Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 10. Senat | Entscheidungsdatum | 24.10.2023 | |
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Aktenzeichen | OVG 10 S 20/23 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2023:1024.OVG10S20.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 27 Abs 1 S 1 Nr 3 BLV, § 58 Abs 1 VwGO, § 58 Abs 2 VwGO, § 126 Abs 2 BBG, § 126 Abs 3 BBG |
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 26. Juni 2023 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag der Antragstellerin auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt die Antragstellerin mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
I.
Die Antragstellerin steht als Oberamtsrätin (Besoldungsgruppe A13g) im Dienst der Antragsgegnerin. Sie wendet sich dagegen, dass die Antragsgegnerin sie im Auswahlverfahren für die Besetzung eines Dienstpostens unberücksichtigt gelassen und stattdessen die Beigeladene ausgewählt hat.
Unter der Referenznummer schrieb die Antragsgegnerin den Dienstposten einer Referentin/ eines Referenten (m/w/d) im Bundesministerium der Verteidigung, Referat nach § 27 der Bundeslaufbahnverordnung aus, wobei sie als zwingendes Qualifikationserfordernis unter anderem anführte, dass die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 der Bundeslaufbahnverordnung erfüllt werden müssen. Auf diesen Dienstposten bewarben sich die Antragstellerin und die Beigeladene. Nachdem die Antragsgegnerin zunächst unter Zugrundelegung einer seitens der Antragstellerin im Widerspruchsverfahren angefochtenen dienstlichen Beurteilung vom 19. August 2021 (Beurteilungszeitraum: 1. Februar 2020 bis 21. Januar 2021) eine Auswahlentscheidung getroffen und die Antragstellerin sich hiergegen im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (VG 5 L 77/22) gewandt hatte, hob die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2022 diese Beurteilung auf. Unter dem 12. April 2022 wurden ebenfalls die getroffene Auswahlentscheidung aufgehoben, das Verfahren wiederholt und das gerichtliche Verfahren nach übereinstimmender Erledigungserklärung eingestellt.
Die erneute dienstliche Beurteilung der Antragstellerin für den Beurteilungszeitraum vom 1. Februar 2020 bis zum 21. Januar 2021 vom 29. Juni 2022, welche auf das Gesamturteil „B – oberer Bereich“ lautet, legte die Antragsgegnerin der wiederholten und hier verfahrensgegenständlichen Auswahlentscheidung vom 13. Juli 2022 zugrunde. Die Antragstellerin erhob unter dem 20. Juli 2022 auch gegen diese Beurteilung Widerspruch, der mit Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2023 zurückgewiesen wurde.
Dem bereits unter dem 9. August 2022 erhobenen und gegen die Auswahlentscheidung gerichteten Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes hat das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 26. Juni 2023 stattgegeben und der Antragsgegnerin im Wege einstweiliger Anordnung untersagt, den ausgeschriebenen Dienstposten mit der Beigeladenen zu besetzen, bevor über die Bewerbung der Antragstellerin erneut entschieden wurde und zwei Wochen seit Mitteilung dieser Entscheidung vergangen sind.
II.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsgegnerin ist begründet. Die fristgerecht dargelegten Gründe, auf die sich die Prüfung des Oberverwaltungsgerichts nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt, rechtfertigen es, den Beschluss des Verwaltungsgerichts zu ändern und den Antrag der Antragstellerin auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zurückzuweisen. Das Beschwerdevorbringen erschüttert die tragende Argumentation des Verwaltungsgerichts, dassdie Auswahl der Antragstellerin bei einer erneuten Auswahlentscheidung möglich erscheine (hierzu unter 1.). Die erstinstanzliche Entscheidung kann insoweit auch nicht aus anderen Gründen Bestand haben (hierzu unter 2.).
1. In beamtenrechtlichen Konkurrentenstreitverfahren ist ein Anordnungsanspruch zu bejahen, wenn sich erstens die vom Dienstherrn getroffene Auswahlentscheidung zulasten des unterlegenen Bewerbers als rechtsfehlerhaft erweist, d.h. das subjektive Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt wird, und wenn zweitens die Aussichten des unterlegenen Beamten, beim zweiten Mal ausgewählt zu werden, offen sind, das heißt wenn seine Auswahl möglich erscheint (BVerfG, Beschluss vom 4. Februar 2016 - 2 BvR 2223/15 -, juris Rn. 83 m.w.N.). Daran kann es fehlen, wenn die gebotene wertende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles klar erkennbar ergibt, dass der Rechtsschutzsuchende auch im Fall einer nach den Maßstäben der Bestenauslese fehlerfrei vorgenommenen Auswahlentscheidung im Verhältnis zu Mitbewerbern chancenlos sein wird (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. September 2018 - OVG 10 S 47.18 -, juris Rn. 17; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17. Oktober 2018 - 1 B 1584/17 -, juris Rn. 11).
