Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 24.10.2023 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 B 8/23 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2023:1024.OVG3B8.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 60 Abs 1 VwGO, § 124a Abs 6 S 1 VwGO, § 125 Abs 2 S 2 VwGO, § 85 Abs 2 ZPO, § 173 Abs 3 S 1 ZPO, § 23 RAVPV, § 26 RAVPV |
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 23. Juli 2021 wird unter Ablehnung des Antrags auf Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Berufung verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 3.261,10 Euro festgesetzt.
I.
Der Kläger wendet sich gegen die Kürzung von Zuwendungen nach der Richtlinie des Ministeriums für ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft des Landes Brandenburg zur Förderung umweltgerechter landwirtschaftlicher Produktionsverfahren und zur Erhaltung der Kulturlandschaft der Länder Brandenburg und Berlin (KULAP 2014) für den Verpflichtungszeitraum 2015.
Das Verwaltungsgericht hat die am 16. Dezember 2016 erhobene Klage mit Urteil vom 23. Juli 2021 abgewiesen.
Mit Beschluss vom 6. April 2023 – OVG 3 N 153/21 – hat der Senat auf den Antrag des Klägers die Berufung zugelassen. Der Zulassungsbeschluss wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 12. April 2023 gegen elektronisches Empfangsbekenntnis zugestellt. Das Empfangsbekenntnis nennt den 17. April 2023 als Empfangsdatum. Nach dem hierzu erstellten Prüfvermerk wurde es am 19. April 2023 auf gesichertem Übermittlungsweg aus dem elektronischen Anwaltspostfach des Prozessbevollmächtigten des Klägers übersandt. Mit dem Kläger am 6. Juni 2023 zugestelltem Schreiben vom 25. Mai 2023 wies das Gericht auf die Versäumung der Begründungsfrist des § 124a Abs. 6 VwGO hin.
Der Kläger hat die Berufung am 6. Juli 2023 begründet. Zugleich beantragt er,
ihm Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Begründung der Berufung zu gewähren.
Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags trägt er im Wesentlichen vor, der Zulassungsbeschluss sei seinem Prozessbevollmächtigten erst am 6. Juni 2023 infolge des gerichtlichen Hinweises zur Kenntnis gelangt. Die mit der Bearbeitung des Posteingangs betraute Mitarbeiterin seines Prozessbevollmächtigten habe am 17. April 2023 das elektronische Empfangsbekenntnis abgegeben, ohne dem Prozessbevollmächtigten den Zulassungsbeschluss vorzulegen. Zwar habe er ihr die schriftliche und mündliche Anweisung erteilt, ihm Posteingänge taggleich vorzulegen und Empfangsbekenntnisse nur nach seiner Kenntnisnahme sowie mit seiner Zustimmung abzugeben. Sie habe den Vorgang aber ausnahmsweise nicht für vorlagepflichtig gehalten, weil sie nur die Mitteilung des neuen Aktenzeichens zur Kenntnis genommen, jedoch nicht bemerkt habe, dass der Zulassungsbeschluss mit übersandt worden sei.
Der Kläger beantragt in der Sache,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 23. Juli 2021 abzuändern und die Beklagte zu verpflichten, ihm unter Aufhebung des Teilwiderrufsbescheides vom 28. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. November 2016 für den Verpflichtungszeitraum 1. Januar 2015 bis 31. Dezember 2015 die Förderung gemäß seinem Antrag vom 7. Mai 2015 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Berufung des Klägers zu verwerfen,
hilfsweise, den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen und die Berufung des Klägers zu verwerfen,
hilfsweise, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Sie macht geltend, die Berufung sei unzulässig, da sie nicht fristgerecht begründet worden sei. Die Wiedereinsetzung sei nicht fristgemäß beantragt worden, weil davon ausgegangen werden müsse, dass das gerichtliche Hinweisschreiben vom 25. Mai 2023 dem Prozessbevollmächtigten des Klägers bereits am 30. Mai 2023 zugegangen sei. Der Wiedereinsetzungsantrag sei jedenfalls unbegründet.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Streitakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.
II.
Die Entscheidung ergeht durch Beschluss nach § 125 Abs. 2 Satz 2 VwGO. Die Beteiligten sind hierzu angehört worden.
Die Berufung ist als unzulässig zu verwerfen, weil sie nicht innerhalb der gesetzlichen Frist begründet worden ist und die beantragte Wiedereinsetzung nicht gewährt werden kann.
Nach § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO ist die Berufung im Fall der Zulassung durch das Oberverwaltungsgericht (§ 124a Abs. 5 VwGO) innerhalb eines Monats nach Zustellung des Zulassungsbeschlusses zu begründen. Nach dem elektronischen Empfangsbekenntnis des Prozessbevollmächtigten des Klägers ist ihm der Zulassungsbeschluss vom 6. April 2023 – OVG 3 N 153/21 – am 17. April 2023 zugestellt worden. Danach endete die Begründungsfrist mit dem 17. Mai 2023 (vgl. § 57 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 188 Abs. 2 BGB). Die Berufungsbegründung ist jedoch erst am 6. Juli 2023 eingegangen.
Wie das herkömmliche papiergebundene Empfangsbekenntnis erbringt das von einem Rechtsanwalt elektronisch abgegebene Empfangsbekenntnis gegenüber dem Gericht den vollen Beweis für die Entgegennahme des Dokuments als zugestellt und für den Zeitpunkt dieser Entgegennahme. Dies ergibt sich aus der gesetzlichen Beweisregelung in § 173 Abs. 3 Satz 1 ZPO i. V. m. § 56 Abs. 2 VwGO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. September 2022 – 9 B 2/22 – juris Rn. 12 und LS 1; BSG, Urteil vom 14. Juli 2022 – B 3 KR 2/21 – juris Rn. 10).
Wer diese Urkunde nicht gegen sich gelten lassen will, muss – und kann – sie entkräften. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit wird allerdings nicht schon dadurch geführt, dass die Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs dargetan wird. Erforderlich ist, dass die Richtigkeit der Angaben im Empfangsbekenntnis nicht nur erschüttert, sondern die Möglichkeit, die Angaben könnten richtig sein, ausgeschlossen ist. Die Beweiswirkung der öffentlichen Urkunde muss vollständig entkräftet werden (vgl. m.w.N. BSG, Urteil vom 14. Juli 2022 – B 3 KR 2/21 – juris Rn. 10 und 16; BVerwG, Beschluss vom 14. Mai 2020 – 2 B 14/19 – juris Rn. 14).
Davon kann ohne Hinzutreten weiterer Umstände nicht allein dann ausgegangen werden, wenn – wie hier – vorgetragen wird, das über den sicheren Übermittlungsweg eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs versandte elektronische Empfangsbekenntnis sei von einer Büroangestellten des Postfachinhabers unautorisiert übermittelt worden. Im Hinblick auf den Schutz des Rechtsverkehrs und die gebotene Verlässlichkeit der auf diesem Weg abgegebenen elektronischen Empfangsbekenntnisse ist der Gegenbeweis vielmehr erst erbracht, wenn nach den Umständen kein Zweifel daran bestehen kann, dass der Postfachinhaber keine Verantwortung für die unberechtigte Nutzung seines Postfachs zu tragen hat (vgl. hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 14. Juli 2022 – B 3 KR 2/21 – juris Rn. 11 ff.).
Das besondere Vertrauen in die Authentizität der von Rechtsanwälten über ihr besonderes elektronisches Anwaltspostfach an die Gerichte übermittelten elektronischen Dokumente, die nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen sind, stützt sich nach der gesetzlichen Konzeption maßgeblich auf die Erwartung, dass dieser Übermittlungsweg von den Inhabern des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs ausschließlich selbst genutzt wird und demzufolge die das Dokument (nur einfach) signierende und damit verantwortende Person mit der des tatsächlichen Versenders übereinstimmt (s.a. BVerwG, Beschluss vom 12. Oktober 2021 – 8 C 4/21 – juris Rn. 4 f.).
