Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 02.10.2023 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 S 59/23 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2023:1002.OVG3S59.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 54 Abs 2 SchulG BE, § 55a Abs 2 SchulG BE, § 97 SchulG BE, § 98 Abs 2 SchulG BE, § 98 Abs 10 S 2 SchulG BE |
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 25. August 2023 wird zurückgewiesen.
Die Kosten der Beschwerde trägt der Antragsgegner.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen, das den Umfang der Überprüfung durch das Oberverwaltungsgericht bestimmt (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), rechtfertigt keine Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung, mit der das Verwaltungsgericht den Antragsgegner im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet hat, die Antragstellerin zu 1 zum Schuljahr 2023/2024 vorläufig in die Schulanfangsphase der L ... -Grundschule – die von den Antragstellern im Aufnahmeverfahren mit Erstwunsch gewählte („andere“) Grundschule (§ 55a Abs. 2 Satz 1 SchulG) – aufzunehmen.
1. Ohne Erfolg wendet der Antragsgegner ein, das Kind sei nicht mehr an dem nach § 55a Abs. 2 SchulG durchzuführenden Auswahlverfahren zu beteiligen gewesen, nachdem es an einer als Ersatzschule (§ 97 SchulG) anerkannten Grundschule in freier Trägerschaft aufgenommen worden sei. Dies habe der private Schulträger dem Schulamt am 16. Juni 2023 gemäß § 98 Abs. 10 Satz 2 SchulG mitgeteilt.
Zu Unrecht geht die Beschwerde davon aus, die Erziehungsberechtigen, die Antragsteller zu 2 und 3, hätten mit dem Abschluss des Schulvertrages an der privaten Grundschule ihren Antrag auf Aufnahme in die L ... -Grundschule konkludent zurückgenommen oder hierauf verzichtet. Eine Erklärung, dass ihr Kind deshalb keine staatliche Schule besuchen solle, kann darin nicht gesehen werden. Dass die Erziehungsberechtigten den Aufnahmeantrag mit dem gegen den versagenden Bescheid vom 25. Mai 2023 erhobenen Widerspruch weiterverfolgen und hierfür vorläufigen Rechtsschutz beantragt haben, lässt im Gegenteil erkennen, dass sie an ihrem ursprünglichen Begehren festhalten. Der Abschluss des Schulvertrages mit einer Grundschule in freier Trägerschaft widerspricht dem nicht und bringt nicht ohne weiteres den Wegfall des Interesses an der zuvor beantragten Aufnahme an der gewünschten staatlichen Grundschule zum Ausdruck, denn es liegt auf der Hand, dass es sich um eine vorsorgliche Maßnahme für den Fall handeln kann, dass der Aufnahmeantrag – ganz oder jedenfalls vorläufig bis zur erfolgreichen Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes – ohne Erfolg bleibt. Die Antragsteller haben erstinstanzlich auch ausdrücklich erklärt, dass es sich hier so verhält.
Nicht durchzugreifen vermag das Argument, ein Kind könne nur eine Schule besuchen. Der Abschluss eines Schulvertrages mit einer anderen Schule bedeutet nicht, dass das Kind im Falle der weiterhin erstrebten Aufnahme an die gewünschte staatliche Schule nicht doch diese besuchen kann und soll. Unerheblich ist, dass es sich bei der anderen Schule um eine anerkannte Ersatzschule handelt, die, wie die Beschwerde geltend macht, den staatlichen Bildungsauftrag in gleicher Weise erfüllt wie staatliche Schulen. Zwar kann die Schulpflicht durch den Besuch einer genehmigten Ersatzschule erfüllt werden (vgl. § 98 Abs. 2 SchulG). Dass durch den Abschluss eines Schulvertrages mit einem privaten Schulträger ein Antrag auf Aufnahme in eine staatliche Schule, über den noch nicht abschließend entschieden ist, zurückgenommen wird, folgt daraus jedoch nicht. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass der Antragsgegner der Mitteilung des privaten Schulträgers nicht entnehmen konnte, ob die Erziehungsberechtigten den Schulvertrag lediglich vorsorglich geschlossen haben, denn die Möglichkeit, dass es sich so verhält, schließt es aus, aus dem Vertragsschluss ohne weiteres auf eine Rücknahme des Aufnahmeantrags an der staatlichen Schule oder den Verzicht hierauf zu schließen.
