Toolbar-Menü
 
Sie sind hier: Gerichtsentscheidungen Entscheidung

Entscheidung 1 AR 22/23 (SA Z)


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Zivilsenat Entscheidungsdatum 10.08.2023
Aktenzeichen 1 AR 22/23 (SA Z) ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0810.1AR22.23SA.Z.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Zuständig ist das Amtsgericht Brandenburg an der Havel.

Gründe

I.

Durch Beschluss des Amtsgerichts Neuruppin vom 16.3.2017 ist eine Betreuung für den Betroffenen für die Zeit bis 16.3.2024 eingerichtet worden. Durch Beschluss vom 29.1.2019 hat das Amtsgericht Neuruppin einen Betreuerwechsel vorgenommen.

Der Betreuer hat dem Amtsgericht Neuruppin mit Schreiben vom 4.11.2022 mitgeteilt, dass die vormalige Wohnung des Betroffenen in („Ort01“) zum 10.11.2022 vermieterseits gekündigt worden sei und der Betroffene sich bei wechselnden Bekannten in („Ort01“) aufhalte. Mit Schreiben vom 27.2.2023 hat der Betreuer angezeigt, dass der Betroffene sich in einer Obdachlosenunterkunft in („Ort02“) aufhalte.

Durch Beschlüsse des Amtsgerichts Neuruppin vom 6.12.2022 und des Landgerichts Neuruppin vom 21.12.2022 ist die Unterbringung des Betroffenen in einer geschützten psychiatrischen Einrichtung bis 14.11.2023 genehmigt worden.

Ab 8.3.2023 hat der Betroffene sich – zum wiederholten Male – in den („Name01“) Kliniken befunden. Mit Schreiben vom 4.4.2023 hat der Betreuer mitgeteilt, dass die Behandlung des Betroffenen im Asklepios Fachklinikum Brandenburg in Brandenburg an der Havel fortgesetzt werde.

Das Amtsgericht Neuruppin hat unter dem 11.4.2023 den Betroffenen und den Betreuer zu einer Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Brandenburg an der Havel angehört.

Durch Beschluss vom 4.5.2023 hat das Amtsgericht Neuruppin das Verfahren an das Amtsgericht Brandenburg an der Havel abgegeben. Das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat durch Beschluss vom 24.5.2023 die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und das Verfahren an das Amtsgericht Neuruppin zurückgegeben.

Das Amtsgericht Neuruppin hat nach Bestätigung des weiteren Aufenthalts des Betroffenen im Asklepios Fachklinikum Brandenburg durch den Betreuer mit Verfügung vom 17.7.2023 die Akten dem Senat zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.

II.

Auf die Vorlage des Verfahrens durch das Amtsgericht Neuruppin ist die Zuständigkeit des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel für die Fortführung des Betreuungsverfahrens auszusprechen.

1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 5 FamFG durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, da die am Zuständigkeitsstreit beteiligten Gerichte seinem Zuständigkeitsbezirk zugehörig sind.

2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 5 Abs. 1 Nr. 5 FamFG liegen vor. Das Amtsgericht Neuruppin hat das Betreuungsverfahren aus wichtigem Grund an das Amtsgericht Brandenburg an der Havel abgegeben, das sich zur Übernahme der Sache nicht bereit erklärt hat.

3. Zuständig ist das Amtsgericht Brandenburg an der Havel.

Das Amtsgericht Neuruppin hat das Betreuungsverfahren zu Recht an das Amtsgericht Brandenburg an der Havel abgegeben, da ein wichtiger Grund für die Abgabe gemäß §§ 4, 273 FamFG vorliegt. Der Betroffene hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in den Bereich des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel verlegt, sodass die Aufgaben der Betreuung jetzt im Wesentlichen dort zu erfüllen sind.

