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Entscheidung 6 L 176/23


Metadaten

Gericht VG Frankfurt (Oder) 6. Kammer Entscheidungsdatum 19.10.2023
Aktenzeichen 6 L 176/23 ECLI ECLI:DE:VGFRANK:2023:1019.6L176.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 € festgesetzt.

Gründe

Die sinngemäß gestellten Anträge nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO,

1. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 9. März 2023 gegen die Ziffern 1 bis 3 der Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 9. Februar 2023 (Aktenzeichen:  3...wiederherzustellen und

2. den Antragsgegner zu verpflichten, den Führerschein mit der Dokumenten-Nr. D...an den Antragsteller herauszugeben,

sind unbegründet.

Denn die Anordnung der sofortigen Vollziehung wurde einzelfallbezogen und damit in einer den Anforderungen des § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO genügenden Weise begründet und auf Grund der summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass das öffentliche Interesse an der sofortigen Befolgung der streitbefangenen Regelungen (Entziehung der Fahrerlaubnis und Feststellung ihrer Ungültigkeit sowie die Aufforderung zur Ablieferung bzw. Übersendung des Führerscheines des Antragstellers) das Interesse des Antragstellers überwiegt, diese Regelungen vorerst nicht befolgen zu müssen. Der Widerspruch des Antragstellers wird voraussichtlich keinen Erfolg haben; das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung würde aber auch bei offenen Erfolgsaussichten überwiegen.

Auf Grund der summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage ist mit einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass sich der Antragsteller im Sinne der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erwiesen hat und ihm infolgedessen zu Recht die Fahrerlaubnis auf der Grundlage des § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) in Verbindung mit § 46 Abs. 1 FeV entzogen und deren Ungültigkeit festgestellt worden ist.

Nach den beiden vorgenannten Vorschriften ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich deren Inhaber als ungeeignet erweist, Kraftfahrzeuge zu führen. Dies ist nach
§ 11 Abs. 2 Satz 1 FeV in Verbindung mit § 46 Abs. 3 FeV insbesondere dann der Fall, wenn unter anderem ein Mangel nach der Anlage 4 der FeV vorliegt, wodurch die Eignung ausgeschlossen wird. Nach der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV ist bei der gelegentlichen Einnahme von Cannabis die Fahreignung nur anzunehmen, wenn zwischen dem Konsum von Cannabis und Fahren getrennt wird und kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol vorliegt.

Ein gelegentlicher Cannabiskonsum im Sinne der Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV liegt vor, wenn mindestens zweimal Cannabis in voneinander unabhängigen Konsumakten eingenommen wurde, die einen gewissen auch zeitlichen Zusammenhang aufweisen (vgl. Bundesverwaltungsgericht [BVerwG], Urteil vom 11. April 2019 - 3 C 9/18 - juris, Rdnr. 23 m.w.Nw.; Oberverwaltungsgericht [OVG] Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Juni 2016 - OVG 1 B 37.14 - juris, Rdnr. 15). Von einer gelegentlichen Einnahme von Cannabis ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg unter anderem auch dann auszugehen, wenn eine Verkehrsteilnahme unter dem Einfluss von Cannabis stattfindet, deretwegen auf eine mehr als einmalige, gleichsam „experimentelle“ Cannabisaufnahme geschlossen werden kann, wenn der auffällig gewordene Fahrerlaubnisinhaber einen solchen Vorgang zwar geltend macht, aber die Umstände des behaupteten Erstkonsums nicht konkret und glaubhaft darlegt; denn es erscheint ausgesprochen unwahrscheinlich, dass ein mit den Wirkungen der Droge noch völlig unerfahrener Erstkonsument zum einen bereits relativ kurze Zeit nach dem Konsum wieder ein Kraftfahrzeug führt und er zum anderen dann auch noch trotz der geringen Dichte der polizeilichen Verkehrsüberwachung in eine Verkehrskontrolle gerät; dies wiederum berechtigt zu der Erwartung, dass er sich ausdrücklich auf einen - für ihn günstigen - Erstkonsum beruft und sich zu den Einzelheiten der fraglichen Drogeneinnahme umfassend und glaubhaft erklärt; tut er dies wider Erwarten nicht, so erscheint es zulässig, hieraus die für ihn nachteilige Schlüsse zu ziehen (vgl. hierzu die Beschlüsse des vorgenannten Oberverwaltungsgerichts vom 7. April 2014 - OVG 1 S 275.13 -, vom 11. Februar 2016 - OVG 1 S 11.16 -, vom 20. Januar 2017 - OVG 1 S 3.17 - und vom 9. August 2018 - OVG 1 S 50.18 -). Ein Konsument von Cannabis trennt den Konsum und das Führen eines Kraftfahrzeuges nicht, wenn im Blutserum des Betroffenen eine Konzentration von mindestens 1 ng/ml Tetrahydrocannabinol (THC) festgestellt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 - 3 C 14/17 - NJW 2019, 3395, [3398 f.], Rdnrn. 25 bis 32).

