Gericht | SG Neuruppin 26. Kammer | Entscheidungsdatum | 13.10.2023 | |
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Aktenzeichen | S 26 AS 554/22 | ECLI | ECLI:DE:SGNEURU:2023:1013.S26AS554.22.00 | |
Dokumententyp | Urteil | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Die Klagen werden abgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Beteiligten streiten um einen Anspruch des Klägers auf Gewährung höherer Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) von dem Beklagten für den Zeitraum vom 01. Juni 2022 bis zum 31. Mai 2023.
Der im Juli 1986 geborene Kläger ist seit 2014 mit Frau E. F. verheiratet. Sie lebten zunächst mit ihren zwei gemeinsamen Kindern zusammen in einer Wohnung in Y. Nach den Angaben des Klägers kam es im Dezember 2018 zur Trennung von seiner Ehefrau und er zog zum 15. Dezember 2018 allein in eine eigene Wohnung in der X-Straße in Y. (Mietvertrag vom 14. Dezember 2018) und bezog Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II vom Jobcenter Prignitz, von dem er nach seinen Angaben auch eine Zusicherungsentscheidung hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung für die ab Dezember 2018 von ihm bewohnte Wohnung erhalten habe. Auch die Ehefrau des Klägers bezog von dem Jobcenter Prignitz Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II. Zum 01. Juni 2021 zog er nach seinen eigenen Angaben allein in die jetzige Wohnung in der Z-Straße in W. (GT V.; Mietvertrag vom 15. Mai 2021 zwischen dem Kläger und einer Erbengemeinschaft, der die Mutter des Klägers angehört); der letzte Bewilligungszeitraum der Bewilligungsentscheidungen des Jobcenters Prignitz vom 15. Mai 2020/21. November 2020 endete am 31. Mai 2021; eine Zusicherung zur Übernahme der Kosten der neuen Unterkunft und Heizung in Heiligengrabe hat der Kläger nicht beantragt.
Bereits zuvor – unter dem 10. Mai 2021 – stellte der Kläger erstmals bei dem Beklagten einen Antrag auf Gewährung von passiven Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II, der ihm in der Folgezeit lediglich Leistungen in Höhe des Regelbedarfes bewilligte und die Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung ablehnte, weil er die tatsächliche Trennung des Klägers von seiner Ehefrau und die Wirksamkeit des Mietvertrages bezweifelte.
Die für den Zeitraum ab dem 01. Juni 2021 ergangenen sozialverwaltungsbehördlichen Entscheidungen des Beklagten (vgl hierzu den Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2022) hatte der Kläger auch gerichtlich überprüfen lassen, ist aber aus prozessualen Gründen in der Hauptsache rechtskräftig erfolglos geblieben (Gerichtsbescheid vom 15. August 2023 – S 26 AS 89/22).
Auf den Fortzahlungsantrag des Klägers vom 24. April 2022 bewilligte ihm der Beklagte für den Zeitraum vom 01. Juni 2022 bis zum 31. Mai 2023 mit sozialverwaltungsbehördlichen Verfügungen vom 20. Mai 2022 für den Zeitraum vom 01. Juni 2022 bis zum 31. Mai 2023 den Regelbedarf der Stufe 2 und (erneut) keine Kosten der Unterkunft und Heizung. Zur Begründung seiner Entscheidung wies er darauf hin, dass der Kläger bei mehrfachen Versuchen, Hausbesuche durchzuführen, nicht angetroffen worden sei, auch telefonisch sei er nicht erreichbar gewesen, eine Klingel habe es nicht gegeben, es fehle der Nachweis, dass der Kläger unter der angegebenen Anschrift wohne. Den hiergegen erhobenen Widerspruch vom 28. Mai 2022 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 04. Juli 2022 als unbegründet zurück. Zur Begründung seiner Entscheidung führte er im Wesentlichen aus, soweit sich der Kläger gegen die Annahme des Bestehens einer Bedarfsgemeinschaft mit seiner Ehefrau wende, verbleibe es bei den Ausführungen aus dem Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 2022. Abgesehen davon seien Kosten der Unterkunft und Heizung nur dann zu übernehmen, wenn die Wohnung tatsächlich bewohnt werde. Dies könne jedoch nicht festgestellt werden, auch fehle es angesichts einer ernsthaften Mietzinsforderung an einem entsprechenden Bedarf.
Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 19. Juli 2022 – bei dem Sozialgericht Neuruppin eingegangen am 27. Juli 2022 – Klage erhoben, mit der er sein auf die Gewährung von höheren Leistungen gerichtetes Begehren weiter verfolgt. Er trägt im Wesentlichen vor, er lebe seit Dezember 2018 von seiner Ehefrau getrennt und in seiner eigenen Wohnung in W./V. Erst seit dem 01. Juli 2023 wohnten sie wieder – in seiner Wohnung – zusammen.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Abänderung der Bewilligungsverfügungen vom 20. Mai 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Juli 2022 zu verurteilen, ihm für den Zeitraum vom 01. Juni 2022 bis zum 31. Mai 2023 höhere passive Grundsicherungsleistungen nach den Bestimmungen des SGB II zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Klagen abzuweisen.
Er meint, der Beklagte sei lediglich erstangegangener Leistungsträger und habe deshalb die Regelbedarfsleistungen gewährt. Der Beklagte gehe davon aus, dass die Ehe fortbestanden habe, jedenfalls fehle es am Trennungswillen. Zudem seien bei den Hausbesuchen teilweise die Ehefrau des Klägers und die Kinder angetroffen worden. Ob der Kläger dort noch wohne, sei nicht bekannt, einen Fortzahlungsantrag habe er nicht gestellt.
Die Kammer hat den Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2023 persönlich angehört und Beweis erhoben durch die Einvernahme der Ehefrau des Klägers – Frau E. F. – sowie der Mutter des Klägers – Frau G. H. – als Zeuginnen. Wegen des Ergebnisses der persönlichen Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13. Oktober 2023 Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird ergänzend auf den Inhalt der Prozess- und der Verwaltungsakten Bezug genommen. Die Prozessakte sowie die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten haben vorgelegen und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung, der Beratung und der Entscheidungsfindung.
Die Klagen haben keinen Erfolg.
1. Streitgegenstand des Klageverfahrens sind Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten auf Gewährung von höheren passiven Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II) für jeden Monat des Streitzeitraumes vom 01. Juni 2022 bis zum 31. Mai 2023 (vgl zum sog Monatsprinzip die Regelungen des § 11 Abs 2 S 1 SGB II, § 11 Abs 3 S 1 SGB II, § 20 Abs 1 S 3 SGB II, § 37 Abs S 2 SGB II sowie § 41 Abs 1 S 2 SGB II; vgl dazu auch Bundessozialgericht, Urteil vom 30. März 2017 – B 14 AS 18/16 R, RdNr 18 sowie Bundessozialgericht, Urteil vom 30. Juli 2008 – B 14 AS 26/07 R, RdNr 28). Gegenstand des Klageverfahrens sind dementsprechend die in der Antragstellung genannten Verfügungen des Beklagten, mit denen dieser dem Kläger bereits – nach seiner Auffassung aber zu geringe – Leistungen nach dem SGB II gewährt hat.
2. Der Kläger verfolgt sein auf die Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II gerichtetes Begehren zu Recht mit einer Kombination aus Anfechtungs- und Leistungsklagen (§ 54 Abs 1 S 1 Regelung 2 SGG und § 54 Abs 4 SGG sowie § 56 SGG). Mit den Anfechtungsklagen im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 2 SGG erstrebt der Kläger die Abänderung der mit den angegriffenen bewilligenden Verfügungen bekannt gegebenen Höchstbetragsfestsetzungen, mit den Leistungsklagen im Sinne des § 54 Abs 4 SGG erstrebt er die Gewährung von höheren Leistungen nach dem SGB II für jeden einzelnen Monat des Streitzeitraumes.
Das Begehren ist dabei auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs 1 S 1 SGG) gerichtet, weil der Kläger keinen bezifferten Antrag gestellt hat, was auch zulässig ist (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 28. Februar 2013 – B 8 SO 4/12 R, RdNr 15 f). Die Voraussetzungen für den Erlass eines Grundurteils sind erfüllt, weil der Kläger mit Wahrscheinlichkeit Anspruch auf höhere passive Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach den Bestimmungen des SGB II hat, wenn seinem Vorbringen gefolgt wird.
Die so verstandenen statthaften Klagen sind auch im Übrigen zulässig.
3. a) Die danach insgesamt zulässigen Anfechtungsklagen im Sinne der Regelung des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 2 SGG sind indes unbegründet. Die mit dem angegriffenen Bescheid des Beklagten vom 20. Mai 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 04. Juli 2022 verlautbarten monatlichen Höchstbetragsfestsetzungen sind rechtmäßig und beschweren den Kläger nicht in seinen subjektiv-öffentlichen Rechten (vgl § 54 Abs 2 S 1 SGG).
Anspruchsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs des Klägers ist § 19 SGB II iVm §§ 7, 9, 11 ff, 20 ff SGB II, jeweils in der Fassung, die die genannten Vorschriften vor dem Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums hatten, weil in Rechtsstreitigkeiten über bereits abgeschlossene Bewilligungszeiträume das zum damaligen Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden ist (sog Geltungszeitraumprinzip, vgl dazu nur Bundessozialgericht, Urteil vom 19. März 2020 – B 4 AS 1/20 R, RdNr 13 mwN).
Gemäß § 19 Abs 1 S 1 SGB II erhalten erwerbsfähige Leistungsberechtigte Arbeitslosengeld II, das gemäß § 19 Abs 1 S 3 SGB II den Regelbedarf, die Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung umfasst. Die Grundvoraussetzungen, um Arbeitslosengeld II zu erhalten (§ 7 Abs 1 S 1 SGB II), erfüllte der Kläger (vgl § 7 Abs 3 Nr 1 SGB II), der im streitgegenständlichen Zeitraum 35 bzw 36 Jahre alt war (vgl § 7 Abs 1 S 1 Nr 1 SGB II), erwerbsfähig war (vgl § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB II) und seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte (vgl § 7 Abs 1 S 1 Nr 4 SGB II); auch ein von Leistungen nach dem SGB II ausschließender Tatbestand lag nicht vor.
Entgegen der Auffassung des Klägers steht ihm weder ein höherer Regelbedarfsbetrag <dazu sogleich unter aa)> noch stehen ihm die geltend gemachten Kosten der Unterkunft und Heizung zu <dazu unter bb)>.
aa) Ein Anspruch auf den Regelbedarf für Alleinstehende – mithin in Höhe der Regelbedarfsstufe 1 im Sinne des § 20 Abs 2 S 1 SGB II steht dem Kläger nicht zu, weil er mit seiner Ehefrau und seinen Kindern im streitigen Zeitraum eine Bedarfsgemeinschaft bildete und deshalb als Partner in der Bedarfsgemeinschaft lediglich Anspruch auf Leistungen in Höhe der Regelbedarfsstufe 2 im Sinne des § 20 Abs 4 SGB II geltend machen kann.
aaa) Der Kläger bildete mit seiner Ehefrau im hier maßgeblichen Zeitraum eine Bedarfsgemeinschaft, weil er nicht von ihr im Sinne des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II dauernd getrennt lebte. Gemäß § 7 Abs 1 Nr 3 SGB II iVm § 9 Abs 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Gemäß § 9 Abs 2 S 1 SGB II sind bei Personen, die in einer Bedarfsgemeinschaft leben, auch das Einkommen und das Vermögen des Partners zu berücksichtigen. Zur Bedarfsgemeinschaft gehört als Partner der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten ua der nicht dauernd getrennt lebende Ehegatte (§ 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II; vgl auch Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Februar 2010 – B 4 AS 49/09 R, RdNr 12).
Bei der Auslegung des Begriffs des „nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten“ im Sinne des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, der die Kammer folgt, weil sie sie für überzeugend hält, die Grundsätze heranzuziehen, die zum familienrechtlichen Begriff des „Getrenntlebens“ entwickelt worden sind. Neben einer räumlichen Trennung setzt dies einen Trennungswillen voraus. Zwar lässt sich dem Wortlaut des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II nicht unmittelbar entnehmen, wann ein Getrenntleben im Sinne des SGB II vorliegt. Gegen ein enges Verständnis dieses Begriffs in dem Sinne, dass Ehegatten nur dann nicht dauernd getrennt leben, wenn sie räumlich zusammen leben, jede räumliche Trennung also bereits ein Getrenntleben beinhaltet, spricht, dass sich das Getrenntleben auf die Ehe im Sinne des § 1353 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) beziehen muss. Da § 1353 Abs 1 BGB mit der Bestimmung einer Verpflichtung zur ehelichen Lebensgemeinschaft nur die Grundstrukturen der Ehe, nicht jedoch die Art und Weise vorgibt, in der sich das Zusammenleben der Ehegatten vollzieht, ist die häusliche Gemeinschaft zwar ein Grundelement der ehelichen Lebensgemeinschaft; jedoch kann bei Vereinbarung einer abweichenden Lebensgestaltung auch eine Ehe ohne räumlichen Lebensmittelpunkt (Ehewohnung) eine solche im Sinne des § 1353 BGB sein. Haben die Ehegatten – wie hier – bei oder nach der Eheschließung einvernehmlich ein Lebensmodell gewählt, das eine häusliche Gemeinschaft nicht oder nicht mehr vorsieht, kann allein der Wille, diese auf absehbare Zeit nicht herzustellen, ein Getrenntleben nach familienrechtlichen Grundsätzen nicht begründen. Vielmehr muss regelmäßig der nach außen erkennbare Wille eines Ehegatten hinzutreten, die häusliche Gemeinschaft nicht herstellen zu wollen, weil er die eheliche Gemeinschaft ablehnt (§ 1567 Abs 1 BGB). In der hier vorliegenden Ausgangskonstellation kommt es nach familienrechtlichen Maßstäben für eine Trennung von daher darauf an, ob einer der Partner die bisherige Form der Lebensgemeinschaft ohne gemeinsamen Lebensmittelpunkt nicht mehr aufrecht erhalten will, das Eheband also lösen will. Für die Annahme eines Getrenntlebens reicht es also entgegen der Auffassung des Klägers nicht aus, dass nach den tatsächlichen Verhältnissen eine Lebensgemeinschaft im Sinne einer räumlichen, persönlichen und geistigen Gemeinschaft sowie eine Wirtschaftsgemeinschaft nicht mehr besteht. Erforderlich ist vielmehr ein Wille zur Änderung des einvernehmlich gewählten Ehemodells im Sinne eines nach außen erkennbaren Trennungswillens, mithin eines Willens eines oder beider Ehegatten, das Eheband lösen zu wollen (Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Februar 2010 – B 4 AS 49/09 R, RdNr 13 mwN), der sich nach Auffassung der Kammer regelmäßig durch die Stellung eines Scheidungsantrages verobjektiviert.
