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Entscheidung 1 AR 20/23 (SA Z)


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 1. Zivilsenat Entscheidungsdatum 14.08.2023
Aktenzeichen 1 AR 20/23 (SA Z) ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0814.1AR20.23SA.Z.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Sachlich zuständig ist das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt den Beklagten auf die Räumung und Herausgabe des Hausgrundstücks („Straße“) 15 in („Ort“) in Anspruch.

Er hat dazu unter dem 13.5.2022 die Klage beim Landgericht Frankfurt (Oder) erhoben. Zur Begründung der Klageforderung hat er vorgetragen, dass er das Eigentum am Hausgrundstück erworben habe. Der Beklagte habe die Immobilie zunächst in Lebensgemeinschaft mit der Voreigentümerin und ab 2018 mit deren Zustimmung, allerdings ohne den Abschluss eines vertraglichen Nutzungsverhältnisses, genutzt; die Voreigentümerin habe vor dem Eigentumsübergang mit Schreiben vom 30.1.2022 ihre Zustimmung widerrufen und den Beklagten zur Räumung und Herausgabe aufgefordert.

Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat am 3.6.2022 die Durchführung des schriftlichen Vorverfahrens angeordnet und darauf hingewiesen, dass es wegen des Bestehens der ausschließlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts nach § 23 Nr. 2a GVG sachlich unzuständig sein dürfte. Die Klage ist am 13.6.2022 zugestellt worden. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 20.6.2022 hat der Beklagte seine Verteidigungsbereitschaft angezeigt.

Mit Schriftsatz vom 23.6.2022 hat der Kläger die Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree beantragt. Durch Beschluss desselben Datums hat sich das Landgericht Frankfurt (Oder) für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree verwiesen.

Der Beklagte hat mit anwaltlichem Schriftsatz vom 8.8.2022 auf die Klage erwidert und vorgetragen, dass er sich auf ein bestehendes Nutzungsrecht berufe, weshalb ein Streit um den Bestand eines Mietverhältnisses gegeben sei.

Das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree hat sich nach Hinweisen auf Bedenken gegen seine sachliche Zuständigkeit und gegen die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Landgerichts Frankfurt (Oder) durch Beschluss vom 29.12.2022 für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht Frankfurt (Oder) zurückverwiesen.

Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat durch Beschluss vom 13.1.2023 die Sache dem Senat zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt. Durch Senatsbeschluss vom 31.1.2023 sind die ergangenen Verweisungsbeschlüsse aufgehoben und die Sache an das Landgericht Frankfurt (Oder) zurückgegeben worden, da zum Verweisungsantrag vom 23.6.2022 dem Beklagten kein rechtliches Gehör gewährt worden war.

Das Landgericht Frankfurt (Oder) hat unter dem 7.3.2023 erneut Hinweise zur sachlichen Zuständigkeit erteilt. Dazu haben die Parteien mit Schriftsätzen vom 27.3.2023 Stellung genommen, wobei der Beklagte sich mit einer Verweisung des Rechtsstreits im Falle eines Verweisungsantrags des Klägers einverstanden erklärt und der Kläger unter primärer Aufrechterhaltung seiner Auffassung, dass das Landgericht sachlich zuständig sei, einen Antrag auf Verweisung an das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree gestellt haben. Das Landgericht hat die Schriftsätze am 27.3.2023 und 29.3.2023 der jeweils gegnerischen Prozesspartei zugeleitet.

Durch Beschluss vom 11.4.2023 hat das Landgericht Frankfurt (Oder) – erneut – sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree verwiesen.

Das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree hat durch Beschluss vom 4.7.2023 sich ebenfalls für sachlich unzuständig erklärt und die Sache dem Senat zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.

II.

Auf die Vorlage durch das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree ist dessen sachliche Zuständigkeit für den Rechtsstreit auszusprechen.

1. Der Zuständigkeitsstreit ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch das Brandenburgische Oberlandesgericht zu entscheiden, da die am Gerichtsstandsbestimmungsverfahren beteiligten Gerichte sich in seinem Bezirk befinden.

2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6, der auch für die sachliche Zuständigkeit gilt (Zöller/Schultzky, ZPO, 34. Aufl., § 36, Rn. 4), liegen vor. Sowohl das Landgericht Frankfurt (Oder) als auch das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree haben sich im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO rechtskräftig für unzuständig erklärt, und zwar Ersteres durch den Verweisungsbeschluss vom 11.4.2023 und Letzteres durch die Beschlussfassung über die Zurückverweisung des Rechtsstreits vom 23.5.2023. Beide Entscheidungen genügen den Anforderungen, die an das Merkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu stellen sind, weil es dafür allein darauf ankommt, dass eine den Parteien bekanntgemachte beiderseitige Kompetenzleugnung vorliegt (statt vieler: Senat, NJW 2004, 780; Zöller/Schultzky, a. a. O., § 36, Rn. 34 f.).

