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Entscheidung 1 Ws 142/23 (S), 1 Ws 143/23 (S), 1 Ws 144/23 (S)


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Strafsenat Entscheidungsdatum 18.09.2023
Aktenzeichen 1 Ws 142/23 (S), 1 Ws 143/23 (S), 1 Ws 144/23 (S) ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0918.1WS142.23S.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Untersuchungshaft gegen die Angeschuldigten („Name 01“), („Name 03“) und („Name 02“) dauert fort.

Für die Dauer von 3 Monaten wird die Haftkontrolle dem Landgericht Potsdam übertragen.

Gründe

I.

1. Die Angeschuldigten („Name 01“), („Name 03“) und („Name 02“) wurden am 10. März 2023 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Potsdam vom 7. März 2023 (78 Gs 314/23) festgenommen und in Untersuchungshaft in die („Justizvollzugsanstalt 01“) (Angeschuldigter („Name 01“) bzw. in die („Justizvollzugsanstalt 02“) (Angeschuldigten („Name 03“) und („Name 02“), überführt. Die Angeschuldigten befanden sich am 10. September (Angeschuldigten („Name 01“) und („Name 03“) bzw. am 12. September 2023 (Angeschuldigter („Name 02“) sechs Monate in Untersuchungshaft, so dass der Senat gemäß §§ 121, 122 Abs. 1 StPO über deren Fortdauer zu entscheiden hat.

Dem liegt folgender Verfahrensgang zu Grunde:

Mit dem vorgenannten Haftbefehl des Amtsgerichts Potsdam wird den Angeschuldigten Folgendes vorgeworfen: (1.) In der Zeit vom 01. März 2022 bis zum 30. September 2022 sollen die Angeschuldigten („Name 01“), („Name 02“) und („Name 03“) in („Ort 01“) durch 66 selbstständige Handlungen jeweils mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge Handel getrieben und dabei als Mitglied einer Bande gehandelt haben, die sich zur fortgesetzten Begehung solcher Taten verbunden habe. Dabei sollen die Angeschuldigten („Name 01“) und („Name 02“) sonstige Gegenstände mit sich geführt haben, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind. (2.) Die Angeschuldigten („Name 01“) und („Name 03“) sollen überdies durch eine weitere selbstständige Handlung gemeinschaftlich in zwei Fällen sich eines Menschen bemächtigt haben, um die Sorge des Opfers um sein Wohl oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers zu einer Erpressung (§ 253) auszunutzen, und die von ihnen durch eine solche Handlung geschaffene Lage eines Menschen zu einer solchen Erpressung ausgenutzt haben. (3.) Der Angeschuldigte („Name 01“) soll durch eine weitere selbstständige Handlung eine andere Person mittels eines anderen gefährlichen Werkzeugs körperlich misshandelt und an der Gesundheit geschädigt haben.

Konkret beziehen sich die den Angeschuldigten vorgeworfenen Straftaten auf folgende Handlungen:

(1.) Die Angeschuldigten („Name 01“), („Name 03“)und („Name 02“) sollen überein gekommen sein, sich im benannten Tatzeitraum durch die gewinnbringende Weiterveräußerung von Betäubungsmitteln, insbesondere Amphetamin, Marihuana und Kokain, eine auf Dauer angelegte Einnahmequelle von erheblichen Umfang zu verschaffen, um sich damit ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Sie sollen hierzu vereinbarten haben, dass der Angeschuldigte („Name 03“) Kontakt zu in („Ort 02“) ansässigen Betäubungsmittelverkäufern herstelle. Sodann sollen die Angeschuldigten („Name 01“) und („Name 03“) nahezu wöchentlich nach („Ort 02“) gefahren sein, dort die Betäubungsmittel übernommen und in die Stadt („Ort 01“) verbracht haben. In („Ort 01“) habe der Angeschuldigte („Name 02“), der auch die Vorfinanzierung übernommen habe, die Betäubungsmittel gewinnbringend weiter veräußert.

Im benannten Tatzeitraum sollen die Angeschuldigten („Name 01“) und („Name 03“) in („Ort 02“) wöchentlich 10g Kokain (31 Taten), zweimal im Monat jeweils 1 kg Marihuana (14 Taten) sowie alle 10 Tage 1 kg Amphetamin (21 Taten) erworben haben. Die Angeschuldigten seien nicht im Besitz einer Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte für den Erwerb von Betäubungsmitteln gewesen.

