Gericht | OLG Brandenburg 12. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 07.09.2023 | |
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Aktenzeichen | 12 U 29/23 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2023:0907.12U29.23.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
1. Auf die Berufung des Klägers wird das am 27.01.2023 verkündete Urteil des Landgerichts Cottbus, Az. 2 O 598/18, einschließlich des zugrundeliegenden Verfahrens teilweise im Tenor zu Ziffer 1 c) und über den Kostenpunkt aufgehoben, soweit die Klage auf Zahlung einer monatlich vorauszahlbaren, über den Betrag von 656,94 € hinausgehenden Rente auf den Entgeltschaden ab dem 01.01.2023 bis zum Eintritt in das gesetzliche Rentenalter des Klägers am 24.10.2050 abgewiesen wurde. Die Sache wird insoweit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Berufung, an das Landgericht zurückverwiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 14.400 € festgesetzt.
I.
Der Kläger macht Schadensersatzansprüche gegen den Fahrer des unfallverursachenden Pkw und der Haftpflichtversicherung nach einem Verkehrsunfall am 10.09.2009 auf der B 169 in Lauchhammer geltend, bei dem er schwer verletzt wurde. Wegen des Sachverhalts wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner unter anderem im Tenor zu Ziffer 1c verurteilt, an den Kläger eine monatliche vorauszahlbare Rente auf den Entgeltschaden vom 01.12.2018 bis 31.12.2022 i.H.v. 1.056,94 € und ab dem 01.01.2023 bis zum Eintritt in das gesetzliche Rentenalter des Klägers am 24.10.2050 i.H.v. 656,94 € zu zahlen. Zur Begründung hat es ausgeführt, aufgrund der unfallbedingten Verletzungen sei der Kläger zunächst vollständig nicht in der Lage gewesen, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Ohne den Unfall hätte er mit Wahrscheinlichkeit eine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker abgeschlossen, eine entsprechende Tätigkeit aufgenommen und ein monatliches Einstiegsgehalt von ca. 2.500 € brutto erzielt. Nach Abzug ersparter Aufwendungen sei ein Entgeltschaden von 1.667,37 € zugrunde zu legen, auf die er sich die Erwerbsminderungsrente von zuletzt 610,43 € anrechnen lassen müsse. Ab Januar 2023 könne der Kläger jedoch jedenfalls 2 Stunden pro Tag arbeiten, wie der gerichtliche Sachverständige Prof. Dr. L... aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks des Klägers ausgeführt habe. Bei Ansatz eines Stundenlohnes von 10 € ergebe sich ein Kürzungsbetrag von 400 € pro Monat, mithin ein ersatzfähiger Verdienstausfallschaden von lediglich monatlich 656,94 €. Wegen der weiteren rechtlichen Ausführungen wird auf das Urteil verwiesen.
Der Kläger hat gegen das seinen Prozessbevollmächtigten am 08.02.2023 zugestellte Urteil mit einem am 23.02.2023 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt, diese am 23.03.2023 und 27.03.2023 begründet und den Umfang der Berufung auf die Reduzierung des Verdienstausfallschadensersatzes um monatlich 400 € ab dem 01.01.2023 beschränkt. Insoweit habe das Landgericht auf einer nicht tragfähigen Grundlage entschieden. Denn der Sachverständige sei in der Anhörung des Klägers am 06.12.2022 von dessen Zustand überrascht gewesen und habe lediglich spontan erklärt, eine zweistündige Erwerbsfähigkeit am Tag für möglich zu halten. Es handele sich lediglich um eine Blickdiagnose, die keine fachliche Grundlage besitze. Auch wenn Lebertransplantierte zu 80 bis 90 % wieder arbeitsfähig seien, könne der Sachverständige aufgrund der Vielzahl der auch außerhalb seiner Fachkompetenz liegenden polytraumatischen Verletzungsfolgen und vor allem seiner fehlenden Kompetenz zur Beurteilung der psychischen Situation des Klägers eine solche Einschätzung nicht geben. Das Landgericht hätte insoweit zum einen dem Kläger auf die überraschende Einschätzung Gelegenheit zur Stellungnahme geben und auf die Konsequenzen hinweisen müssen. Zum anderen wäre eine weitere sachverständige Aufklärung erforderlich gewesen. Nicht berücksichtigt habe das Landgericht, dass der Kläger sich auf die neue Situation mit einer Arbeitssuche hätte einstellen müssen, und dass eine Arbeitsstelle für 2 Stunden täglich in Wohnortnähe praktisch nicht zu finden sei. Ihm sei es auch nicht zuzumuten, den Wohnort zu wechseln. Es fehlten ferner Feststellungen, welche Tätigkeit überhaupt zumutbar und möglich gewesen wäre.