Nicht zu folgen ist der Annahme des Antragsgegners, das Kind könne nicht nach Maßgabe des Auswahlverfahrens nach § 55a Abs. 2 SchulG, sondern nur noch nachrangig im Falle freier Kapazitäten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SchulG) an einer öffentliche Schule aufgenommen werden, weil es durch den privatrechtlichen Schulvertrag in rechtsverbindlicher Weise an der Privatschule aufgenommen worden sei. Ohne dass hier die Rechtswirkungen des privatrechtlichen Schulvertrages abschließend beurteilt werden müssen, fehlt es jedenfalls an einer gesetzlichen Grundlage dafür, darin eine Aufnahmeentscheidung mit der von dem Antragsgegner angenommenen Ausschlusswirkung zu sehen. Daher trifft auch die Annahme der Beschwerde nicht zu, der von den Erziehungsberechtigten gestellte Antrag auf Aufnahme an die mit Erstwunsch gewählte staatliche Grundschule habe sich durch die Aufnahme des Kindes an der privaten Grundschule erledigt.
Das Verwaltungsgericht hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die Antragsteller einen Anspruch auf Vergabe eines staatlichen Schulplatzes entsprechend den Kriterien in § 55a Abs. 2 Satz 2 SchulG geltend machen können. Soweit die Beschwerde meint, ein Kind könne nur höchstens einen Schulplatz beanspruchen, ergibt sich daraus nicht, weshalb durch den – zumal nur vorsorglichen – Abschluss eines Schulvertrages mit einer privaten Schule der vom Verwaltungsgericht angenommene Anspruch erfüllt sein soll. § 55a Abs. 2 Satz 2 SchulG vermittelt den Bewerbern einen Anspruch auf chancengleiche Berücksichtigung nach Maßgabe der gesetzlichen Auswahlkriterien, und zwar in Bezug auf die Vergabe der Schulplätze an der mit Erstwunsch gewählten staatlichen Grundschule. Weshalb dieser Anspruch mit der „Aufnahme“ an eine andere, zumal eine nichtstaatliche Schule untergehen oder obsolet werden soll, ist nicht nachvollziehbar.
Ohne Erfolg beruft sich der Antragsgegner in diesem Zusammenhang auf Entscheidungen des Verwaltungsgerichts, nach denen im Verfahren zum Übergang in die Sekundarstufe I bisherige Schüler der Primarstufe einer Gemeinschaftsschule bereits dann nicht mehr als an der Schule verbleibend zu berücksichtigen seien, wenn ihre Erziehungsberechtigten den Wunsch zum Wechsel in eine andere Schule erklärt haben. Damit ist der hier vorliegende Sachverhalt nicht vergleichbar. Die Antragsteller haben mit dem vorsorglichen Abschluss eines Schulvertrages mit einer Schule in privater Trägerschaft keinen damit vergleichbaren, sie bindenden Wechselwunsch geäußert. Sie halten vielmehr an ihrem Antrag auf Aufnahme an der mit Erstwunsch gewählten staatlichen Grundschule fest.
