Gericht | OLG Brandenburg 1. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 31.01.2023 | |
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Aktenzeichen | 1 AR 4/23 (SA Z) | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2023:0131.1AR4.23SA.Z.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Rechtsstreit wird unter Aufhebung der Verweisungsbeschlüsse vom 23. Juni 2022 und 29. Dezember 2022 an das Landgericht Frankfurt (Oder) zurückgegeben.
I.
Der Kläger nimmt den Beklagten auf die Räumung und Herausgabe des Hausgrundstücks („Straße“) 15 in („Ort“) in Anspruch.
Er hat dazu unter dem 13.5.2022 die Klage beim Landgericht Frankfurt (Oder) erhoben. Zur Begründung der Klageforderung hat er vorgetragen, dass er das Eigentum am Hausgrundstück erworben habe. Der Beklagte habe die Immobilie zunächst in Lebensgemeinschaft mit der Voreigentümerin und ab 2018 mit deren Zustimmung, allerdings ohne den Abschluss eines vertraglichen Nutzungsverhältnisses, genutzt; die Voreigentümerin habe vor dem Eigentumsübergang mit Schreiben vom 30.1.2022 ihre Zustimmung widerrufen und den Beklagten zur Räumung und Herausgabe aufgefordert.
Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat am 3.6.2022 die Durchführung des schriftlichen Vorverfahrens unter Bestimmung einer Klageerwiderungsfrist von zwei Wochen ab dem Ablauf der Frist zur Verteidigungsanzeige angeordnet und darauf hingewiesen, dass es wegen des Bestehens der ausschließlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts nach § 23 Nr. 2a GVG sachlich unzuständig sein dürfte. Die Klage ist am 13.6.2022 zugestellt worden. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 20.6.2022 hat der Beklagte seine Verteidigungsbereitschaft angezeigt.
Mit Schriftsatz vom 23.6.2022 hat der Kläger die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree beantragt. Durch Beschluss desselben Datums hat sich das Landgericht Frankfurt (Oder) für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree verwiesen.
Das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree hat unter dem 11.7.2022 auf Bedenken gegen seine sachliche Zuständigkeit sowie gegen die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses vom 23.6.2022 zur Stellungnahme binnen zehn Tagen hingewiesen. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 25.7.2022 Stellung genommen und an seinem Sachvortrag aus der Klageschrift festgehalten. Der Beklagte hat nach Gewährung einer Fristverlängerung mit Schriftsatz vom 8.8.2022 auf die Klage erwidert und zur sachlichen Zuständigkeit vorgetragen, dass er sich auf ein bestehendes Nutzungsrecht berufe, weshalb ein Streit um den Bestand eines Mietverhältnisses gegeben sei. Der Kläger hat mit Schriftsätzen vom 2.9.2022 und 6.9.2022 repliziert.
Das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree hat sich durch Beschluss vom 29.12.2022 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Frankfurt (Oder) zurückverwiesen.
Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat durch Beschluss vom 13.1.2023 die Sache dem Senat zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.
II.
Auf die Vorlage durch das Landgericht Frankfurt (Oder) ist die Aufhebung der ergangenen Verweisungsbeschlüsse auszusprechen und der Rechtsstreit an das Landgericht Frankfurt (Oder) zurückzugeben.
1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, da die am Gerichtsstandsbestimmungsverfahren beteiligten Gerichte sich in seinem Bezirk befinden.
2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, der auch für die sachliche Zuständigkeit gilt (Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 36, Rn. 4), liegen vor. Sowohl das Landgericht Frankfurt (Oder) als auch das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt, und zwar Ersteres durch den Verweisungsbeschluss vom 23.6.2022 und Letzteres durch die Beschlussfassung über die Zurückverweisung des Rechtsstreits vom 29.12.2022. Beide Entscheidungen genügen den Anforderungen, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es dafür allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekanntgemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler: Senat, NJW 2004, 780; Zöller/Schultzky, a. a. O., § 36, Rn. 34 f.).
3. Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 23.6.2022 ist in fehlerhafter Weise ergangen und unterliegt daher der Aufhebung.
Zwar kommt dem Verweisungsbeschluss grundsätzlich Bindungswirkung nach § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO zu. Diese entfällt jedoch ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-)Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Im Interesse einer baldigen Klärung und der Vermeidung wechselseitiger (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle dabei hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler, wie etwa das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm, rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung grundsätzlich nicht. Hinzu kommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder Grundlage entbehrt (BGH, Beschluss vom 17.5.2011, X ARZ 109/11, zitiert nach juris; Senat JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445; 2004, 780; eingehend ferner: Tombrink NJW 2003, 2364 f.; jeweils m. w. N.).
Den derart zu konkretisierenden (verfassungsrechtlichen) Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) nicht stand.
Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat den Beklagten nicht hinreichend zu einer Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree angehört.
Zum Verweisungsantrag des Klägers vom 23.6.2022 ist dem Beklagten nach dem Inhalt der Akten kein rechtliches Gehör gewährt worden.
Es kann dahinstehen, ob es für die Gewährung des rechtlichen Gehörs zu einer Verweisung des Rechtsstreits nach § 281 ZPO ausreicht, dass das verweisende Gericht auf Zweifel an seiner Zuständigkeit hinweist und die Äußerung der Parteien dazu eröffnet (vgl. BGH, Beschluss vom 26.8.2014, X ARZ 275/14, zitiert nach juris; Zöller/Greger, a. a. O., § 281, Rn. 17a). Denn auch dem hat das Landgericht Frankfurt (Oder) nicht genügt, da es auf seinen Hinweis vom 3.6.2022, der dem Beklagten zusammen mit der Klage am 13.6.2022 zugestellt worden ist, nicht die dem Beklagten gesetzte Frist abgewartet hat. Dazu kann dem Landgericht Frankfurt (Oder) nicht darin gefolgt werden, dass es eine Frist zur Äußerung zur Zuständigkeitsfrage nicht gesetzt habe. Denn die Erteilung der Hinweise in der Verfügung vom 3.6.2022 unter gleichzeitiger Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens und Setzung einer zweiwöchigen Klageerwiderungsfrist im Anschluss an die Frist zur Verteidigungsanzeige kann nicht anders verstanden werden, als dass der Beklagte innerhalb der ihm gesetzten Frist auch zur Frage der sachlichen Zuständigkeit vortragen kann. Diese Frist hat das Landgericht im Anschluss an die Zustellung der Klage am 13.6.2022 – bei weitem – nicht gewahrt.
Damit liegt ein Unterbleiben der gebotenen Anhörung zur Verweisung vor, das regelmäßig eine Fehlerhaftigkeit des Verweisungsbeschlusses darstellt, die zum Entfallen der Bindungswirkung führt (Senat, Beschluss vom 18.11.2019, 1 AR 42/19 (SA Z); Beschluss vom 11.7.2017, 1 AR 12/17 (SA Z); Beschluss vom 18.9.2015, 1 (Z) SA 29/15; Zöller/Greger, a. a. O.).
Die Fehlerhaftigkeit des Verweisungsbeschlusses vom 23.6.2022 führt zu seiner Aufhebung und, da ihm damit die Grundlage entzogen ist, auch zur Aufhebung des Verweisungsbeschlusses des Amtsgerichts Fürstenwalde/Spree vom 29.12.2022, um dem Landgericht Frankfurt (Oder) Gelegenheit zu geben, nach Durchführung der gebotenen Anhörung des Beklagten erneut in die Prüfung seiner sachlichen Zuständigkeit einzutreten. Dabei wird das Landgericht Frankfurt (Oder) sich damit auseinanderzusetzen haben, dass in der Klageschrift vom 13.5.2022 das Vorliegen eines Mietverhältnisses ausdrücklich verneint worden ist und ein solches auch in den weiteren Schriftsätzen des Klägers nicht vorgetragen wird. Es wird zudem darüber zu befinden haben, ob entgegen der wohl herrschenden Meinung, dass für die sachliche Zuständigkeit nach § 23 Nr. 2a GVG auf die Rechtsnatur des Anspruchs nach Maßgabe des Antrags und des Tatsachenvortrags der klagenden Partei abzustellen ist (Zöller/Lückemann, a. a. O., § 23a GVG, Rn. 8, m. w. N.), auf den – wie das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree zutreffend festgestellt hat, nicht durch ein tragendes Tatsachenvorbringen untersetzte – Vortrag des Beklagten in der Klageerwiderung vom 8.8.2022 abgehoben werden kann, dass ein Streit über das Bestehen eines Mietverhältnisses vorliege.