Er beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landgerichts Cottbus mit dem Az. 2 O 598/18 teilweise bezüglich des Tenors zu 1c abzuändern und die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn auch nach dem 01.01.2023 eine monatliche vorauszahlbare Rente auf den Entgeltschaden i.H.v. 1.056,94 € bis zum Eintritt in das gesetzliche Rentenalter des Klägers am 24.10.2050 zu zahlen,
hilfsweise das Urteil bezüglich des Tenors zu 1c aufzuheben und das Verfahren zur erneuten mündlichen Verhandlung an das Landgericht Cottbus zurückzuverweisen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen die angefochtene Entscheidung. Der Kläger habe selbst angegeben, seit fünf Jahren wieder nach oben greifen zu können und bzgl. der Feinmotorik aktuell keine Defizite zu haben. Er betreibe hobbymäßig eine Werkstatt und schraube an Motorrädern und Metallbauteilen. Die geklagten Konzentrationsstörungen seien mangels objektivierbarer Befundberichte nicht verletzungsbedingt nachvollziehbar. Dies gelte auch für eine psychische Erkrankung des Klägers. Zudem habe der Kläger nicht einmal ansatzweise den Versuch unternommen, eine zumutbare und - jedenfalls im kaufmännischen Bereich - mögliche Arbeitstätigkeit auszuloten und entsprechende Überlegungen nicht angestellt. Die mangelnde Bereitschaft des Klägers, sich um einen anderweitigen Verdienst zu bemühen, begründe nach der Rechtsprechung per se eine Verletzung der Schadensminderungspflicht.
II.
Die zulässige (beschränkte) Berufung des Klägers hat insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil teilweise aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen ist, soweit das Landgericht nach dem Tenor zu Ziffer 1c ab dem 01.01.2023 eine Reduzierung der mit der Klage beantragten Entgeltschadensrente um 400 € vorgenommen hat.
1. Zutreffend geht das Landgericht von der gesamtschuldnerischen alleinigen Haftung der Beklagten auf Ersatz der dem Kläger entstandenen Schäden aus dem Verkehrsunfall am 10.09.2009 auf der B 169 in Lauchhammer gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG i.V.m. §§ 115 VVG, 1 PflVG aus. Dies gilt auch für die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit eines Verdienstausfallschadens, den das Landgericht - soweit für das Berufungsverfahren noch relevant - von den Parteien unbeanstandet ab dem 01.01.2023 mit einem hypothetischen monatlichen Bruttoverdienst für einen Konstruktionsmechaniker mit 2.500 € abzgl. Sozialabgaben und Steuern und abzgl. ersparter berufsbedingter Aufwendungen mit letztlich 1.667,37 €/nt. beziffert hat. Ebenso sind unstreitig die Rentenbezüge wegen voller Erwerbsminderung anzurechnen, die allerdings - wie schon erstinstanzlich vom Kläger (Blatt 617 d.GA) vorgetragen - seit dem 01.07.2018 gestiegen sind.
