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Entscheidung 2 OAus 18/23


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Strafsenat Entscheidungsdatum 27.09.2023
Aktenzeichen 2 OAus 18/23 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0927.2OAUS18.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Einwendungen des Verfolgten gegen die Anordnung und den Vollzug der Auslieferungshaft werden zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Verfolgte wurde am 26. August 2023 bei der Ausreisekontrolle am Flughafen … aufgrund einer Fahndungsausschreibung im Schengener Informationssystem festgenommen und befindet sich aufgrund der Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 7. September 2023 in Auslieferungshaft in der Justizvollzugsanstalt Cottbus-Dissenchen.

Die ungarischen Behörden ersuchen mit Europäischem Haftbefehl des Amtsgerichts Szeged vom 26. Juni 2023 (Az. 5.Szv.79/2023) um seine Auslieferung zum Zwecke der Vollstreckung einer durch Urteil desselben Gerichts (13.B.220/2022/7.) wegen des „Verbrechens der Schleusung als Mittäter“ erkannten Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, wovon noch zwei Jahre und vier Monate zu verbüßen sind. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Auslieferungshaftbefehl des Senats Bezug genommen.

Der Verfolgte hat sich mit seiner Auslieferung im vereinfachten Verfahren nicht einverstanden erklärt und auf den Grundsatz der Spezialität nicht verzichtet. Durch Schriftsatz seines Beistands vom 15. September 2023, ergänzt durch Schriftsatz vom 22. September 2023, hat er Einwendungen erhoben und beantragt, den Auslieferungshaftbefehl aufzuheben, hilfsweise ihn außer Vollzug zu setzen.

Die Generalstaatsanwaltschaft des Landes Brandenburg ist mit der dem Beistand bekannt gegebenen Verfügung vom 18. September 2023 den erhobenen Einwendungen entgegen getreten.

II.

Die Einwendungen gegen die Auslieferungshaft sind zurückzuweisen (§ 23 IRG).

1. Die Beanstandung der Besetzung des Senats bei Erlass des Auslieferungshaftbefehls dringt nicht durch (§ 77 Abs. 1 IRG, § 115 GVG). Da grundsätzlich auch abgeordnete Richter als Hilfsrichter tätig werden dürfen (§§ 27, 29 DRiG; BVerfG, Beschl. vom 25. November 1970 - 2 BvR 679/70, DRiZ 1971, 27; BGH, Beschl. v.  29. Januar 1970 – X ZR 20/68, zit. nach Juris), war die an das Oberlandesgericht abgeordnete Richterin am Amtsgericht Kirbach zur Mitwirkung an der Entscheidung befugt. Dass das Abordnungsverhältnis im Geschäftsverteilungsplan des Oberlandesgerichts nicht näher und ausdrücklich erwähnt wird, steht dem auch unter Berücksichtigung von § 29 Abs. 3 DRiG nicht entgegen, denn der Umstand der Abordnung ergibt sich hinreichend eindeutig aus der Amtsbezeichnung der Richterin.

2. Die Voraussetzungen für die Anordnung und den Vollzug der Auslieferungshaft liegen auch unter Berücksichtigung des neuen Vorbringens des Verfolgten aus den unverändert fortgeltenden Gründen des Auslieferungshaftbefehls des Senats weiterhin vor.

a) Die Auslieferung ist nicht von vornherein unzulässig (§ 15 Abs. 1 IRG).

Ob die Erklärung des Justizministeriums der Republik Ungarn vom 31. August 2023 zu den Haftbedingungen bereits ausreicht, um ein mit Blick auf den allgemeinen ordre public (§ 73 IRG) möglicherweise bestehendes Auslieferungshindernis wegen in der Vergangenheit durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte festgestellter teilweise unzureichender Haftbedingungen in Ungarn (vgl. EGMR, Urteil vom 10. März 2015, Varga u. a. v. Ungarn - Nr. 14097/12, 45135/12, 733712/12, 44055/13 und 64586/13) auszuschließen, bedarf gegenwärtig keiner abschließenden Entscheidung. Jedenfalls ist die Auslieferung vorbehaltlich etwaiger diesbezüglich noch erforderlicher weiterer Klärung – insbesondere hinsichtlich einer völkerrechtlich verbindlichen Zusicherung – auch insoweit jedenfalls nicht von vornherein unzulässig.

Insofern ist zu berücksichtigen, dass das in der Vergangenheit durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und das European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) festgestellte erhebliche Überbelegungsproblem in ungarischen Haftanstalten nach der obergerichtlichen Rechtsprechung und den dieser zugrunde liegenden Erkenntnissen durch gesetzliche sowie organisatorische und bauliche Maßnahmen beseitigt wurde (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 21. Juli 2021 – 2 AR [Ausl] 40/21, zit. nach Juris). Hiervon abweichende Entwicklungen liegen derzeit auch unter Berücksichtigung der Einwendungen des Verfolgten nicht vor. Das Rechtshilfeverbot gemäß § 73 IRG steht der Zulässigkeit der Auslieferung vor diesem Hintergrund derzeit nicht entgegen, wenn die ungarischen Behörden bezüglich der im Falle der Auslieferung zu erwartenden Haftbedingungen eine allgemeine Zusicherung dahingehend abgeben, dass der Verfolgte für die gesamte Haftzeit nach Überstellung kontinuierlich EMRK-konforme Bedingungen vorfinden wird (OLG Celle, aaO.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschl. v. 31. Januar 2022 – 1 AR 4/22; Beschl. v. 1. Dezember 2022 – 2 AR 39/22, Beschl. v. 14. Dezember 2022 – 1 AR 39/22, jeweils zit. nach Juris).

Mit Rücksicht darauf ist jedenfalls derzeit nicht anzunehmen, dass der Auslieferung des Verfolgten ein von vornherein nicht behebbares Hindernis entgegenstehen wird.

b) Der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG) besteht entgegen der vom Beistand vertretenen Auffassung aus den im Auslieferungshaftbefehl ausgeführten Gründen weiterhin fort.

Dass der Verfolgte sich derzeit mit einem ab dem 6. Dezember 2022 gültigen Aufenthaltstitel in Deutschland aufhält, beim Unternehmen T… angestellt und bei der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde in B… integriert ist sowie dort regelmäßig Gottesdienste besucht, vermag die aufgrund der Straferwartung bestehende Fluchtgefahr nicht zu entkräften. Weitere und insgesamt hinreichend stabile soziale Bindungen bestehen vielmehr offensichtlich nicht. Hinzukommt, dass der Verfolgte bei seiner richterlichen Anhörung vor dem Amtsgericht Cottbus am 19. September 2023 ausweislich des Vernehmungsprotokolls die als festen Wohnsitz bezeichnete Anschrift „…-Straße … in ….B…“ lediglich als „Meldeadresse“ und „Postadresse“ bezeichnet und angegeben hat, sein Hausrat sei „bei Freunden“ und er sei „in der Nähe vom …-Platz und gehe jeden Tag hin“. Ein hinreichend stabiles soziales Umfeld lässt sich dem nicht entnehmen. Dies gilt auch insoweit, als er nach Angaben des Beistands in G… seine im I… lebende Verlobte heiraten und mit ihr sodann gemeinsam nach Deutschland übersiedeln will. Dies spricht lediglich für sein als „Langzeitziel“ bezeichnetes Vorhaben, sich in Deutschland eine feste Existenz erst aufzubauen, nicht jedoch für bereits bestehende hinreichend stabile Bindungen.

Bei dieser Sachlage ist nicht damit zu rechnen, dass der Verfolgte sich dem weiteren Auslieferungsverfahren freiwillig stellen würde. Auch bieten weniger einschneidende

Maßnahmen gemäß § 25 IRG angesichts des nicht entkräfteten hohen Fluchtanreizes nach den derzeitigen Erkenntnissen keine ausreichende Gewähr, die Auslieferung des Verfolgten sicherzustellen, so dass die Durchführung des Auslieferungsverfahrens derzeit nicht ohne den Vollzug der Auslieferungshaft sichergestellt werden kann.

Der weitere Vollzug der Auslieferungshaft entspricht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.