Für die Annahme eines Mischkonsums von Cannabis und Alkohol im Sinne der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist eine wirkungsbezogene Betrachtungsweise maßgebend; danach liegt ein fahreignungsrelevanter Mischkonsum vor, wenn der Konsum von Cannabis und Alkohol in zeitlicher und mengenmäßiger Hinsicht zu einer kombinierten bzw. kumulierten Rauschwirkung führen kann (BVerwG, Urteil vom 14. November 2013 - 3 C 32/12 - NJW 2014, 1318, [1320/1321], Rdnrn. 21, 26, 27). Hingegen ist in zeitlicher Hinsicht eine kombinierte Rauschwirkung nicht anzunehmen, wenn auf Grund der zeitlichen Streuung der Konsumakte von Cannabis und Alkohol nicht mehr von einem einheitlichen Lebensvorgang ausgegangen werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2013 - 3 C 32/12 - a.a.O., Rdnr. 26). Aus dem mengenmäßigen Blickwinkel ist eine kombinierte Rauschwirkung ausgeschlossen, wenn der Fahrerlaubnisinhaber die betreffenden Substanzen in derart geringen Mengen konsumiert hat, dass eine beachtliche kombinierte Rauschwirkung nicht eintreten kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2013 - 3 C 32/12 - a.a.O., Rdnr. 27). Soweit die Prozessbevollmächtigte des Antragstellers unter Bezugnahme auf die Ausführungen unter der Randnummer 28 des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. November 2013 - 3 C 32/12 - vorträgt, „[mengenmäßig] liegen die Schwellenwerte für eine fahrerlaubnisrelevante cannabisbedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit bei einer THC-Konzentration von 1 ng/ml und für eine alkoholbedingt verminderte Fahrtüchtigkeit bei einer BAK von 0,3 bis 0,4 Promille“ (vgl. Seite 2 ihres Schriftsatzes vom 28. Juli 2023), übersieht sie, dass das Bundesverwaltungsgericht in dieser Urteilspassage lediglich die Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichts zitiert hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2013 - 3 C 32/12 - a.a.O., Rdnr. 28: „Nach der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofes … liegen die Schwellen für …“) und den konkreten Sachverhalt lediglich an diesen Maßstäben gemessen hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2013 - 3 C 32/12 - a.a.O., Rdnr. 28 mit Unterstreichungen durch das erkennende Gericht: „Selbst wenn man diesen Schwellenwert für THC in Zweifel zöge …, lägen diese Schwellen dennoch so niedrig, dass die Behördenicht ernstlich davon ausgehen musste, dass die Kombination beider Stoffe in jedem der eingestandenen Fälle keine fahrerlaubnisrelevante kombinierte Rauschwirkung hätte herbeiführen können, … . Dies gilt umso mehr, als der Kläger …“). Demnach hat das Bundesverwaltungsgericht in diesem Urteil keinen allgemeinen Rechtssatz aufgestellt, dass bei einem Unterschreiten der jeweiligen Schwellenwerte (1,0 ng/ml bei Cannabis und 0,3 bis 0,4 Promille bei Alkohol) eine nach der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 FeV fahreignungsrelevante kombinierte Rauschwirkung ausgeschlossen ist. Hiergegen sprechen auch die weiteren Ausführungen in diesem Urteil, es könne „nicht ausgeschlossen werden …, dass bei der Aufnahme beider Substanzen die Werte, die jeweils unter diesen Schwellen liegen, in ihrer Summation Einfluss auf die Fahreignung haben könnten“ (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2013 - 3 C 32/12 - a.a.O., Rdnr. 28). Vielmehr ist eine fahreignungsrelevante kombinierte Rauschwirkung nicht schon dann ausgeschlossen, wenn die jeweiligen Schwellen für eine cannabisbedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit von 1 ng/ml oder für eine alkoholbedingt verminderte Fahrtüchtigkeit von 0,3 bis 0,4 Promille nicht erreicht werden, weil die additive, möglicherweise sogar synergistische Wirkung des Mischkonsums und die damit einhergehende stärkere Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit regelmäßig zu höheren Unfallrisiken führt (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2013 - 3 C 32/12 - a.a.O., Rdnr. 21). Sofern der Schwellenwert für eine alkoholbedingte Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit nicht erreicht wird, ist wegen der von einem Mischkonsum ausgehenden besonderen Gefahren bei der Beurteilung der Frage, ob der Eintritt einer kombinierten Rauschwirkung ausgeschlossen werden kann, eine Gesamtschau der Werte vorzunehmen und zu berücksichtigen, in welchem Umfang der für eine cannabisbedingte Fahruntüchtigkeit liegende Schwellenwert einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml überschritten worden ist (vgl. Verwaltungsgericht [VG] Karlsruhe, Beschluss vom 16. Dezember 2019 - 2 K 4144/19 - juris, Rdnr. 36). Wird dieser Wert um ein Vielfaches überschritten, sind im Rahmen dieser Gesamtschau auch Umstände zu berücksichtigen, die einen Alkoholkonsum belegen und auf alkoholbedingte Ausfallerscheinungen hindeuten.

