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Entscheidung 2 U 38/22


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Zivilsenat Entscheidungsdatum 18.09.2023
Aktenzeichen 2 U 38/22 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:0918.2U38.22.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Neuruppin vom 13.09.2022, Az. 3 O 385/21, abgeändert und wie folgt gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 35.619,53 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.03.2022 zu zahlen.

Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 40.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin ist Trägerin der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung. Sie nimmt das beklagte Land aus übergegangenem Recht auf Ersatz geleisteten Arbeitslosengeldes und geleisteter Sozialversicherungsbeiträge in Anspruch.

Der im Jahr 1952 geborene Versicherte der Klägerin, Dr. A… B…, war als Ausbilder und Bildungsberater in der Erwachsenenqualifikation tätig. Am 17.12.2011 gegen 16:30 Uhr erlitt er bei einem Sturz im Bereich der Raststätte P… an der Bundesautobahn 24 eine Oberarmkopffraktur in der rechten Schulter. Wegen der Verletzungsfolgen wurde er stationär und ab April 2012 ambulant ärztlich und therapeutisch behandelt. Nach dem Unfall litt er unter Bewegungseinschränkungen der Schulter und Schmerzen, die sich im weiteren Verlauf chronifizierten. Ferner stellte sich bei ihm eine rezidivierende depressive Störung sowie eine sonstige gemischte Angststörung mit Anteilen einer Traumafolgestörung ein.

Der Versicherte war nach dem Unfall nicht mehr beruflich tätig. Er bezog zunächst Krankengeld und meldete sich nach dessen Ende arbeitslos. Die Klägerin bewilligte ihm mit Bescheid vom 30.08.2013 (Anlage MW9) ab dem 15.06.2013 Arbeitslosengeld gemäß § 136 SGB III. Im Folgenden bis zum 14.06.2015 zahlte sie insgesamt an bzw. für ihn 27.036,00 € Entgeltersatzleistungen sowie 8.912,20 € Krankenversicherungsbeiträge, 1.219,79 € Pflegeversicherungsbeiträge und 10.856,90 € Rentenversicherungsbeiträge. Wegen der Einzelheiten der Zahlungen wird auf den von der Klägerin vorgelegten Berechnungsbogen (Anlage MW7) verwiesen. Mit Bescheid vom 18.06.2015 bewilligte die Deutsche Rentenversicherung dem Versicherten ab dem 01.06.2015 eine Altersrente. Der Klägerin wurden für die von ihr im Zeitraum vom 01. bis 14.06.2015 erbrachten Leistungen von der Rentenversicherung 532,18 € erstattet.

Der Versicherte nahm den hiesigen Beklagten wegen des Unfallereignisses vom 17.12.2011 gemäß § 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG auf Ersatz materieller und immaterieller Schäden in Anspruch. In dem Rechtsstreit holte das Landgericht ein medizinisches sowie ein psychiatrisches Gutachten (Anlagen MW5 und MW6) ein. Jener Rechtsstreit endete durch einen in der Berufungsinstanz vor dem erkennenden Senat geschlossenen Vergleich. Auch zwischen den hiesigen Parteien steht danach außer Streit, dass das beklagte Land dem Versicherten wegen des Unfallereignisses nach einer Quote von 75 % zum Schadensersatz verpflichtet ist.

Die Klägerin hat unter Verweis auf die in dem vorgenannten Rechtsstreit eingeholten Gutachten und ein weiteres medizinisches Gutachten, das in einem vor dem Sozialgericht Rostock geführten Verfahren erstattet worden ist (Anlage MW4), behauptet, der Versicherte sei wegen des Unfalls danach durchgehend arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Sie hat gemeint, nach § 116 SGB X Ersatz von 75 % der für den Versicherten erbrachten Leistungen abzüglich des von der Rentenversicherung erstatteten Betrages, mithin Zahlung von 35.619,53 €, nebst Rechtshängigkeitszinsen beanspruchen zu können.

Der Beklagte ist dem entgegengetreten. Es sei zu bestreiten, dass es für den Versicherten aufgrund des Unfallereignisses erforderlich gewesen sei, seine berufliche Tätigkeit aufzugeben, und dass er im gesamten Bewilligungszeitraum dem Arbeitsmarkt oder einer angemessenen alternativen Tätigkeit bei seinem bisherigen Arbeitgeber gänzlich nicht mehr zur Verfügung gestanden habe. Vielmehr sei anzunehmen, die Klägerin habe im Hinblick auf die Einstandspflicht des Beklagten „Formalitäten… nicht so genau genommen“. So seien ein Eingliederungsmanagement nicht in Betracht gezogen und der Anspruch nach § 164 Abs. 4 SGB IX vom Versicherten nicht gerichtlich geltend gemacht worden. Auch sei, obwohl das Beschäftigungsverhältnis des Versicherten nicht durch Kündigung oder Aufhebung beendet worden sei und daher ein Anspruch des Versicherten auf Zahlung sog. Nahtlosigkeits-Arbeitslosengeldes nach § 145 SGB III bestanden habe, ALG I gewährt und dementsprechend mutmaßlich die nach § 145 Abs. 2 SGB III geboten gewesene Aufforderung an den Versicherten, einen Antrag auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation oder zur Teilhabe am Arbeitsleben zu stellen, unterblieben.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf welches wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Es hat gemeint, der streitgegenständliche Schaden sei von der Klägerin in erheblichem Umfang mitverschuldet. Die Voraussetzungen für die gewährten ALG-I-Leistungen nach § 136 Abs. 1, § 137 Abs. 1, § 138 Abs. 1 SGB III seien nicht gegeben gewesen. Der Versicherte sei nach seinen physischen und psychischen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen, mehr als nur kurzzeitig einer abhängigen Beschäftigung mit einer mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassenden Tätigkeit nachzugehen. Vielmehr mache die Klägerin selbst unter Verweis auf die vorgelegten Gutachten eine deutliche Minderung seiner Erwerbsfähigkeit geltend. Die erbrachten Leistungen rechtfertigten sich auch nicht aus § 145 SGB III, da es jedenfalls an der nach § 145 Abs. 2 Satz 1 SGB III erforderlichen Aufforderung des Versicherten durch die Klägerin gefehlt habe.

Gegen das Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Es sei unstreitig, dass der Versicherte im streitgegenständlichen Zeitraum infolge des Unfallereignisses vom 17.12.2011 in seinem zuletzt ausgeübten Beruf arbeitsunfähig gewesen und ihm daher – auch in dem der Klageforderung zu Grunde liegenden Zeitraum – ein Erwerbsschaden in Höhe seines entgangenen Arbeitsentgeltes entstanden sei. Zur gerichtlichen Inanspruchnahme Dritter zum Erhalt oder zur Schaffung eines Arbeitsplatzes sei der Versicherte weder rechtlich verpflichtet noch nach seinem Gesundheitszustand in der Lage gewesen. Davon abgesehen fehle es an Vortrag des Beklagten zu den Erfolgsaussichten einer derartigen Klage. Da die Leistungen der Klägerin auch in sachlicher und zeitlicher Kongruenz zu dem dem Versicherten in dem fraglichen Zeitraum entstandenen Erwerbsschaden erbracht worden seien, sei dessen Ersatzanspruch nach § 116 SGB X in vollem Umfang auf die Klägerin übergegangen. Die sozialrechtlichen Voraussetzungen der gewährten Leistungen seien im vorliegenden Verfahren nach § 118 SGB X nicht zu prüfen.

Die Klägerin beantragt der Sache nach,

den Beklagten unter Abänderung des angefochtenen Urteils zu verurteilen, an die Klägerin 35.619,53 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Da die Vorschrift des § 118 SGB X für die Streitfrage des Kausalzusammenhangs zwischen Schädigung und Schaden nicht einschlägig sei, habe sich das Landgericht zu Recht mit den Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosen- und Verletztengeld auseinandergesetzt. Diese Voraussetzungen hätten nicht vorgelegen. Der Gewährung von Arbeitslosengeld habe bereits entgegengestanden, dass sich der Versicherte noch in seinem Beschäftigungsverhältnis befunden und schon deshalb dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung gestanden habe. Zudem seien die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses und die darauf folgende Gewährung des Arbeitslosengeldes durch die Klägerin nicht erforderlich gewesen, da der Geschädigte ein Erwerbseinkommen ohne die Gewährung von Sozialleistungen aus eigener Kraft würde erzielt haben können. Die infolge des Unfalls verursachten orthopädischen Einschränkungen des Versicherten seien mit 30 % und die gesamte Minderung seiner Erwerbsfähigkeit mit 50-70 % bewertet worden. Damit sei offen geblieben, ob der Versicherte dem Arbeitsmarkt noch in seinem Beruf oder einer anderen Tätigkeit zur Verfügung gestanden habe oder ob dies deshalb nicht der Fall gewesen sei, weil er infolge des Unfalls nur noch weniger als 15 Wochenstunden Arbeitsleistung habe erbringen können. Die vorgelegten medizinischen Gutachten schlössen zumindest eine eingeschränkte Erwerbstätigkeit nicht aus. Dass für den Versicherten keine Möglichkeit zu einer Rückkehr auf seinen früheren Arbeitsplatz oder einen anderen Arbeitsplatz bei seinem früheren Arbeitgeber bestanden habe, sei zu bestreiten und von der Klägerin nicht hinreichend ermittelt worden; allein die Aussage des Arbeitgebers genüge insofern nicht. Die Klägerin habe daher gegen ihre Pflicht zur Schadensminderung verstoßen, indem sie nicht die Einrichtung eines behindertengerechten Arbeitsplatzes geprüft, sondern weitere diesbezügliche Ermittlungen eingestellt und dem Versicherten Arbeitslosengeld gewährt habe, ohne ihn aufzufordern, sich binnen eines Monats beim Rententräger vorzustellen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie der überreichten Unterlagen, im Übrigen auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II.

Die statthafte Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt sowie begründet worden. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

1.

Der Klägerin steht der streitgegenständliche Zahlungsanspruch gemäß § 839 Abs. 1, § 842 BGB i.V.m. Art. 34 GG, § 116 Abs. 1 SGB X zu.

a)

Das beklagte Land ist verpflichtet, nach einer Quote von 75 % Ersatz dafür zu leisten, dass dem Versicherten in dem hier in Rede stehenden Zeitraum ein Arbeitseinkommen in Höhe seines bis zum 17.12.2011 erzielten Verdienstes entgangen ist.

aa)

Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass das beklagte Land dem Versicherten wegen des Unfallereignisses vom 17.12.2011 gemäß § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG, § 10 Abs. 1 BbgStrG nach einer Quote von 75 % zum Schadensersatz verpflichtet ist.

Die Ersatzpflicht nach diesen Vorschriften erstreckt sich gemäß § 842 BGB dem Grunde nach auf den Ersatz aller wirtschaftlichen Beeinträchtigungen, die der Geschädigte erleidet, weil und soweit er seine Arbeitskraft wegen der Verletzung nicht verwerten kann (vgl. BGH, Urteil vom 19.09.2013 – III ZR 374/12, BeckRS 2013, 17558), die also der verletzungsbedingte Mangel der vollen Einsatzfähigkeit seiner Person mit sich bringt (vgl. BGH, Urteil vom 27.10.2015 – VI ZR 183/15, NJW 2016, 1386, Rn. 10 m.w.N.). Der demnach zu ersetzende Erwerbsschaden bestimmt sich nach den im Erwerbsergebnis konkret sichtbaren Auswirkungen des Ausfalls oder der Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit (s. etwa BGH, Urteil vom 12.01.2016 – VI ZR 491/14, NJW-RR 2016, 793, Rn. 17, m.w.N.). Dabei ist es nach den allgemeinen Grundsätzen am Verletzten, konkret darzulegen und zu beweisen, welche wirtschaftlichen Nachteile er infolge der verletzungsbedingten Beeinträchtigung seiner Erwerbstätigkeit hat bzw. haben wird (BGH, Urteil vom 17.01.1995 – VI ZR 62/94, NJW 1995, 1023, 1024).

bb)

Nach diesen Maßstäben ist vorliegend anzunehmen, dass dem Versicherten aufgrund des Unfallereignisses im streitgegenständlichen Zeitraum ein monatliches Arbeitseinkommen in Höhe seines bis zum 17.12.2011 erzielten Verdienstes entgangen ist.

