Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 16.06.2023 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 B 44/21 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2023:0616.OVG3B44.21.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 40 Abs 1 S 1 VwGO |
Für die Klage gegen den sog. BDS-Beschluss des Deutschen Bundestags (BT-Drs. 19/10191) ist der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet, weil es sich um eine verfassungsrechtiche Streitigkeit handelt.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. Oktober 2021 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 vom Hundert des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 120 vom Hundert des jeweils vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Die Kläger wenden sich gegen einen Beschluss des Deutschen Bundestages.
Am 17. Mai 2019 beschloss der Deutsche Bundestag, den Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 15. Mai 2019 „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten - Antisemitismus bekämpfen" (BT-Drs. 19/10191) anzunehmen (Stenografischer Bericht der 102. Sitzung des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 2019, Pl.-Prot. 19/102 S. 12489 f.).
Der Beschluss hat folgenden Wortlaut:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Der Deutsche Bundestag bekennt sich unabänderlich zu seinem Versprechen, Antisemitismus in allen seinen Formen zu verurteilen und zu bekämpfen und bekräftigt ausdrücklich den beschlossenen Antrag der Fraktionen CDU/CSU, SPD, FDP und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Antisemitismus entschlossen bekämpfen" vom 17. Januar 2018.
Laut Arbeitsdefinition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken ist Antisemitismus eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.
Es gibt keine legitime Rechtfertigung für antisemitische Haltungen. Das entschiedene, unbedingte Nein zum Hass auf Jüdinnen und Juden gleich welcher Staatsangehörigkeit ist Teil der deutschen Staatsräson. Antisemitismus hat sich in seinen mörderischen Folgen als die verheerendste Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit in der Geschichte unseres Landes und in ganz Europa erwiesen und ist heute noch eine Bedrohung sowohl für Menschen jüdischen Glaubens als auch für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Es ist nicht hinnehmbar, dass der Antisemitismus in den vergangenen Jahren zugenommen hat und die jüdische Gemeinschaft zunehmend verunsichert ist.
Wer Menschen wegen ihrer jüdischen Identität diffamiert, ihre Freizügigkeit einschränken will, das Existenzrecht des jüdischen und demokratischen Staates Israel oder Israels Recht auf seine Landesverteidigung in Frage stellt, wird auf unseren entschiedenen Widerstand stoßen. Durch eine besondere historische Verantwortung ist Deutschland der Sicherheit Israels verpflichtet. Die Sicherheit Israels ist Teil der Staatsräson unseres Landes. Wir halten an der Zweistaatenlösung fest, wie sie der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in zahlreichen Resolutionen bekräftigt hat: einen jüdischen demokratischen Staat Israel und einen unabhängigen, demokratischen und lebensfähigen palästinensischen Staat.
Seit Jahren ruft die „Boycott, Divestment and Sanctions"-Bewegung (abgekürzt BDS) auch in Deutschland zum Boykott gegen Israel, gegen israelische Waren und Dienstleistungen, israelische Künstlerinnen und Künstler, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Sportlerinnen und Sportler auf. Der allumfassende Boykottaufruf führt in seiner Radikalität zur Brandmarkung israelischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger jüdischen Glaubens als Ganzes. Dies ist inakzeptabel und scharf zu verurteilen.
Die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung sind antisemitisch. Die Aufrufe der Kampagne zum Boykott israelischer Künstlerinnen und Künstler sowie Auf-kleber auf israelischen Handelsgütern, die vom Kauf abhalten sollen, erinnern zudem an die schrecklichste Phase der deutschen Geschichte. „Don't Buy"-Aufkleber der BDS-Bewegung auf israelischen Produkten wecken unweigerlich Assoziationen zu der NS-Parole „Kauft nicht bei Juden!" und entsprechenden Schmierereien an Fassaden und Schaufenstern.
Der Deutsche Bundestag verurteilt alle antisemitischen Äußerungen und Übergriffe, die als vermeintliche Kritik an der Politik des Staates Israel formuliert werden, tatsächlich aber Ausdruck des Hasses auf jüdische Menschen und ihre Religion sind, und wird ihnen entschlossen entgegentreten.