(2.) Gegen 22:20 Uhr des 2. September 2023 sollen die Angeschuldigten („Name 01“)und(„Name 03“) absprachegemäß in die Wohnung des Geschädigten („Name 04“), („Adresse 01“) eingedrungen sein und dort gemeinschaftlich die Herausgabe von Geld gefordert haben. Hierbei sollen sie, um der Forderung Nachdruck zu verleihen, dem Geschädigten („Name 04“) ins Gesicht geschlagen haben, infolge dessen er mindestens zweimal bewusstlos geworden sei. Der ebenfalls in der Wohnung anwesenden Geschädigten („Name 05“) soll ins Genick gegriffen und sie zu Boden gebracht worden sein, zeitgleich soll der Angeschuldigte („Name 01“) ihr mehrfach in die Rippen getreten, ihr eine Waffe in das Gesicht gehalten und dabei im Wechsel auch auf den Geschädigten („Name 04“) gezielt haben. Da die Geschädigten in der Wohnung kein Bargeld zur Verfügung gehabt hätten, seien sie unter Vorhalt der Waffe durch die Angeschuldigten („Name 01“) und („Name 03“) zur nahegelegenen Mittelbrandenburgischen Sparkasse („Adresse 02“) geführt worden. Während des Weges habe der Angeschuldigte („Name 01“) die Geschädigte („Name 05“) fest am Arm gehalten. Der Geschädigte („Name 04“) habe aus Angst vor weiteren Schlägen 70,00 Euro von seinem Konto abgehoben. Anschließend habe die Geschädigte („Name 05“) ebenfalls aus Angst vor weiteren Schlägen weitere 30,00 Euro von ihrem Konto abgehoben. Der Angeschuldigte („Name 01“) soll das gesamte Geld eingesteckt haben.

(3.) Dem herbeieilenden Zeugen („Name 06“), der den Geschädigten zur Hilfe kommen wollte, habe der Angeschuldigten („Name 01“) Pfefferspray in das Gesicht gesprüht, infolgedessen („Name 06“) einen kurzzeitigen Sehverlust erlitten habe.

Es handele sich hierbei um Verbrechen und Vergehengemäß § 1, 3, 30a Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 BtMG, §§ 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2, 239a Abs. 1, 25 Abs. 2, 53 Abs. 1 StGB.

Der dringende Tatverdacht ergebe sich aufgrund der kriminalpolizeilichen Ermittlungen, insbesondere aus den Auswertungen der Telekommunikationsüberwachung durch KHK („Name 07“) und KOKin („Name 08“), der Aussage der Zeugen („Name 04“) und („Name 05“), den Videoaufzeichnungen aus der Mittelbrandenburgischen Sparkasse („Adresse 02“) und aus der geständigen Einlassung des Angeschuldigten („Name 03“).

Das Amtsgericht hat den Haftbefehl auf den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gestützt und hierbei hervorgehoben, dass für den Einzelfall Mindestfreiheitsstrafen von fünf Jahren angedroht und die Angeschuldigten vorbestraft seien.

2. Vor Erlass des vorgenannten Haftbefehls waren die Angeschuldigten bereits strafrechtlich in Erscheinung getreten:

(1.) Der Bundeszentralregisterauszug betreffend den Angeschuldigten („Name 01“)enthält 23 Eintragungen.

