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Entscheidung S 13 U 56/21


Metadaten

Gericht SG Cottbus 13. Kammer Entscheidungsdatum 25.05.2023
Aktenzeichen S 13 U 56/21 ECLI ECLI:DE:SGCOTTB:2023:0525.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 8 Abs 1 SGB 7

Leitsatz

1. Auch bei einer Covid-19-Infektion ist für die Anerkennung als Arbeitsunfall der Nachweis eines Unfallereignisses während versicherter Tätigkeit im Vollbeweis erste Voraussetzung. Es reicht nicht aus, die erhöhte Gefahr einer Einwirkung auf den Körper zu ermitteln (Anschluss an BSG, Urteil vom 2. April 2009 – B 2 U 29/07 R –).

2. Es ist fraglich, ob eine Covid-19-Infektion als solche einen Gesundheitserstschaden darstellt, es dürfte auf die dadurch verursachten Symptome abzustellen sein (offengelassen).

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte hat keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Der 1963 geborene Kläger begehrt die Anerkennung einer am 26. Dezember 2020 festgestellten Covid-19-Infektion als Arbeitsunfall (bei Ansteckung durch Herrn H).

Der Kläger hatte vom 7. bis zum 13. Dezember 2020 Urlaub. Er hielt sich in dieser Zeit gemeinsam mit seiner Ehefrau in seinem Haus auf. Einkäufe und andere Besorgungen erledigte er durchgehend mit FFP2-Maske. Am 13. Dezember 2020 besuchte er seine Mutter im Seniorenheim K GmbH. Dabei hielt er sich nur im Außenbereich auf.

Vom 14. bis zum 23. Dezember arbeitete er. Hauptsächlich kontrollierte er Abwasseranlagen und beseitigte Störungen. Zu den Tätigkeiten im Einzelnen wird auf die Tabelle Bl. 62 der Gerichtsakte (den Arbeitszeitbogen des Klägers) verwiesen.

Am 17. und am 24. Dezember 2020 besuchte er wieder seine Mutter. Am 17. Dezember wurde er dort mit einem PoC-Antigen-Test negativ, am 24. Dezember positiv auf Covid-19 getestet.

Beim Kläger wurde anhand eines am 26. Dezember 2020 genommenen Abstrichs per PCR-Test ein CT-Wert von 26.30 ermittelt. Der Landkreis D stellte den Kläger mit Bescheid vom 30. Dezember 2020 vom 30. Dezember 2020 bis 1. Januar 2021 unter Quarantäne. H stellte der Landkreis wegen einer Covid-19-Infektion mit Bescheid vom 26. Dezember 2020 vom 24. Dezember 2020 (Datum des positiven Tests) bis zum 3. Januar 2021 unter Quarantäne.

Der Kläger litt nach einem moderaten Akutverlauf anhaltend unter Riechstörungen, massiver Ermüdbarkeit und Kurzatmigkeit unter Belastung. Er war vom 4. Januar 2021 bis jedenfalls 8. März 2021 arbeitsunfähig.

Die D (Krankenkasse) meldete mit Schreiben vom 11. März 2021 einen Erstattungsanspruch an. Aufgrund dieses Schreibens begann die Beklagte ihre Ermittlungen zu einem Arbeitsunfall.

Der Kläger ließ sich von der Pneumologin Dr. K aus K untersuchen. Diese fand keine Hinweise für ein relevantes Schlafapnoesyndrom oder pathomorphologische Veränderungen.

Der Kläger erklärte am 1. April 2021 gegenüber der Beklagten, am 18. und 21. Dezember 2020 Kontakt zu H gehabt zu haben. Am 23. Dezember 2020 seien die ersten Symptome aufgetreten, die Infektion sei durch einen PCR-Test am 26. Dezember 2020 bestätigt worden. Außerhalb der Arbeitsstelle habe kein Kontakt zu infizierten Personen bestanden.

Die D GmbH (Arbeitgeber) gab gegenüber der Beklagten an, dass sich der Kläger infiziert habe, für ihn vom 28. Dezember 2020 bis zum 1. Januar 2021 Quarantäne angeordnet worden sei und vom 18. bis zum 21. Dezember 2020 Kontakt zu H bestanden habe. H und der Kläger haben sich halbtags in einem Büroraum aufgehalten. Die Arbeitsplätze seien durch eine lange vorher installierte Plexiglasscheibe getrennt gewesen. Die Abstandsregel und das Tragen von Masken sowie Lüftungsregeln seien Bestandteil des betrieblichen Pandemiekonzepts gewesen. Die Mitarbeiter seien regelmäßig unterwiesen worden.