II. Der Deutsche Bundestag begrüßt,
dass zahlreiche Gemeinden bereits beschlossen haben, der BDS-Bewegung oder Gruppierungen, die die Ziele der Kampagne verfolgen, die finanzielle Unterstützung und die Vergabe von kommunalen Räumen zu verweigern.
III. Der Deutsche Bundestag beschließt,
1. erneut jeder Form des Antisemitismus schon im Entstehen in aller Konsequenz entschlossen entgegenzutreten und die BDS-Kampagne und den Aufruf zum Boykott von israelischen Waren oder Unternehmen sowie von israelischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, Künstlerinnen und Künstlern oder Sportlerinnen und Sportlern zu verurteilen;
2. Räumlichkeiten und Einrichtungen, die unter der Bundestagsverwaltung stehen, keinen Organisationen, die sich antisemitisch äußern oder das Existenzrecht Israels in Frage stellen, zur Verfügung zu stellen. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, keine Veranstaltungen der BDS-Bewegung oder von Gruppierungen, die deren Ziele aktiv verfolgen, zu unterstützen;
3. seine Unterstützung für die Bundesregierung und den Beauftragten für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus sowohl in der Prävention als auch in der entschiedenen Bekämpfung von Antisemitismus und jeglichem Extremismus unvermindert fortzusetzen;
4. keine Organisationen finanziell zu fördern, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen;
5. keine Projekte finanziell zu fördern, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen;
6. Länder, Städte und Gemeinden und alle öffentlichen Akteurinnen und Akteure dazu aufzurufen, sich dieser Haltung anzuschließen.
Die Kläger sind in der BDS-Bewegung aktiv. Die Klägerin zu 1 ist Mitglied und Sprecherin der „Jüdisch-Palästinensischen Dialoggruppe München“, die die BDS-Bewegung unterstützt. Sie ist in Jerusalem geboren und jüdischen Glaubens. Ihre Großeltern waren 1943 nach Auschwitz deportiert worden, ihren Eltern war 1935/36 die Flucht nach Palästina gelungen. Zusammen mit ihrem Ehemann stand sie für sechs Jahre der Münchener Stolperstein-Initiative vor. Der Kläger zu 2 ist Sprecher der Gruppe „BDS-Initiative Oldenburg“, die die BDS-Bewegung unterstützt. In diesem Rahmen sei er bundesweit aktiv und halte Vorträge in verschiedenen bundesdeutschen Städten. Der Kläger zu 3 ist nach eigenen Angaben in der deutsch-palästinensischen Gruppe „Palästina spricht – Koalition für palästinensische Rechte und gegen Rassismus“ aktiv, die die BDS-Kampagne unterstütze. Sein Vater sei 1948 bei Haifa in Palästina geboren und im gleichen Jahr sei die Familie unter Waffengewalt von dort vertrieben worden.
Die Kläger haben am 18. Mai 2020 Klage erhoben. Sie haben sich darauf berufen, dass ihnen wiederholt unter Bezugnahme auf ihre Unterstützung der BDS-Kampagne Räume für Veranstaltungen versagt worden seien. Der Kläger zu 2 sei zudem im Rahmen einer Veranstaltung in Oldenburg von einem Vorstandsmitglied der deutsch-israelischen Gesellschaft unter ausdrücklicher Berufung auf den Bundestagsbeschluss beleidigt und tätlich angegriffen worden. Palästinensische Vereine und BDS-Unterstützer hätten die Zulassung zu Veranstaltungen bzw. die Überlassung von Räumen gerichtlich erstreiten müssen bzw. sich gegen Kontokündigungen wehren müssen. Prominenten Rednern sei Redeverbot erteilt, der Schriftstellerin Kamila Shamsie ein Preis wieder entzogen worden. Die Klägerin zu 1 sei anlässlich der Absage einer in Frankfurt am Main geplanten Veranstaltung im Oktober 2019 in einer Presseerklärung des Bürgermeisters unter Berufung auf den Bundestagsbeschluss als antisemitisch bezeichnet worden; das Verwaltungsgericht Frankfurt habe diese Presseerklärung später wegen Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot für rechtswidrig erklärt.