Etwas anderes folgt nicht daraus, dass der dortige Aufenthalt des Betroffenen im Rahmen eines stationären Krankenhausaufenthaltes stattfindet. Zwar führen – auch längere – Klinik- oder Haftaufenthalte in der Regel nicht dazu, dass der Ort der Klinik oder der Haft zum gewöhnlichen Aufenthalt wird (Senat, Beschluss vom 11.3.2016, 1 (Z) SA 7/16; Beschluss vom 11.12.2015, 1 (Z) SA 42/15; OLG Hamburg BeckRS 2018, 43198; OLG Oldenburg, Beschluss vom 10.7.2014, 5 AR 16/14, zitiert nach juris; OLG Köln NJW-RR 2007, 517, 518; OLG München, Beschluss vom 13.12.2006, 33 AR 14/06, zitiert nach juris; Jürgens/Kretz, Betreuungsrecht, 7. Aufl., § 273 FamFG, Rn. 4, und § 272 FamFG, Rn. 5; Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch, FamFG, 7. Aufl., § 273, Rn. 2, und § 272, Rn. 6). Das gilt jedoch nicht, wenn der bisherige Lebensmittelpunkt des Betroffenen nicht mehr besteht und er im Anschluss an den Klinik- oder Haftaufenthalt nicht an seinen bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt zurückkehren kann (Senat a. a. O.; OLG Oldenburg a. a. O.; OLG Köln a. a. O.; OLG München a. a. O.; Jürgens/Kretz a. a. O.; Schulte-Bunert/Weinreich/Rausch a. a. O.). Hat, etwa nach Verlust der früheren Wohnung, der Betroffene keinen anderen Daseinsmittelpunkt als den Ort der freiheitsentziehenden Unterbringung, so liegt dort der Schwerpunkt seiner Lebensbeziehungen und damit sein gewöhnlicher Aufenthalt (Senat a. a. O.; OLG Köln, Beschluss vom 20.11.2017, 2 WX 247/17, zitiert nach juris; OLG München a. a. O.; Jürgens/Kretz a. a. O.).

So liegt der Fall hier. Das Mietverhältnis über die Wohnung des Betroffenen im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Neuruppin ist mit Wirkung zum XX.11.2022 beendet worden. Damit besteht im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Neuruppin keine Wohnung mehr, an die ein dortiger Lebensmittelpunkt des Betroffenen angeknüpft werden könnte. Ein Bestehen familiärer, freundschaftlicher oder beruflicher Bindungen, auf die sich das Fortbestehen eines gewöhnlichen Aufenthalts im Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Neuruppin stützen ließe, ist nicht ersichtlich. Auf den Wohnort der Mutter des Betroffenen in („Oet02“) kann insoweit nicht abgestellt werden, nachdem der Betroffene sich vor seinem Umzug nach („Ort03“) dort nicht mehr dauerhaft aufgehalten und zwischenzeitlich eine Mietwohnung in („Ort01“) innegehabt hatte. Der an die Beendigung des Mietverhältnisses anschließende Aufenthalt bei wechselnden Bekannten in („Ort01“) kann ebenfalls nicht, jedenfalls nicht mehr, herangezogen werden; denn der daran anschließende Aufenthalt des Betroffenen in einer Obdachlosenunterkunft lässt erkennen, dass auch diese Bekanntschaften keine verfestigten sozialen Bezugspunkte darstellen, die seinen Lebensmittelpunkt ausmachen könnten.

Damit befindet sich der Daseinsmittelpunkt des Betroffenen derzeit am Ort des klinischen Aufenthalts in Brandenburg an der Havel und damit im Zuständigkeitsbereich des dortigen Amtsgerichts. Nach den aktenkundigen Lebensumständen des Betroffenen lässt sich eine Rückkehr in den Zuständigkeitsbereich des Amtsgerichts Neuruppin nicht absehen.

Das Betreuungsverfahren ist zur Abgabe reif; der zuständige Rechtspfleger beim Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat unter dem 16.5.2023 vermerkt (Bl. 1196R d. A.), dass keine Bedenken gegen eine Übernahme bestanden haben.

Nachdem der Betreuer und der Betroffene durch das Amtsgericht Neuruppin zur Abgabe des Verfahrens angehört worden sind, ist das Betreuungsverfahren folglich beim Amtsgericht Brandenburg an der Havel fortzuführen. Dem steht nicht entgegen, dass vor der Abgabe des Verfahrens durch das Amtsgericht Neuruppin nicht die Erklärung der Übernahmebereitschaft des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel nach § 4 Satz 1 FamFG eingeholt worden ist. Denn das Amtsgericht Brandenburg an der Havel hat in seiner Beschlussfassung vom 24.5.2023 die Ablehnung der Übernahme des Verfahrens und die Gründe dafür niedergelegt, sodass das Festhalten am Erfordernis einer vorherigen Anfrage nach § 4 Satz 1 FamFG eine bloße Förmelei wäre, die sich zulasten der Belange des Betroffenen in einer Behinderung des Fortgangs des Betreuungsverfahrens erschöpfen würde (vgl. Senat a. a. O.).