Ebenso wenig lässt sich die von dem Antragsgegner angeführte Rechtsprechung des Senats auf den vorliegenden Sachverhalt übertragen, wonach Bewerber, die die Grundschule in Berlin bereits nach der Jahrgangsstufe 4 verlassen haben und ein grundständiges Gymnasium besuchen, für den Übergang in die Jahrgangsstufe 7 eines anderen Berliner Gymnasiums oder einer Integrierten Sekundarschule nicht in das gemäß § 56 Abs. 6 SchulG durchzuführende Aufnahmeverfahren einbezogen werden, sondern den Wechsel nur beanspruchen können, wenn die Aufnahmekapazität der Wunschschule noch nicht erschöpft ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. August 2021 – OVG 3 S 74/21 – juris Rn. 6 f.). Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt hat, haben Kinder, die nach der Jahrgangsstufe 4 auf ein Gymnasium übergegangen sind, bereits ein Auswahlverfahren durchlaufen und besuchen schon die gewünschte Schulart. Entsprechendes ist bei der Antragstellerin zu 1 jedoch nicht der Fall, die lediglich einen Schulvertrag mit einer privaten Grundschule abgeschlossen hat, diese aber noch nicht besucht. Selbst wenn sie im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes erstinstanzlich erfolglos geblieben wäre und deshalb den Schulplatz vorläufig angenommen hätte, könnte darin angesichts des damit nicht aufgegebenen ursprünglichen Aufnahmebegehrens keine verbindliche Entscheidung der Erziehungsberechtigten für den Besuch einer anderen Grundschule gesehen werden, die den Anspruch auf Berücksichtigung in dem Auswahlverfahren nach § 55a Abs. 2 SchulG ausschließt. Die Rechtsprechung zu § 56 SchulG beruht zudem maßgeblich darauf, dass der Anwendungsbereich dieser Regelung mit dem daraus folgenden Anspruch auf Teilnahme an dem bei Übernachfrage vorgesehenen Auswahlverfahren nach § 56 Abs. 1 Satz 1 SchulG nur eröffnet ist, wenn Schülerinnen und Schüler vor dem in Rede stehenden Übergang in die Sekundarstufe I eine Grundschule – und nicht schon eine weiterführende Schule – besucht haben (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. August 2021 – OVG 3 S 74/21 – juris Rn. 6 f.). Eine damit vergleichbare Einschränkung, nach der Kinder, die einen Schulvertrag zum Besuch einer Grundschule in freier Trägerschaft abgeschlossen haben, nicht mehr in die Auswahlentscheidung nach § 55a Abs. 2 SchulG einzubeziehen sind, ist dieser Vorschrift dagegen nicht zu entnehmen.
Dagegen lässt sich auch nicht einwenden, ein Kind, das entsprechend seinem Erstwunsch an einer anderen Grundschule im Sinne des § 55a Abs. 2 SchulG aufgenommen worden sei, könne nicht nachträglich von diesem Wunsch zurücktreten und an die Einzugsgebietsschule zurückwechseln. Auch mit dieser Konstellation ist der hier vorliegende Sachverhalt nicht vergleichbar. Maßgeblich ist in dem von der Beschwerde angesprochenen Fall, dass sich ein Kind an dem im Aufnahmeverfahren geäußerten Erstwunsch festhalten lassen muss, wenn die Plätze an der Einzugsbereichsschule bereits vollständig an andere Bewerber vergeben wurden. Hier halten die Antragsteller aber gerade an ihrem ursprünglichen Erstwunsch fest und haben mit dem vorsorglichen Abschluss eines Schulvertrages an einer Schule in privater Trägerschaft, wie bereits ausgeführt, auch keinen davon abweichenden Wechselwunsch geäußert.
Entgegen der Beschwerde lässt es sich nicht mit Erwägungen der Chancengleichheit rechtfertigen, denjenigen Eltern, die vorsorglich einen Schulvertrag mit einer Schule in freier Trägerschaft abgeschlossen haben, im Hinblick auf die damit zum Ausdruck gebrachte finanzielle Leistungsfähigkeit, den gesetzlichen Anspruch auf Berücksichtigung im Auswahlverfahren nach § 55a Abs. 2 SchulG zu versagen. Zwar wird es zutreffen, dass es sich nicht alle Eltern gleichermaßen leisten können, durch Abschluss eines privaten Schulvertrags Vorsorge dafür zu treffen, dass sie mit Antrag auf Aufnahme in eine andere als die eigentlich zuständige öffentliche Grundschule (§ 55a Abs. 2 SchulG) erfolglos bleiben. Daraus lässt sich jedoch ohne eine entsprechende gesetzliche Regelung nicht ableiten, dass sie sich nicht mehr auf § 55a Abs. 2 SchulG berufen können.