Rechtlich ist zur Absicherung dessen ausdrücklich bestimmt, dass die Postfachinhaber das für den Zugang zu ihrem besonderen elektronischen Anwaltspostfach erzeugte Zertifikat keiner weiteren Person überlassen dürfen und die dem Zertifikat zugehörige Zertifikats-PIN geheim zu halten haben (§ 26 Abs. 1 RAVPV). Dem korrespondierend darf anderen Personen Zugang zu einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach nur gewährt werden über deren (schon vorhandenes) eigenes besonderes elektronisches Anwaltspostfach oder ein vom Postfachinhaber gesondert anzulegendes Zugangskonto (§ 23 Abs. 2 Satz 2 RAVPV), jeweils unter Verwendung des der anderen Person zugeordneten (eigenen) Zertifikats und der zugehörigen Zertifikats-PIN (§ 23 Abs. 2 Satz 3 RAVPV). Zwar kann der Postfachinhaber anderen Personen die Befugnis einräumen, Nachrichten zu versenden. Das Recht, nicht-qualifiziert elektronisch signierte Dokumente auf einem sicheren Übermittlungsweg zu versenden, kann er jedoch nicht auf andere Personen übertragen (§ 23 Abs. 3 Sätze 4 und 5 RAVPV). Lediglich für Vertretungen und Zustellungsbevollmächtigte gilt hiervon eine Ausnahme (vgl. § 23 Abs. 3 Satz 6 RAVPV, s.a. § 31a Abs. 3 Satz 2 BRAO).
Entsprechend ermöglicht technisch der Webclient des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs die Abgabe eines elektronischen Empfangsbekenntnisses ohne qualifizierte elektronische Signatur nur dem, der sich als Inhaber des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs angemeldet hat, an das die Aufforderung zur Abgabe des (elektronischen) Empfangsbekenntnisses gerichtet war. Ebenso ist technisch nachvollziehbar und vom empfangenden Gericht zu prüfen, ob das elektronische Dokument von der verantwortenden Person selbst aus ihrem besonderen elektronischen Anwaltspostfach versandt oder ob der Versand aus einem anderen Postfach vorgenommen worden ist. Dokumentiert wird dies über den Vertrauenswürdigen Herkunftsnachweis (VHN), der bei der Versendung eines elektronischen Dokuments aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach angebracht wird, wenn dessen Inhaber zur Übermittlung des Dokuments mit seiner persönlichen Kennung bei dem Verzeichnisdienst angemeldet war. Im Transfervermerk erscheint dann der Eintrag „Sicherer Übermittlungsweg aus einem besonderen elektronischen Anwaltspostfach“ (vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Oktober 2021 – 8 C 4/21 – juris Rn. 7). Wird auf das zugestellte Dokument aus einem Zugangskonto i.S.d. § 23 Abs. 2 S. 2 RAVPV zugegriffen, das ein Anwalt für seine Mitarbeiter anlegen kann, ist im Webclient die Schaltfläche für die Rücksendung ausgegraut, bis das elektronische Empfangsbekenntnis qualifiziert elektronisch signiert wurde (vgl. Biallaß, ZAP 2023, 559, 567).
Setzt sich ein Inhaber eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs über die Verpflichtung zur ausschließlich eigenen – höchstpersönlichen – Nutzung durch Überlassung des nur für seinen Zugang erzeugten Zertifikats und der dazugehörigen Zertifikats-PIN an Dritte oder auf andere Weise bewusst hinweg, muss er sich in diesem Regelungszusammenhang das von einem Dritten abgegebene elektronische Empfangsbekenntnis auch dann wie ein eigenes zurechnen lassen, wenn die Abgabe ohne seine Kenntnis erfolgt ist. Bis zur Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs waren die beteiligten Rechtsanwälte wie der Rechtsverkehr geschützt durch das Schriftformerfordernis und die daraus abgeleiteten Anforderungen an die höchstpersönliche und eigenhändige Unterschriftsleistung. Im elektronischen Rechtsverkehr ist dies abgelöst durch die Sicherungen entweder der qualifizierten elektronischen Signatur oder – wie hier – der vom Gesetzgeber im Interesse einer gesteigerten Akzeptanz der elektronischen Kommunikation begründeten Möglichkeit der Übermittlung von Dokumenten aus besonderen elektronischen Anwaltspostfächern. Im Interesse des Rechtsverkehrs an der strikten Verlässlichkeit der mit einem elektronischen Empfangsbekenntnis abgegebenen Erklärung kann sich ein Postfachinhaber deshalb nicht auf die Unbeachtlichkeit von Erklärungen berufen, die er unter Verstoß gegen die Sicherheitsanforderungen des elektronischen Rechtsverkehrs selbst ermöglicht hat. Verhält es sich so, hat er sich eine von Dritten abgegebene Erklärung vielmehr so zurechnen lassen, als habe er sie selbst abgegeben und im Vorhinein – durch die nicht vorgesehene Eröffnung der Nutzungsmöglichkeit für den Dritten – autorisiert (vgl. BSG, Urteil vom 14. Juli 2022 – B 3 KR 2/21 – juris Rn. 15).
Ausgehend von diesen Maßstäben vermag der Senat keinen anderen Sachverhalt festzustellen, der eine Verantwortung des Prozessbevollmächtigten des Klägers für eine unberechtigte Nutzung seines Postfachs ausschließt und damit die für die Richtigkeit des in dem Empfangsbekenntnis angegebenen Datums streitende Beweiswirkung – vollständig – entkräftet. Dass das elektronische Empfangsbekenntnis nach dem Prüfvermerk vom 19. April 2023 auf einem sicheren Übermittlungsweg aus dem besonderen Anwaltspostfach des Prozessbevollmächtigten des Klägers abgegeben wurde, spricht dafür, dass dessen Kanzleimitarbeiterin, wenn sie – wie vorgetragen wird – das Empfangsbekenntnis abgegeben hat, mit den Zugangsdaten des Postfachinhabers angemeldet war. Wie es dazu gekommen ist, inwiefern sie sich den Zugang eigenmächtig verschafft haben könnte oder ob sein Prozessbevollmächtigter ihr die Möglichkeit selbst eingeräumt hat, erläutert der Kläger nicht. Nähere Angaben hierzu wären angesichts der dargelegten Rechtslage aber geboten gewesen, zumal die maßgeblichen Umstände allein in der Sphäre seines Prozessbevollmächtigten liegen. Ebenso wenig wird erläutert, warum dieser nicht zum Ausschluss einer unautorisierten Abgabe angeordnet hat, Empfangsbekenntnisse nur mit seiner qualifizierten Signatur abzugeben, was es ermöglicht hätte, den Vorgang der Versendung an Kanzleimitarbeiter zu delegieren.
3. Gründe für eine Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Berufung bestehen hiernach ebenfalls nicht. Dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers, dessen Verschulden ihm zuzurechnen ist (§ 85 Abs. 2 ZPO), die Frist ohne sein Verschulden versäumt hat (vgl. § 60 Abs. 1 VwGO), wird mit dem Vorbringen, seine Mitarbeiterin habe das Empfangsbekenntnis unautorisiert abgegeben, aus den genannten Gründen nicht erfolgreich dargelegt, denn danach ist nicht ausgeschlossen, dass er ihr entgegen § 26 RAVPV seine Zugangsdaten überlassen hat. In diesem Fall muss er sich vielmehr, wie ausgeführt, die in dem elektronischen Empfangsbekenntnis enthaltene Erklärung zurechnen lassen (vgl. BSG, Urteil vom 14. Juli 2022 – B 3 KR 2/21 – juris Rn. 15).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, weil keiner der in § 132 Abs. 2 VwGO genannten Gründe vorliegt.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 GKG.