Für die Einschätzung dessen, ob in zeitlicher und mengenmäßiger Hinsicht eine kombinierte Rauschwirkung vorliegt, müssen nicht zwingend Blutwerte der Alkohol- und der THC-Konzentration bekannt sein (vgl. BVerwG, Urteil vom 14. November 2013 - 3 C 32/12 - a.a.O., Rdnrn. 23 und 28, das unter Zugrundelegung einer lebensnahen Betrachtung die Angaben des Betroffenen gegenüber einer fachärztlichen Gutachterin zur Kombination illegaler Drogen mit Alkohol auf Partys als ausreichend erachtet; vgl. ferner: VG München, Beschluss vom 5. März 2020 - M 6 S 20.372 - juris, Rdnrn. 2 und 30). Allerdings muss zumindest annäherungsweise bekannt sein, wann und in welchen Mengen der Betroffene Cannabis und Alkohol konsumiert hat; dabei muss sich der Betroffene grundsätzlich an seinen Angaben bei einer Verkehrskontrolle oder gegenüber Ärzten im Zusammenhang mit einer Blutentnahme festhalten lassen (vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof [BayVGH], Beschluss vom 16. April 2020 - 11 CS 20.550 - zitiert nach juris, Rdnrn. 15 und 16). Unzureichend sind hingegen die Angaben des Betroffenen, wenn auf Grund dessen eine nähere Eingrenzung des Konsumzeitpunktes bzw. -zeitraumes und der Alkoholmenge nicht möglich ist (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen [OVG NW], Beschluss vom 14. November 2019 - 16 B 638/19 - juris, Rdnrn. 7 und 10).

Auch ein nicht im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr stehender Mischkonsum rechtfertigt jedenfalls dann die Annahme einer mangelnden Fahreignung, wenn der Mischkonsum die Aufgabe der Trennungsbereitschaft möglich erscheinen lässt und eine Teilnahme am Straßenverkehr unter Wirkung der Rauschmittel hinreichend wahrscheinlich ist (BVerwG, Urteil vom 14. November 2013 - 3 C 32/12 - a.a.O., Rdnr.16). Erst Recht gilt dies, wenn eine kombinierte Rauschwirkung im Zusammenhang mit der Verkehrsteilnahme vorliegt (vgl. BayVGH, Beschluss vom 2. Mai 2023 - 11 CS 23.78 - juris, Rdnrn. 18 und 20; VG München, Beschluss vom 5. März 2020 - M 6 S 20.732 - juris, Rdnrn. 2 und 30).

Steht die Nichteignung des Betroffenen fest, so unterbleibt nach § 11 Abs. 7 FeV in Verbindung mit § 46 Abs. 3 FeV die Beibringung eines Gutachtens.