Aus dem systematischen Kontext des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II mit den Regelungen zur Bedarfsgemeinschaft folgt nicht, dass dem SGB II ein anderer Begriff des Getrenntlebens zugrunde liegt. Auch das SGB II geht davon aus, dass eine Bedarfsgemeinschaft bei Eheleuten (noch) bestehen kann, wenn diese, zB wegen des pflegebedürftigen Aufenthalts eines Ehegatten in einem Heim, räumlich voneinander getrennt leben. Der Grundgedanke der Bedarfsgemeinschaft beruht auf der Annahme, dass in dieser Gemeinschaft alle Mitglieder füreinander Verantwortung auch im finanziellen Sinne übernehmen. Erst nachrangig, wenn die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ihren Bedarf nicht gemeinsam decken können, sind Grundsicherungsleistungen zu gewähren (vgl § 9 Abs 1 SGB II und § 9 Abs 2 S 3 SGB II). Die Vermutung einer gegenseitigen Bedarfsdeckung hat der Gesetzgeber des SGB II dabei nicht vorrangig mit dem Vorhandensein von Unterhaltsansprüchen verbunden, sondern an die in § 7 Abs 3 SGB II im Einzelnen aufgeführten tatsächlichen Umstände geknüpft. Bei Eheleuten verlangt er – im Unterschied etwa zur Konstellation der eheähnlichen Lebensgemeinschaft (§ 7 Abs 3 Nr 3 Buchst c SGB II) – gerade nicht das gemeinsame Leben in einem Haushalt (Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Februar 2010 – B 4 AS 49/09 R, RdNr 14 mwN; vgl auch Bundessozialgericht, Beschluss vom 20. Juli 2021 – B 14 AS 115/21 B, RdNr 7 mwN).
Mit dem Anknüpfen an den Status der Ehe in § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II unterstellt der Gesetzgeber im Sinne einer verwaltungspraktischen Anwendung der SGB II-Vorschriften vielmehr regelmäßig das Vorhandensein einer durch Ehe und Familie typischerweise gegebenen wirtschaftlichen und sonstigen Lebenssituation. Dabei liegt es im Wesen einer typisierenden gesetzlichen Verallgemeinerung, dass mit dem Bezug auf bestimmte tatsächliche Verhältnisse bzw sozialtypische Befunde eine weite, alle betroffenen Gruppen und Regelungsgegenstände einbeziehende Betrachtung stattfindet. Hierbei darf sich der Gesetzgeber grundsätzlich am Regelfall orientieren und ist nicht gehalten, Besonderheiten jeweils durch Sonderregelungen auszunehmen. Es soll gerade nicht bei jeder Gestaltungsform der Ehe im Einzelfall geprüft werden, ob mit ihr auch eine bestimmte Form des Zusammenlebens und Wirtschaftens verbunden ist. Auch bei der hier vorliegenden Ehe ohne gemeinsamen räumlichen Lebensmittelpunkt wird daher die hiermit typischerweise verbundene wirtschaftliche und sonstige Lebenssituation unterstellt. Wie sich weiter aus den Regelungen des § 1360 BGB, § 1361 BGB und § 1567 BGB ergibt, geht das BGB von der grundsätzlich auch im SGB II zu beachtenden Vermutung des Nichtgetrenntlebens von Ehegatten aus. Eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II liegt entsprechend nur dann nicht (mehr) vor, wenn ein Getrenntleben nach familienrechtlichen Grundsätzen festgestellt worden ist (Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Februar 2010 – B 4 AS 49/09 R, RdNr 15 mwN).
Auch aus dem das SGB II prägenden Grundsatz der Subsidiarität (vgl etwa § 3 Abs 3 SGB II) lässt sich nicht ableiten, dass der Begriff des „nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten“ im Sinne von §7 Abs 3 Nr 3 Buchst a SGB II abweichend von familienrechtlichen Grundsätzen zu bestimmen ist. Bezogen auf Unterhaltsansprüche von Ehegatten wird dem Nachranggrundsatz des SGB II entweder über die Regelungen zur Bedarfsgemeinschaft oder nach Maßgabe des § 33 SGB II Geltung verschafft. Der Anspruchsübergang nach § 33 Abs 1 S 1 SGB II setzt einen zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch voraus. Ginge der SGB II-Träger in Abweichung von familienrechtlichen Grundsätzen in der vorliegenden Fallkonstellation von einem Getrenntleben der Eheleute aus, könnte der Nachranggrundsatz weder über die Regelungen zur Bedarfsgemeinschaft noch effektiv über § 33 SGB II umgesetzt werden, weil nach familienrechtlichen Maßstäben kein Anspruch auf Trennungsunterhalt, sondern nur ein solcher auf Familienunterhalt nach den Regelungen des § 1360 BGB und des § 1360a BGB gegeben ist. Dieser steht jedoch grundsätzlich im Ermessen der Ehegatten und ist – mit Ausnahme eines Taschen- und Wirtschaftsgeldes – regelmäßig nicht auf eine Geldrente gerichtet, über die der Empfänger frei verfügen kann (Bundessozialgericht, Urteil vom 18. Februar 2010 – B 4 AS 49/09 R, RdNr 16 mwN).
bbb) Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe lag im hier streitigen Zeitraum zur Überzeugung der Kammer kein dauerndes Getrenntleben des Klägers von seiner Ehefrau vor, weil die Kammer einen Willen der Ehegatten, das Eheband lösen zu wollen, nicht feststellen konnte. Von dem Bestehen eines objektiv nach außen manifestierten Trennungswillens konnte sich die Kammer für den hier interessierenden Zeitraum weder bei dem Kläger noch bei seiner Ehefrau überzeugen. Die Kammer ist mit dem Beklagten vielmehr mit der erforderlichen Gewissheit davon überzeugt (vgl § 128 Abs 1 S 1 SGG und § 128 Abs 1 S 2 SGG), dass im hier maßgeblichen Zeitraum ein entsprechender Trennungswillen eines oder beider Ehegatten nicht gegeben war.
Das Gericht folgert dies aus der persönlichen Anhörung des Klägers und der Einvernahme der Ehefrau des Klägers und der Mutter des Klägers als Zeuginnen. Diese haben insoweit in den wesentlichen Punkten übereinstimmend – und ohne dass für das Gericht Widersprüchlichkeiten aufgetreten wären – bekundet, dass ein Trennungswillen im Sinne einer Scheidungsabsicht von beiden Ehegatten allenfalls vor dem hier maßgeblichen Zeitraum im Ansatz artikuliert worden seien, jedenfalls aber nicht im hier interessierenden Zeitraum. Selbst für die davor liegenden Zeiträume hat zumindest die Ehefrau des Klägers eingeräumt, sich zwar von einem Rechtsanwalt wegen einer Scheidung beraten lassen zu haben, aber eigentlich Scheidungsabsichten lediglich in kurzen Momenten der wegen Vorkommnissen mit ihrem Ehemann entstandenen Wut gehabt und dies als „fixe Idee“ schnell wieder verworfen zu haben. Die Kammer ist von der Richtigkeit dieser Angaben schon deshalb überzeugt, weil sie keinerlei Anhaltspunkte finden konnte, die die Ehefrau des Klägers veranlassen könnten, in diesem Punkt die Unwahrheit zu sagen, zumal sie hiermit dem Begehren des Klägers angesichts der oben dargelegten Rechtsgrundsätze eher schaden als nützen würde. Da die Mutter des Klägers die dessen Begehren eher schadenden als nützenden Angaben der Ehefrau im Kern bestätigt hat, obwohl sie als Mitglied der Erbengemeinschaft, die dem Kläger die Unterkunft, für die er die Kosten der Unterkunft und Heizung begehrt, sogar selbst ein wirtschaftliches Interesse an dem Klageerfolg hat, liegt für die Kammer auf der Hand, dass eine ernsthafte Absicht der Ehefrau des Klägers, sich von dem Kläger scheiden zu lassen, sogar zu keinem Zeitpunkt und dementsprechend erst recht nicht im hier streitbefangenen Zeitraum bestanden hat.