2. Die weitergehenden Ausführungen des Landgerichts dazu, dass ab dem 01.01.2023 keine Erwerbsminderung des Klägers von 100 % bestehe und er zwei Stunden pro Tag, mithin 40 Stunden im Monat arbeiten könne und sich deshalb im Rahmen des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB pro Monat 400 € anrechnen lassen müsse, tragen hingegen die Entscheidung nicht und führen nach entsprechender Antragstellung durch den Kläger zur Aufhebung und Zurückverweisung an das Landgericht gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Danach darf das Berufungsgericht auf Antrag einer Partei die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Verfahrens an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverweisen, wenn und soweit das erstinstanzliche Verfahren an einem wesentlichen Mangel leidet und aufgrund dieses Mangels eine umfangreiche oder aufwändige Beweisaufnahme notwendig ist. Dabei ist die vom Landgericht zugrunde gelegte materiell-rechtliche Beurteilung des Falles maßgebend (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 18. Juni 2004 – I-17 U 180/03 –, Rn. 24 m.w.N., juris).
Das Landgericht hat im angefochtenen Urteil darauf abgestellt, dass der Sachverständige Prof. Dr. L... nach dem von ihm in der Anhörung des Klägers am 06.12.2022 gewonnenen Eindrucks seine bis dahin nach Aktenlage getroffene Einschätzung der vollständigen Erwerbsminderung nicht aufrechterhalten könne und er den Kläger durchaus für zwei bis drei Stunden am Tag für arbeitsfähig halte. Diese Einschätzung beruht jedoch nicht auf einer für eine - auch nach dem reduzierten Beweismaß des § 287 ZPO zu treffenden - Entscheidung des Gerichts belastbaren Grundlage.
Noch im Ausgangsgutachten vom 12.01.2022 geht der Sachverständige aus seiner gastroenterologischen Sicht davon aus, dass der Kläger selbst in dem ursprünglich von ihm erlernten Beruf als Kaufmann derzeit nicht arbeiten könne. Im Rahmen einer eventuellen späteren Weiterbildung wären allenfalls Tätigkeiten zumutbar, die keine hohen körperlichen Ansprüche notwendig machen, mithin z.B. sitzende Tätigkeiten wie Monitorüberwachung. Auf Nachfrage führt er weiter im Zusatzgutachten vom 10.10.2022 aus: „Ich denke daher, dass eine vollständige Wiederherstellung des Patienten erst nach erfolgter zweiter Lebertransplantation möglich ist. Berufstätig kann der Patient allerdings aus meiner Sicht bereits vorher sein. Dies ist allerdings durch Experten zu prüfen und nicht durch einen Fachgutachter für Gastroenterologie.“ Auch in seiner Anhörung am 06.12.2022 hält er an dieser Einschränkung fest. Zwar schätzt der Sachverständige die Situation aufgrund eines persönlichen Eindrucks dahin ein, man solle es „mit zwei bis drei Stunden probieren“, um auch wieder Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zu schaffen. Er sei überrascht, denn nach den ärztlichen Unterlagen sei mit einer auch nur teilweisen Arbeitsfähigkeit nicht zu rechnen gewesen. Aus der Beurteilung, man solle es „probieren“, folgt jedoch noch keine hinreichende Annahme der Teilerwerbsfähigkeit. Diese Aussage schränkt er zugleich weiter dahin ein, er sei hier nicht der Richtige, um dies einschätzen zu können. Vielmehr bedürfte es einer umfassenden Bewertung der psychischen Situation des Klägers einschließlich der Konzentrationsfähigkeit und der Betrachtung der physischen Belastungsfähigkeit insbesondere mit Blick auf die Verbrennungsfolgen im Bereich der Hände. Er stütze seine Bewertung lediglich auf sein Fachgebiet und allgemeine Kenntnisse. Hinzu kommt - wie er ebenfalls selbst in der Anhörung ausführt, dass er eine individuelle Einschätzung nur schwer vornehmen könne, da er den Kläger lediglich aus dem schriftlichen Gutachten und nicht persönlich kenne. Hierauf hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers nochmals im Termin hingewiesen und diesen Aspekt, insbesondere die psychischen Belastungen und Konzentrationseinschränkungen im Verlaufe des Rechtsstreits unter Beweis gestellt.