3. Sachlich zuständig ist das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree.

Seine Zuständigkeit folgt aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des Landgerichts Frankfurt (Oder) nach § 281 Abs. 2 ZPO. Aufgrund dieser klaren gesetzlichen Regelung kann die Bindungswirkung nur ausnahmsweise infolge der Verletzung höherrangigen (Verfassungs-)Rechts, namentlich bei der ungenügenden Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) oder bei objektiv willkürlicher Entziehung des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfallen. Im Interesse einer baldigen Klärung und Vermeidung wechselseitiger (Rück-)Verweisungen ist die Willkürschwelle dabei hoch anzusetzen. Einfache Rechtsfehler, wie etwa das Übersehen einer die Zuständigkeit begründenden Rechtsnorm, rechtfertigen die Annahme einer objektiv willkürlichen Verweisung grundsätzlich nicht. Hinzukommen muss vielmehr, dass die Verweisung offenbar gesetzwidrig oder grob rechtsfehlerhaft ist, also gleichsam jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt (BGH, Beschluss vom 17.5.2011, X ARZ 109/11, zitiert nach juris; Senat JMBl. 2007, 65, 66; NJW 2006, 3444, 3445; 2004, 780; eingehend ferner: Tombrink, NJW 2003, 2364 f.; jeweils m. w. N.).

Der derart zu konkretisierenden Einschränkungen der Bindungswirkung hält der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 11.4.2023 stand.

Der Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör ist beachtet worden. Denn das Landgericht Frankfurt (Oder) hatte bereits zuvor – ausdrücklich – auch den Beklagten zu einer etwaigen erneuten Verweisung des Rechtsstreits angehört, woraufhin sich der Beklagte mit einer Verweisung einverstanden erklärt hatte. Im Lichte dessen hätte sich eine erneute ausdrückliche Anhörung zum Verweisungsantrag vom 27.3.2023 in einer bloßen Förmelei erschöpft, die dem Landgericht Frankfurt (Oder) nicht abzuverlangen gewesen ist (vgl. Senat, Beschluss vom 8.8.2019, 1 AR 23/19 (SA Z); Beschluss vom 25.2.2016, 1 (Z) SA 2/16). Ungeachtet dessen hat dem Beklagten im Anschluss an die Übersendung des Verweisungsantrags bis zum Zeitpunkt der Beschlussfassung des 11.4.2023 ein auskömmlicher Zeitraum für eine Stellungnahme zur Verfügung gestanden.

Der Verweisungsbeschluss des Landgerichts Frankfurt (Oder) entbehrt auch nicht jeder gesetzlichen Grundlage. Er steht im rechtlichen Ausgangspunkt im Einklang mit der gesetzlichen Regelung in § 23 Nr. 2a GVG, nach der Streitigkeiten über Ansprüche aus einem Mietverhältnis über Wohnraum oder über den Bestand eines solchen Mietverhältnisses ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstandes der sachlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts unterfallen.

Ein Entfallen der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses vom 11.4.2023 kann demgegenüber nicht daraus hergeleitet werden, dass nach wohl herrschender Meinung für die sachliche Zuständigkeit nach § 23 Nr. 2a GVG auf die Rechtsnatur des Anspruchs nach Maßgabe des Antrags und des Tatsachenvortrags der klagenden Partei abzustellen ist (OLG Köln, Urteil vom 12.6.2015, 1 U 16/14, zitiert nach juris; KG, Beschluss vom 6.3.2008, 1 AR 12/08, zitiert nach juris; OLG Stuttgart, Beschluss vom 20.8.2009, 6 W 44/09, zitiert nach juris; OLG München, Urteil vom 8.11.1976, 21 U 3384/76, zitiert nach juris; Zöller/Lückemann, a. a. O., § 23a GVG, Rn. 8; Musielak/Voit/Wittschier, ZPO, 20. Aufl., § 23 GVG, Rn. 9; Bub/Treier/Fischer/Günter, Handbuch Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Aufl., Kap. XI, Rn. 13; zu § 29a ZPO: Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 44 Aufl., § 29a, Rn. 5; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 23. Aufl., § 29a, Rn. 16; wohl auch: Wieczorek/Schütze/Smid/Hartmann, ZPO, 5. Aufl., § 29a, Rn. 11). Insoweit überzeugt es zwar nicht, dass das Landgericht Frankfurt (Oder) in den Gründen der Beschlussfassung vom 11.4.2023 ausführt, dies gelte lediglich in Fällen, in denen sich der Kläger auf § 23 Nr. 2a GVG berufe; die dazu in Bezug genommene Kommentierung (Musielak/Voit/Wittschier, a. a.O.) stützt die Sichtweise, dass in Fällen, in denen die klagende Prozesspartei dies nicht tut, auf Beklagtenvortrag zurückzugreifen sein soll, nicht. Allerdings stellt die ausführliche weitere Begründung des Verweisungsbeschlusses vom 11.4.2023, auf die insoweit Bezug genommen wird, eine wohlerwogene und rechtsdogmatisch vertretbare Rechtsauslegung dar, weshalb die Beschlussfassung, wollte man den darin angestellten Erwägungen mit dem Amtsgericht Fürstenwalde/Spree nicht folgen, sich jedenfalls nicht als willkürlich darstellt, sondern allenfalls eine einfache Fehlerhaftigkeit aufweist, die ihre Bindungswirkung nicht infrage stellt. Das gilt umso mehr, als die Sichtweise des Landgerichts Frankfurt (Oder) im Ergebnis auch in – wenn auch vereinzelten – Teilen der veröffentlichten obergerichtlichen Rechtsprechung (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8.11.2007, 24 U 117/07, zitiert nach juris; zu § 29a ZPO: OLG Bremen, Beschluss vom 10.7.1990, 6 W 23/90, zitiert nach juris) vertreten wird.

Demgemäß hat es unter dem Gesichtspunkt der sachlichen Zuständigkeit nunmehr bei der Verweisung des Rechtsstreits an das Amtsgericht Fürstenwalde/Spree zu verbleiben.