Die Kläger haben erstinstanzlich beantragt, den Beschluss des Deutschen Bundestages vom 17. Mai 2019 „Der BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten - Antisemitismus bekämpfen", Drucksache 19/10191, in seiner Gesamtheit, hilfsweise in im Einzelnen bezeichneten Passagen, mit ihren Grundrechten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 GG, Art. 9 Abs. 1 GG sowie Art. 10 Abs. 1 EMRK und Art. 11 Abs. 1 EMRK unvereinbar und nichtig zu erklären, höchst hilfsweise festzustellen, dass der Beschluss in seiner Gesamtheit, hilfsweise in im Einzelnen bezeichneten Passagen, rechtswidrig ist, sowie der Beklagten bei Vermeidung eines vom Gericht für jede Verletzungshandlung festzusetzenden Ordnungsgelds bis zu 250.000 Euro zu untersagen, wörtlich oder sinngemäß über die Kläger den Inhalt des fraglichen Beschlusses - in seiner Gesamtheit, hilfsweise hinsichtlich im Einzelnen bezeichneter Passagen - zu behaupten, zu verbreiten und/oder behaupten oder verbreiten zu lassen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 7. Oktober 2021 abgewiesen. Es hat den Verwaltungsrechtsweg für eröffnet gehalten, weil es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art handele. Das Rechtsverhältnis zwischen Klägern und Beklagter sei im Schwerpunkt nicht verfassungsrechtlich geprägt. Die Kläger wendeten sich als Bürger gegen den Beschluss des Deutschen Bundestages, den sie dabei nicht gerade in seiner Eigenschaft als Verfassungsrechtssubjekt bei der Ausübung von ihm durch das Grundgesetz übertragenen, spezifisch exklusiven Rechten und Pflichten in Anspruch nähmen. In Rede stehe vielmehr die mögliche Verletzung von Grundrechten durch eine parlamentarische Verlautbarung, für die der Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten eröffnet sei. Auch der Umstand, dass der Bundestag in Form eines „schlichten Parlamentsbeschlusses“ gehandelt habe, begründe nicht die verfassungsrechtliche Natur der Streitigkeit. Die Klage sei jedoch teils unzulässig und im Übrigen - soweit die Kläger beantragt hätten, die Rechtswidrigkeit des Beschlusses hinsichtlich der dortigen Aussage festzustellen, die Argumentationsmuster und Methoden der BDS-Bewegung seien antisemitisch - nicht begründet. Das Parlament dürfe in Wahrnehmung seiner Repräsentationsfunktion in der Gesellschaft diskutierte Themen aufgreifen, politisch zuspitzen und wertend zu ihnen Stellung nehmen. Der Beschluss sei nicht geeignet, sich abträglich auf das Ansehen der Kläger in der Öffentlichkeit auszuwirken, weil er keine personenbezogenen, sondern lediglich sachbezogene Aussagen treffe und auch den Anforderungen des Sachlichkeitsgebots genüge. Angesichts dessen stehe den Klägern der von ihnen geltend gemachte Unterlassungsanspruch ebenfalls nicht zu.
Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung verfolgen die Kläger ihr Klageziel weiter. Zur Begründung machen sie im Wesentlichen geltend, mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG müsse Rechtsschutz gegen einen nicht-gesetzlichen Akt eröffnet werden, der - wie der fragliche Beschluss - nach Zielrichtung und in der Praxis als verbindlich betrachtet werde. Da es dem Bundestag verboten sei, rechtswidriges Handeln gutzuheißen und zu fordern, sei das Verbot der Aussage durch Nichtigkeitserklärung, Aufhebung und Unterlassung, hilfsweise Feststellung der Rechtswidrigkeit, im Ganzen oder in Teilen geboten. Der Beschluss des Bundestags werde in seiner Gesamtheit von der Bezeichnung der BDS-Bewegung als antisemitisch geprägt und betreffe die Kläger damit in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Er sei weiterhin öffentlich im Internet abrufbar und private wie staatliche Akteure beriefen sich auf ihn. In einer Vielzahl von Presseberichten des Jahres 2022 werde der Bundestagsbeschluss herangezogen, um die BDS-Kampagne als antisemitisch zu beschreiben. Die Kläger könnten nicht darauf verwiesen werden, gegen jede sie in ihren Grundrechten beeinträchtigende Entscheidung eines öffentlichen Akteurs, wie etwa die Versagung staatlicher Leistungen, im Einzelfall rechtlich vorzugehen, wenn eigentliche Ursache der Verbote der Bundestagsbeschluss sei. Für die dort ausgesprochene Warnung fehle es an der erforderlichen gesetzlichen Grundlage. Der Bundestagsbeschluss verletze zudem das Sachlichkeitsgebot, indem er eine unbrauchbare Antisemitismus-Definition anwende.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 7. Oktober 2021 zu ändern und entsprechend den erstinstanzlichen Anträgen (Seite 5-8 des Urteils vom 7. Oktober 2021) zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil im Ergebnis, hält aber an ihrer bereits erstinstanzlich vertretenen Auffassung fest, die Klage sei insgesamt unzulässig, weil der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet sei. Der maßgebliche materielle Gehalt der Streitigkeit sei allein verfassungsrechtlich. Der Deutsche Bundestag habe bei der Beschlussfassung nicht als Verwaltungsbehörde gehandelt, sondern im Wege des sogenannten schlichten Parlamentsbeschlusses seine verfassungsrechtliche Kompetenz ausgeübt, in Wahrnehmung seines von der Verfassung vorausgesetzten allgemeinpolitischen, dem Prinzip repräsentativer Demokratie inhärenten Mandats als „zentrales Organ der parlamentarisch politischen Kommunikation“ seine politische Einschätzung der BDS-Bewegung kundzutun.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidung war.
Die Berufung der Kläger ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Sie kann keinen Erfolg haben, weil der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist.
Nach § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Verwaltungsgerichtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht-verfassungsrechtlicher Art gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind. Die erhobene Klage betrifft eine Streitigkeit verfassungsrechtlicher Art.
Diese Frage ist vom Oberverwaltungsgericht in eigener Verantwortung zu prüfen, obwohl das Verwaltungsgericht den Verwaltungsrechtsweg bejaht hat. Zwar bestimmt § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 17a Abs. 5 GVG, dass das Gericht, das über ein Rechtsmittel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache entscheidet, nicht prüft, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. § 17a Abs. 5 GVG ist aber auf das hier betroffene Verhältnis zwischen dem Verwaltungsrechtsweg und dem Gang zu den Verfassungsgerichten nicht anwendbar, weil es nicht um die Abgrenzung unterschiedlicher Rechtswege geht (OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Juli 2019 - OVG 3 B 122.18 - juris Rn. 24; Urteil vom 26. September 2011 - 3a B 5.11 - juris Rn. 23; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn. 183a; Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 40 Rn. 17). Dementsprechend kommt auch eine Verweisung an die Verfassungsgerichtsbarkeit nicht in Betracht (vgl. Ehlers, in: Schoch/Schneider, VwGO, Vorbem. § 17 GVG, Rn. 25).
Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit ist nicht nur dann gegeben, wenn sich aus den Zuständigkeitskatalogen in Art. 93 GG, § 13 BVerfGG eine ausdrückliche Zuweisung an die Verfassungsgerichtsbarkeit gibt (vgl. Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 40 Rn. 134 f.; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 40 Rn. 187 f.; Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 40 Rn. 18). Entscheidendes Kriterium für die Abgrenzung verfassungsrechtlicher von verwaltungsrechtlichen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten ist vielmehr der materielle Gehalt der Streitigkeit, d.h. die Frage, ob der geltend gemachte Anspruch in einem Rechtsverhältnis wurzelt, das maßgeblich durch Verfassungsrecht geprägt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Juli 2016 – 9 A 16.15 – juris Rn. 18; Urteil vom 24. Januar 2007 – 3 A 2.05 – juris Rn. 15; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Juli 2019 - OVG 3 B 122.18 - juris Rn. 26; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Oktober 2020 - OVG 3 S 113/20 - juris Rn. 7). Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn beide Streitsubjekte Verfassungsorgane, Teile von ihnen oder andere unmittelbar am Verfassungsleben Beteiligte sind und das Streitobjekt materielles Verfassungsrecht darstellt („doppelte Verfassungsunmittelbarkeit“, vgl. BVerfG, Urteil vom 4. Juli 2007 - 2 BvE 1/06 u.a. - juris Rn. 191; BVerfG, Kammerentscheidung vom 20. Mai 2019 - 2 BvR 649/19 - juris Rn. 5; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Oktober 2020 - OVG 3 S 113/20 - juris Rn. 7; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. September 2016 - OVG 10 S 19.16 - juris Rn. 22; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 26. September 2011 - 3a B 5.11 - juris Rn. 24; VerfGH München, Entscheidung vom 17. November 2014 - Vf. 70-VI-14 - juris Rn. 39; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 40 Rn. 189 f.; Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO § 40 Rn. 136 ff.; Wöckel, in: Eyermann, VwGO, § 40 Rn. 21). Eine Beschränkung des Begriffs der verfassungsrechtlichen Streitigkeit auf diese Fälle erweist sich indessen als zu eng und bedarf der Modifikation (vgl. VerfGH München, Entscheidung vom 17. November 2014 - Vf. 70-VI-14 - juris Rn. 39; VGH München, Beschluss vom 27. Juni 2022 - 5 ZB 20.2632 - juris Rn. 12; OVG Saarlouis, Beschluss vom 20. Mai 2016 - 2 E 112/16 - juris Rn. 5; Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, 28. Aufl. 2022, § 40 Rn. 32 ff.; Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, § 40 Rn. 136 ff.; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 40 Rn. 192 ff.; Wöckel, in: Eyermann, VwGO, § 40 Rn. 21; Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 40 VwGO Rn. 159 ff.; vorsichtig Reimers, in: BeckOK VwGO, § 40 Rn. 98).
Die Annahme einer materielles Verfassungsrecht betreffenden Streitigkeit, in der der geltend gemachte Anspruch in einem maßgeblich durch Verfassungsrecht geprägt Rechtsverhältnis wurzelt, setzt nicht zwingend voraus, dass beide an der Streitigkeit Beteiligten sog. Verfassungsrechtssubjekte, also in der Verfassung mit eigenen Kompetenzen ausgestattet worden sind (so aber wohl Reimers, in: BeckOK VwGO, § 40 Rn. 102). Seit Einführung der Verfassungsbeschwerde sind verfassungsrechtliche Streitigkeiten zwischen Staat und Bürger möglich (zu diesem Gesichtspunkt vgl. Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 40 Rn. 139; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 40 Rn. 192 ff.; Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 40 VwGO Rn. 159). Zudem ist anerkannt, dass eine verfassungsrechtliche Streitigkeit auch dann gegeben ist, wenn ein Bürger die Entscheidung über die Rechtsgültigkeit eines förmlichen nachkonstitutionellen Gesetzes oder den Erlass eines Gesetzes erstrebt (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1985 - 2 BvR 397/82 u.a. - juris Rn. 63; BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 1987 - 2 BvR 826/83 - juris Rn. 22; BVerwG, Urteil vom 3. November 1988 - 7 C 115.86 - juris Rn. 14; BVerwG, Urteil vom 15. Januar 1987 - 3 C 19.85 - juris Rn. 33). Auch der Wortlaut des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der mit dem Begriff der Streitigkeit „nichtverfassungsrechtlicher Art“ mehr auf den Inhalt der Streitigkeit als auf die an ihr Beteiligten hindeutet, spricht für eine stärker materielle Betrachtungsweise, die danach fragt, ob das streitige Rechtsverhältnis entscheidend vom Verfassungsrecht geformt wird oder die Auslegung und Anwendung der Verfassung den eigentlichen Kern des Rechtsstreits bildet. Das ist dann der Fall, wenn der Rechtsstreit darauf gerichtet ist, ein Verfassungsrechtssubjekt als solches in die Pflicht zu nehmen, wenn also dessen spezifisch exklusiven Rechte und Pflichten den Gegenstand des Rechtsstreits bilden (Ehlers/Schneider, in: Schoch/Schneider, VwGO, § 40 Rn. 149 ff.; Sodan, in: Sodan/Ziekow, VwGO, § 40 Rn. 215 f.; Wöckel, in: Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 40 Rn. 21; Unruh, in: Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 40 VwGO Rn. 161; Wysk, in: ders., VwGO, 3. Aufl. 2020, § 40 Rn. 90). Dagegen ist nicht zwingend erforderlich, dass auch auf Klägerseite ein Verfassungsrechtssubjekt steht, also ein Beteiligter, der in der Verfassung spezifisch mit eigenen Rechten und Pflichten ausgestattet worden ist.
