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Entscheidung 5 U 113/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 5. Zivilsenat Entscheidungsdatum 26.09.2022
Aktenzeichen 5 U 113/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2022:0226.5U113.22.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Der Antrag des Klägers, ihm wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wird zurückgewiesen.

Die Berufung des Klägers gegen das am 27. April 2022 verkündete Urteil des Landgerichts Potsdam – Az.: 1 O 55/21 – wird als unzulässig verworfen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Gründe

I.

Der Kläger, der in erster Instanz auch die V. AG in Anspruch genommen hatte, macht gegenüber der Beklagten zu 1 Ansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Dieselskandal geltend. Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen. Das Landgericht hat die auf Schadensersatz, auf Feststellung des Annahmeverzugs und auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage durch Urteil vom 27. April 2022 abgewiesen. Gegen dieses ihm am 6. Mai 2022 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, die am 7. Juni 2022, dem Dienstag nach Pfingsten, beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangen ist. Auf Antrag des Klägers hat der Vorsitzende des Senats die Berufungsbegründungsfrist zweimal, zuletzt bis zum 8. September 2022, verlängert. An diesem Tage ging ein vom besonderen elektronischen Anwaltspostfach des Prozessbevollmächtigten des Klägers versandter Schriftsatz (Bl. 353 d.A.) mit Datum vom 17. November 2021 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht ein, der an das OLG Braunschweig gerichtet war und im Rubrum andere Parteien genannt. Nach einem entsprechenden Hinweis der Geschäftsstelle vom 12. September 2022 hat der Kläger mit Schriftsatz vom gleichen Tage beantragt,

ihm wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren,

und das Rechtsmittel unter Weiterverfolgung der gegenüber der Beklagte zu 1 erstinstanzlich gestellten Anträge begründet.

Das Wiedereinsetzungsgesuch hat der Kläger wie folgt begründet: Sein Prozessbevollmächtigter habe die Berufungsbegründung am 8. September 2022 signiert und in den Postausgangsordner bei der Schnittstelle des Programms „RA-M.“ verschoben; die Freigabe sei bereits gegen 13.00 Uhr erfolgt. Der Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten, Frau W., sei eine Übersendung direkt vom Programm „RA-M.“ nicht möglich gewesen. Daraufhin habe sie das beA-Postfach geöffnet und den hinterlegten Schriftsatz zum Aktenzeichen dieses Verfahrens versendet. Der Berufungsschriftsatz vom 8. September 2022 trage beim Prüfprotokoll den Vermerk „erfolgreich“. Es sei unerklärlich, dass stattdessen der Schriftsatz an das OLG Braunschweig versandt worden sei. Die Kanzleimitarbeitern W. arbeite seit über elf Jahren gewissenhaft und zuverlässig; eine Frist habe sie bislang noch nie versäumt.

Zu den organisatorischen Vorkehrungen in der Rechtsanwaltskanzlei seines Prozessbevollmächtigten trägt der Kläger vor: Eine Frist werde im elektronischen Kalender erst gestrichen, wenn der fristerledigende Schriftsatz vollständig nebst Anlagen geprüft und signiert und der Sendebericht kontrolliert wurde. Auf dem zur Akte auszudruckenden Fristenzettel (Bl. 346 d.A.) sei im Bemerkungsfeld darzulegen, weswegen die Frist erledigt sei bzw. gestrichen werden könne. Die Erledigung der Frist sei vom zuständigen Rechtsanwalt abzuzeichnen. Zum Ende des jeweiligen Arbeitstages erfolge eine abschließende Kontrolle aller an diesem Tage ablaufenden Fristen durch Frau W. oder eine andere Kanzleikraft, Frau K.. Zur Glaubhaftmachung bezieht sich der Kläger auf eine eidesstattliche Versicherung der Mitarbeiterin W., die dem Schriftsatz vom 12. September 2022 nicht beigefügt war.

Die Beklagte zu 1 ist dem Wiedereinsetzungsantrag nach Maßgabe des Schriftsatzes vom 23. September 2022 entgegengetreten.

II.

Das Wiedereinsetzungsgesuch ist statthaft gemäß § 233 S. 1 ZPO und auch im Übrigen zulässig, insbesondere in der Frist des § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO eingelegt worden. Dem Kläger ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand jedoch nicht zu gewähren. Den Darlegungen des Klägers im Wiedereinsetzungsantrag lässt sich nicht entnehmen, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten eine hinreichende Ausgangskontrolle gewährleistet war.

Im Rahmen seiner eigenverantwortlichen Tätigkeit darf ein Rechtsanwalt routinemäßige Büroarbeiten auf Mitarbeiter delegieren. Hierzu gehört grundsätzlich auch die Erledigung der ausgehenden Post, insbesondere auch unter Einsatz moderner Kommunikationstechnik wie dem besonderen elektronischen Anwaltspostfach. Hiermit darf jedenfalls eine voll ausgebildete, erfahrene Rechtsanwaltsfachangestellte beauftragt werden.

