgl. den Schriftsatz vom 4. Juli 2023 und den beigefügten Aktenvermerk vom 19. Juni 2023). Dem trägt es Rechnung, dass dem Antragsteller eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 VwGO erteilt wurde. Es besteht daher kein Anlass für ein gerichtliches Einschreiten im Wege eines Eilverfahrens (vgl. VGH Kassel, Beschluss vom 20. Januar 2004 – 12 TG 3204/03 –, juris Rn. 3 ff.)
d) Sollte das Begehren des Antragstellers hingegen dahin auszulegen sein, dass es ihm auf die Verlängerung der Fiktionsbescheinigung (vgl. den Aktenvermerk des Antragsgegners vom 19. Juni 2023) bzw. das Wiederaufleben der Fiktionswirkung nach § 84 Abs. 4 Satz 1 AufenthG ankommt, könnte er dieses Ziel, wenn überhaupt, wohl allenfalls durch einen Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO erreichen. Zwar gilt § 123 Abs. 1 VwGO nach dessen Absatz 5 nicht für die Fälle des § 80 VwGO. Allerdings kommt hier ein Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hinsichtlich der Ausweisung nicht in Betracht, da der erhobene Widerspruch des Antragstellers insoweit bereits aufschiebende Wirkung entfaltet. Gleichwohl lässt der Widerspruch gemäß § 84 Abs. 2 Satz 1 AufenthG die Wirksamkeit der Ausweisung unberührt, sodass der Widerspruch nicht zum Wiederaufleben der Fiktionswirkung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis führt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2008 – OVG 2 S 36.08 –, juris Rn. 4). Daher verbliebe allenfalls ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO etwa mit dem Ziel, die Rechtmäßigkeit der Ausweisung inzident zu prüfen, obwohl auch bei angenommener Rechtswidrigkeit die Fiktionswirkung nicht aufleben dürfte. Ob eine Fallkonstellation gegeben ist, in denen zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes eine solche Prüfung geboten ist (vgl. VG Augsburg, Beschluss vom 15. Februar 2010 – Au 1 S 10.217 –, juris Rn. 35 ff. m.w.N.) und diese auch das begehrte Ziel herbeiführt, kann indessen dahinstehen. Denn der Antrag wäre jedenfalls unbegründet. Der Antragsteller hat keinen Anordnungsgrund gemäß § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO glaubhaft gemacht.
Die vom Antragsteller begehrte Anordnung gerichtet darauf, ihn in den Zustand vor Erlass der Ausweisung zu versetzen, sodass von einem Fortbestehen der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 VwGO auszugehen ist, ist auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet; der Antragsteller möchte mit dem vorliegenden Verfahren das erreichen, was ihm in einem Hauptsacheverfahren zugesprochen werden könnte. Eine solche einstweilige Anordnung kann ausnahmsweise u.a. nur dann ergehen, wenn der Antragsteller ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung in schlechthin unzumutbarer Weise belastet würde. Daran fehlt es hier. Der Antragsteller hat weder vorgetragen noch ist ersichtlich, dass das Fortbestehen der Fiktionswirkung nach § 81 Abs. 4 Satz 1 VwGO dringlich wäre und nicht das Hauptsacheverfahren abgewartet werden könnte. Ihm drohen keine wesentlichen Nachteile. Insbesondere ist der Antragsteller weiterhin berechtigt, gemäß § 84 Abs. 2 Satz 2 AufenthG einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Ihm wurde eine Verfahrensduldung erteilt, sodass auch die Beendigung seines Aufenthalts trotz dessen Unrechtmäßigkeit gegenwärtig nicht in Rede steht.
e) Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 2 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Kammer hat hinsichtlich der begehrten Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Ausweisung und die (irrtümlich angenommene) Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis jeweils den Auffangstreitwert in Ansatz gebracht, der für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu halbieren ist.