Vor diesem Hintergrund steht nicht fest, ob der Kläger aufgrund seiner festgestellten und behaupteten multiplen Verletzungen überhaupt teilweise arbeitsfähig ist. Dies wird durch eine weitere Beweisaufnahme zu klären sein, die sich mit den behaupteten psychischen Beeinträchtigungen und deren Unfallkausalität sowie mit arbeitsmedizinischen Fragen des konkreten Umfangs und der konkret denkbaren Tätigkeit zu befassen hat.
3. Der Senat sieht von einer eigenen Sachentscheidung gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO ab. Die unterlassene Aufklärung der entscheidungserheblichen Frage der Arbeitsfähigkeit des Klägers und das damit verbundene Übergehen eines Beweismittels stellen einen Verstoß gegen die Pflicht zur fairen Verfahrensführung und zur Erschöpfung der Beweismittel als Ausfluss der Pflicht zur Gewährung rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG dar und begründen einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne des § 538 Abs. 2 Nr.1 ZPO. Eine Beweisaufnahme ist zudem umfangreich und würde den Senat zu einer mit der Funktion eines Rechtsmittelgerichts unvereinbaren, zum Teil erstmaligen Beweisaufnahme an Stelle der ersten Instanz zwingen. Die mit der Zurückverweisung verbundene Verzögerung des Rechtsstreits ist mit Blick auf die Rechtsschutz- und Rechtsweggarantie hinzunehmen.
4. Für das weitere Verfahren wird darauf hingewiesen, dass selbst für den Fall einer Teilerwerbsfähigkeit eine Anrechnung eines Einkommens auch die Verpflichtung zur Verwertung der Arbeitskraft voraussetzt, mithin, dass der Verletzte überhaupt die Möglichkeit hat, die verbliebene Arbeitskraft gewinnbringend einzusetzen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1995 – VI ZR 398/94 –, Rn. 10, juris). Dies gilt sowohl für den fiktiv erlernten Beruf als auch für eine andere Erwerbstätigkeit im Rahmen der Zumutbarkeit. Bei der Prüfung der Zumutbarkeit einer Ersatztätigkeit sind der Gesundheitszustand des Verletzten, seine Persönlichkeit (Alter, Leistungsfähigkeit, seelische und körperliche Anpassungsfähigkeit, Bildungsgang, Kenntnisse und Fähigkeiten), seine bisherige Erwerbsstellung, die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse, Familie und Wohnort zu berücksichtigen. Bedeutung ist insbesondere dem Beruf zuzumessen, den der Geschädigte unfallbedingt nicht mehr ausüben kann; so ist es etwa einem Auszubildenden für einen Handwerksberuf nicht zuzumuten, ersatzweise eine Tätigkeit als ungelernte Arbeitskraft aufzunehmen (KG in KGR 2000, S. 239, NZV 2002, S. 95; OLG Frankfurt NZV 1991, S. 188). Andererseits hat der Kläger ursprünglich auch eine Kaufmannslehre erfolgreich abgeschlossen, so dass auch diese Tätigkeit einbezogen werden kann. Mithin ist individuell zu ermitteln, welche Tätigkeiten bei einer Teilerwerbsfähigkeit überhaupt in Betracht zu ziehen sind.