Ein Rechtsanwalt hat hierbei durch organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass ein fertiggestellter fristgebundener Schriftsatz innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen. Zu diesem Zweck hat er seine Ausgangskontrolle so zu organisieren, dass sie einen gestuften Schutz gegen Fristversäumung bietet. Zum einen dürfen die im Fristenkalender vermerkten Fristen erst dann gestrichen oder anderweitig als erledigt gekennzeichnet werden, wenn die fristwahrende Maßnahme tatsächlich durchgeführt, der Schriftsatz also gefertigt und abgesandt oder zumindest postfertig gemacht, die weitere Beförderung der ausgehenden Post also organisatorisch zuverlässig vorbereitet worden ist. Dabei sind die für die Kontrolle zuständigen Mitarbeiter anzuweisen, Fristen im Kalender grundsätzlich erst zu streichen oder als erledigt zu kennzeichnen, nachdem sie sich anhand der Akte vergewissert haben, dass zweifelsfrei nichts mehr zu veranlassen ist. Zum anderen gehört hierzu die Anordnung des Rechtsanwalts, dass die Erledigung von fristwahrenden Sachen am Abend eines jeden Arbeitstags anhand des Fristenkalenders durch eine dazu beauftragte Bürokraft überprüft wird. Diese nochmalige selbstständige und abschließende Kontrolle muss gewährleisten, dass geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob diese mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen übereinstimmen. Die allabendliche Ausgangskontrolle fristgebundener Schriftsätze mittels Abgleichs mit dem Fristenkalender dient dabei nicht allein dazu, zu überprüfen, ob sich aus den Eintragungen noch unerledigt gebliebene Fristsachen ergeben. Ihr Sinn und Zweck liegt auch darin festzustellen, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht. Deshalb ist dabei, gegebenenfalls anhand der Akten, zu prüfen, ob die im Fristenkalender als erledigt gekennzeichneten Schriftsätze tatsächlich abgesandt worden sind (BGH, Beschluss vom 17. Januar 2020, Az.: VI ZB 99/19 m.w.N.).

Die vorstehenden, für den postalischen Verkehr und die Übersendung von Schriftsätzen mittels Telefax entwickelten Grundsätze geltend gleichermaßen für die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das besondere elektronische Anwaltspostfach. Auch hier ist es unerlässlich, den Versandvorgang selbst zu überprüfen. Dies hat zum einen durch eine Kontrolle der dem Telefax-Sendeprotokoll vergleichbaren automatisierten Eingangsbestätigung (§ 130 a Abs. 5 ZPO) zu erfolgen, die dem Einreichenden Sicherheit gibt, dass der Sendevorgang erfolgreich war und deren Ausbleiben den Rechtsanwalt zur Überprüfung und gegebenenfalls zur erneuten Übermittlung veranlassen muss. Diese Kontrolle darf sich jedoch nicht auf den Ausschluss bloßer Fehlermeldungen beschränken. Im Hinblick auf die erhebliche Gefahr von Fehlversendungen ist daneben eine Prüfung erforderlich, ob tatsächlich auch die richtige Datei versandt wurde. Diese spezifische Gefahrenlage unterscheidet den Versand über das besondere elektronische Anwaltspostfach insbesondere von dem Versand per Telefax, bei dem das Original des Schriftsatzes manuell in das Telefax-Gerät eingelegt wird, was eine Verwechslung bei einfacher Sichtkontrolle sicher ausschließt. Da bei der Versendung über das besondere elektronische Anwaltspostfach die Dateiauswahl durch bloßen „Mausklick“ aus einer Vielzahl von Dateien erfolgt und auch der elektronischen Eingangsbestätigung des Gerichts keine über die Zuordnung zu einem bestimmten Verfahren hinausgehende Individualisierung der übermittelten Datei zu entnehmen ist, muss der Rechtsanwalt durch eine Organisationsanweisung oder durch konkrete Einzelanweisung sicherstellen, dass jeder fristgebundene Schriftsatz mit einem diese Individualisierung ermöglichenden Dateinamen versehen wird, der später anhand von Prüfprotokoll und Eingangsbestätigung die Kontrolle auf Fehlversendungen ermöglicht. Denn andernfalls kann ohne Öffnung der versandten Datei nicht nachvollzogen werden, welcher Schriftsatz unter dem Aktenzeichen versandt wurde (BGH a.a.O.; OLG Dresden, Beschluss vom 1. Juni 2021, Az.: 4 U 351/21 m.w.N.).

Dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers eine solche zusätzliche Kontrolle angeordnet worden wäre, lässt sich der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags nicht entnehmen. Aus dem Vortrag des Klägers ergibt sich nicht, dass die Schriftsätze jeweils mit einer aussagekräftigen, Verwechselungen ausschließenden Dateibezeichnung zu versehen waren. Dem mit dem Wiedereinsetzungsantrag überreichten Ausdruck des elektronischen Anwaltspostfachs zur Übersendung vom 8. September 2022 (Bl. 347 d.A.) ist vielmehr nur die farblose und Verwechselungen keinesfalls ausschließende Bezeichnung „Berufungsschriftsatz.pfzd“ zu entnehmen. Damit wird deutlich, dass nicht einmal zwischen dem Schriftsatz der Berufung („Berufungsschriftsatz“) und der Berufungsbegründung entschieden wird.

Der dargestellte Organisationsmangel war für die Fristversäumung ursächlich. Wäre in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten des Klägers eine Anordnung zur nachvollziehbaren und sinnvollen Benennung von Dateien erfolgt, wäre nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge bei ansonsten pflichtgemäßem Verhalten der zuständigen Mitarbeiterin die Berufungsbegründungsfrist nicht versäumt worden. Denn dann hätte spätestens am Abend des 8. September 2022 auffallen müssen, dass eine Übermittlung des „richtigen“ Schriftsatzes an das Brandenburgische OLG unterblieben ist.

III.

Die Berufungsbegründung vom 12. September 2022 konnte die am 8. September 2022 ablaufende Frist damit nicht wahren. Die Berufung unterlag daher der Zurückweisung gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt derjenigen in erster Instanz (Beschluss des Landgerichts vom 16. Juni 2022).