Unter Anwendung dieses Maßstabs hat das Verwaltungsgericht zugrunde gelegt, dass die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin die Antragstellerin in ihrem Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG verletze, da die dienstliche Beurteilung vom 29. Juni 2022 rechtswidrig sei, weil es an einer plausiblen Begründung des Gesamturteils im Sinne einer Herleitung aus Einzelmerkmalen fehle. Im Falle einer erneuten Auswahl seien die Erfolgsaussicht der Antragstellerin jedenfalls offen. Es erscheine möglich, dass eine rechtsfehlerfrei erstellte Beurteilung mit dem Gesamturteil „A2“ schließe.
Gegen diese – den Beschluss des Verwaltungsgerichts allein tragenden – Gründe wendet das Beschwerdevorbringen durchgreifend ein, dass im vorliegenden Fall die Beurteilung der Antragstellerin vom 29. Juni 2022 in Bestandskraft erwachsen sei (hierzu unter a.) und unter Berücksichtigung dessen die Auswahl der Antragstellerin bei einer erneuten rechtsfehlerfrei Auswahlentscheidung nicht mehr möglich wäre (hierzu unter b.).
a. Dadurch, dass es die Antragstellerin versäumt hat, gegen den Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2023 rechtzeitig das hierfür vorgesehene Rechtsmittel zu ergreifen, ist im vorliegenden Fall ihre Beurteilung vom 29. Juni 2022 zumindest in dem Umfang, in welchem sie Gegenstand des Widerspruchsbescheides gewesen ist, bestandskräftig geworden.
Zwar ist zugrunde zu legen, dass es sich bei einer dienstlichen Beurteilung – vorbehaltlich etwaiger Sonderregelungen – nicht um einen Verwaltungsakt handelt und somit regelmäßig der Eintritt einer Bestandkraft ausgeschlossen ist (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 17. März 2016 - BVerwG 2 A 4.15 -, juris Rn. 16 m.w.N.). Etwas anderes gilt aber, wenn der Beurteilungsempfänger gegen seine Beurteilung Widerspruch erhoben und somit ein nach § 126 Abs. 2 und 3 BBG notwendiges Vorverfahren durchgeführt hat, da der dieses Verfahren abschließende Widerspruchsbescheid ein Verwaltungsakt ist und mithin in Bestandskraft erwachsen kann. Denn mit Zustellung des Widerspruchsbescheids wird auch die Frist des § 74 Abs. 1 VwGO in Gang gesetzt (so zutreffend OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. März 2023 - 1 B 20/23 -, juris Rn. 28 ff. m.w.N.; vgl. auch für einen Antrag des Beamten auf Beseitigung, Änderung oder Vornahme einer dienstlichen Beurteilung BVerwG, Urteil vom 13. November 1975 - II C 16.72 -, juris Rn. 24).
So liegt es hier: Der Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2023 wurde der Antragstellerin ausweislich des Empfangsbekenntnisses am 13. April 2023 zugestellt. Die Klagefrist nach § 74 Abs. 1 VwGO endete somit mit Ablauf des 15. Mai 2023, einem Montag, vgl. § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO und § 188 Abs. 2, § 193 ZPO, ohne dass die Antragstellerin fristgerecht eine insoweit statthafte Klage erhoben hat. Selbst in ihren im gerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren eingereichten Schriftsätzen vom 24. April 2023 sowie vom 26. Mai 2023 erwähnt sie den ihr bereits zugestellten Widerspruchsbescheid nicht, geschweige denn, das sie insoweit zu erkennen gibt, gerichtlichen Rechtsschutz in Form einer Klage in Anspruch nehmen zu wollen.