Die Annahme der fehlenden Fahreignung und der unmittelbare Entzug der Fahrerlaubnis sind bereits gerechtfertigt bei einer einmaligen Teilnahme am Straßenverkehr mit einer festgestellten Wirkungskumulation von Cannabis und Alkohol, ohne dass es nach § 46 Abs. 3 FeV in Verbindung mit § 13 Abs. 1 Satz 3 FeV einer vorherigen Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens bedarf (vgl. VG Regensburg, Beschluss vom 23. Juli 2021 - RO 8 S 21.1171 - juris, Rdnr. 27 mit umfangreichen Nachweisen der Rechtsprechung und des Streitstandes; vgl. zur Gegenansicht: OVG NW, Beschluss vom 14. November 2019 - 16 B 638/19 - a.a.O., Rdnrn. 11 bis 15; vgl. ferner zum Offenlassen dieser Rechtsfrage: BayVGH, Beschluss vom 1. Oktober 2021 - 11 CS 21.2129 - juris, Rdnrn. 14 und 15 mit weiteren Nachweisen seiner Rechtsprechung). Die zu der Fallkonstellation der erstmaligen Verkehrsteilnahme unter dem alleinigen Einfluss von Cannabis entwickelten höchstrichterlichen Maßstäbe, wonach in diesen Fällen eine fehlende Fahreignung in der Regel nicht ohne weitere Aufklärung angenommen werden kann (vgl. zu diesen Maßstäben: BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 - 3 C 13/17 - juris), sind hingegen nicht übertragbar auf den Fall einer Verkehrsteilnahme unter dem kumulierten Einfluss von Cannabis und Alkohol (vgl. VG Regensburg, Beschluss vom 23. Juli 2021 - RO 8 S 21.1171 - a.a.O., Rdnr. 27). Denn ausschlaggebend für die in der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV vorgezeichnete Gefahreneinschätzung ist nicht nur die Gefahr der fehlenden Trennung von Konsum und Fahren, sondern vor allem die signifikante Erhöhung des Unfallrisikos infolge des kombinierten Konsums von Cannabis und Alkohol bei einem Verstoß gegen das Trennungsgebot, die dazu führt, dass die fehlende Fahreignung nach § 11 Abs. 7 FeV bereits feststeht (vgl. VG Regensburg, a.a.O.). Dies ergibt sich auch aus dem Wortlaut der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV, nach dem die Fahreignung bei der gelegentlichen Einnahme von Cannabis nur dann bejaht wird, „wenn eine Trennung von Konsum und Fahren und kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol“ vorliegt, weil die eignungsbegründenden Tatbestandselemente „Trennung von Konsum und Fahren“ sowie „kein zusätzlicher Gebrauch von Alkohol“ durch die Konjunktion „und“ verknüpft sind (vgl. VG Berlin, Beschluss vom 28. September 2020 - 4 L 271/20 - juris, Rdnrn. 16 und 19). Hingegen kann aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV, nach dem die Beibringung eines medizinischen Gutachtens angeordnet werden kann, wenn die gelegentliche Einnahme von Cannabis vorliegt und „weitere Tatsachen“ Zweifel an der Eignung begründen, nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass das kumulative Vorliegen des Tatbestandsmerkmales der fehlenden „Trennung von Konsum und Fahren“ mit einer weiteren in der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der FeV genannten Zusatztatsache noch nicht nach § 11 Abs. 7 FeV zur Annahme der feststehenden Nichteignung führt (vgl. jedoch in diesem Sinne: OVG NW, Beschluss vom 14. November 2019 - 16 B 638/19 -, a.a.O., Rdnr. 14). Denn die Nummer 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV geht als speziellere Regelung der Vorschrift des § 14 Abs. 1 Satz 3 FeV mit dem allgemeingefassten Tatbestandsmerkmal „weitere Tatsachen“ vor, weil in der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 der zusätzliche Gebrauch von Alkohol als eine besondere eignungsausschließende Zusatztatsache ausdrücklich genannt und daran die Rechtsfolge der fehlenden Fahreignung geknüpft wird. Nichts Eindeutiges zu dieser Rechtsfrage ist hingegen den Ausführungen des Verordnungsgebers zur Fahrerlaubnisverordnung (vgl. BR-Drs. 443/98, S. 262 f.) und der Auslegung der Verordnungsbegründung durch das Bundesverwaltungsgericht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11. April 2019 - 3 C 13.17 -, a.a.O., Rdnr. 28) zu entnehmen (vgl. hierzu: BayVGH, Beschluss vom 1. Oktober 2021 - 11 CS 21.2129 - a.a.O., Rdnr. 15; a. A.: OVG NW, Beschluss vom 14. November 2019 - 16 B 638/19 -, a.a.O., Rdnrn. 12, 13 und 15).

Unter Zugrundelegung der vorstehend aufgezeigten Maßstäbe ist im Rahmen der summarischen Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Antragsteller im Sinne der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV keine Fahreignung besitzt, weil er als gelegentlicher Cannabiskonsument am 24. November 2022 gegen 12 Uhr Cannabis sowie zusätzlich Alkohol konsumiert hat und gegen 15:10 Uhr bzw. 15:15 Uhr unter berauschender Wirkung dieser beiden Mittel ein Kraftfahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt hat und die Menge des zu sich genommenen Alkohols wegen der festgestellten erheblichen Ausfallerscheinungen und des Alkoholgeruchs nicht derart gering gewesen ist, dass eine kombinierte Rauschwirkung von Cannabis und Alkohol ausgeschlossen werden kann.

Der Antragsteller ist als gelegentlicher Cannabiskonsument anzusehen und er hat gegen das Trennungsverbot der Nummer 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV verstoßen. Denn er ist am 24. November 2022 gegen 15:10 Uhr bzw. 15:15 Uhr im öffentlichen Straßenverkehr in eine Verkehrskontrolle geraten und auf Grund der eineinviertel Stunden später um 16:25 Uhr und damit zeitnah entnommen Blutprobe wurde ein THC-Wert von 10 ng/ml festgestellt (vgl. Ergebnisbericht des Brandenburgischen Landesinstitutes für Rechtsmedizin vom 6. Dezember 2022 - Az.: T... [D...] -), der den für die Fahrtüchtigkeit maßgeblichen Grenzwert einer THC-Konzentration von 1,0 ng/ml um das Zehnfache überschreitet. Zudem wurden bei ihm während der polizeilichen Kontrolle erhebliche Beeinträchtigungen festgestellt, nämlich eine unsichere Fahrweise, eine verzögerte Reaktion auf Fragen der Polizeibeamten, starkes Zittern der Hände, verwaschene Aussprache, wässrige bzw. glänzende Augen mit geweiteten Pupillen und geröteten Bindehäuten, Schwanken beim Rombergtest und dessen Abbruch nach zehn Sekunden (vgl. Blatt 3 des Polizeiberichtes zum Protokoll und Antrag zur Feststellung von Blut und Drogen vom 24. November 2022 unter Punkt A.9 [Blatt 12 des mit Schreiben des Antragsgegners vom 4. Juli 2023 vorgelegten Verwaltungsvorganges – VV] sowie die Bemerkungen zum maschinell erstellten Urbeleg der Ordnungswidrigkeitenanzeige [vgl. Blätter 5 und 6 VV]). Einen erstmaligen Probierkonsum hat der Antragsteller nicht geltend gemacht und die Feststellungen des Antragsgegners zum gelegentlichen Cannabiskonsum auch nicht in Frage gestellt.