In einem weiteren Schritt wird ggf. zu ermitteln sein, ob es dem Kläger im Rahmen des § 254 Abs. 2 S. 1 BGB zum Vorwurf gereicht, keine zumutbare Arbeit aufgenommen zu haben. Eine Anrechnung anderweitiger Verdienstmöglichkeiten kommt nur in Betracht, wenn auch tatsächlich die Möglichkeit bestand, die zumutbare Tätigkeit auszuüben. Denn ein Mitverschulden setzt eine dem Kläger vorwerfbare Pflichtverletzung voraus. Dieses Verschulden bedeutet ein Verschulden gegen sich selbst, also die Verletzung einer im eigenen Interesse bestehenden Obliegenheit. Von der Verletzung einer Obliegenheit kann nur ausgegangen werden, wenn der Geschädigte unter Verstoß gegen Treu und Glauben diejenigen Maßnahmen unterlässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch an der Stelle des Geschädigten zur Schadensabwehr oder -minderung ergreifen würde. Entscheidender Abgrenzungsmaßstab ist also der Grundsatz von Treu und Glauben. Zwar obliegt es dem Verletzten im Verhältnis zum Schädiger im Falle einer die Arbeitskraft beeinträchtigenden Gesundheitsverletzung als Ausfluss der Schadensminderungspflicht, seine verbliebene Arbeitskraft in den Grenzen des Zumutbaren so nutzbringend wie möglich zu verwerten. Dabei hat der Verletzte, wenn er wieder arbeitsfähig oder teilarbeitsfähig ist, den Schädiger in der Regel über die für ihn zumutbaren Arbeitsmöglichkeiten und seine Bemühungen um einen angemessenen Arbeitsplatz zu unterrichten (BGH, Urteil vom 24. Januar 2023 – VI ZR 152/21 –, Rn. 11 - 22, juris). Vorliegend ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit bezieht und ihm zunächst ärztlich und gutachterlich bestätigt wurde, keiner Tätigkeit nachgehen zu können. Erstmals in der mündlichen Verhandlung vom 06.12.2022 wird ein ärztlicher Anhalt ersichtlich, nach dem sich Umstände ergeben können, die die Beurteilung der vollständigen Arbeitsunfähigkeit aus Sicht des Geschädigten in Frage stellen. Ob dies ausreicht, um eine Pflicht des Klägers zu begründen, sich aktiv um eine Teilerwerbstätigkeit zu bemühen, wird das Landgericht zu beurteilen haben. Die vom Kläger geschilderten Tätigkeiten im Rahmen der Ausübung seines Hobbys bzw. allgemeinen Lebens allein dürften hierfür nicht genügen.
Erst wenn auch diese Frage positiv zu beantworten ist, trifft den Kläger im Hinblick auf den grundsätzlich vom Schädiger darzulegenden und zu beweisenden Einwand aus § 254 Abs. 2 BGB eine sekundäre Darlegungslast, wenn er einen Verdienstausfall als Schaden geltend macht und die Frage der verbleibenden Möglichkeit des Einsatzes seiner Arbeitskraft in Rede steht. Genügt der Anspruchsteller dieser sekundären Darlegungslast nicht, gilt nach allgemeinen Regeln die Behauptung des Gegners (hier: eine Obliegenheitsverletzung liege vor) gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden. Steht damit ein Verstoß des Geschädigten gegen die ihm obliegende Schadensminderungspflicht in Form unzureichender Erwerbsbemühungen fest, können die erzielbaren (fiktiven) Einkünfte auf den - zunächst unter Beachtung der insoweit beim Anspruchsteller liegenden Darlegungs- und Beweislast festzustellenden - Verdienstausfallschaden angerechnet werden. Eine quotenmäßige Anspruchskürzung kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Entsprechend der Darlegungslast hinsichtlich des Obliegenheitsverstoßes an sich ist auch die Höhe der fiktiven Einkünfte bei hinreichenden Erwerbsbemühungen des Geschädigten grundsätzlich vom Schädiger darzulegen (BGH, a.a.O. Rn. 20 - 21, juris). Da diese Fragen bislang keine Rolle in den Erörterungen der Parteien gespielt haben und das Landgericht dazu im Rahmen der mündlichen Verhandlung keine Hinweise erteilt hat, wird ihnen Gelegenheit zu geben sein, weiter vorzutragen.
5. Die Kostenentscheidung ist dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.