Hieran gemessen ist der zwischen den Beteiligten geführte Rechtsstreit verfassungsrechtlicher Art. Die Kläger wenden sich gegen den Beschluss des Deutschen Bundestags, in dem dieser seine Einschätzung der BDS-Bewegung geäußert hat. Der Deutsche Bundestag ist damit als Verfassungsrechtssubjekt in Wahrnehmung seiner verfassungsrechtlichen Kompetenzen tätig geworden. Die von den Klägern aufgeworfene Frage, ob dieses Handeln des Bundestags rechtswidrig war, betrifft daher materielles Verfassungsrecht.
Es handelt sich nicht um einen Gesetzesbeschluss, sondern um einen schlichten Parlamentsbeschluss (zum Begriff vgl. Achterberg, Parlamentsrecht, S. 738 ff.; Butzer, AöR 119, 61 ff.; Kraayvanger, Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 2004, S. 135 ff.; Sester, Der Parlamentsbeschluss, 2007, 2 ff.; BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. August 1992 - 1 BvR 632/92 - juris Rn. 2; s.a. VG Stuttgart, Urteil vom 21. April 2022 - 7 K 3169/21 - juris Rn. 27), mit dem der Bundestag seine ungeschriebene, aber in seiner Stellung als durch allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahl im Sinne des Art. 38 Abs. 1 GG legitimierte Volksvertretung (Art. 20 Abs. 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG) gründende Kompetenz zur Meinungsbildung und Stellungnahme in politischen Fragen wahrgenommen hat. Es würde die Bedeutung der Volksvertretung nach dem Grundgesetz unangemessen verkürzen, wollte man ihre Aufgabe auf die dem Bundestag in Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Art. 77 Abs. 1 Satz 1 GG ausdrücklich zugeschriebene Gesetzgebung beschränken. Vielmehr haben Parlamente das Recht, grundsätzlich jede Thematik zu erörtern und ihre Ansicht in einer Resolution festzuhalten (Luch, in: Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, 2016, § 10 Rn. 50; s.a. Butzer, AöR 119, 61, 80; Hüther/Lepej, DÖV 2022, 669, 675). Ob der Bundestag im konkreten Fall zum Erlass seines Beschlusses mit diesem Inhalt befugt war, oder ob er im Hinblick auf die Grundrechte der Kläger Beschränkungen unterlag, ist damit eine Frage, die materiell verfassungsrechtlich geprägt und nicht der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterworfen ist (vgl. Kraayvanger, Der Begriff der verfassungsrechtlichen Streitigkeit im Sinne des § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO, 2004, S. 136; Hüther/Lepej, DÖV 2022, 669, 675; Ruthig, in: Kopp/Schenke, VwGO, § 40 Rn. 32e; offen gelassen BVerfG, Kammerbeschluss vom 28. August 1992 - 1 BvR 632/92 - juris Rn. 2). Auch der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen hat hinsichtlich eines ähnlichen Beschlusses des nordrhein-westfälischen Landtags nichts anderes entschieden, sondern Rechtsschutz vor den Verwaltungsgerichten lediglich für „nicht von vornherein ausgeschlossen“ gehalten, so dass die erhobene Verfassungsbeschwerde nicht dem Gebot der Rechtswegerschöpfung genüge (VerfGH NW, Beschluss vom 22. September 2020 - 49/19 - juris Rn. 33 f.).
