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Entscheidung 2 Reha 4/23


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Strafsenat Entscheidungsdatum 17.08.2023
Aktenzeichen 2 Reha 4/23 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0817.2REHA4.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Beschwerde des Betroffenen wird der Beschluss des Landgerichts Cottbus – Kammer für Rehabilitierungsverfahren – vom 3. April 2023 aufgehoben.

Die von den staatlichen Behörden der ehemaligen DDR getroffenen Anordnungen über die Unterbringung des Betroffenen im Heim „("Name01")“ in ("Ort01") in der Zeit vom X. August 1957 bis zum XX. November 1957 werden für rechtsstaatswidrig erklärt und aufgehoben.

Der Betroffene hat in der Zeit vom X. August 1957 bis zum XX. November 1957 zu Unrecht Freiheitsentziehung erlitten.

Die im Rehabilitierungsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen fallen der Staatskasse zur Last.

Gründe

I.

Der Betroffene begehrt die Rehabilitierung hinsichtlich seiner Unterbringung im Heim „("Name01")“ in ("Ort01"), in dem er für einen Zeitraum von vier Monaten von August bis Ende November 1957 untergebracht worden sei und bei dem es sich um ein Spezialheim im Sinne der Regelungen der Jugendhilfe der ehemaligen DDR gehandelt habe. Seine ihn alleinerziehende Mutter sei im Mai 1957 wegen einer Krebserkrankung in ein Krankenhaus gekommen. Sie habe Morphium bekommen und sei nicht mehr in der Lage gewesen, ihn zu betreuen. Sein Bruder habe zum X. August 1957 eine Fleischerlehre begonnen, er selbst sei zeitgleich in das Heim gekommen. Sein Vater habe in West-Berlin gearbeitet und sich dafür eingesetzt, dass er das Heim habe verlassen können, um dann bei früheren Nachbarn als Pflegekind aufgenommen zu werden.

Das Landgericht Cottbus hat den Rehabilitierungsantrag durch Beschluss vom 3. April 2023 zurückgewiesen. Bei dem „("Name01")heim“ in ("Ort01") handele es sich nicht um ein Spezialheim und auch nicht um eine vergleichbare Einrichtung im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG. Das in ("Ort01") befindliche Heim für schwer erziehbare Kinder und Jugendliche mit dem Beinamen „("Name01")“ habe nach den hierzu vorliegenden Informationen „Mitte der 50er Jahre“ einen Wandel zum Normalkinderheim vollzogen. Dass es sich bereits im Zeitpunkt der Einweisung des Betroffenen im Jahr 1957 um ein Normalkinderheim gehandelt habe, ergebe sich auch daraus, dass der Betroffene nach eigenem Vorbringen während seines Heimaufenthaltes eine externe Schule besucht habe und nicht – wie es für Spezialheime immanent sei – auf dem Heimgelände beschult worden sei. Die vom Betroffenen geschilderten Erziehungsmethoden mit zum Teil erniedrigender Behandlung ließen nicht den Schluss zu, dass die Einrichtung in ihrer Ausrichtung einem Spezialheim vergleichbar gewesen sei.

Dass sein Vater sich damals illegal in Ost-Berlin aufgehalten bzw. illegal in West-Berlin gearbeitet habe, stelle ebenfalls keinen Gesichtspunkt dar, der eine Rechtsstaatswidrigkeit der Heimeinweisung begründen könne. Vielmehr spreche der Umstand, dass er nach vier Monaten Heimaufenthalt zu früheren Nachbarn gekommen sei, dagegen, dass sein Vater und seine Großmutter in der Lage gewesen seien, ihn im Zeitpunkt der Heimeinweisung aufzunehmen. Dass Einzelheiten hierzu nicht aufklärbar seien, wirke sich zum Nachteil des Betroffenen aus.

Der Betroffene hat gegen diesen Beschluss Beschwerde eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg beantragt, das Rechtsmittel als unbegründet zu verwerfen.

II.

Die Beschwerde des Betroffenen ist zulässig und begründet und führt zu seiner Rehabilitierung.

1. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2, § 1 Abs. 1 StrRehaG ist die Anordnung einer Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche, die der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat, für rechtsstaatswidrig zu erklären und aufzuheben. Gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG wird dabei vermutet, dass die Anordnung der Unterbringung in einem Heim für Kinder oder Jugendliche der Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken diente, wenn eine Einweisung in ein Spezialheim oder vergleichbare Einrichtung, in der eine zwangsweise Umerziehung erfolgte, stattfand.