Der Landkreis D gab gegenüber der Beklagten an, dass beim Kläger die ersten Symptome am 22. Dezember 2020 aufgetreten seien. Der Landkreis habe keine Indexperson (infektiöse Person, mit der ein intensiver Kontakt stattgefunden habe) ermitteln können, der Kläger habe keine weiteren Kontakte mit infizierten Person angegeben.

Mit Bescheid vom 28. Juni 2021 stellte die Beklagte fest, dass kein Arbeitsunfall vorliege und dass keine Ansprüche auf Leistungen bestehen. Den dagegen erhobenen Widerspruch wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 20. August 2021 als unbegründet zurück.

Der Kläger hat am 2. September 2021 zu dem Sozialgericht Cottbus Klage erhoben. H sei für ihn Indexperson. H sei die einzige infizierte Person gewesen, mit der er Kontakt gehabt habe. Er habe mit H vom 14. bis 18. Dezember 2020 zusammengearbeitet. Beide haben eine jeweils einstündige Arbeitsbesprechung im gemeinsamen Büro (gegenüberstehende Schreibtische mit Plexiglastrennscheibe, keine Maskenpflicht) gehabt. Beide haben gemeinsam und ohne Maske den Pausenraum genutzt (Mittagessen). H habe am 16. Dezember 2020 über Grippesymptome geklagt. Am 17. Dezember 2020 sei der Kläger mit H in einem Auto nach E (je 30 Minuten hin und zurück) gefahren, wobei der Fahrer keine Maske trug. Vom 18. bis 20. Dezember 2020 sei H krank zu Hause geblieben. Am 21. Dezember 2020 habe H erneut eng mit ihm zusammengearbeitet, sei wegen seines Gesundheitszustandes jedoch nach Hause geschickt und am 24. Dezember 2020 positiv auf Covid-19 getestet worden. Er selbst sei noch am 17. Dezember 2020 symptomfrei gewesen.

Das Gericht hat Arbeitszeitbögen des Klägers und des H für Dezember 2020 beigezogen.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid vom 28. Juni 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2021 aufzuheben und die Covid-19-Infektion des Klägers als Arbeitsunfall anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Es sei nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen, dass die Infektion durch den Arbeitskollegen H auf der Arbeitsstelle erfolgt sei.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen und des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidung.

Entscheidungsgründe

1. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage gemäß § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt 1 und 3, § 55 Abs. 1 Nr. 3, § 56 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig (§§ 87, 90, 92 SGG).

Die Anfechtungsklage zielt auf die gerichtliche Aufhebung der Ablehnungsentscheidung, hier gemäß § 95 SGG des Bescheides vom 28. Juni 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2021. Die Feststellungsklage zielt auf die gerichtliche Feststellung des Arbeitsunfalls (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 16. März 2021 – B 2 U 11/19 R – Rn. 9 in juris).

Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt nicht, auch nicht deswegen, weil keine Leistungen der Beklagten begehrt sind.

2. Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid vom 28. Juni 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. August 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Es ist kein Arbeitsunfall anzuerkennen. Gemäß § 7 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - (SGB VII) sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten Versicherungsfälle. Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls (§ 8 Abs. 1 SGB VII) ist erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheits(erst)schaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität). Dabei müssen die Merkmale „versicherte Tätigkeit“, „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“, „Unfallereignis“ sowie „Gesundheitserst- bzw. Gesundheitsfolgeschaden“ im Wege des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht aber die bloße Möglichkeit ausreicht (st. Rspr. vgl. BSG Urteile vom 2. April 2009 – B 2 U 29/07 R – Rn. 16 in juris und vom 27. Juni 2006 – B 2 U 20/04 – Rn. 15 in juris). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG, Urteil vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R – Rn. 10 in juris).

Kann eine Tatsache nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden (non liquet), so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des Klägers.

a) Ob der Kläger einen Gesundheits(erst)schaden erlitten hat, kann offenbleiben.

Es bedarf keiner Entscheidung, ob eine Infektion als solche bereits einen Gesundheits(erst)schaden ist (so BSG, Urteile vom 28. August 1990 – 2 RU 64/89 – für eine Influenza-A-Grippe und vom 2. April 2009 – B 2 U 29/07 R – für eine Hepatitis-C; beide juris) oder ob auf die dadurch hervorgerufenen Symptome abzustellen ist (so für die Infektion mit Borrelien: BSG, Urteil vom 27. Juni 2017 – B 2 U 17/15 R – juris). Die Kammer tendiert zur zweiten Ansicht, denn ein guter Teil der Covid-19-Infektionen verläuft symptomfrei. Das spricht dafür – wie bei einer Borrelieninfektion – auf die durch die Infektion verursachten Gesundheitsschäden abzustellen und nicht auf die Infektion als solche.