Eine verfassungsrechtliche Streitigkeit ist insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt zu verneinen, dass es um ein im Wesentlichen einfachgesetzlich ausgestaltetes Rechtsverhältnis (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Juli 2019 - 3 B 122.18 - juris Rn. 26 ff., für den Streit um die Wahl eines Mitglieds des Richterwahlausschusses) oder eine im Kern exekutive Tätigkeit des Deutschen Bundestags bzw. seiner Verwaltung wie die Gewährung von Zuschüssen an eine parteinahe Stiftung (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. Mai 2019 - 2 BvR 649/19 - juris) oder die Beweiserhebung durch einen Untersuchungsausschuss (vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. August 2011 - 6 A 1.11 - juris Rn. 6 ff.) ginge. Erst recht liegt kein Fall behördlicher Tätigkeit durch (ministerielle) Warnung vor Schäden für die physische oder psychische Gesundheit (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 26. Juni 2002 - 1 BvR 670/91 - juris - Osho-Bewegung, und - 1 BvR 558/91 u.a. - juris - Glykol) vor. Der Deutsche Bundestag hat in Wahrnehmung seiner Selbstbefassungskompetenz keine Warnung ausgesprochen, sondern in der Form eines Beschlusses seine (mehrheitliche) politische Meinung bekundet. Das erfasst auch die unter Ziffer III. des Beschlusses aufgeführten Absichtserklärungen und Erwartungen an andere „öffentliche Akteurinnen und Akteure“, etwa Räumlichkeiten und Einrichtungen, die unter der Bundestagsverwaltung stehen, keinen Organisationen zur Verfügung zu stellen, die sich antisemitisch äußern oder das Existenzrecht Israels in Frage stellen, und - als Aufforderung an die Bundesregierung - keine Veranstaltungen der BDS-Bewegung oder von Gruppierungen, die deren Ziele aktiv verfolgen, zu unterstützen (zu 2.), keine Organisationen finanziell zu fördern, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen (zu 4.), keine Projekte finanziell zu fördern, die zum Boykott Israels aufrufen oder die die BDS-Bewegung aktiv unterstützen (zu 5.), und Länder, Städte und Gemeinden und alle öffentlichen Akteurinnen und Akteure dazu aufzurufen, sich dieser Haltung anzuschließen (zu 6.). Auch soweit diese Aufforderungen sich auf Gegenstände beziehen, auf die der Bundestag - durch Weisung an seine eigene Verwaltung - selbst Einfluss nehmen kann, handelt es sich um eine politische Meinungskundgabe und nicht um ein Handeln mit Außenwirkung gegenüber den Klägern oder Dritten, das verwaltungsgerichtlicher Kontrolle unterläge.
Gegen Verwaltungshandeln, mit dem der Aufruf unter III. des Beschlusses umgesetzt werden soll, wie etwa die Ablehnung der Zulassung zu öffentlichen Einrichtungen, kann der von Art. 19 Abs. 4 GG gebotene Rechtsschutz im Verwaltungsrechtsweg erlangt werden. Das zeigt sich an der Vielzahl der von den Klägern angeführten Entscheidungen, insbesondere dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 20. Januar 2022 (- 8 C 35.20 - juris), mit dem letztinstanzlich eine Beschränkung des Widmungsumfangs öffentlicher Einrichtungen, die die Zulassung von Veranstaltungen ausschließt, die sich mit der BDS-Kampagne oder deren Themen befassen, als Verletzung der Meinungsfreiheit gewertet worden ist (s.a. VG Stuttgart, Urteil vom 21. April 2022 - 7 K 3169/21 - juris zum Anspruch auf Verlinkung auf einer kommunalen Website; VG Frankfurt, Urteil vom 4. Mai 2023 - 7 K 851/20.F - juris zu Äußerungen eines Bürgermeisters; zeitlich vor dem Beschluss des Deutschen Bundestags: OVG Lüneburg, Beschluss vom 27. März 2019 - 10 ME 48/19 - juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 10, § 711 der Zivilprozessordnung.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO im Hinblick auf die Frage zuzulassen, ob für Klagen gegen schlichte Parlamentsbeschlüsse des Deutschen Bundestags der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist.