Gericht | OLG Brandenburg 11. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 11.08.2021 | |
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Aktenzeichen | 11 U 215/20 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2021:0811.11U215.20.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Klägerin wird darauf hingewiesen, dass das Berufungsgericht beabsichtigt, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO ihre Berufung als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.
Die Klägerin erhält Gelegenheit, binnen drei Wochen ab Zustellung zu diesem Hinweis schriftlich Stellung zu nehmen, gegebenenfalls die Berufung zurückzunehmen.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keine Aussicht auf Erfolg; sie ist offensichtlich unbegründet. Der Sache kommt auch keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Fortbildung des Rechtes oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert ebenfalls nicht eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (§ 522 Abs. 2 ZPO).
Zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die verwiesen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung nach Rückabwicklung des Versicherungsvertrages der Parteien weder aus § 812 Abs. 1 BGB, noch aus § 346 BGB zu, demzufolge ebenso wenig die Nebenansprüche. Die Berufungsangriffe haben keinen Erfolg. Die Klägerin hat ihre Zahlungen für den Versicherungsvertrag mit Rechtsgrund geleistet. Rechtsgrund ist der wirksame Versicherungsvertrag der Parteien. Dem Zustandekommen des Versicherungsvertrages steht nicht der von der Klägerin mit Schreiben vom 24.10.2018 erklärte, als Rücktritt nach § 8 Abs. 5 S. 1 VVG a.F. zu behandelnde, Widerspruch entgegen. Die Klägerin hat den Rücktritt weit nach Ablauf der Rücktrittsfrist erklärt, so dass dieser nicht mehr zur Rückabwicklung des Vertrages führen konnte. Die Klägerin ist ordnungsgemäß über ihr Rücktrittsrecht belehrt worden. Zudem hätte die Klägerin ein Rücktrittsrecht gemäß § 242 BGB ausgeschlossen.
I. Zu den Berufungsangriffen im Einzelnen:
1. Das Landgericht hat richtig angenommen, dass die Parteien den Versicherungsvertrag im Antragsmodell geschlossen haben, so dass hinsichtlich der Rücktrittsbelehrung § 8 Abs. 5 VVG a.F. anzuwenden ist und nicht § 5a VVG a.F.. Die Klägerin hat bereits alle relevanten Informationen vor Abgabe des Angebotes erhalten. Der Hinweis auf die garantierten Werte bzw. Todesfallsummen war nicht erforderlich. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts im angefochtenen Urteil insoweit wird verwiesen. Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin auf die Entscheidung des OLG München vom 21.4.2015, 25 U 3877/11. Dieser Entscheidung lag eine kapitalbildende Lebensversicherung zugrunde, während im vorliegenden Fall die Klägerin eine fondsgebundene Versicherung abgeschlossen hat, bei der es keine garantierten Werte gibt, die angegeben werden könnten (OLG Köln, Urteil vom 27.9.2019, 20 U 79/18, LS 3 und Rn. 32; Urteil vom 27.9.2019, Rn. 28; OLG Nürnberg, Urteil vom 22.9.2003, 8 U 632/03, LS 1).
2. Die Belehrung über das Recht zur Lösung vom Vertrag ist ausreichend drucktechnisch hervorgehoben. Der Senat, der dies bereits entschieden hat (Beschluss vom 4.9.2019, 11 U 43/19), tritt dem Landgericht bei. Insbesondere geht die Belehrung schon deshalb nicht unter und die Klägerin konnte sie auch ohne Suchen finden, weil sie unmittelbar über der Unterschriftenzeile eingefügt worden ist, in einem Bereich also, auf den die Klägerin wegen der zu leistenden Unterschrift ohnehin ihre Aufmerksamkeit richten musste.
3. Die Belehrung ist auch inhaltlich nicht zu beanstanden.
a) Der Fristbeginn in der Belehrung wird hinreichend deutlich benannt mit dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses, der dem Zeitpunkt des Zugangs des Versicherungsscheins entspricht (BGH, Urteil vom 17.10.2018, IV ZR 106/17, Rn. 15). Wenn aber zur hinreichenden Bezeichnung des Fristbeginns die Angabe genügt, dass der Versicherungsnehmer „innerhalb einer Frist von 14 Tagen nach Abschluss des Vertrages“ zurücktreten könne (BGH, a.a.O., Rn. 15), so ist es erst recht nicht zu beanstanden, dass der Zeitpunkt des Vertragsschlusses durch die Angabe konkretisiert wird, dass dies der Zeitpunkt des Zugangs des Versicherungsscheines ist (Senat, a.a.O.). Die Entscheidung des BGH vom 29.7.2015, IV ZR 448/14, auf die die Klägerin verweist, ist hier nicht einschlägig. Dieser Entscheidung lag zum einen ein im Policenmodell geschlossener Vertrag zugrunde. Zum anderen hat der BGH die Mitteilung des Fristbeginns in seinem Fall als unzureichend und damit fehlerhaft angesehen, weil die erteilte Belehrung entgegen § 5a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1 VVG a.F. allein auf den Erhalt des Versicherungsscheins, nicht aber auch der Versicherungsbedingungen und der Verbraucherinformation abstellte. Darum geht es hier nicht.
b) Die Beklagte musste die Klägerin nicht über eine etwaige Form der Rücktrittsbelehrung belehren, weil von ihr nicht verlangt werden kann, die insoweit unklare gesetzliche Bestimmung des § 8 Abs. 5 VVG a.F. auszulegen (Senat, Beschluss vom 4.9.2019, 11 U 43/19, n.v. im Anschluss an BGH, Urteil vom 29.6.2016, IV ZR 24/14, Rn. 15).
II. Zudem wäre die Klägerin mit einem - nur unterstellt - noch bestehenden Rücktrittsrecht gemäß § 242 BGB ausgeschlossen (Verwirkung bzw. venire contra factum proprium).
Eine Verwirkung als Unterfall der wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben unzulässigen Rechtsausübung kommt in Betracht, wenn der Berechtigte ein Recht längere Zeit nicht geltend gemacht hat, obwohl er hierzu in der Lage war, und der Verpflichtete sich mit Rücksicht auf das gesamte Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen werde. Die Annahme einer Verwirkung setzt somit neben dem Zeitablauf das Vorliegen besonderer, ein solches Vertrauen des Verpflichteten begründender Umstände voraus. Ob eine Verwirkung vorliegt, richtet sich letztlich nach den vom Tatrichter festzustellenden und zu würdigenden Umständen des Einzelfalles (BGH, WM 2016, 1930; MDR 2016, 1194).
Für das Umstandsmoment der Verwirkung kommt es in erster Linie auf das Verhalten des Berechtigten an. Mit der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden. Maßgebend ist insoweit, ob bei objektiver Beurteilung der Verpflichtete dem Verhalten des Berechtigten entnehmen durfte, dass dieser sein Recht nicht mehr geltend machen wolle, ob er sich also darauf einrichten durfte, dass er mit einer Rechtsausübung durch den Berechtigten nicht mehr zu rechnen brauche. Der Vertrauenstatbestand kann nicht durch bloßen Zeitablauf geschaffen werden (BGH, MDR 2014, 82). Allerdings stehen das Zeitmoment und das Umstandsmoment insofern in Wechselwirkung zueinander, als der Zeitablauf umso kürzer sein kann, je gravierender die sonstigen Umstände sind, und umgekehrt an diese Umstände desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (BGH, NJW 2006, 219). Die zeitlichen und sonstigen Umstände des Falles müssen in ihrer Gesamtheit die Beurteilung tragen, dass Treu und Glauben dem Gläubiger die Verfolgung des Anspruchs verwehren, mit dessen Geltendmachung der Schuldner nicht mehr rechnen musste (OLG Düsseldorf, NJW 2014, 1599).
Nach der Rechtsprechung des BGH, der der Senat folgt, ist eine Verwirkung selbst bei einer fehlenden oder fehlerhaften Widerspruchsbelehrung - bzw. hier Rücktrittsbelehrung - möglich (vgl. BGH, Urteil vom 27.1.2016, IV ZR 130/15 und Urteil vom 11.11.2015, IV ZR 117/15 sowie den nachfolgenden Beschluss vom 13.1.2016).
In Ansehung dieser Rechtsprechung trifft es zwar zu, dass für die Annahme der Verwirkung eines Widerrufs- oder Widerspruchsrechts oder Rücktrittsrechts bei fehlender oder fehlerhafter Belehrung besonders gravierende Umstände vorliegen müssen (BGH, Urteil vom 27.1.2016, IV ZR 130/15, LS 2 und Rn. 16). Allerdings können allgemein gültige Maßstäbe dazu, ob und unter welchen Voraussetzungen eine fehlende (oder fehlerhafte) Belehrung über das Rücktrittsrecht nach § 8 Abs. 5 VVG a.F. - entsprechendes gilt für § 5a Abs. 1 VVG a.F. - einer Anwendung von § 242 BGB entgegensteht, nicht aufgestellt werden. Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben im Einzelfall obliegt grundsätzlich dem Tatrichter (BGH, Beschluss vom 13.1.2016, IV ZR 117/15, LS 1; Beschluss vom 11.11.2015, IV ZR 117/15, Rn. 16 a.E.).
Danach ist zunächst festzustellen, dass Fälle, in denen trotz fehlerhafter oder fehlender Belehrung über das Widerrufs- / Widerspruchsrecht Verwirkung angenommen werden kann, nicht exakt oder auch nur annähernd mit den von dem BGH entschiedenen Fallkonstellationen in tatsächlicher Hinsicht übereinstimmen müssen.
Im Weiteren stellt der Senat auch unter Berücksichtigung und Beachtung der zitierten Rechtsprechung des BGH im vorliegenden Fall solche besonders gravierenden Umstände fest, die die Annahme der Verwirkung rechtfertigten:
Allein die Vertragserfüllung durch den Versicherungsnehmer an sich, also die regelmäßige Leistung der Prämien, reicht für die Bejahung des Verwirkungstatbestandes nicht aus. Erbringt der Versicherungsnehmer wie hier die Klägerin die Prämienleistungen jedoch über einen Zeitraum von ca. 11 Jahren, sind nur noch geringe Anforderungen an das Umstandsmoment zu stellen. Ein solches liegt darin, dass der Versicherungsnehmer den Vertrag während dessen gesamter Laufzeit als Sicherungsmittel für einen Kredit eingesetzt und seine vertraglichen Ansprüche hieraus verpfändet hat. Dieser enge zeitliche Zusammenhang zwischen dem Abschluss des Versicherungsvertrages und dem Einsatz zur Kreditsicherung durch Abtretung der Ansprüche hieraus während der gesamten Laufzeit des Versicherungsvertrages begründete bei der Beklagten ein schutzwürdiges Vertrauen auf den Bestand des Versicherungsvertrages. Zudem hat sich die Klägerin damit auch widersprüchlich verhalten, so dass es ihr auch unter diesem Gesichtspunkt wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben verwehrt wäre, ein – unterstellt – fortbestehendes Rücktrittsrecht wirksam auszuüben.
Weiter ist zu berücksichtigen, dass nach Kündigung des Lebensversicherungsvertrages durch die Beauftragte der Gläubigerbank der Klägerin diese erst 8 Jahre später den Widerruf ihrer Verträge gegenüber dem Versicherer erklärt hat, ohne dass sie innerhalb dieses Zeitraumes gegenüber dem Versicherer zum Ausdruck gebracht hat, dass sie trotz der Kündigung und der damit einhergehenden Abwicklung des Vertrages den Widerruf noch erklären wollte. Der Zeitraum zwischen der Loslösung vom Vertrag und dem Widerruf betrifft nicht das Zeitmoment. Vielmehr hat dieser Zeitraum bei der Prüfung des Umstandsmoments Berücksichtigung zu finden. Ein jedenfalls derart langer Zeitraum ist auch in den Augen des Versicherers als ein gewichtiges Moment nach Auszahlung der Rückkaufswerte dafür anzusehen, dass der Versicherungsnehmer mit der Auszahlung des Betrages keinerlei weitere Rechte mehr geltend macht. Die mangelnde Kenntnis des Betroffenen von seinem Widerrufsrecht schließt eine Verwirkung nicht aus (BGH, WM 2017, 2248; WM 2017, 2251). Gleiches gilt, wenn die von dem Versicherer ausgegebene Belehrung inhaltlich zu beanstanden ist, für den Umstand, dass der Versicherer "die Situation selbst herbeigeführt hat", weil er eine formell ordnungsgemäße Widerrufsbelehrung nicht erteilt hat (siehe zu dieser Problematik klarstellend BGH, Beschluss vom 27.9.2017, IV ZR 506/15).