Eine solche Rechtsfolge ergibt sich entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht aus der gesetzlichen Mitteilungspflicht der Ersatzschulträger über die bei ihnen in die Jahrgangsstufen 1 und 7 aufgenommenen Schülerinnen und Schüler (§ 98 Abs. 10 Satz 2 SchulG), durch die die bezirklichen Schulträger bei der Bewältigung der schulorganisatorischen Aufgabe im Rahmen der Aufnahmeverfahren unterstützt werden sollen (vgl. AbgH.-Drs. 17/1382 S. 17). Weder dem Wortlaut der Regelung noch der Gesetzesbegründung kann entnommen werden, dass der Gesetzgeber die an einer Ersatzschule aufgenommenen Schülerinnen und Schüler vom Auswahlverfahren nach § 55a Abs. 2 SchulG ausschließen wollte. Im Hinblick auf die gebotene Rechtsklarheit für Eltern, die lediglich vorsorglich einen Vertrag mit einer Ersatzschule abgeschlossen haben, hätte es hierzu einer eindeutigen und unmissverständlichen Regelung bedurft. Ohne Erfolg beruft sich der Antragsgegner in diesem Zusammenhang auf den „immensen Verwaltungsaufwand“, der sich ergebe, sofern der Schulträger verpflichtet sei, bei allen Eltern von Kindern, die einen Schulvertrag mit einer Grundschule in privater Trägerschaft zur Aufnahme ihres Kindes in die erste Klasse abgeschlossen haben, nachzufragen, ob sie noch an ihrer Anmeldung für die öffentliche Schule festhalten. Allein der mit der gesetzlichen Ausgestaltung des Aufnahmeverfahrens verbundene Verwaltungsaufwand kann es nicht rechtfertigen, ohne rechtliche Grundlage zu unterstellen, alle Eltern, die einen Ersatzschulvertrag abgeschlossen haben, seien im Aufnahmeverfahren nach § 55 Abs. 2 SchulG nicht mehr zu berücksichtigen. Ebenso wenig lässt sich mit der gebotenen Klarheit und Unmissverständlichkeit aus dem nach dem Vorbringen des Antragsgegners erforderlichen Verwaltungsaufwand folgern, die gesetzliche Regelung sei in dem von dem Antragsgegner vertretenen Sinne auszulegen.
2. Ohne Erfolg beanstandet die Beschwerde die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsgegner habe jedenfalls bei der nachträglichen Vergabe von nach der Auswahlentscheidung frei gewordenen 16 Plätzen drei Kinder zu Unrecht aufgenommen, so dass die Antragstellerin zu 1 und ein gleichrangiger Bewerber aus einem anderen Rechtsschutzverfahren so zu stellen seien, als seien diese Plätze unbesetzt geblieben.
Soweit das Verwaltungsgericht zugrunde gelegt hat, die beiden Geschwisterkinder O ... (Schulplatznummer 98) und O ... (Schulplatznummer 100) seien zu Unrecht vorrangig aufgenommen worden, da sie keines der Kriterien des § 55a Abs. 2 Satz 2 SchulG erfüllten, wendet die Beschwerde lediglich ein, dass es unter den aus der Sicht des Antragsgegners zu berücksichtigenden Kindern keine Konkurrenten gegeben habe, die keinen Schulplatz erhalten hätten. Wie sich aus den obigen Ausführungen (zu 1) ergibt, war in dem Auswahlverfahren jedoch auch die Antragstellerin zu 1 zu berücksichtigen, die nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts die Voraussetzungen des § 55a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SchulG erfüllte und deshalb vorrangig gegenüber den genannten Geschwisterkindern hätte aufgenommen werden müssen.
Da danach mindestens zwei Plätze zu Unrecht an nachrangige Bewerber vergeben worden sind, kommt es, auch unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgericht angeordneten Aufnahme noch eines zweiten Kindes aus einem anderen Rechtsschutzverfahren, nicht entscheidungserheblich darauf an, ob, wie das Verwaltungsgericht angenommen hat, ein weiterer Platz zu Unrecht an das Kind F ... (Schulplatznummer 104) vergeben worden ist. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Vorbringen der Beschwerde, ein Kind sei im Widerspruchsverfahren „überkapazitär“ aufgenommen worden, denn auch dann, wenn ein nach der Aufnahmeentscheidung eingerichteter zusätzlicher Schulplatz vergeben wird, darf dies aus Gründen der Gleichbehandlung nicht nach Maßstäben geschehen, für die keine gesetzliche Grundlage besteht (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 22. November 2017 – OVG 3 S 88.17 – juris Rn. 3).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).