Erstmals wurde er wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, wegen des unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln, am 12. August 1999 durch das Amtsgericht Hannover zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 50,00 Euro verurteilt. Am 22. Oktober 1999 verurteilte das Amtsgericht Ahaus ihn wegen gemeinschaftlicher Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in einem minder schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung für die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Sodann erfolgten am 28. Oktober 1999 eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, am 04. Juli 2000 durch das Amtsgericht Bad Oeynhausen wegen Beleidigung u.a. zu einem Jahr Freiheitsstrafe, am 09. Oktober 2000 wurden die vorgenannten Strafen durch das Amtsgericht Ahaus zu einer Gesamtstrafe von einem Jahr und acht Monate Freiheitsstrafe zusammengeführt. Am 13. Februar 2001 verurteilte das Amtsgericht Herford den Angeschuldigten („Name 01“) wegen unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln in zwei Fällen und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt wurde. Sodann erfolgen Verurteilungen am 20. Februar 2001 durch das Amtsgericht Bad Oeynhausen wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis, am 06. Dezember 2002 durch dasselbe Gericht wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 15 Fällen u.a. zu zwei Jahren Freiheitsstrafe. Am 07. März 2007 verurteilte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten ihn wegen Diebstahls zu neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Am 30. November 2007 erkannte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten gegen („Name 01“) wegen Unterschlagung u.a. auf eine Freiheitsstrafe von sieben Monaten Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung. Am 10. September 2010 verurteilte das Amtsgericht Bad Oeynhausen ihn wegen Urkundenfälschung zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 20,00 Euro. Am 13. Januar 2012 erfolgte eine Verurteilung durch das Amtsgericht Bad Oeynhausen wegen Diebstahls u.a. zu zwei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Am 07. Februar 2013 erkannte das Amtsgericht München gegen ihn wegen versuchten Einbruchsdiebstahls auf acht Monate Freiheitsstrafe. Am 18. September 2014 verurteilte dasselbe Gericht ihn wegen gemeinschaftlichen gewerbsmäßigen Diebstahls u.a. zu einem Jahr Freiheitsstrafe. Am 13. Mai 2020 folgte eine Verurteilung durch das Amtsgericht Brandenburg an der Havel wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe in Höhe von 30 Tagessätzen zu je 30,00 Euro. Letztmalig verurteilte das Amtsgericht Brandenburg an der Havel den Angeschuldigten („Name 01“) am 01. November 2022 wegen tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte u.a. zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung.

(2.) Der Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 27. Juli 2023 hinsichtlich des Angeschuldigten („Name 02“)enthält eine Eintragung: Er wurde am 18. August 2015 durch das Amtsgericht Brandenburg an der Havel wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge mit Waffen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt.

(3.) Der Auszug aus dem Bundeszentralregister vom 10. Juli 2023 hinsichtlich des Angeschuldigten („Name 03“)enthält sechs Eintragungen. Am 19. Juli 2012 verurteilte das Amtsgericht Gifhorn ihn wegen gefährlicher Körperverletzung u.a. zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15,00 Euro. Am 11. März 2014 folgte eine Verurteilung erneut durch das Amtsgericht Gifhorn wegen gefährlicher Körperverletzung zu sechs Monaten Freiheitsstrafe mit Bewährung. Am 24. April 2014 erkannte das Amtsgericht Tiergarten wegen Bedrohung auf eine Geldstrafe in Höhe von 60 Tagessätzen zu je 30,00 Euro. Am 02. Mai 2014 sprach das Amtsgericht Gifhorn gegen den Angeschuldigten wegen Diebstahls eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 15,00 Euro aus. Letztmalig verurteilte das Amtsgericht Esslingen den Angeschuldigten („Name 03“) am 16. August 2017 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 40,00 Euro.

3. Unter dem Datum des 7. August 2022 hat die Staatsanwaltschaft Potsdam Anklage vor der großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam erhoben. Darin werden die Tatvorwürfe gegen die drei Angeschuldigten unter Vornahme weiterer Konkretisierungen im Wesentlichen identisch geschildert wie im Haftbefehl des Amtsgerichts Potsdam vom 7. März 2023. Hinsichtlich des bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 66 Fällen führt die Anklageschrift aus, dass der Angeschuldigte („Name 01“) bei den Taten „stets“ einen Schlagring und Pfefferspray bei sich geführt habe und der Angeschuldigte („Name 02“) bei sich zu Hause eine scharf gemachte Schreckschusspistole aufbewahrt habe, um etwaige Probleme bei den Betäubungsmittelgeschäften gewaltsam zu lösen. Hinsichtlich der Handlungen der Angeschuldigten („Name 01“) und („Name 03“) gegenüber den Zeugen („Name 04“) und („Name 05“) führt die Anklage aus, dass mit erpresserischem Menschenraub nach § 239a StGB in zwei Fällen jeweils auch eine tateinheitlich begangene gemeinschaftliche Körperverletzung verwirklicht worden sei. Infolge der Schläge und Tritte habe die Geschädigte („Name 05“) Prellungen an der rechten Rippenseite sowie Schmerzen am Hals und am Nacken und der Geschädigte („Name 04“) eine Fraktur über seinem Auge sowie Prellungen, Platzwunden und Blutergüsse im Gesicht erlitten.

Über die Tatvorwürfe aus dem Haftbefehl des Amtsgerichts Potsdam vom 7. März 2023 hinaus wirft die Anklage vom 7. August 2023 dem Angeschuldigten („Name 03“) vor, sich durch eine weitere selbstständige Handlung nach dem Waffengesetz strafbar gemacht zu haben, indem er entgegen § 2 WaffG iVm. Anlage 2, Abschnitt 1 Nr. 1.3.2 einen dort genannten Gegenstand, nämlich am 10. März 2023, gegen 14:25 Uhr, anlässlich seiner Verhaftung in („Ort 01“), einen Schlagring bei sich geführt habe.

4. Nach Eingang der Akten beim Landgericht Potsdam am 9. August 2023 und Zuweisung der Strafsache im so genannten Turnusverfahren an die 4. große Strafkammer des Landgerichts hat die Kammervorsitzende bereits am 11. August 2023 die Zustellung der Anklageschrift an die Angeschuldigten und deren Verteidiger unter Einräumung einer Stellungnahmefrist von zwei Wochen gemäß § 201 StPO verfügt, wobei die Verfügung offenbar aufgrund urlaubsbedingter Überlastung der Geschäftsstelle erst am 23. August 2023 ausgeführt worden ist. Am 28. August 2023 wurde den Verteidigern der Angeschuldigten die Anklageschrift zugestellt.

Mit Verfügung vom 29. August 2023 hat die Kammervorsitzende dargelegt, dass die 4. große Strafkammer gegenwärtig außergewöhnlich stark mit fünf weiteren Umfangsverfahren bzw. Haftsachen belastet sei. Wegen der gegenwärtig hohen Arbeitsbelastung und der Elternzeit eines Berichterstatters im September 2023 sei mit einem Beginn der Hauptverhandlung erst ab der 48. Kalenderwoche zu rechnen. Die Strafkammer halte die Fortdauer der Untersuchungshaft über sechs Monate aus den Gründen des Haftbefehls und der möglicherweise zur erwartenden hohen Freiheitsstrafe zumindest hinsichtlich der Angeschulidgten („Name 01“) und („Name 02“) für notwendig.

Mit derselben Verfügung hat die Kammervorsitzende die Vorlage der Akten über die Staatsanwaltschaft an das Brandenburgische Oberlandesgericht zur Entscheidung nach § 122 StPO angeordnet.

Das Hauptverfahren ist bisher noch nicht eröffnet worden; eine Anpassung des Haftbefehls vom 7. März 2023 an die Anklage vom 7. August 2023 ist bisher nicht erfolgt.

Die Akten sind dem Brandenburgischen Oberlandesgericht über die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg zur Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft gemäß §§ 121, 122 StPO am 8. September 2023 vorgelegt worden. In ihrer Stellungnahme vom 5. September 2023 beantragt die Generalstaatsanwaltschaft, die Fortdauer der Untersuchungshaft gegen alle drei Angeschuldigten anzuordnen. Den Angeschuldigten wurde über ihre Verteidiger Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben.

II.

Der Senat folgt dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg und ordnet die Fortdauer der Untersuchungshaft an, da die Voraussetzungen für den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft gegen die Angeschuldigten („Name 01“), („Name 03“) und („Name 02“) gegeben sind.

1. Grundlage für die Entscheidung über die Haftfortdauer gegen die Angeschuldigten, die sich am 10. September 2023 (Angeschuldigten („Name 01“) und („Name 03“) bzw. am 12. September 2023 (Angeschuldigter („Name 02“) sechs Monate in Untersuchungshaft befunden haben, ist weiterhin der Haftbefehl des Amtsgerichts Potsdam vom 7. März 2023 (78 Gs 314/23).

2. Die Angeschuldigten sind den ihnen mit dem vorgenannten Haftbefehl zur Last gelegten Taten des 66-fachen bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge (Angeschuldigten („Name 01“), („Name 02“) und („Name 03“) unter Mitsichführen von Gegenständen, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind (Angeschuldigten („Name 01“) und („Name 02“), des gemeinschaftlichen erpresserischen Menschenraubes in zwei Fällen (Angeschuldigten („Name 01“) und („Name 03“) sowie der gefährlichen Körperverletzung (Angeschuldigter („Name 01“), aufgrund der im Haftbefehl vom 7. März 2023 und in der Anklageschrift vom 7. August 2023 genannten Beweismittel dringend verdächtig. Der dringende Tatverdacht ergibt sich insbesondere aus den Bekundungen der Zeugen KHK („Name 07“) und KOKin („Name 08“) sowie („Name 04“), („Name 05“), („Name 06“) und („Name 09“), der geständigen Einlassung des Angeschuldigten („Name 03“), den Auswertungen der Telekommunikationsüberwachung, den Test- und Wiegeberichten vom 10. März 2023, den Berichten über die waffentechnischen und munitionstechnischen Untersuchungen vom 21. März 2023 und vom 20. Juli 2023, der biologischen Untersuchung vom 29. Juni 2023 sowie aus den psychologischen Gutachten der Sachverständigen („Name 10“) und („Name 11“) jeweils vom 28. Juni 2023. Wegen der Einzelheiten wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf S. 15 ff. der Anklageschrift vom 7. August 2023 verwiesen.

3. Es besteht weiterhin der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Die Angeschuldigten müssen im Falle einer Verurteilung mit einer langjährigen, nicht mehr zur Bewährung aussetzbaren Freiheitsstrafe rechnen, die zu einem erheblichen Fluchtanreiz führt. Für die Tat des bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge ist für jeden Einzelfall nach § 30a Abs. 2 Nr. 1 BtMG eine Freiheitsstrafe von fünf bis zu 15 Jahren angedroht; das gleiche gilt nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG für Fälle des unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unter Mitsichführen einer Waffe oder sonstiger Gegenstände, die ihrer Art nach zur Verletzung von Personen geeignet und bestimmt sind. Die Annahme eines minder schweren Falles nach § 30a Abs. 3 BtMG dürfte angesichts der Art und Menge der sichergestellten Betäubungsmittel fernliegend sein.

Für die Fälle des erpresserischen Menschenraubes nach § 239a StGB (Angeschuldigten („Name 01“) und („Name 03“) ist ebenfalls eine Freiheitsstrafe von fünf bis zu 15 Jahren angedroht.

Die insgesamt sehr hohe Straferwartung gibt den Angeschuldigten einen starken Anreiz, sich dem Verfahren durch Flucht zu entziehen. Zwar vermag allein die Straferwartung die Fluchtgefahr nicht zu begründen. Sie ist jedoch Ausgangspunkt für die Erwägung, ob der in ihr liegende Anreiz zur Flucht auch unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände so erheblich ist, dass die Annahme, der Angeschuldigte werde ihm wahrscheinlich nachgeben und sich dem Strafverfahren entziehen, gerechtfertigt ist. Je größer die Straferwartung ist, desto weniger Gewicht kommt den Umständen zu, die gegen eine Fluchtgefahr sprechen. Bei einer sehr hohen Straferwartung – wie im vorliegenden Fall – beschränkt sich die Prüfung auf die Frage, ob Umstände vorhanden sind, die die hieraus herzuleitende Fluchtgefahr ausräumen können.

Solche Umstände sind vorliegend bei den Angeschuldigten nicht ersichtlich.

Der - erheblich vorbestrafte - Angeschuldigte („Name 01“) und der Angeschuldigte („Name 02“) haben jeweils allein gewohnt und sind keiner legalen Erwerbstätigkeit nachgegangen. Feste soziale Bindungen, die stabil genug wären, einem entsprechend hohen Fluchtanreiz zu begegnen, liegen ersichtlich nicht vor. Zudem bestehen jedenfalls beim Angeschuldigten („Name 01“) auf der Grundlage der Einlassungen des Angeschuldigten („Name 03“) Anhaltspunkte dafür, dass er Kontakte zur organisierten und Schwerkriminalität hat.

Hinsichtlich des Angeschuldigten („Name 03“) verkennt der Senat nicht, dass er sich umfassend geständig zu Sache eingelassen hat, was zu einer erheblichen Strafmilderung, auch zur Anwendung von § 31 BtMG, führen dürfte. Aber selbst bei Anwendung von § 31 BtMG bleibt der Vorwurf des erpresserischen Menschenraubes nach § 239a StGB mit einer Strafandrohung von fünf bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe. Die mit Anwaltsschriftsatz vom 11. September 2023 hervorgehobenen sozialen Umstände des guten Kontaktes zu seiner Mutter und der Möglichkeit der Wiederaufnahme einer beruflichen Tätigkeit als Reinigungskraft sind jedoch nicht geeignet, die auch unter Berücksichtigung der Milderungsgründe bestehende große Fluchtgefahr hinreichend zu kompensieren.

4. Der Zweck der Untersuchungshaft kann aufgrund der bestehenden hohen Fluchtgefahr auch nicht durch eine Haftverschonung unter Auflagen erreicht werden (§ 116 Abs. 1 StPO). Eine hinreichend begründete Erwartung, dass Ersatzmaßnahmen zur Erreichung des Haftzwecks genügen, besteht nur dann, wenn mit großer Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, der Angeschuldigte werde sich bei Anordnung geeigneter Sicherheitsauflagen dem Strafverfahren und der Strafvollstreckung nicht entziehen. Diese Voraussetzung ist hier aus den oben genannten Gründen bei keinem der Angeschuldigten gegeben.

5. Verstöße gegen das für Haftsachen geltende Beschleunigungsgebot – insbesondere durch grobe Fehler oder Säumnisse – liegen nicht vor. Die Besonderheit des Verfahrens besteht darin, dass die in den Wohnungen der Angeschuldigten („Name 03“) und („Name 01“) sichergestellten Betäubungsmittel und unbekannten Substanzen chemisch zu untersuchen und zu bestimmen sowie die sichergestellte Waffe und Munition kriminaltechnisch zu untersuchen waren. Hinzu kam die Auswertung der Telefonüberwachung und der sichergestellten Mobiltelefone. Des Weiteren hat sich die forensisch-psychologische bzw. forensisch-psychiatrische Begutachtung der Angeschuldigten („Name 01“) und („Name 02“) zu Fragen der Schuldfähigkeit und einer möglichen Unterbringung im Maßregelvollzug als erforderlich erwiesen; die schriftlichen Gutachten der Sachverständigen („Name 10“) und („Name 11“) sind jeweils am 28. Juni 2023 erstellt worden.

Insgesamt sind von den Ermittlungsbehörden zu vertretende Verzögerungen nicht erkennbar. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen sind insgesamt zügig und zielgerichtet durchgeführt worden.

Die Zustellung der Anklageschrift an den Angeschuldigten und dessen Verteidiger nach § 201 StPO hat die Vorsitzende der 4. großen Strafkammer zeitnah nach Vorlage der Akten veranlasst.

Der von der großen Strafkammer avisierte Beginn der Hauptverhandlung erst in der 48./49. Kalenderwoche 2023 ist vor dem Hintergrund der gerichtsbekannten, jedoch nur vorübergehenden, sehr hohen Arbeitsbelastung der 4. großen Strafkammer des Landgerichts Potsdam und der erforderlichen Einarbeitungszeit noch nicht zu beanstanden.

Vor dem Hintergrund der Schwere der den Angeschuldigten vorgeworfenen Straftaten ist die Fortdauer der Untersuchungshaft auch im Hinblick auf das zu beachtende Beschleunigungsgebot gerechtfertigt.

6. Der weitere Vollzug der am 10. September 2023 (Angeschuldigten („Name 01“) und („Name 03“) bzw. am 12. September 2023 (Angeschuldigter („Name 02“) sechs Monate andauernden Untersuchungshaft steht zu der Bedeutung der Sache und der im Falle einer Verurteilung für die Angeschuldigten zu erwartenden erheblichen Freiheitsstrafen nicht außer Verhältnis (§ 120 Abs. 1 Satz 1 StPO). Bei Abwägung der Freiheitsgrundrechte der Angeschuldigten mit dem Gebot einer effektiven Strafverfolgung überwiegt gegenwärtig noch der Gesichtspunkt der Gewährleistung eines verfahrensmäßigen Abschlusses der Strafsache, weil den Angeschuldigten schwerwiegende Straftaten aus dem Bereich des Betäubungsmittelstrafrechts, teilweise auch aus dem Bereich des allgemeinen Kriminalstrafrechts, zur Last gelegt wird, dringende Gründe die Annahme rechtfertigen, sie werden sich im Falle einer Freilassung dem weiteren Strafverfahren und einer etwaigen Strafverfolgung entziehen und das Verfahren bislang insgesamt zügig bearbeitet wurde.

III.

Die Haftkontrolle wird gem. § 122 Abs. 3 Satz 3 StPO für drei Monate dem Landgericht Potsdam übertragen.