Neben Cannabis hat der Antragsteller am 24. November 2022 zusätzlich auch Alkohol konsumiert. Der Alkoholkonsum ist bereits auf Grund des Umstandes als erwiesen anzusehen, dass beim Anhalten bzw. Antreffen des Antragstellers ausweislich des Punktes A.9 des vorgenannten Polizeiberichtes Alkoholgeruch festgestellt wurde (vgl. Blatt 12 VV). Denn Alkoholgeruch kann es nur geben, wenn zuvor Alkohol getrunken worden ist. Anhaltspunkte dafür, dass der Alkoholgeruch daher rühren könnte, dass der Antragsteller lediglich Alkohol über seine Kleidungsstücke verschüttet haben könnte, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich; im Übrigen wäre diese Annahme fernliegend. Bei dem polizeilichen Tätigkeitsbericht handelt es sich um eine öffentliche Urkunde im Sinne des § 415 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO), die gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis der Tatsachen begründet, soweit diese – wie hier – auf eigenen Wahrnehmungen beruhen (vgl. hierzu: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 17. August 2020 - OVG 11 S 5/20 - juris, Rdnr. 13). Entgegen dem Vorbringen der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers auf der Seite 5 ihres Schriftsatzes vom 28. Juli 2023 wurde das Protokoll vom 24. November 2022 mit der darin enthaltenen Feststellung zum Alkoholgeruch nicht nachträglich und damit später gefertigt als die Beschreibung der Verkehrskontrolle in dem am
4. Januar 2023 maschinell erstellten Urbeleg zur Ordnungswidrigkeitenanzeige, der keine Feststellungen zum Alkoholgeruch enthält (vgl. Blätter 5 und 6 VV). Vielmehr wurde diese Beschreibung in der Ordnungswidrigkeitenanzeige erst zu einem Zeitpunkt verfasst, nachdem das Protokoll vom 24. November 2022 erstellt worden war, weil in dieser Anzeige als Beweismittel das erst nach dem 24. November 2022 gefertigte Rechtsmedizinische Gutachten vom 6. Dezember 2022 zur Blutprobe erwähnt wird. Des Weiteren muss sich der Antragsteller an seiner Aussage bei der am
24. November 2022 durchgeführten Kontrolle gegenüber den Polizeibeamten (vgl. die Bemerkungen auf der Seite 2 des Urbeleges zur Ordnungswidrigkeitenanzeige [Blatt 6 VV]) sowie an seinen späteren durch Unterschrift bestätigten schriftlichen Angaben unter dem Punkt A.7 des Polizeiberichtes zum Protokoll vom 24. November 2022 (vgl. Blatt 11 VV) festhalten lassen, an diesem Tage um 12:00 Uhr einmal 0,5 Liter Bier getrunken zu haben. Demgegenüber sind vor allem wegen des festgestellten Alkoholgeruchs die Einlassungen des Antragstellers als unglaubhafte Schutzbehauptung anzusehen, wenn er nunmehr vorträgt, er habe kein Bier getrunken und den Bierkonsum nur deshalb eingeräumt und nochmals schriftlich bestätigt, um den Konsum eines Betäubungsmittels mit den weitaus gravierenderen Folge zu verbergen und um sich nicht in Widerspruch zu setzen zu seiner vorangegangenen mündlichen Aussage gegenüber den Polizeibeamten (vgl. Seite 4 und 5 des Widerspruchsbegründung vom 19. Mai 2023 und Seite 5 des Schriftsatzes seiner Prozessbevollmächtigten vom 28. Juli 2023).

Schließlich spricht im Rahmen der summarischen Prüfung nur Weniges dafür, dass der etwa dreieinviertel Stunden vor der gegen 15:10 Uhr bzw. 15:15 Uhr durchgeführten Verkehrskontrolle eingeräumte und (frühestens) gegen 12 Uhr stattgefundene Konsum von einem halben Liter Bier so geringfügig gewesen ist, dass eine beachtliche kombinierte Rauschwirkung nicht eintreten konnte. Bei einer Gesamtschau der vorliegenden Sachverhaltsumstände kann unter Berücksichtigung der Überschreitung des Schwellenwertes von 1,0 ng/ml für die cannabisbedingte Fahruntüchtigkeit um das Zehnfache nicht mehr davon ausgegangen werden, dass die während der Polizeikontrolle festgestellten Auffälligkeiten und erheblichen fahrbeeinträchtigenden Ausfallerscheinungen des Antragstellers (unsichere Fahrweise, verzögerte Reaktion auf Fragen der Polizeibeamten, Schwanken beim Rombergtest und dessen Abbruch nach zehn Sekunden) nicht auf einer kombinierten Rauschwirkung von Alkohol und Cannabis beruhten, weil der beim Antragsteller festgestellte Alkoholgeruch zweifelsfrei als eine im Zeitpunkt der Verkehrskontrolle noch fortwirkende Folge des Alkoholkonsums anzusehen ist und seine verwaschene Aussprache nicht nur durch den Cannabiskonsum, sondern auch durch den damit kombinierten Konsum von Alkohol hervorgerufen worden sein kann. Daher kann im vorliegenden Fall nicht ausgeschlossen werden und ist es durchaus möglich, dass die beim Antragsteller bei der polizeilichen Verkehrskontrolle festgestellten erheblichen Ausfallerscheinungen und die daraus folgende Fahruntüchtigkeit gerade durch die synergistische Wirkung von Alkohol und Cannabis hervorgerufen worden war und der kombinierte Konsum dieser Substanzen in einer synergistischen Weise noch fortgewirkt hat. Daher kommt es hier nicht auf die Frage an, ob etwa dreieinviertel Stunden nach dem behaupteten Konsum von einem halben Liter Bier der Alkohol im Blut des Antragstellers bereits abgebaut war, zumal wegen des festgestellten Alkoholgeruchs nicht unerhebliche Zweifel an der Richtigkeit der Aussage des Antragstellers bestehen, dass der Alkoholkonsum gegen 12 Uhr und nicht zu einem späteren Zeitpunkt stattgefunden hat oder dass der Antragsteller lediglich einen halben Liter Bier und nicht mehr getrunken haben will. Wegen der synergistischen Wirkung des kombinierten Konsums von Alkohol und Cannabis ist schließlich dem Umstand keine besondere Aussagekraft beizumessen, dass der beim Antragsteller durchgeführte Atemalkoholtest negativ ausgefallen ist, zumal weder protokolliert wurde noch sonst ersichtlich ist, ob dieser Test vorschriftsmäßig durchgeführt wurde und insbesondere während der Messung auf die vorschriftsgemäße Beatmung des Messgerätes geachtet worden war (vgl. zu den Vorgaben bei der Durchführung einer Atemprobe: Abschnitt 2.1.2 der Verwaltungsvorschrift „Feststellung von Alkohol-, Medikamenten- und Drogeneinfluss bei Straftaten und Ordnungswidrigkeiten; Sicherstellung und Beschlagnahme von Führerscheinen“ vom 3. August 2015 [Justizministerialblatt für das Land Brandenburg - JMBl. - Nr. 9, S. 78], geändert durch Gemeinsame Allgemeine Verfügung vom
22. November 2018 [JMBl. Nr. 12, S.113]).

Begegnet die unter Sofortvollzug verfügte Entziehung der Fahrerlaubnis hiernach keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, so gilt dies auch für die auf § 3 Abs. 2 Satz 2 StVG beruhende Aufforderung zur Abgabe des Führerscheins.

Unter Zugrundelegung der fehlenden oder zumindest geringen Erfolgsaussichten des Widerspruchs überwiegt hier das besondere öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der streitbefangenen Regelungen das gegenläufige Interesse des Antragstellers, diese Regelungen vorerst nicht befolgen zu müssen, weil dem Schutzinteresse anderer Verkehrsteilnehmer vor den Gefahren, die von dem voraussichtlich nachgewiesenermaßen als nicht fahrgeeignet anzusehenden Antragsteller ausgehen, der Vorrang einzuräumen ist gegenüber dessen Interesse an der weiteren Ausnutzung seiner Fahrerlaubnisse, zumal der Antragsteller in einem offensichtlich fahruntüchtigen Zustand bereits ein Fahrzeug im öffentlichen Straßenverkehr geführt hat. In Ansehung dessen, würden das besondere Vollzugsinteresse auch dann überwiegen, wenn die Erfolgsaussichten des Widerspruchs hier offen wären.

Schließlich hat aus den vorstehenden Gründen auch der nach § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO statthafte Annex-Antrag auf einstweilige Herausgabe des Führerscheines keinen Erfolg.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung entspricht der Bedeutung der Sache für den Antragsteller (§ 52 Abs. 1 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes). Das Gericht hat sich insofern an den Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 angelehnt (vgl. www.bverwg.de/informationen/streitwertkatalog.php). Danach ist nach der Nummer 46.4 des Streitwertkataloges für die Fahrerlaubnisklasse CE mit den Einschlussklassen C1E und BE (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 Nummer 6 FeV) einschließlich der nach § 9 Abs. 2 FeV in Verbindung mit § 6 Abs. 3 Nummer 5 FeV erfassten Klasse C1 und der nach § 9 Abs. 1 FeV davon erfassten Klasse B mit der Einschlussklasse L (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 Nummer 4 FeV) ein Wert von 7.500 € anzusetzen und nach der Nummer 46.1 des Streitwertkataloges für die Klasse A mit den Einschlussklassen AM und A1 (vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 Nummer 1 FeV) ein Wert von 2.500 €. Für das vorläufige Rechtsschutzverfahren ist die sich aus den vorgenannten Teilwerten ergebende Summe (10.000 € = 7.500 € + 2.500 €) auf die Hälfte ermäßigt worden (vgl. Nummer 1.5 des Streitwertkataloges).