Entgegen dem Berufungsvorbringen ist die Kausalität zwischen dem Unfall und diesem Verdienstausfall zwar nicht unstreitig. Denn der Beklagte hat erstinstanzlich in Abrede gestellt, dass es aufgrund des Unfallereignisses für den Versicherten erforderlich gewesen ist, seine bis dahin ausgeübte berufliche Tätigkeit aufzugeben, und damit auch die Ursächlichkeit des Unfalls für den hier streitgegenständlichen Schaden bestritten. Auch kommt es hier nicht auf den Bewilligungsbescheid der Klägerin vom 30.08.2013 an; die Vorschriften der § 116 Abs. 1 und § 118 SGB X wirken sich nämlich nicht auf die zivilrechtlichen Voraussetzungen des auf den Sozialversicherungsträger übergegangenen Anspruchs aus (vgl. BGH, Urteil vom 05.05.2009 – VI ZR 208/08, NJW-RR 2009, 1534, Rn. 13; OLG Oldenburg, Urteil vom 15.05.2019 – 5 U 172/16, BeckRS 2019, 40377, Rn. 80). Aufgrund des unstreitigen Parteivorbringens und der vorgelegten Unterlagen ist dieser Kausalzusammenhang aber mit der nach § 287 ZPO erforderlichen Gewissheit festzustellen.

Dieser Feststellung liegt im Ausgangspunkt die auf § 252 Satz 2 BGB beruhende Vermutung zu Grunde, dass der Versicherte ohne das Unfallereignis seiner bis dahin ausgeübten Tätigkeit jedenfalls bis zum Mai 2015 – dem Ende des Zeitraums, für den die Klägerin hier Ersatz für erbrachte Leistungen fordert – weiter nachgegangen wäre. Umstände, die diese Vermutung widerlegten oder auch nur erschütterten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere geben die vorgelegten Gutachten keinen Anlass für die Annahme einer Beendigung dieses Arbeitsverhältnisses vor Vollendung des 63. Lebensjahres des Versicherten. Vielmehr lassen die in der soziobiographischen Anamnese des psychiatrischen Gutachtens vom 27.10.2017 (Anlage WM6) mitgeteilten Umstände, dass der Versicherte im Anschluss an seine 1991 endende Tätigkeit als Dozent an der Pädagogischen Hochschule G… die Tätigkeit als Ausbilder beim T… begonnen und diese Position bis zum Unfallereignis innegehabt habe, auf ein hohes Maß an Kontinuität in der Erwerbsbiografie schließen. Angesichts dessen und des Alters des Versicherten zum Unfallzeitpunkt von 59,5 Jahren erscheint es unwahrscheinlich, dass er ohne den Unfall Anlass gehabt haben würde, sich vor Erreichen der Altersrente beruflich zu verändern. Auch die in den Gutachten mitgeteilten, nicht mit dem Unfall in Zusammenhang stehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen – allen voran die bei dem Versicherten diagnostizierten Verschleißerscheinungen in Hüft- und Kniegelenken sowie die nach Auffassung der psychiatrischen Gutachter wahrscheinlich seit dem Jugendalter bestehende zwanghafte (anankastische) Persönlichkeitsstörung – legen nicht die Annahme nahe, der Versicherte würde seine berufliche Tätigkeit auch ohne das Unfallereignis vor dem 31.05.2015 beendet oder eingeschränkt haben.

Ferner ist es nach den von der Klägerin vorgelegten Sachverständigengutachten zumindest überwiegend wahrscheinlich, dass der Versicherte aufgrund des Unfallereignisses nicht in der Lage war, seiner bis zum 17.12.2011 ausgeübten Tätigkeit im hier in Rede stehenden Zeitraum weiter nachzugehen.

Der Facharzt für Chirurgie/ Unfallchirurgie und D-Arzt Dipl. med. P…, der den Versicherten nach dem Unfall behandelte, führte in seinem für das Sozialgericht Rostock erstatteten Gutachten vom 20.02.2015 (Anlage MW4) aus, bei dem Versicherten eine operativ versorgte Oberarmkopffraktur rechts mit hochgradiger Bewegungseinschränkung, eine überlastungsbedingte Schmerzsymptomatik im Bereich der linken Schulter, ein Cervicalsyndrom, ein Lumbalsyndrom, eine linksseitige Gonalgie, eine Coxarthrose sowie Migräne, Angstzustände und eine mittelgradige Depression zu diagnostizieren. Die vom Verletzten vorgetragenen Beschwerden würden durch die erhobenen Befunde objektiviert. Eine Besserung sei nicht eingetreten. Insbesondere habe sich die Beweglichkeit der rechten Schulter innerhalb der drei Jahre währenden Behandlung nicht verbessert. Der Versicherte sei seit dem Unfall im Jahr 2011 arbeitsunfähig und in seiner Wegefähigkeit deutlich eingeschränkt. Die neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen seien auf die lange Erkrankungsdauer zurückzuführen.

Der Sachverständige Prof. Dr. R. B…, Chefarzt im Zentrum für Orthopädie und Unfallchirurgie des Klinikums B…, vertritt in seinem Gutachten vom 26.04.2016 (Anlage WM5) die Auffassung, dass bei dem Versicherten infolge der am 17.12.2011 erlittenen Fraktur des Oberarmkopfes eine dauerhafte Gesundheitsstörung vorliege, die zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 30 % führe. Bei einer Humeruskopffraktur komme es häufig, nämlich in 10 - 34 % der Fälle, zu Verletzungen knochenversorgender Gefäße mit der Folge des Absterbens des Humeruskopfes. Die nekrotische Veränderung sei mit einem Formverlust verbunden, sodass der Oberarmkopf seine Struktur verliere und kollabiere. Eine solche Entwicklung sei nicht revisibel. Die einzige Möglichkeit, um Schmerzfreiheit und eine Verbesserung der Bewegung zu erreichen, sei die Implantation einer Schulterprothese. So liege es auch bei dem Versicherten. Er habe bei dem Unfall eine proximale Humerusfraktur erlitten. In deren Folge habe sich sekundär eine Humeruskopfnekrose herausgebildet. Aus der dadurch bewirkten Inkongruenz zwischen Humeruskopf und Gelenkpfanne sowie dem nekrosebedingten vollständigen Fehlen der Gelenkknorpel im Schultergelenk wiederum resultiere der vom Versicherten beklagte Zustand, nämlich ein deutlicher Kraftverlust im rechten Arm, Einschränkungen der Beweglichkeit in allen Ebenen und Schmerzen. Die zusätzlich angegebenen Beschwerden in den Hüft- und Kniegelenken stünden in keinem Zusammenhang mit dem Unfall, sondern seien auf degenerative Veränderungen zurückzuführen. Die mit 30 % zu bewertende Minderung der Erwerbsfähigkeit resultiere aus der Bewegungseinschränkung, den Schmerzen und damit dem deutlichen Funktionsverlust im Schultergelenk, der mit einer Versteifung in günstiger Stellung gleichgesetzt werden könne. Die Minderung bestehe seit Abschluss der Behandlung der Fraktur.

Das psychiatrische Gutachten der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der … vom 27.10.2017, welches von dem geschäftsführenden Oberarzt der Klinik, Prof. Dr. med. …, und dem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Priv.-Doz. Dr. med. … erstattet worden ist, gelangt zu dem Ergebnis, dass bei dem Versicherten psychiatrische Erkrankungen zu diagnostizieren seien, die mit dem Unfallereignis im Zusammenhang stünden und eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von insgesamt 50-60 %, während des Vorliegens einer depressiven Episode bis zu 70 %, begründeten.

Um das komplexe Krankheitsbild des Versicherten entsprechend den üblichen Klassifikationen adäquat zu beschreiben, seien insgesamt vier psychiatrische Hauptdiagnosen und zwei Nebendiagnosen zu stellen, nämlich eine chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (ICD-10: F45.41), eine – zum Zeitpunkt der Begutachtung weitgehend remittierte – rezidivierende depressive Störung (ICD-10: F33.4), eine sonstige gemischte Angststörung mit Anteilen einer Traumafolgestörung (ICD-10: F41.3) und eine wahrscheinlich seit dem Jugendalter bestehende zwanghafte (anankastische) Persönlichkeitsstörung (ICD-10: F60.5) sowie – als Nebendiagnosen – eine undifferenzierte Somatisierungsstörung (ICD-10: F45.1) und eine Zwangsstörung mit vorwiegend Zwangshandlungen (ICD-10: F42.1). Klinisch führend und zu wesentlichen Teilen den Leidensdruck und das Beschwerdebild bestimmend sei die chronische Schmerzstörung. Diese stehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit in einem direkten kausalen Zusammenhang mit dem Unfallereignis. Auch wenn anzunehmen sei, dass – im Gutachten näher ausgeführte – Vulnerabilitätsfaktoren zu einer Verstärkung der psychischen Komponenten beigetragen hätten, würde die diagnostisch geforderte somatische Auslösung der Schmerzen ohne das Unfallergebnis zumindest nicht zum Zeitpunkt der Gutachtenerstellung gegeben gewesen sein. Die rezidivierende depressive Störung stehe ebenfalls im Zusammenhang mit dem Unfall. Das Risiko für die Entwicklung einer rezidivierenden Major Depression sei bei dem Versicherten zwar bereits vor dem Unfall erhöht gewesen; seine Lebenssituation sei bis dahin aber als überwiegend stabil einzustufen. Erst durch die chronischen Schmerzen und die dauerhafte Bewegungseinschränkung des dominanten Armes sei nach dem Unfall ein erheblicher Stressor hinzugetreten, der selbst bei weniger vulnerablen Individuen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer zumindest zeitweisen depressiven Reaktion würde geführt haben können. Auch die Angststörung sei mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit in erster Linie auf den Unfall zurückzuführen. Hierfür spräche, dass sich die im Krankheitsbild bestehenden Vermeidungsverhalten insbesondere auf Situationen bezögen, die der Versicherte mehr oder weniger ausgeprägt mit dem Unfallereignis assoziiere. Hinzu kämen die klinische Überlappung der Symptomatik mit Traumafolgestörungen sowie die seltene Erstmanifestation im Alter von über 50 Jahren; der Erkrankungsgipfel für Angststörungen liege hingegen je nach Störungsbild zwischen dem 13. und 31. Lebensjahr.

Die psychischen Diagnosen seien etwa ab der zweiten Jahreshälfte 2013 im Sinne einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) wirksam geworden. Bestimmend sei auch insofern in erster Linie die Schmerzstörung. Angesichts der erheblichen Einschränkungen im Alltag und der Irreversibilität der zu Grunde liegenden somatischen Ursache sei hierdurch eine MdE von 40 % gegeben. Aus der Angststörung folge – im Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens – eine MdE von 30 %, wobei bei konsequenter psychotherapeutischer Behandlung eine Besserung zu erwarten sei. Bezüglich der rezidivierenden depressiven Störung sei im Stadium der Remission eine MdE von 10 % und während der abgelaufenen depressiven Episoden mit mittlerem Schweregrad, die für die zweite Jahreshälfte 2013, die erste Jahreshälfte 2014 und Dezember 2016 anzunehmen seien, eine MdE von 40 % zu veranschlagen. Im Zusammenwirken ergäben die mit dem Unfallereignis im Zusammenhang stehenden psychiatrischen Diagnosen die genannte MdE von 50 - 60 % bzw. 70 %.

Die Gutachten sind jeweils in sich als auch im Vergleich zueinander schlüssig. Die sich danach ergebende Entwicklung, dass sich bei dem Versicherten infolge der bei dem Unfall erlittenen Humeruskopffraktur eine Humeruskopfnekrose herausgebildet hat, die mit einem deutlichen Kraftverlust im rechten Arm, Einschränkungen der Beweglichkeit in allen Ebenen und Schmerzen verbunden ist, was wiederum zur Entstehung einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren, einer depressiven Störung und einer sonstigen gemischten Angststörung mit Anteilen einer Traumafolgestörung geführt hat, ist plausibel. Die Gutachter, deren fachliche Eignung zu bezweifeln kein Anlass besteht, haben die ihren Annahmen zugrunde gelegten Befundtatsachen mitgeteilt und die hieraus abgeleiteten Diagnosen bzw. Einschätzungen nachvollziehbar begründet. Entgegen dem vom Beklagten in Bezug genommenen Vorbringen aus seinem Schriftsatz vom 24.01.2018 im Verfahren 31 O 86/15 (Anlage B1) ist eine andere Würdigung des psychiatrischen Sachverständigengutachtens auch nicht deshalb geboten, weil nach den im neuropsychologischen Zusatzgutachten vom 19.07.2017 dargelegten Ergebnissen der Persönlichkeitstestung des Versicherten Anhaltspunkte für eine Neigung zur Aggravation und Simulation psychischer Symptome bestehen. Denn das psychiatrische Gutachten vom 27.10.2017 setzt sich mit diesem Befund auseinander und gelangt – ebenfalls nachvollziehbar begründet (s. Seite 35 ff. des Gutachtens) – zu der im Ergebnis plausiblen Einschätzung, dass eine bewusste Simulation depressiver Symptome unwahrscheinlich sei, eine Aggravation, also eine in ihrem Schweregrad übertriebene und ausgestaltende Schilderung tatsächlich vorhandener Symptome, hingegen durchaus wahrscheinlich sei. Diese Möglichkeit ist in der Diagnosestellung ausdrücklich berücksichtigt worden.

Vor dem Hintergrund der demnach tragfähigen sachverständigen Feststellungen ist es ohne weiteres glaubhaft, dass dem Versicherten – wie er nach dem Gutachten vom 26.04.2016 gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. B… angegeben hat – als Rechtshänder wegen der Beeinträchtigungen der rechten Schulter Tätigkeiten des alltäglichen Lebens, wie zum Beispiel das Anheben einer Kaffeekanne, die Benutzung eines Schraubenziehers und das Fahrradfahren, nicht mehr möglich waren, dass er für das Anziehen von Schuhen und Hosen sowie das Kämmen seiner Haare auf Hilfe angewiesen war, dass er Einkaufstaschen nicht mehr mit dem rechten Arm tragen konnte und dass er einen Pkw wegen zunehmender Schmerzen im rechten Schultergelenk nur noch für maximal 25 Minuten führen konnte. Gleiches gilt für die nach dem Gutachten vom 27.10.2017 getätigten Aussagen des Versicherten, nicht mehr vor einer Klasse stehen und an der Tafel oder auch an einem Notebook arbeiten zu können.

Nach alledem verbleiben keine durchgreifenden Zweifel daran, dass der Versicherte aufgrund des Unfalls vom 17.12.2011 in dem hier in Rede stehenden Zeitraum nicht in der Lage war, seiner bis zu dem Unfall ausgeübten Tätigkeit nachzugehen. Ausweislich des Schreibens der vormaligen Arbeitgeberin des Versicherten vom 06.09.2016 (Anlage MW11) war der Versicherte zuletzt im Technischen Schulungszentrum als Leiter des Standortes G… tätig und gehörten zu seinen Aufgaben die Koordination aller Arbeitsabläufe in der Geschäftsstelle, die Planung von Schulungen, die Planung von Personaleinsätzen, die Erarbeitung von Konzepten sowie die Kundenakquise. Angesichts der Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B…, der die unfallbedingten orthopädischen Beeinträchtigungen des Versicherten sehr anschaulich mit einer Versteifung der rechten Schulter in günstiger Stellung vergleicht, ist anzunehmen, dass der Versicherte schon die zur Erfüllung dieser Aufgaben notwendigen einfachen Bürotätigkeiten nur noch sehr eingeschränkt erbringen konnte. Nach der Lebenserfahrung ist zudem davon auszugehen, dass sich der Versicherte aufgrund der von ihm beschriebenen und von den Sachverständigen verifizierten starken Schmerzen nicht in dem erforderlichen Maße auf die Erfüllung seiner Aufgaben konzentrieren konnte, und dass er aufgrund der Angststörung, die nach den Ausführungen des psychiatrischen Gutachtens durch Meidung sozialer Kontakte außerhalb der Familie gekennzeichnet ist, kaum in der Lage gewesen sein wird, in dem für die Erfüllung der genannten Aufgaben erforderlichen Maß mit Mitarbeitern und Kunden zu kommunizieren.

Umstände, die eine andere Würdigung rechtfertigten, sind nicht ersichtlich. Sie ergeben sich auch nicht aus dem vom Beklagten mit den Schriftsätzen vom 24.01.2018 und vom 21.09.2018 im Verfahren 31 O 86/15 gehaltenen und im hiesigen Rechtsstreit in Bezug genommenen Vortrag (Anlage B1). Die darin aufgeworfenen Fragen danach, in welcher Art und welchem Umfang sich die psychischen Vorerkrankungen auf die Schadensfolgen sowie den Behandlungs- und Heilungserfolg ausgewirkt haben, können für den hiesigen Rechtsstreit offen bleiben. Wer einen gesundheitlich geschwächten Menschen verletzt, kann nicht verlangen, so gestellt zu werden, als habe er einen Gesunden verletzt (s. etwa BGH, Urteil vom 04.05.1993 – VI ZR 283/92, NJW 1993, 2234). Der Schädiger hat daher auch für seelisch bedingte Folgeschäden, die auf einer psychischen Prädisposition oder einer neurotischen Fehlverarbeitung beruhen, haftungsrechtlich grundsätzlich einzustehen (BGH, Urteil vom 12.11.1985 – VI ZR 103/84, NJW 1986, 777). Anderes gilt lediglich für Begehrens- und Rentenneurosen, in denen der Geschädigte den Vorfall in dem neurotischen Streben nach Versorgung und Sicherung lediglich zum Anlass nimmt, den Schwierigkeiten und Belastungen des Erwerbslebens auszuweichen (BGH, Urteil vom 25.02.1997 – VI ZR 101/96, NJW 1997, 1640). Hierfür ist im Streitfall aber nichts ersichtlich. Dem in eine gegenteilige Richtung deutenden Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 24.01.2018, wonach die Darstellung des Persönlichkeitsbildes des Versicherten in dem psychiatrischen Gutachten vom 27.10.2017 den Schluss nahelege, der Unfall sei letztlich nur der Auslöser gewesen, um sich dem bei jeder sozialen Interaktion auf ihm lastenden permanenten Druck zu entziehen, ist schon im Ausgangspunkt nicht zu folgen. Vielmehr wird auf Seite 17 des Gutachtens vom 27.10.2017 ausgeführt, der Versicherte habe berichtet, vor dem Unfall gerne zu Anlässen wie Geburtstagsfeiern gegangen zu sein und dabei gerne auch im Mittelpunkt gestanden und das Wort an sich gerissen zu haben.

Die in dem Schriftsatz vom 24.01.2018 ferner aufgeworfene Frage, ob es dem Versicherten aufgrund der psychischen Beeinträchtigungen möglich war, den von ihm bis zum Unfall ausgeübten Beruf zumindest teilweise weiter auszuüben, erweist sich vorliegend ebenfalls als irrelevant. Denn eine Beurteilung allein der Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit des Versicherten infolge psychiatrischer Erkrankungen ohne die Berücksichtigung der bei ihm unstreitig vorhandenen orthopädischen Beeinträchtigungen geht am Streitfall vorbei. Im Ergebnis gleiches gilt für die vom Beklagten in jenem Schriftsatz erhobenen Einwendungen gegen die konkrete Höhe der von den psychologischen Sachverständigen angenommenen MdE.

cc)

Gegenüber der mithin begründeten Verpflichtung zum Ersatz des Erwerbsschadens kann sich der Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, der Versicherte würde ein Erwerbseinkommen auch ohne die Gewährung von Sozialleistungen aus eigener Kraft erzielt haben können. Denn dieser Einwand, der unter dem Gesichtspunkt des anspruchskürzenden Mitverschuldens des Versicherten anhand von § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB zu prüfen ist, ist schon nicht schlüssig dargelegt.

Die Vorschrift des § 254 Abs. 2 Satz 1 letzter Halbsatz BGB setzt voraus, dass es der Geschädigte schuldhaft unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern. Dieses Verschulden meint ein Verschulden gegen sich selbst, also die Verletzung einer im eigenen Interesse bestehenden Obliegenheit. Hiervon kann nur ausgegangen werden, wenn der Geschädigte unter Verstoß gegen Treu und Glauben diejenigen Maßnahmen unterlässt, die ein ordentlicher und verständiger Mensch an der Stelle des Geschädigten zur Schadensabwehr oder -minderung ergreifen würde. Entscheidender Abgrenzungsmaßstab ist also der Grundsatz von Treu und Glauben, bei dessen Anwendung in anderen Vorschriften zum Ausdruck kommende Grundentscheidungen des Gesetzgebers nicht unterlaufen werden dürfen (BGH, Urteil vom 17.11.2020 – VI ZR 569/19, NJW 2021, 694, Rn. 7; Urteil vom 18.02.2020 – VI ZR 115/19, NJW 2020, 1795, Rn. 16).

Nach diesen Grundsätzen obliegt es im Falle einer die Arbeitskraft beeinträchtigenden Gesundheitsverletzung dem Verletzten im Verhältnis zum Schädiger, seine verbliebene Arbeitskraft in den Grenzen des Zumutbaren so nutzbringend wie möglich zu verwerten (BGH, Urteil vom 24.01.2023 – VI ZR 152/21, r+s 2023, 331, Rn. 11 m.w.N.). Dem kann eine weitere Obliegenheit zur Schadensminderung vorgeschaltet sein, wenn die (verbliebene) Arbeitskraft, die durch das schädigende Ereignis herabgesetzt worden ist, durch zumutbare Maßnahmen wiederhergestellt oder jedenfalls verbessert werden kann (BGH, Urteil vom 04.11.1986 – VI ZR 12/86, BeckRS 2008, 14448, Rn. 10). Insoweit muss vom Geschädigten verlangt werden, dass er, soweit er dazu imstande ist, zur Heilung oder Besserung seiner Schädigung die nach dem Stande der ärztlichen Wissenschaft sich darbietenden Mittel anwendet; er darf in der Regel nicht anders handeln, als ein verständiger Mensch, der die Vermögensnachteile selbst zu tragen hat, es bei gleicher Gesundheitsstörung tun würde. Der Vorwurf einer Obliegenheitsverletzung setzt aber voraus, dass dem Geschädigten die Therapie oder sonstige ärztliche Behandlung zumutbar ist oder gewesen wäre (BGH, Urteil vom 10.02.2015 – VI ZR 8/14, NJW 2015, 2246, Rn. 15 m.w.N.). Nach ständiger Rechtsprechung muss sich der Verletzte beispielsweise einer Operation unterziehen, wenn sie zumutbar ist. Das ist nur der Fall, wenn sie einfach und gefahrlos sowie nicht mit besonderen Schmerzen verbunden ist und wenn sie die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung bietet (s. etwa BGH, Urteil vom 21.09.2021 – VI ZR 91/19, NJW 2021, 3656, Rn. 12 m.w.N.). Grundsätzlich richtet sich das Maß der Schadensminderungspflicht, also Art und Umfang der vom Geschädigten auf sich zu nehmenden ärztlichen Behandlungen, auch an den in das geltende Recht einfließenden verfassungsrechtlichen Werten aus, insbesondere dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 GG (BGH, Urteil vom 14.03.1989 – VI ZR 136/88, NJW 1989, 2250). Danach wird regelmäßig auch für eine stationäre psychiatrische oder mit belastenden Nebenwirkungen behaftete medikamentöse Behandlung die sichere Aussicht einer wesentlichen Besserung zu fordern sein, um sie als zumutbar erachten zu können (BGH, Urteil vom 21.09.2021 – VI ZR 91/19, a.a.O., m.w.N.).

Im Rahmen der Ermittlung des Verdienstausfallschadens kann eine ärztliche Behandlung ferner nur dann als zumutbar erachtet werden, wenn die Verbesserung der Gesundheit auch zur Wiederherstellung oder Verbesserung der Arbeitskraft führen wird und wenn überhaupt eine Aussicht auf eine erfolgreiche berufliche Tätigkeit – gegebenenfalls auch nach Umschulungs- oder Weiterbildungsmaßnahmen, ebenfalls in Abhängigkeit von der Zumutbarkeit – besteht (BGH, Urteil vom 09.10.1990 – VI ZR 291/89, NJW 1991, 1412, 1413). Die Annahme einer dahingehenden Obliegenheit setzt also voraus, dass dem Geschädigten der Einsatz seiner Arbeitskraft in einer bestimmten Berufstätigkeit zugemutet werden kann und eine Prognose ergibt, dass ihm das bei entsprechender Anstrengung am Arbeitsmarkt auch mit Erfolg gelingt oder gelungen wäre (BGH, Urteil vom 19.06.1984 – VI ZR 301/82, NJW 1984, 2520, 2522). Der Geschädigte muss überhaupt die Möglichkeit haben, die – gegebenenfalls wiedergewonnene – Arbeitskraft gewinnbringend einzusetzen (BGH, Urteil vom 05.12.1995 – VI ZR 398/94, NJW 1996, 652, 653). Er kann demnach von der Pflicht, sich um eine Arbeitsstelle zu bemühen, entbunden sein, wenn er wegen seiner unfallbedingten Beeinträchtigungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr vermittelbar ist und deshalb Bemühungen um eine Arbeitsstelle von vornherein aussichtslos wären (BGH, Urteil vom 22.04.1997 – VI ZR 198/96, NJW 1997, 3381, 3382).