Soweit die Angaben des Klägers – anders als die Zeuginnen es hinsichtlich der Ehefrau darlegten – für sich selbst möglicherweise eine deutlicher zu Tage getretene Scheidungsabsicht nahe legen und er hinsichtlich des Zeitpunktes dieses Willens eher diffuse Angaben machte, steht für die Kammer angesichts der eigenen handschriftlichen Angaben des Klägers im Jahr 2021 fest, dass jedenfalls ab dem Jahr 2021 und erst recht im hier streitigen Zeitraum keiner der Ehegatten ernsthaft den Willen hatte, das Eheband zu lösen. Untermauert wird die Überzeugung der Kammer von dem Fehlen eines ernsthaften Trennungswillens im Sinne einer Scheidungsabsicht schließlich dadurch, dass die Ehegatten – zusammen mit einem Teil ihrer Kinder seit dem 01. Juli 2023 – mithin kurz im Anschluss an den hier interessierenden Zeitraum – nach der mehrjährigen örtlichen Trennung und der von dem Kläger und den Zeuginnen übereinstimmend dargelegten Annäherung seit dem Jahr 2022 nunmehr sogar wieder in einem gemeinsamen Haushalt leben.
bb) Wenn der Kläger nach alledem mit seiner Ehefrau und seinen Kindern im streitigen Zeitraum eine Bedarfsgemeinschaft gebildet hat, folgt hieraus zugleich, dass er keinen Anspruch auf die Gewährung von Kosten der Unterkunft und Heizung für die von ihm allein bewohnte Wohnung in V. hat.
aaa) Gemäß § 22 Abs 1 S 1 SGB II werden Bedarfe für die Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate (§ 22 Abs 1 S 3 SGB II). Vor Abschluss eines Vertrages über eine neue Unterkunft soll die leistungsberechtigte Person die Zusicherung des für die neue Unterkunft örtlich zuständigen kommunalen Trägers zur Berücksichtigung der Aufwendungen für die neue Unterkunft einholen (§ 22 Abs 4 S 1 SGB II). Der kommunale Träger ist zur Zusicherung verpflichtet, wenn die Aufwendungen für die neue Unterkunft angemessen sind (§ 22 Abs 4 S 2 SGB II).
Unter Zugrundelegung dieser gesetzlichen Maßgaben handelt es sich bei den von dem Kläger geltend gemachten Kosten der Unterkunft und Heizung um unangemessene Kosten im Sinne des § 22 Abs 1 S 1 SGB II, auf deren Deckung der Kläger keinen Anspruch hat. Die geltend gemachten Kosten der Unterkunft und Heizung erweisen sich deshalb als unangemessen, weil sich der Lebensmittelpunkt einer Bedarfsgemeinschaft regelmäßig – und auch hier – an einem einzigen Ort und damit in einer einzigen Wohnung oder einem einzigen Einfamilienhaus befindet, für die die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft auch jeweils kopfteilig (angemessene) Kosten der Unterkunft und Heizung beanspruchen können. Entscheidet sich ein Ehegatte – wie hier der Kläger – in eine eigene Unterkunft umzuziehen, während der andere Ehegatte die bisherige oder eine andere Unterkunft bewohnt, handelt es sich bei den neu entstehenden Kosten der Unterkunft und Heizung um solche, die den angemessenen Bedarf hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung der Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft übersteigen und deshalb nur unter den Voraussetzungen des § 22 Abs 1 S 3 SGB II zu übernehmen sind. Da der Kläger aber eine Zusicherungsentscheidung hinsichtlich der hier begehrten Kosten der Unterkunft und Heizung im Sinne des § 22 Abs 4 SGB II nicht beantragt hat, sondern er vielmehr ohne weitere Nachfrage in die neue Unterkunft umgezogen ist, bedurfte er auch nicht des Schutzes des § 22 Abs 1 S 3 SGB II und es bedurfte damit auch von vornherein keiner Kostensenkungsaufforderung durch den Beklagten, die eine – zeitlich begrenzte – Deckung auch unangemessener Kosten der Unterkunft und Heizung im hier begehrten Umfang erlaubt hätte.
Im Übrigen kann der Kläger auch keinen (kopfteiligen) Anspruch auf Gewährung der Kosten der Unterkunft und Heizung, die das Jobcenter Prignitz für die Unterkunft der Ehefrau des Klägers an diese und die Kinder gewährte, beanspruchen: Abgesehen davon, dass der Beklagte im vorliegenden Verfahren hierfür nicht der (örtlich) zuständige Leistungsträger wäre, folgt dies schon aus dem Umstand, dass er im streitbefangenen Zeitraum schon nach seinem eigenen Vortrag gerade nicht zu der Haushaltsgemeinschaft seiner Ehefrau und der Kinder in S. gehörte.
Ob möglicherweise Abweichendes gelten müsste, wenn der Bedarf hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung für die Unterkunft der räumlich getrennt lebenden anderen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft ebenfalls ungedeckt ist und ob insoweit einem Ehegatten ein Vorrang auf Deckung seines Bedarfes einzuräumen ist, bedarf hier keiner Entscheidung, weil die Kosten der Unterkunft und Heizung für die von der Ehefrau des Klägers und den gemeinsamen Kindern bewohnte Unterkunft in S. bereits vollständig durch das Jobcenter Prignitz gedeckt worden sind.
bbb) Wenn der Kläger schon aus den soeben dargelegten Gründen keinen Anspruch auf die begehrten Kosten der Unterkunft und Heizung hat, kann auch offen bleiben, ob der Kläger überhaupt einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt ist, was Grundvoraussetzung für die Gewährung von Leistungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 Abs 1 S 1 SGB II wäre (Bundessozialgericht, Urteil vom 03. März 2009, – B 4 AS 37/08 R, RdNr 24). Die Mietkosten gegenüber nahen Angehörigen sind vom SGB II-Leistungsträger nur dann zu übernehmen, wenn diese auf einer wirksamen rechtlichen Verpflichtung beruhen, wobei unerheblich ist, ob die Höhe oder die Vertragsgestaltung einem rechtlichen Fremdvergleich standhält (vgl Bundessozialgericht, Urteil vom 03. März 2009, – B 4 AS 37/08 R, RdNr 26f). An dem Bestehen einer derartigen rechtlichen Verpflichtung hegt die Kammer angesichts der Darlegungen der Mutter des Klägers im Rahmen ihrer Zeugeneinvernahme hinsichtlich der bislang gänzlich folgenlos gebliebenen jahrelangen Nichtzahlung des vereinbarten Mietzinses und der deshalb entstandenen erheblichen Mietschulden von mindestens 7.000,00 Euro erhebliche Zweifel, denen sie aber – wie dargelegt – nicht weiter nachgehen muss.
b) Wenn danach die Anfechtungsklagen im Sinne des § 54 Abs 1 S 1 Regelung 1 SGG unbegründet sind, gilt Gleiches auch für die mit ihnen kombinierten Leistungsklagen im Sinne des § 54 Abs 4 SGG iVm § 56 SGG, mit denen der Kläger für jeden Monat des Streitzeitraumes die Gewährung von höheren passiven Grundsicherungsleistungen für Arbeitsuchende nach dem SGB II begehrt. Denn in Verfahren der vorliegenden Art setzen (zulässige und) begründete Leistungsklagen wegen des der Kombination immanenten Stufenverhältnisses ihrerseits (zulässige und) begründete Anfechtungsklagen voraus, zudem steht dem Kläger – wie aufgezeigt – ein Anspruch auf höhere Leistungen nach dem SGB II nicht zu.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 S 1 SGG. Es entsprach dabei der Billigkeit, dass die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten haben, weil der Kläger mit seinem Begehren vollumfänglich unterlegen ist und weil die Aufwendungen des Beklagten schon von Gesetzes wegen nicht erstattungsfähig sind (§ 193 Abs 4 SGG iVm § 184 Abs 1 SGG).
5. Gerichtskosten werden in Verfahren der vorliegenden Art nicht erhoben (§ 183 S 1 SGG).