Entgegen der Auffassung der Antragstellerin bemisst sich die Klagefrist im vorliegenden Fall nicht nach § 58 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Sie geht fehl in der Annahme, dass die dem Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2023 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung deswegen fehlerhaft sei, weil in dieser nicht über die Form des zu erhebenden Rechtsmittels belehrt worden ist. Vielmehr weist die in Streit stehende Rechtsbehelfsbelehrung alle nach § 58 Abs. 1 VwGO zwingend erforderlichen Angaben auf und ist insoweit weder unvollständig noch unrichtig. Eine Belehrung über die einzuhaltenden Formvorschriften zählt ausweislich des eindeutigen Wortlauts des § 58 Abs. 1 VwGO nicht zum notwendigen Inhalt einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung, so dass deren vollständiges Fehlen nicht die Rechtsfolge des § 58 Abs. 2 VwGO bewirkt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1976 - BVerwG IV C 74.74 -, juris Rn. 18 ff.; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. Dezember 2015 - 13 A 1266/14.A -, juris Rn. 19; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. Oktober 2019 - OVG 4 S 30.19 -, n.v., EA S. 4; Kluckert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage 2018, § 58 Rn. 61; Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Werkstand: 44. EL März 2023, VwGO § 58 Rn. 43).
b. Dies zugrunde gelegt folgt aus einer wertenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalles, dass die Antragstellerin auch im Fall einer nach den Maßstäben der Bestenauslese fehlerfrei vorgenommenen Auswahlentscheidung chancenlos sein wird, worauf das Beschwerdevorbringen auch zutreffend hinweist.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Gegenstand der hier streitgegenständlichen Ausschreibung die Besetzung eines Dienstpostens einer höheren Laufbahngruppe mit leistungsstarken Beamtinnen und Beamten einer niedrigen Laufbahngruppe gemäß § 27 Abs. 1 BLV ist (auch als „dienstpostenbezogene“ Beförderung bezeichnet). Diese Übertragung eines laufbahnfremden Dienstpostens ist konstitutiv vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 Satz 1 BLV abhängig, wobei Nr. 3 dieser Norm vorsieht, dass die Beamtinnen und Beamten in den letzten zwei dienstlichen Beurteilungen mit der höchsten oder zweithöchsten Note ihrer Besoldungsgruppe oder ihrer Funktionsebene beurteilt worden sind.
Daran fehlt es hier. In Folge der eingetretenen Unanfechtbarkeit ihrer dienstlichen Beurteilung vom 29. Juni 2022 bzw. des diese bestätigenden Widerspruchsbescheids vom 1. Februar 2023 entfaltet diese Beurteilung materielle Bestandskraft, so dass zugrunde zu legen ist, dass die Antragstellerin im Rahmen dieser Regebeurteilung für den Zeitraum vom 1. Februar 2020 bis zum 21. Januar 2021 nicht mit der höchsten oder zweithöchsten Note (A1 oder A2, vgl. Nr. 1.5.4.3 der Allgemeinen Regelungen zur dienstlichen Beurteilung des Zivilpersonals des Bundesministeriums der Verteidigung, Stand: Dezember 2020 – Beurteilungsbestimmungen BMVg) beurteilt worden ist. Die materielle Bestandskraft eines Verwaltungsaktes hat zur Folge, dass sowohl der Adressat als auch die verfügende Behörde diese Entscheidung für die eigene Rechtsposition hinzunehmen haben,dass die Erlassbehörde bzw. ihr Rechtsträger von dieser Entscheidung (abgesehen von der Möglichkeit eines Wiederaufgreifens) nicht abweichen darf,und dass dies entsprechend auch für die Gerichte in einem späteren gerichtlichen Verfahren gilt. Dabei bestimmt sich der Umfang der materiellen Bestandskraft eines Verwaltungsakts in sachlicher Hinsicht nach dem Entscheidungsgegenstand (vgl. zu allem OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. März 2023, a.a.O., Rn 36 ff. und 41 ff.). Im vorliegenden Fall wandte sich die Antragstellerin im Rahmen ihres Widerspruchs insbesondere gegen eine besorgte Verschlechterung der Gesamtbeurteilung von zuvor „S – herausragend“ auf „B – Normalleistung“ und rügte sowohl einen Verstoß gegen die einschlägigen Verfahrensvorschriften als auch eine fehlende Plausibilität der Beurteilung. Korrespondierend erachtete die Antragsgegnerin ausweislich des Widerspruchsbescheids vom 1. Februar 2023 insbesondere die Einwendung der Antragstellerin gegen die Gesamtbeurteilung als nicht durchgreifend (vgl. dort S. 5 ff.), so dass der in Bestandskraft erwachsene Entscheidungsgegenstand insbesondere die Bestätigung der Notenstufe „B – oberer Bereich“ umfasst.