Der Kläger hat sich zur Überzeugung der Kammer mit Covid-19 infiziert. Durch den Nachweis mit einem PCR-Test ist es sehr wahrscheinlich, dass er am 26. Dezember 2020 infiziert war. Eine Infektion bereits am 24. Dezember 2020 legt der an diesem Tag im Altersheim durchgeführte PoC-Test nahe, es könnte insoweit aber auch ein falsch-positives Ergebnis vorliegen. Die Kammer geht davon aus, dass der Kläger keine symptomlose Infektion durchgemacht hat. Er hatte, wie die Hausärztin formuliert, einen „moderaten Akutverlauf“. Das Gericht hat dazu nicht weiter ermittelt.

b) Eine „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“, die unter einen gesetzlichen Versicherungstatbestand zu subsumieren wäre, ist nicht erwiesen (vgl. BSG, Urteil vom 31. Januar 2012 – B 2 U 2/11 R – Rn. 17 in juris). Denn es ist nicht ermittelbar, bei welchem Ereignis sich der Kläger mit Covid-19 infiziert hat.

Die sich bei Infektionskrankheiten stellende Schwierigkeit, dass für die Infektion meistens verschiedene Infektionsquellen und Übertragungswege in Betracht kommen, ohne dass sich feststellen lässt, bei welcher Gelegenheit es tatsächlich zu der Ansteckung gekommen ist, gereicht hier dem Kläger zum Nachteil.

Die vom Verordnungsgeber geschaffenen Beweiserleichterungen für die Anerkennung von Infektionskrankheiten bei bestimmten versicherten Tätigkeiten mit besonders erhöhter Gefährdungslage als Berufskrankheit (BKV Anl. Nr. 3101) können mangels planwidriger Regelungslücke nicht auf den Versicherungsfall „Arbeitsunfall“ entsprechend angewandt werden (BSG, Urteil vom 2. April 2009 – B 2 U 29/07 R – Rn. 19 in juris). Es reicht nicht aus, die erhöhte Gefahr einer Einwirkung auf den Körper zu ermitteln; es muss für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls eine konkrete Einwirkung festgestellt werden (BSG, a.a.O., Rn. 20 in juris).

aa) Der Kläger muss sich in der Zeit vom 4. bis zum 21. Dezember 2020 infiziert haben.

Die Kammer geht davon aus, dass die ersten Symptome am 23. Dezember 2020 aufgetreten sind (Dann wäre der Kläger allerdings mit Covid-19 Symptomen in das Altersheim seiner Mutter gegangen). Unter dieser Prämisse müsste sich der Kläger zwischen dem 4. und dem 21. Dezember 2020 infiziert haben. Denn die Infektion kann frühestens 18 Tage, spätestens 2 Tage, wahrscheinlich 6 Tage vor dem 23. Dezember 2020 stattgefunden haben. Die Inkubationszeit (die Zeitspanne von der Ansteckung bis zum Beginn der Erkrankung) ist bei Covid-19 sehr volatil. Die kürzeste belegte Inkubationszeit beträgt 1,8 Tage, die längste 18,87 Tage. Die in einer Metaanalyse gepoolte Inkubationszeit (142 Studien mit 8.112 infizierten Studienteilnehmern) über alle Virusvarianten hinweg reichte von 1,80 bis 18,87 Tagen (aerzteblatt.de/nachrichten/136846/Kuerzere-Inkubationszeit-Omikron-fuehrt-schneller-zur-Erkrankung-als-fruehere-Varianten am 18. April 2023). Es ist unwahrscheinlich (aber möglich), dass sich der Kläger vor dem 11. Dezember 2020 angesteckt hat, denn die 95-Prozent-Perzentile für die Inkubationszeit wurde mit 11,7 Tagen angegeben (95 Prozent Konfidenzintervall 9,7-14,2 Tage; RKI, Robert-Koch-Institut, Epidemiologischer Steckbrief zu SARS-CoV-2 und COVID-19, Kapitel 5: Inkubationszeit und serielles Intervall, Stand November 2021, rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Steckbrief.html am 18. April 2023 m.w.N.). Dass sich der Kläger noch am 21. Dezember 2020 angesteckt hat, ist ebenfalls wenig wahrscheinlich aber möglich, weil dies nur zwei Tage vor Erkrankungsbeginn liegt. Wahrscheinlich hat er sich am bzw. um den 17. Dezember 2020 herum infiziert. Denn die Inkubationszeit wurde im Mittel mit 5,8 Tage (95 Prozent Konfidenzintervall 5,0-6,7 Tage) berechnet (RKI, a.a.O.).

bb) In dieser Inkubationszeit vom 4. bis zum 21. Dezember 2020 ist kein Kontakt mit H nachgewiesen.

(1) Die Arbeitszeitbögen des Klägers und des H zeigen keine gemeinsame Arbeitszeit.

Der Kläger hatte bis einschließlich 13. Dezember 2020 Urlaub. Am 14. und 15. Dezember 2020 hatte H Urlaub.

Am 16. und 17. Dezember haben beide gearbeitet, aber keine gemeinsame Arbeitszeit. Insbesondere lässt sich den Bögen für diese Tage keine gemeinsame Fahrt nach E entnehmen.

Am 16. Dezember 2020 hat H zwei Stunden einen Hausanschluss abgenommen, war vier Stunden für einen freien Auftrag in der H Straße und zwei Stunden im Stützpunkt S. Der Kläger war zwei Stunden im APW S (erst bei einem Autohandel, dann bei einem Regenbecken), zwei Stunden für einen freien Auftrag in der H Straße und weitere vier Stunden in S unterwegs (keine Verwaltungstätigkeit im Stützpunkt). Zur H Straße und zurück können beide nicht gemeinsam gefahren sein, weil H dort doppelt so lange wie der Kläger war.

Am 17. Dezember 2020 war H drei Stunden in S, drei Stunden in K und zwei Stunden im Stützpunkt S. Der Kläger war zwei Stunden im Stützpunkt S und sechs Stunden in Z. Sie können sich dabei nicht im Stützpunkt S getroffen haben, denn der Kläger war erst im Stützpunkt und dann unterwegs und H war erst unterwegs und am Ende des Tages im Stützpunkt.

Am 18. Dezember 2020 hat H Stunden „abgebummelt“ und war nicht auf Arbeit. Am 19. und 20. Dezember war Wochenende und H hat nicht gearbeitet. Am 21. Dezember 2020 war H acht Stunden im Stützpunkt S, der Kläger hatte zwei Stunden Rufbereitschaft und war weitere acht Stunden unterwegs (S platz, G, F Straße, K), jedoch nicht im Stützpunkt.

(2) Die Kammer folgt nicht den Angaben des Klägers zu seinen Kontakten mit H. Denn sie sind nicht konsistent und sie widersprechen den Arbeitszeitbögen. Er hat angegeben:

- keinen Kontakt (konkludente Angabe gegenüber dem Landkreis),

- Kontakt am 18. und 21. Dezember 2020 für 4 bis 6 Stunden im Büro (Erklärung vom 1. April 2020 gegenüber der Beklagten),

- Kontakt vor dem 22. Dezember 2020 im Büro und in einem VW Caddy (Widerspruch vom 5. Juli 2021),

- Kontakt vom 14. bis einschließlich 18. Dezember 2020; jeweils einstündige Arbeitsbesprechungen im Büro, Fahrt nach E im Auto für 2x30 Minuten und gemeinsames Essen im Aufenthaltsraum (Klagebegründung vom 27. Oktober 2021) sowie

- Kontakt vom 14. bis einschließlich 17. Dezember 2020; jeweils einstündige Arbeitsbesprechungen im Büro, am 16. Dezember 2020 gemeinsame Fahrt nach E (undatierter „Tagesbericht“, Bl. 40 der Gerichtsakte).

cc) Aber selbst wenn man dem Kläger folgt und einen Kontakt zu H annimmt, bleibt die Klage erfolglos. Es ist auch dann nicht mit der erforderlichen Sicherheit festzustellen, dass sich der Kläger während der beruflichen Tätigkeit angesteckt hat.

Der Kläger war vom 11. bis zum 20. Dezember mindestens zweimal im Seniorenheim bei seiner Mutter, außerdem war er einkaufen. In Anbetracht der vergleichsweise vielen Infizierten in der Gesellschaft, von denen ein guter Teil gar keine Symptome gezeigt hat, ist eine Infektion im privaten Bereich mit hinreichender Wahrscheinlichkeit möglich gewesen. Dass der Kläger persönliche Kontakte (und damit das Ansteckungsrisiko) reduziert und beim Einkauf eine Maske getragen hat, hilft nicht weiter. Denn diese Schutzmaßnahmen gelten sowohl für das private als auch für das berufliche Umfeld, wie die vom Kläger und von seinem Arbeitgeber geschilderten Maßnahmen im beruflichen Umfeld zeigen. Trotz dieser Maßnahmen in allen Lebensbereichen hat sich der Kläger infiziert.

Das Gericht sieht keine Ermittlungsmöglichkeiten, um die Infektion im privaten Bereich mit genügender Sicherheit ausschließen zu können.

Eine mögliche Ansteckung außerhalb der versicherten Tätigkeit räumt der Kläger selbst ein. Nach seiner Ansicht sei „eine Ansteckungsgefahr im privaten Umfeld kaum möglich gewesen“; sie war aber auch danach nicht ausgeschlossen.

dd) Selbst, wenn man mit dem Kläger eine Ansteckung zwischen ihm und H annimmt, ändert dies im Ergebnis nichts.

Auch dann ist eine „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“ nicht nachgewiesen. Denn in Anbetracht der von Person zu Person stark unterschiedlichen Inkubationszeiten (1,8 bis 18,73 Tage) ist nicht zu ermitteln, wer wen angesteckt hat. Für die Annahme, dass derjenige, der zuerst Symptome hatte, den anderen angesteckt hat, gibt es keine belastbare Grundlage. Symptome sind insofern als Anknüpfungspunkt ungeeignet, weil viele Infizierte gar keine Symptome zeigen, aber gleichwohl ansteckend sind. Aber auch bei den Infizierten, die symptomatisch erkranken, ist der Kammer kein wissenschaftlicher Erkenntnisstand bekannt, anhand dessen sich eine Reihenfolge der Ansteckung ermitteln ließe. Die entsprechende Vermutung einer Ansteckung durch den, der früher Symptome gezeigt hat, im Wege des Anscheinsbeweises (siehe dazu SG Konstanz, Urteil vom 16. September 2022 – S 1 U 452/22 – Rn. 29 in juris) erscheint insoweit nicht unproblematisch.

ee) Die Argumentation des Klägers zum Kontakt zu H als Infektionsursache führt nicht weiter.

Der Kläger meint, der Kontakt mit H habe „augenscheinlich“ kausal zur Infektion geführt. Er hat weiter dargelegt, dass H infiziert gewesen sei, durch den Kontakt zu ihm die Gefahr einer Infektion bestanden habe und diese Gefahr hier so groß gewesen sei, dass eine Kausalität anzunehmen sei.

Dem folgt die Kammer nicht. Denn es geht bei der Ermittlung des Tatbestandsmerkmals „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“ nicht um eine Kausalitätsfrage. Es ist – wie oben ausgeführt – kein Ereignis ermittelbar, bei dem diese Infektion stattgefunden haben könnte.

Aber auch, wenn es hier ein solches Ereignis gäbe und die Frage zu klären wäre, ob dieses Ereignis kausal für den Gesundheitsschaden gewesen ist, ersetzt der Nachweis des Kontaktes zu einem Infizierten nicht den Nachweis der Infektion. Dem Kläger ist zwar zuzugeben, dass das Infektionsrisiko mit zunehmendem Kontakt zu infizierten Personen steigt (siehe SG Speyer, Urteil vom 7. Februar 2023 – S 12 U 188/21 – Rn. 33 ff in juris m.w.N.), die Merkmale „Infektion“ und „Kontakt mit infizierten Personen“ korrelieren. Aber auch eine starke Korrelation ist keine Kausalität. Dass der Kontakt mit infizierten Personen nicht kausal zu einer Infektion führt, zeigt die Ehefrau des Klägers. Sie hatte tagelang mit dem infizierten Kläger vergleichsweise engen Kontakt, ist aber nicht infiziert.

Der Schluss vom Ergebnis (der Infektion des Klägers) auf eine der möglichen Ursachen (hier: Ansteckung durch H) ist unzulässig. Eine Korrelation kann Indiz für eine Kausalität sein, sie ist Ausgangspunkt und nicht Ergebnis der Prüfung. Ob diese Prüfung im Wege eines Anscheinsbeweises (SG Speyer, a.a.O.) zu ersetzen ist, erscheint fraglich. Dem Gericht ist kein Erfahrungssatz bekannt, dass bei einer Infektionskrankheit wie Covid-19 das berufliche Umfeld infektiöser ist als das private.

c) Im Übrigen verweist die Kammer auf die Begründung der angefochtenen Bescheide, der sie gemäß § 136 Abs. 3 SGG folgt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt dem Ergebnis der Entscheidung in der Hauptsache.