Widerlegt ist die Vermutung einer durch sachfremde Zwecke motivierten Einweisung in Spezialheime und Jugendwerkhöfe nur, wenn positiv festgestellt werden kann, dass die Unterbringung nicht auch der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat; dass zugrunde liegende Entscheidungen sich auf Erziehungsschwierigkeiten und -bedürfnisse stützen, ermöglicht regelmäßig nicht die Feststellung, dass insoweit nicht auch andere als sachfremde Zwecke verfolgt wurden; angesichts der dem Konzept der Behandlung in den Spezialheimen zugrunde liegenden Methode der Umerziehung zur Anpassung an staatliche Normen setzt die Widerlegung der Vermutung für das Vorliegen sachfremder Zwecke vielmehr die Feststellung atypischer, über einen besonderen Betreuungs- und Erziehungsbedarf hinausgehende Umstände voraus, die die Maßnahme im konkreten Einzelfall ausnahmsweise nicht als rehabilitierungswürdiges Systemunrecht erscheinen lassen (vgl. Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 16. November 2020 – 1 WS Reha 6/17, zitiert nach Juris).

2. Die Voraussetzungen der Vermutungsregelung nach § 10 Abs. 3 Satz 1 StrRehaG liegen vor.

Auch wenn das Heim „("Name01")“ in ("Ort01") im Zeitpunkt der Einweisung des Betroffenen offiziell bereits nicht mehr als Heim für schwer erziehbare Kinder und Jugendliche (Spezialkinderheim) geführt worden sein sollte, sondern bereits als Normalheim fungierte, in dem die Kinder und Jugendlichen in auswärtigen Schulen unterrichtet wurden, handelte es sich jedenfalls um eine vergleichbare Einrichtung im Sinne der Norm.

Zwar ist – auch mangels vorliegender Unterlagen über die Gründe der Heimeinweisung und die zugrunde liegenden Beschlussfassungen – im Hinblick auf den Krankenhausaufenthalt der allein erziehenden, schwer erkrankten Mutter des Betroffenen zunächst nichts dafür ersichtlich, dass seitens der Behörden der ehemaligen DDR die Notwendigkeit dafür gesehen wurde, den Betroffenen aufgrund einer Schwererziehbarkeit zu disziplinieren und dem Regime eines Spezialkinderheims zu unterwerfen. Vielmehr ging es offensichtlich lediglich darum, für eine betreuende Unterbringung zu gewährleisten. Jedoch ist es offensichtlich gleichwohl zur Anordnung seiner Unterbringung in einer einem Spezialheim vergleichbaren Heimeinrichtung gekommen.

Nach den durchweg glaubhaft erscheinenden Schilderungen des Betroffenen, der vom Landgericht ergänzend mündlich angehört wurde, entsprachen die Bedingungen der Heimunterbringung weitgehend denen eines Spezialheims. Insbesondere fand eine erniedrigende Behandlung durch Erzieher und ein militärisch anmutender Drill statt, wobei Gewaltausübung unter Jugendlichen geduldet und gefördert wurde, es zu typischen Kollektivstrafen kam und der Betroffene sich u.a. auch nackt ausziehen musste. Diese Bedingung und Abläufe stehen denen eines Spezialheims annähernd gleich. Der Senat folgt dabei nicht der Auffassung des Landgerichts, dass (allein) der Besuch einer regulären auswärtigen Schule und die damit verbundene Vermeidung einer vollständigen Isolierung der Heimkinder einen ausschlaggebenden Unterschied ausmacht, der einer Vergleichbarkeit der Einrichtung mit der eines typischen Spezialheims entgegensteht, sondern für die Beantwortung der Frage, ob eine einem Spezialheim „vergleichbare Einrichtung“ vorliegt, eine Gesamtbetrachtung aller Umstände im Rahmen der dortigen Unterbringung des Betroffenen vorzunehmen ist.

Zwar vermag die Art und Weise der Unterbringung allein keinen Anspruch auf Rehabilitierung zu rechtfertigen, da die Umstände der Heimunterbringung nicht unmittelbar auf den insoweit allein maßgeblichen behördlichen Anordnungen beruhen (vgl. KG, Beschl. v. 20. Juni 2023 – 7 Ws 5/22 REHA, zit. nach Juris). Hier indes ist nicht (allein) die Beurteilung der Ausgestaltung der Heimunterbringung maßgeblich, sondern die Einweisung des Betroffenen in ein Heim, das hinsichtlich des Unterbringungsregimes (noch) weitgehend einem Spezialheim entsprach, als das es zumindest bis kurz vor der Heimeinweisung des Betroffenen noch betrieben wurde und in dem nach der plausiblen Schilderung des Betroffenen anscheinend weiterhin das zum Teil gleiche Personal beschäftigt und offensichtlich schwererziehbare Jugendliche betreut wurden, sowie immer noch die für ein Spezialheim typischen Erziehungsmethoden herrschten.

Die danach geltende Vermutungsregelung ist nicht widerlegt, weil – schon mangels vorliegender Dokumentation der der Heimeinweisung zugrunde liegenden behördlichen Entscheidungen – nicht sicher ausgeschlossen werden kann, dass die Anordnung der Heimunterbringung nicht auch der politischen Verfolgung oder sonst sachfremden Zwecken gedient hat.

Der Zeitraum des Heimaufenthaltes ist entsprechend den Angaben des Betroffenen und denen des Zeugen Grosser ausreichend glaubhaft gemacht.

Die Entscheidung über die Auslagentragung beruht auf § 6 Abs. 1, § 14 StrRehaG.