Hieraus folgt mit Blick auf eine zukünftige und nach den Maßstäben der Bestenauslese fehlerfrei vorgenommenen Auswahlentscheidung, dass die Antragstellerin die zwingenden Anforderungen des § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BLV nicht erfüllt und mithin chancenlos wäre. Unschädlich ist, dass sie möglicherweise im Rahmen einer Wiederholung der Auswahlentscheidung die Erteilung einer neuen Regelbeurteilung oder einer Anlassbeurteilung (vgl. Nr. 1.5 und Nr. 1.6.2 der Beurteilungsbestimmungen BMVg) verlangen kann, wobei dahinstehen kann, ob die Voraussetzungen einer erneuten Beurteilung in diesem Fall bereits vorliegen würden und ob Anlassbeurteilungen im Rahmen des § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BLV überhaupt herangezogen werden können (kritisch Leppek, in: Lemhöfer/Leppek, Das Laufbahnrecht der Bundesbeamten, Werkstand: 51. EL August 2022, BLV § 27 Rn. 6). Denn selbst wenn dies der Fall sein sollte, wäre die Antragstellerin aufgrund ihrer dann vorletzten Beurteilung vom 29. Juni 2022 nach dem zuvor Ausgeführten aus dem Bewerberkreis ausgeschlossen.
Soweit die Antragstellerin einwendet, die materielle Bestandskraft könne ihr nicht entgegengehalten werden, da die Entscheidung über ihren Widerspruch erst während des bereits rechtshängigen, gegen die Auswahlentscheidung gerichteten und hier verfahrensgegenständlichen Eilrechtsschutzverfahrens ergangen sei und somit keine frühere, sondern eine spätere materiell bestandskräftige Entscheidung vorliege, verfängt dies nicht. Insoweit ist zu berücksichtigten, dass für die Frage, ob im Fall einer Wiederholung der in Streit stehenden Auswahlentscheidung die Auswahl des Rechtsschutzsuchenden möglich erscheint oder aber vollkommen ausgeschlossen ist, auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der zukünftigen neuen Auswahlentscheidung einschließlich des dann aktuellen Beurteilungsbildes abzustellen ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. April 2016 - BVerwG 1 WB 27/15 - juris Rn. 18; Hessischer VGH, Beschluss vom 10. Mai 2022 - 1 B 1122/21 -, juris Rn. 55; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 3. März 2023 - 1 B 726/22 -, juris Rn. 25; OVG Bremen, Beschluss vom 17. November 2022 - 2 B 206/22 -, juris Rn. 17). Dies zugrunde gelegt ist festzustellen, dass im Zeitpunkt der zukünftigen neuen Auswahlentscheidung aufgrund der eingetretenen Bestandskraft ihrer Beurteilung vom 29. Juni 2022 die Antragstellerin die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BLV nicht erfüllt.
Hieran ändert es auch nichts, wenn – wie die Antragstellerin meint – ein Rückgriff auf ihre ältere Beurteilung geboten sei, da die zuletzt zugrunde gelegte Beurteilung vom 29. Juni 2022 aufgrund des zu kurzen Beurteilungszeitraums nicht hinreichend aussagekräftig wäre.
Zum einen besteht die Besonderheit des vorliegenden Falles gerade in der hinsichtlich der Beurteilung vom 29. Juni 2022 eingetretenen materiellen Bestandskraft derselbigen, insbesondere hinsichtlich der dort ausgesprochenen Note. Insoweit liegt die Situation anders als bei einer nicht im Widerspruchsverfahren angegriffenen Beurteilung. Ist bei letztgenannter aufgrund ihrer fehlenden Qualität als Verwaltungsakt sowohl eine inzidente Kontrolle im Rahmen eines Konkurrentenstreitverfahrens als auch das Heranziehen früherer Beurteilungen möglich, so würde dies nach dem Eintritt der materiellen Bestandskraft dazu führen, die insoweit eingetretene Bindungs- und Tatbestandswirkung zu umgehen. Dies widerspräche jedoch dem Wesen der Bestandskraft als Element des im Rechtsstaatsprinzip verankerten Gesichtspunkt der Rechtssicherheit. Die Bestandskraft kann ihre diesbezügliche Funktion nur dann voll erfüllen, wenn sie sowohl die Antragstellerin, die Antragsgegnerin und auch die Gerichte an einer abweichenden Beurteilung dessen hindert, was zwischen den Beteiligten bereits durch bestandskräftigen, nicht selbst den Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung bildenden Exekutivakt feststeht (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. März 2023, a.a.O. Rn. 49 f. m.w.N.). Dem widerspricht eine im Wege wertender Erkenntnis vorzunehmende Änderung der Note durch Heranziehung früherer Beurteilungen.