Ist nach diesen Maßstäben festzustellen, dass der Geschädigte seiner Schadensminderungspflicht nicht Rechnung getragen hat, vermindert sich der Schadensersatzanspruch um die vom Geschädigten bei gebotener Verwertung seiner Arbeitskraft erzielbaren (fiktiven) Einkünfte (BGH, Urteil vom 21.09.2021 – VI ZR 91/19, NJW 2021, 3656, Rn. 14). Da sich der Sozialversicherungsträger ein derartiges Mitverschulden seines Versicherten anrechnen lassen muss, gilt dies auch bei nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X übergegangenen Ansprüchen (BGH, Urteil vom 24.01.2023 – VI ZR 152/21, a.a.O., Rn. 11). Die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen eines anspruchskürzenden Mitverschuldens liegt dabei nach den allgemeinen Grundsätzen beim Schädiger. Den Verletzten trifft insofern allerdings eine sekundäre Darlegungslast; er muss darlegen, was er unternommen hat, um Arbeit zu finden oder was dem gegebenenfalls entgegenstand (BGH, Urteil vom 21.09.2021 – VI ZR 91/19, a.a.O., Rn. 21 m.w.N.).

Dieser Vortragslast hat die Klägerin hier Rechnung getragen, indem sie – unter Bezugnahme auf die von ihr vorgelegten Sachverständigengutachten – behauptet, der Versicherte sei nach dem Unfall durchgehend arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Damit konnte der Beklagte der ihn treffenden Darlegungslast nicht mehr mit dem pauschalen Vortrag genügen, der Versicherte würde ein Erwerbseinkommen ohne die Gewährung von Sozialleistungen aus eigener Kraft erzielt haben können. Ebenso wenig reicht es für ein prozessual beachtliches Vorbringen, infrage zu stellen, ob der Versicherte dem Arbeitsmarkt noch in seinem Beruf oder einer anderen Tätigkeit zur Verfügung gestanden habe oder ob dies deshalb nicht der Fall gewesen sei, weil er infolge des Unfalls nur noch weniger als 15 Wochenstunden Arbeitsleistung habe erbringen können. Vielmehr wäre nach dem Vorstehenden konkret vorzutragen gewesen, inwieweit es dem Versicherten möglich und zumutbar gewesen wäre, seine Arbeitskraft nutzbringend einzusetzen bzw. zunächst seine Gesundheit wieder herzustellen. Dahingehenden Vortrag hat der Beklagte nicht, jedenfalls nicht schlüssig gehalten. Auch der sonstige Streitstoff gibt hierfür nichts her.

So wird zwar in dem (orthopädischen) Gutachten vom 26.04.2016 die Möglichkeit der Implantation einer Schulterprothese genannt, um Schmerzfreiheit und eine Verbesserung der Bewegung zu erreichen (Anlage MW5, Seite 10). Hieran anknüpfend wird im psychiatrischen Gutachten vom 27.10.2017 ausgeführt, dass infolgedessen eine Besserung der chronischen Schmerzstörung eintreten könne – wobei allerdings selbst nach einer erfolgreichen Implantation mit dem Fortbestehen der Schmerzsymptomatik zumindest in gewissem Umfang zu rechnen sei (Anlage MW6, Seite 46) – und im Ergebnis eine berufliche Wiedereingliederung des Versicherten mit Einschränkungen (heimatnaher Einzelarbeitsplatz mit kontinuierlicher Unterweisung durch einen Vorgesetzten) gelingen könnte (Anlage MW6, Seite 50). Weder den Gutachten noch dem Vorbringen des Beklagten ist aber zu entnehmen, dass es sich bei der Implantation einer Schulterprothese um eine einfache und gefahrlose, nicht mit besonderen Schmerzen verbundene Operation handelt, die sichere Aussicht auf Heilung oder wesentliche Besserung bietet. Vielmehr ist nach den vorstehend zitierten Ausführungen des psychiatrischen Gutachtens davon auszugehen, dass eine wesentliche Besserung der Schmerzsymptomatik nicht zu erwarten ist. Ferner ist nichts dafür ersichtlich, dass dem Versicherten ein entsprechend gestalteter Arbeitsplatz zur Verfügung gestanden haben würde.

Aus denselben Erwägungen rechtfertigen auch die weiteren Ausführungen des psychiatrischen Gutachtens zu den Möglichkeiten der Behandlung der psychiatrischen Erkrankung des Versicherten, insbesondere durch medikamentöse und psychotherapeutische Therapien (Anlage MW6, Seite 46 ff.), die Annahme eines Mitverschuldens des Versicherten nicht.

Der Einwand, der Versicherte habe es unterlassen, seine vormalige Arbeitgeberin nach § 164 Abs. 4 SGB IX in Anspruch zu nehmen, greift ebenfalls nicht durch. Ausgehend von der Einschätzung des behandelnden Arztes des Versicherten, Dipl. med. P…, in dessen Gutachten vom 20.02.2015, wonach der Versicherte bis dahin durchgehend arbeitsunfähig gewesen sei, ist schon nicht festzustellen, dass und in welchem Umfang dessen Gesundheitszustand eine entsprechende Tätigkeit überhaupt erlaubt hätte. Von daher kann auch nicht beurteilt werden, wie ein entsprechendes Arbeitsverhältnis einerseits und ein leidensgerechter Arbeitsplatz andererseits auszugestalten gewesen wäre. Ferner kann demnach nicht ohne weiteres angenommen werden, dass ein entsprechender Anspruch gegen die Arbeitgeberin nicht nach § 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX ausgeschlossen oder zumindest zweifelhaft und dessen Geltendmachung dem Versicherten bereits aus diesem Grund von vornherein nicht zuzumuten war.

Der Mitverschuldenseinwand greift davon abgesehen auch deshalb nicht durch, weil den Versicherten am Unterlassen einer nutzbringenden Verwertung seiner Arbeitskraft jedenfalls kein Verschulden im dargestellten Sinn trifft. Denn er ist insofern der Auffassung seines behandelnden Arztes, Dipl. med. P… gefolgt, der ihn ausweislich des Gutachtens vom 20.02.2015 für seit dem Unfall arbeitsunfähig gehalten hat (vgl. BGH, Urteil vom 07.06.1951 – III ZR 181/50, NJW 1951, 797, 798). Dafür, dass der Versicherte Anlass haben musste, an dieser Einschätzung seines Arztes zu zweifeln, ist nichts ersichtlich.

b)

Der danach begründete Anspruch auf Ersatz des Erwerbsschadens ist nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X auf die – gemäß § 116 Abs. 10 SGB X als Versicherungsträgerin geltende – Klägerin übergegangen.

Die Klägerin hatte für den Versicherten Sozialleistungen in der unstreitig erbrachten Höhe zu erbringen. Der gegenteiligen Auffassung des Landgerichts liegt die zwar im Ausgangspunkt zutreffende Annahme zu Grunde, dass ein Anspruchsübergang nach § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X nur insoweit stattfindet, wie die Sozialleistung rechtlich begründet ist (Kater, in: beckOGK/ Kasseler Kommentar, Stand: 01.05.2021, § 116 SGB X, Rn. 26a). Die angefochtene Entscheidung lässt aber unberücksichtigt, dass die fraglichen Leistungen auf der Grundlage des Bewilligungsbescheides der Klägerin vom 30.08.2013 – dessen Bestandskraft nicht in Frage steht – erbracht worden sind. Im vorliegenden Rechtsstreit ist deshalb nach § 118 SGB X davon auszugehen, dass die Klägerin in diesem Umfang zur Leistung verpflichtet war. Ob sie die Voraussetzungen der § 136 Abs. 1, § 137 Abs. 1 und § 138 Abs. 1 SGB III zu Recht angenommen hat oder aber stattdessen allenfalls die Gewährung von Arbeitslosengeld nach § 145 Abs. 1 SGB III in Betracht zu ziehen gewesen wäre, ist daher für die Frage des Bestehens einer Leistungspflicht als Voraussetzung des Anspruchsübergangs nicht mehr zu prüfen.

Ebenso wenig kommt es hierauf für die Beantwortung der Frage an, ob die Klägerin die Leistungen im Sinne von § 116 Abs. 1 Satz 1 SGB X aufgrund des Schadensereignisses zu erbringen hatte. Die Vorschrift setzt insofern einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Leistungspflicht und dem Schadensereignis voraus (Waltermann, in: Knickrehm/Roßbach/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 8. Auflage 2023, § 116 SGB X, Rn. 29). Diese Kausalität ist gegeben, wenn die Sozialleistungen ohne den Unfall nicht zu erbringen gewesen wären (Küppersbusch/Höher, in: dies., Ersatzansprüche bei Personenschaden, 13. Auflage 2020, Rn. 583), was im Streitfall von dem zur Entscheidung über den übergegangenen Anspruch berufenen Zivilgericht festzustellen ist; von der Bindungswirkung des § 118 SGB X ist die Frage nach dem Kausalzusammenhang zwischen der Schädigung und dem geltend gemachten Schaden hingegen nicht umfasst (s. etwa OLG Schleswig, Urteil vom 07.09.2021 – 7 U 34/21, BeckRS 2021, 46425, Rn. 20 m.w.N.). Diese Feststellung ist hier zu treffen, weil nach dem Vorstehenden anzunehmen ist, dass der Versicherte ohne das Unfallereignis vom 17.12.2011 seiner bis dahin ausgeübten Tätigkeit weiter nachgegangen wäre und daher kein Grund zur Inanspruchnahme der Leistungen der Klägerin bestanden hätte. Ebenso wenig ist zu bezweifeln, dass die Leistungen, die die Klägerin zu erbringen hatte, mit dem Anspruch des Versicherten gegen den Beklagten auf Ersatz des Erwerbsschadens sachlich und zeitlich kongruent sind.

c)

Der Anspruch auf Ersatz des Erwerbsschadens ist auch in der geltend gemachten Höhe auf die Klägerin übergegangen. Deren schädigungsbedingte Leistungsplicht betraf nicht lediglich die ALG-I-Leistungen, sondern auch die unstreitig geleisteten Sozialversicherungsbeiträge. Der Versicherte war nämlich wegen des Bezugs des Arbeitslosengeldes gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung, gemäß § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB XI in der sozialen Pflegeversicherung und gemäß § 3 Satz 1 Nr. 3 SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Die Beiträge zu diesen Versicherungen waren daher gemäß § 59 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, § 251 Abs. 4a SGB V, § 170 Abs. 1 Nr. 2 lit. b) SGB VI von der Klägerin zu tragen und gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 SGB XI, § 252 Abs. 1 Satz 1 SGB V, § 173 SGB VI von ihr zu zahlen.

Auch fehlt es insofern nicht an der sachlichen Kongruenz von Schadensersatz- und Beitragsanspruch. Dafür, dass der mit den Beiträgen zur Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung verbundene Schutz seiner Art nach (vgl. etwa BGH, Urteil vom 30.06.2015 – VI ZR 379/14, r+s 2015, 472, Rn. 14) nicht ebenso wie der mit der Hauptleistung verbundene Schutz den Erwerbsschaden umfasst, ist nichts ersichtlich (vgl. BGH, Urteil vom 17.09.2019 – VI ZR 437/18, BeckRS 2019, 28026, Rn. 15).

Schließlich berücksichtigt die Klageforderung, dass der Klägerin die ab dem 01.06.2015 erbrachten Leistungen von der Rentenversicherung erstattet worden sind.

2.

Der als Nebenforderung geltend gemachte Zinsanspruch rechtfertigt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB. Als Zinsbeginn ist dabei auf den 11.03.2022 als Datum der Verteidigungsanzeige abzustellen, weil ein Nachweis über die Zustellung der Klageschrift nicht zur Akte gelangt ist.

3.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 91 Abs. 1 Satz 1, § 708 Nr. 10, §§ 711, 709 Satz 2 ZPO. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.

Der Streitwert für die Berufungsinstanz ist gemäß § 47 Abs. 1 Satz 1, § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 3 ZPO festzusetzen.