Zum anderen hat der Dienstherr zwar im Rahmen herkömmlicher Auswahlverfahren den für eine Auswahlentscheidung maßgeblichen Leistungsvergleich der Bewerber anhand aussagekräftiger, also hinreichend differenzierter und auf gleichen Bewertungsmaßstäben beruhender dienstlicher Beurteilungen vorzunehmen, was regelmäßig die aktuellen Beurteilungen sind (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 5. September 2007 - 2 BvR 1855/07 -, juris Rn. 7), wobei auch ältere dienstliche Beurteilungen als Erkenntnisse, die über Eignung, Befähigung und fachliche Leistung des Beurteilten Aufschluss geben, unter Umständen heranzuziehen seien können (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2003 - BVerwG 2 C 16/02 -, juris Rn. 15). Allerdings normiert § 27 BLV als Ausnahme zu den gesetzlichen Vorgaben des § 17 Abs. 3 bis Abs. 5 BBG besondere Anforderungen, die an die Vergabe eines derart ausgeschriebenen Dienstpostens zu stellen sind, und sieht gerade mit Blick auf die heranzuziehenden Beurteilungen unter Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 eine eindeutige Regelung vor. So ist nicht nur die aktuellste, sondern es sind zwingend zwei Beurteilungen des betroffenen Bewerbers zugrunde zu legen, die jeweils mit der höchsten oder zweithöchsten Note abschließen müssen. Der insoweit eindeutige Wortlaut dieser Regelung schließt es aus, die Benotung aus einer aktuellen Beurteilung unter Zugrundelegung der Benotung einer vorangegangenen Beurteilung im Wege wertender Erkenntnis anzupassen. Eine solche Vorgehensweise widerspräche auch dem Sinn und Zweck des § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BLV. Aus den dort normierten Anforderungen tritt der Wille des Verordnungsgebers deutlich zu Tage, dass nicht nur die besondere, sondern auch die kontinuierliche Leistungsstärke des Bewerbers nachzuweisen ist. Diese Regelung korrespondiert mit der Festlegung, dass Beamtinnen und Beamte regelmäßig, mindestens jedoch alle drei Jahre, zu beurteilen sind, sowie mit der allein ausnahmsweisen Zulässigkeit von Anlassbeurteilungen, § 21 Abs. 1 Satz 1 BBG (in der Fassung der Änderung durch das Gesetz zur Regelung des Erscheinungsbilds von Beamtinnen und Beamten sowie zur Änderung weiterer dienstrechtlicher Vorschriften vom 28. Juni 2021, BGBl. I., Nr. 39, S. 2250) sowie zuvor § 48 Abs. 1 Satz 1 BLV a.F. (in der Fassung der Bekanntmachung der Bundeslaufbahnverordnung vom 12. Februar 2009, BGBl. I, Nr. 8, S. 284, 294), wobei allerdings bezweifelt werden kann, ob die entsprechenden Vorgaben in der Praxis umgesetzt werden (hierzu Lorse, VR 2022, 109, 113). Diesem Sinn und Zweck liefe es aber zuwider, die nicht ausreichende Benotung aus einer hinreichend aktuellen (und bestandskräftige) Regelbeurteilung durch Heranziehung einer vorherigen Beurteilung anzupassen. Gerade hierdurch wird nicht das gesetzlich zugrunde gelegte Erfordernis der noch bestehenden Leistungskontinuität nachgewiesen, sondern vielmehr die Relevanz einer in der Vergangenheit liegenden besseren Leistung oder Leistungsspitze überbetont. Dies wollte der Verordnungsgeber dadurch vermeiden, dass er gesetzlich das Vorliegen von zwei die besondere Leistung belegenden Beurteilungen vorgesehen hat.
Vor diesem Hintergrund kann es dahinstehen, ob im Rahmen des § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BLV überhaupt die Heranziehung von weit vor der eigentlichen Auswahlentscheidung liegenden Beurteilungen – im Falle der Antragstellerin für den Zeitraum vom 1. Dezember 2011 bis zum 30. September 2013 oder vom 1. Oktober 2013 bis zum 4. Dezember 2016 sowie im Falle der Beigeladenen für den Zeitraum von 16. Februar 2012 bis zum 31. Januar 2015 – zulässig ist, worauf das Verwaltungsgericht – wenn auch nicht entscheidungstragend – hingewiesen hat.
2. Dies zugrunde gelegt kann die erstinstanzliche Entscheidung auch nicht aus anderen Gründen Bestand haben.
Soweit sich im erstinstanzlichen Verfahren die Antragstellerin hinsichtlich ihrer Beurteilung gegen die Einbeziehung und Kenntnisse des an ihrer Beurteilung mitwirkenden Berichterstatters wendet, die Bildung der Vergleichsgruppen im Rahmen der Erstellung ihrer dienstlichen Beurteilung beanstandet, eine Rechtwidrigkeit der Auswahlentscheidung aufgrund der kurzen übereinstimmenden Zeiträume der zugrunde liegenden Beurteilungen besorgt, den ihrer Beurteilung zugrunde gelegten Zeitraum beanstandet, anführt, dass relevante Tätigkeiten in ihrer Beurteilung nicht benannt worden seien und Einwände gegen das Beurteilungssystem der Bundeswehr selbst oder die konkreten Abläufe im Rahmen der Erstellung einer Beurteilung erhebt, verhilft dies ihrem Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes nicht zum Erfolg. Gleiches gilt auch mit Blick auf die Frage, ob bei der Erstellung ihrer Beurteilung ein Beurteilungsbeitrag des Regierungsdirektors einzuholen gewesen wäre und ob die Art und Weise, wie das Gesamturteil aus den Einzelmerkmalen nach den Vorgaben der Beurteilungsbestimmungen des Bundesministeriums der Verteidigung gebildet wird, rechtlich problematisch wäre. Auch der Vortrag der Antragstellerin, es habe kein faires Auswahlverfahren stattgefunden, da alles auf die Beigeladene zugeschnitten worden sei, die frühere Regelbeurteilung der Beigeladenen fehlerhaft und ihre letzte Beurteilung zu gut ausgefallen sei, die Beigeladene durch die Ausübung eines für sie geschaffenen höherdotierten Dienstpostens sachfremd bevorzugt worden sei und sie im Rahmen des Auswahlverfahrens einen von ihr selbst bearbeiteten Fall als Prüfungsaufgabe bekommen habe, ändert an der Erfolglosigkeit ihres Eilrechtsschutzbegehrens nichts. Denn die Frage, ob die Auswahlentscheidung an sich an durchgreifenden Rechtsfehlern leidet, ist von der für das Bestehen eines Anordnungsanspruches ebenfalls notwendigen Feststellung, dass bei rechtsfehlerfreier Entscheidung eine Auswahl der Rechtsschutzsuchenden für den konkret in Frage stehenden Dienstposten auch möglich erscheint, unabhängig. Diese weitere Voraussetzung liegt jedoch nicht vor. Die genannten Einwände ändern nichts daran, dass die Antragstellerin nach dem zuvor Ausgeführten aufgrund der eingetretenen materiellen Bestandskraft ihrer Gesamtbeurteilung mit der Note „B – oberer Bereich“ in der Beurteilung vom 29. Juni 2022 im Falle einer zukünftigen Auswahlentscheidung für denselben Dienstposten nicht die Voraussetzung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BLV erfüllen würde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene, die keinen eigenen Antrag gestellt und sich somit keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, vgl. § 154 Abs. 3 VwGO, ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG, wobei im Falle der begehrten Untersagung einer Stellenbesetzung zur Sicherung eines Bewerbungsverfahrensanspruchs der volle Auffangwert zugrunde zu legen ist (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 12. September 2013 - OVG 4 L 23.13 -, juris Rn. 3 ff,, Beschluss vom 5. Juli 2023 - OVG 10 S 14/23 -, juris Rn. 31).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG)