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Entscheidung 5 K 2842/17.A


Metadaten

Gericht VG Cottbus 5. Kammer Entscheidungsdatum 26.10.2023
Aktenzeichen 5 K 2842/17.A ECLI ECLI:DE:VGCOTTB:2023:1026.5K2842.17.A.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren eingestellt.

Ziffer 6 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 2. November 2017 wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.

Wegen der Kosten ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des sich aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss ergebenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der durch keine Ausweispapiere seines Herkunftsstaates zur Person ausgewiesene, eigenen Angaben zufolge am 1...1999 geborene Kläger, äthiopischer Staatsangehörigkeit, erstrebt internationalen Schutz, jedenfalls Abschiebungsverbote hinsichtlich Äthiopiens.

Er reiste illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 28. Juni 2017 einen Asylantrag.

Im persönlichen Gespräch zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaates am 25. September 2017 gab der Kläger an, Äthiopien etwa im März 2016 verlassen zu haben. Danach habe er sich etwa anderthalb Monate im Sudan, sechs Monate in Libyen, zwei Monate in Italien und etwa einen Tag in Österreich aufgehalten. Ferner gab er vor dem Bundesamt an, Moslem zu sein und der Volksgruppe der Oromo anzugehören, die Schule bis zur 9. Klasse besucht zu haben, bei den Eltern gewohnt zu haben und keinen Ausweis gehabt zu haben.

In der persönlichen Anhörung vor dem Bundesamt am 25. September 2019 gab er an, in Ambentu geboren und dort bis zu seinem Umzug nach Robe gelebt zu haben. In Robe habe er circa zwei Jahre lang gelebt. Für die Reise habe er 9.000,00 Dollar bezahlt. Das Geld habe er von seiner Mutter erhalten. In Äthiopien lebten noch seine Eltern, seine drei Schwestern und zwei Brüder sowie die Großeltern mütterlicherseits, wobei der Vater bei seiner Ausreise im Gefängnis gewesen sei. Politisch habe er sich nicht betätigt. Von Januar bis März 2016 sei er im Gefängnis gewesen. Er habe sich durch Verteilung von Aufrufen zu einer friedlichen Demonstration gegen den Masterplan der Regierung engagiert. Eines Abends hätten die Sicherheitskräfte geweckt und zusammengeschlagen. Sie hätten ihm vorgeworfen, hinter der Aktion mit den Flugblättern zu stecken, ihn gefesselt und ihn mit verbundenen Augen ins Gefängnis gebracht. Im Gefängnis hätten sie ihn gefoltert, indem sie ihn mit der Faust in den Nacken geschlagen hätten. Er sei auf den Boden gefallen, wo ein Nagel gewesen sei, weshalb er sich an der Hüfte verletzt habe. Einige Mitgefangene seien stärker gefoltert worden, als er. Es habe nur eine Mahlzeit am Tag gegeben. Deswegen und wegen der schlechten Hygiene sei er krank geworden und in Deutschland in Behandlung. Die Folter und die Schläge hätten fast täglich stattgefunden. An manchen Tagen habe der Polizist verlangt, dass sich der Kläger vollständig ausziehe, um ihn anschließend mit kaltem Wasser abzuspritzen. Eines Abends habe er mitbekommen, wie eine große Gruppe von Insassen weggerannt sei. Er habe sich dieser Gruppe angeschlossen. Sie seien zu einer hohen Mauer gerannt und hätten diese überwunden. Einige Jugendliche hätten die Aufseher erschossen. Nach der Flucht habe er sich die Nacht über im Busch versteckt, um danach in das Dorf Dinsho zu seiner Großmutter zu gehen, wo er sich zwei Tage lang versteckt habe. Da die entkommenen Jugendlichen gesucht worden seien, habe er den Bus nach Shashamene bestiegen und von dort aus nach Addis Abeba. Dort sei er eine Nacht lang geblieben. Von da aus sei er nach Matamar an der Grenze zum Sudan gegangen. Weil Busse manchmal kontrolliert würden, habe er einen PKW genommen, für den man etwas bezahlen müsse. Dann sei er in den Sudan ausgereist. Er selbst habe an der Demonstration nicht teilgenommen, sondern sei noch vor dieser Demonstration verhaftet worden, ohne aber zu wissen, ob diese tatsächlich stattgefunden habe. Die Flugblätter seien von Studenten an der Universität vorbereitet worden. Er und andere seien beauftragt worden, diese Flugblätter von Haus zu Haus und an den Schulen zu verteilen. Da die meisten Bauern Analphabeten seien, sei er zusätzlich beauftragt worden, sie mündlich aufzuklären. Die Demonstration habe im Januar stattfinden sollen. Bei der Verhaftung hätten die Spezialkräfte ihn im Schlaf überrascht und die Tür aufgebrochen. Der Kläger gehe davon aus, dass das Gefängnis in Robe gewesen sei. Er sei ununterbrochen täglich, manchmal sogar zweimal oder dreimal täglich gefoltert worden. Sie seien in Zellen zu 50 oder 60 Personen untergebracht gewesen. Wie die Zellentür aufgebrochen worden sei, könne er nicht sagen. Seine Mutter habe ihm das Reisegeld nach Libyen geschickt.

Mit Bescheid vom 2. November 2017 lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) den Asylantrag umfassend ab, verneinte Abschiebungsverbote hinsichtlich Äthiopiens, forderte den Kläger zur Ausreise innerhalb von 30 Tagen nach Unanfechtbarkeit des Bescheides auf und drohte ihm widrigenfalls eine Abschiebung nach Äthiopien an. Ferner verhängte es ein auf 30 Monate befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot. Wegen der Begründung wird auf Blatt 4 bis 10 der Gerichtsakte Bezug genommen.

Mit seiner am 21. November 2017 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt der Kläger sein Verpflichtungsbegehren weiter.

Zu Begründung trägt er im Wesentlichen vor, dass er vorverfolgt ausgereist und dass sein Vorbringen glaubhaft sei.

Unter Rücknahme der Klage hinsichtlich des Anspruchs auf Asylanerkennung beantragt der Kläger,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 2. November 2017 zu verpflichten, ihm die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen,

hilfsweise die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten, ihm subsidiären Schutz zuzuerkennen,

weiter hilfsweise, die Beklagte unter entsprechender Aufhebung des vorgenannten Bescheides zu verpflichten, zu seinen Gunsten Abschiebungsverbote hinsichtlich Äthiopiens festzustellen.

Schriftsätzlich beantragt die Beklagte,

die Klage abzuweisen.

Wegen der Begründung bezieht sie sich auf die Ausführungen im angefochtenen Bescheid.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes und der Ausländerbehörde Bezug genommen. Sämtliche Akten wurden zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Entscheidungsgründe

Soweit die Klage zurückgenommen wurde, wird das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 VwGO eingestellt.

Die insgesamt zulässige Klage ist wegen des vom Kläger mittlerweile unbefristeten eingegangenen Arbeitsverhältnisses nur hinsichtlich des unter Ziffer 6 des angefochtenen Bescheides ausgesprochenen Einreise- und Aufenthaltsverbotes begründet.

Im Übrigen ist die unbegründet.

Die Ablehnung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylVfG sowie der beantragten Zuerkennung des subsidiären Flüchtlingsschutzes nach § 4 AsylVfG ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Diese Ansprüche stehen dem Kläger nicht zu.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 AsylG wegen der behaupteten politischen Verfolgung durch den äthiopischen Staat. Denn die Wahrheitswidrigkeit dieser Behauptung drängt sich angesichts der Divergenz zu dem vorgängigen Bundesamtsvortrag auf.

Das Gericht muss sich die für seine Entscheidung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO gebotene Überzeugungsgewissheit verschaffen, die auch in Asylstreitsachen in dem Sinne bestehen muss, dass das Gericht die volle Überzeugung von der Wahrheit - und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit - des vom Kläger behaupteten individuellen Schicksals erlangt hat. Soweit wegen des sachtypischen Beweisnotstandes, in dem sich Asylbewerber insbesondere hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, für diese Vorgänge in der Regel Glaubhaftmachung genügt, ist damit nicht gemeint, dass der Richter einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO enthoben sein sollte, und erst recht nicht, dass eine Glaubhaftmachung im engeren Sinne gemäß den prozessualen Vorschriften des § 294 ZPO in Verbindung mit § 173 VwGO ausreichend sein sollte. Ausgangspunkt ist vielmehr der allgemeine Grundsatz, dass das Gericht keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit verlangen darf, sondern sich in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen muss, der den Zweifeln Schweigen gebietet, auch wenn sie nicht völlig auszuschließen sind (BVerwGE 71, 180ff. unter Verweis auf BGHZ 53, 245/256). Darüber hinaus berücksichtigt diese Rechtsprechung die besondere Beweisnot des nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsprozessrechts mit der materiellen Beweislast hinsichtlich der guten Gründe für seine Verfolgungsfurcht beschwerten Asylsuchenden, indem sie den Tatsachengerichten nahelegt, dessen eigenen Erklärungen größere Bedeutung beizumessen, als dies meist sonst in der Prozesspraxis bei Bekundungen einer Partei der Fall ist, und den Beweiswert seiner Aussage im Rahmen des Möglichen wohlwollend zu beurteilen. Die Beweisschwierigkeiten des Flüchtlings bestehen - häufig - im Fehlen der üblichen Beweismittel. In der Regel können unmittelbare Beweise im Verfolgerland nicht erhoben werden. Mit Rücksicht darauf kommt dem persönlichen Vorbringen des Klägers und dessen Würdigung gesteigerte Bedeutung zu. Zur Asylanerkennung kann schon allein der Tatsachenvortrag des Asylsuchenden führen, sofern seine Behauptungen unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinne "glaubhaft" sind, dass sich das Tatsachengericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Dem Klagebegehren darf jedenfalls nicht mit der Begründung der Erfolg versagt werden, dass neben der Einlassung des Asylbegehrenden keine Beweismittel zur Verfügung stünden. Der Richter ist aus Rechtsgründen schon allgemein nicht daran gehindert, eine Parteibehauptung ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen (BGH LM § 286 <C> ZPO Nr. 64); das gilt für das Asylverfahren mit seinen typischen Schwierigkeiten, für das individuelle Schicksal des Asylsuchenden auf andere Beweismittel zurückzugreifen, in besonderem Maße. Einer Überzeugungsbildung im Sinne des § 108 Abs. 1 VwGO wird der Richter hierdurch jedoch nicht enthoben. Das Fehlen von Beweismitteln mag die Meinungsbildung des Tatsachengerichts erschweren, entbindet es aber nicht davon, sich eine feste Überzeugung vom Vorhandensein des entscheidungserheblichen Sachverhalts zu bilden. Dies muss - wenn nicht anders möglich - in der Weise geschehen, dass sich der Richter schlüssig wird, ob er dem Kläger glaubt (vgl. zum Ganzen BVerwGE 71, 180 ff.). Um sich die Überzeugung von der Wahrheit einer Tatsachenbehauptung zu verschaffen, kann das Gericht Vernehmungsprotokolle aus dem behördlichen Verfahren heranziehen (BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 2002 – 1 B 392.01 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259 = NVwZ 2002, 1381f.).

Wegen gravierender Widersprüche und erheblicher Ungereimtheiten ist dem klägerischen Vorbringen nicht nur jede Glaubhaftigkeit abzusprechen (vgl. zu diesem Maßstab BVerwG, Beschluss vom 10. Mai 2002 – 1 B 39.01 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 259), sondern auch dem Kläger jede Glaubwürdigkeit.

Sein Vorbringen zeichnet sich durch gravierende Widersprüche, selbst zu Schlüsselereignissen, aus.

Dies gilt bereits für den Anlass seiner Verhaftung. In der Anhörung vor dem Bundesamt gab der Kläger an, verhaftet worden zu sein, weil er Flugblätter verteilt habe. Auf diesen Flugblättern sei zu einer Demonstration gegen die Regierung aufgerufen worden. Die Demonstration habe sich gegen den „Masterplan“ der Regierung gerichtet. Zu dessen Umsetzung habe die äthiopische Regierung den Bauern ihr Land weggenommen und es an Investoren verkauft. In der mündlichen Verhandlung vor Gericht spricht der Kläger zwar auch davon, dass er wegen Verteilung von Flugblättern verhaftet worden sei, erwähnt jedoch nicht ansatzweise den Masterplan als Anstoß für den Protest. Vielmehr habe sich der Protest gegen „Unterdrückung“ gerichtet. Auf weiteres Befragen erklärt der Kläger, dass es in dem Flugblatt um die Steuerlast und um willkürliche Verhaftungen und Gelderpressungen gegangen sei.

Divergierend sind auch seine Schilderungen zu der im Gefängnis angeblich erlittenen Folter. Vor dem Bundesamt behauptete der Kläger, dass er sich habe nackt ausziehen müssen, um daraufhin mit kalten Wasser abgespritzt zu werden. Ferner sei er im Nacken geschlagen worden. Nackt habe er die Rolle und andere Übungen machen müssen. Da er dafür zu schwach gewesen sei, habe man ihn mit einem Stock auf den Rücken geschlagen. Überdies hätten die Aufseher auch Nadeln erhitzt und die Gefangenen, einschließlich des Klägers, damit gestochen. Vor Gericht spricht der Kläger nur davon, dass er, wie auch andere Mitgefangene, zu Bewegungen gezwungen worden sei, die er nicht habe machen können. Besonders erwähnt er, dass er in der Position einer Liegestütze eine halbe Stunde lang auf geballten Fäusten habe ausharren müssen. Bei Nachlassen sei er mit Stockschlägen traktiert worden. Dass er diese Übungen habe nackt machen müssen, erwähnt er indes nicht. Auch auf Nachfrage behauptet der Kläger nicht, dass er nackt mit kaltem Wasser traktiert worden sei. Insoweit berichtet er, dass andere Häftlinge nackt mit Wasser abgespritzt worden seien, allerdings mit heißem Wasser. Ebenso wenig berichtet der Kläger davon, mit erhitzten Nadeln gestochen worden zu sein.

Widersprüchlich sind auch seine Angaben dazu, wie es zu der Wunde an seiner Seite gekommen sein soll. Vor dem Bundesamt berichtet er davon, dass er infolge von Nackenschlägen auf den Boden gefallen sei und sich dabei einen Nagel in die Hüfte gerammt habe. Vor Gericht erklärt er diese Verletzung mit den Stockschlägen.

Ferner berichtete der Kläger vor dem Bundesamt: „Ein Polizist war nur auf meine Person fixiert. Er bedrohte mich jeden Tag, dass er mich umbringen würde, wen ich ihm die Hintermänner nicht nenne. … An manchen Tagen hat der Polizist verlangt, dass ich mich komplett ausziehe. Ich wurde dann mit kaltem Wasser abgespritzt. … Ich musste dann auch manchmal eine Rolle machen, wenn ich ganz nackt war oder andere Sportarten. Ich war dafür zu schwach. Wenn ich das nicht geschafft habe, stand der Polizist mit einem Stock hinter mir und hat mich auf den Rücken geschlagen.“ Demgegenüber gab der Kläger auf die Frage des Gerichts, ob es einen bestimmten Wächter gab, der es bei der Folter besonders auf ihn abgesehen hat, an, dass es unterschiedliche Wächter gegeben habe und alle gleich gewesen seien. Es habe vom Zufall abgehangen, welcher Wächter gerade zur Stelle gewesen sei. Dass er Opfer sadistischer Neigungen eines ganz bestimmten Aufsehers gewesen sei, erwähnt der Kläger vor Gericht nicht. Auch auf Vorhalt seines Prozessbevollmächtigten, dass der Kläger vor dem Bundesamt angegeben habe, immer wieder von demselben Aufseher verhört worden zu sein, löst er diesen Widerspruch nicht auf, sondern antwortet ausweichend, dass in der Mehrheit der Fälle ein- und dieselbe Person ihn verhört habe, es aber auch andere Aufseher gewesen seien.

Abgesehen davon, dass schon die Massenflucht aus dem Gefängnis - zumal über eine hohe Mauer (so das Vorbringen vor dem Bundesamt) - dank eines dem Kläger nicht näher bekannten Umstandes wenig plausibel erscheint, widerspricht sich der Kläger bei der Beschreibung seiner weiteren Flucht. Vor dem Bundesamt gab er an, nach dem Entweichen aus dem Gefängnis die Nacht im Busch verbracht zu haben und danach zu seiner Großmutter in das Dorf Dinsho gegangen zu sein, wo er sich zwei Tage lang verborgen gehalten habe. Das Dorf seiner Großmutter habe er aus Angst vor Spionen verlassen, die es auch in diesem Dorf gegeben habe. Danach sei er mit einem Bus nach Shashamene und von dort aus nach Addis Abeba gefahren. Von einem Zwischenhalt bei seiner Großmutter ist vor Gericht keine Rede mehr. Vielmehr will der Kläger bei Morgendämmerung einen Bus nach Shashamene bestiegen haben und anschließend nach einem Umstieg in Shashamene unmittelbar nach Addis Abeba gefahren sein, wo er nur einen Tag geblieben sei, um an die Grenze zum Sudan zu fahren.

Unabhängig davon, dass die – im Übrigen erstmals vor Gericht unterbreitete -Schilderung der Vorkommnisse an der sudanesischen Grenze, wo der Kläger gegen seinen Willen von Unbekannten, die seine Sprache nicht sprachen, über die Grenze in den Sudan entführt und dann an eine ihm unbekannte Gruppe anderer Personen weitergereicht worden sein will, mit der er nach Libyen gelangt sei, ungereimt erscheint, steigert er sein Vorbringen zum Schicksal seiner Mutter und seiner Geschwister. Erstmals vor Gericht behauptet der Kläger, dass seine Mutter von den Sicherheitskräften abgeholt und unter „Aufsicht“ gestellt worden sei. Seine Geschwister seien beim Eintreffen der Sicherheitskräfte geflohen. Dies habe er nach Ankunft in Deutschland 2017 telefonisch von den Nachbarn und von seiner Mutter erfahren. Bei dem Telefonat mit seiner Mutter habe diese ihm jedoch bedeutet, dass sie wegen der polizeilichen Aufsicht nicht länger telefonieren könne. Warum der Kläger diesen Vortrag nicht schon dem Bundesamt oder jedenfalls während des mehrjährigen Klageverfahren unterbreitet hat, vermochte er nicht zu erklären. Dies hätte sich umso mehr aufgedrängt, als er vor dem Bundesamt noch behauptet hat, das Geld für seine Reise in Höhe von 9000 Dollar von seiner Mutter bekommen zu haben. Vor Gericht erklärt der Kläger hingegen, dass er von Libyen aus seine Mutter nicht habe telefonisch erreichen können, sondern nur mit seinem Onkel telefoniert habe. Wie er später erfahren haben will, sei seine Mutter zum Zeitpunkt des telefonischen Kontaktes mit seinem Onkel bereits unter polizeilicher Aufsicht gewesen.

Scheidet nach alledem mangels Vorverfolgung und sonstiger Anhaltspunkte für eine mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erstmals drohende Verfolgung i.S.d. § 3 AsylG Flüchtlingsschutz aus, gilt Gleiches auch für den mit dem ersten Hilfsantrag geltend gemachten Anspruch auf subsidiären Schutz nach § 4 AsylG.

Auch hinsichtlich des auf Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG gerichteten zweiten Hilfsantrages ist die Klage unbegründet.

Nach § 60 Abs. 5 AufenthG ist eine Abschiebung unzulässig, wenn sich dies aus der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ergibt. Diese sog. zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisse folgen aus Gefahren, die dem Ausländer im Zielstaat der Abschiebung drohen.

Vorliegend ist eine Verletzung des in Betracht kommenden Art. 3 EMRK nicht ersichtlich. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.

Eine Bejahung dieser Voraussetzungen erfordert ernsthafte und stichhaltige Gründe dafür, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung tatsächlich Gefahr läuft, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu werden (BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 - BVerwGE 146, 12-31, Rn. 23 mit Verweis auf den EGMR, siehe auch Rn. 25 und 26). Dabei ist mit dem EGMR und dem Bundesverwaltungsgericht auf den gesamten Abschiebungszielstaat abzustellen (ebenda, Rn. 26, m. w. N.).

Die humanitäre Lage bzw. die sozio-ökonomischen Verhältnisse können nur ganz ausnahmsweise eine unmenschliche Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK begründen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.1.2013, 10 C 15.12, BVerwGE 146, 12-31, LS 3). Denn die EMRK schützt hauptsächlich bürgerliche und politische Rechte, nicht aber die sozialen Voraussetzungen zur Wahrnehmung dieser Rechte (BVerwG, Urteil vom 31.1.2013, 10 C 15.12, BVerwGE 146, 12-31, Juris Rn. 25). Die humanitäre Lage kommt deshalb nur unter einer einschränkenden Voraussetzung als relevant in Betracht, nämlich wenn die allgemeinen Lebensbedingungen derart schlecht sind, dass sie ein sehr hohes Gefährdungsniveau herbeiführen (BVerwG, Beschluss vom 13.2.2019 – 1 B 2.19 - Juris Rn. 10). Dies ist im Wege einer Abwägung zu ermitteln, in die alle dafür relevanten Aspekte einzubeziehen sind, um festzustellen, ob das notwendige Mindestmaß an Schwere gegeben ist. Das Mindestmaß an Schwere ist dann erreicht, wenn der Rückkehrer sich seinen existenziellen Lebensunterhalt nicht sichern kann oder keinen Zugang zu medizinischer Behandlung hat (so jüngst BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 B 48.21 - Juris Rn. 6). Dies muss den gesamten Zielstaat betreffen, nicht bloß einen Teil. Ein Kläger kann also auf eine andere Region des Landes verwiesen werden, die nicht seiner Herkunftsregion entspricht.

Dies gilt auch für die Sicherung des existenziellen Grundbedürfnisses Wohnen und dort insbesondere den Schutz vor schlechter Witterung. Wenn durch den Zugang zu wechselnden Unterkünften Obdachlosigkeit hinreichend sicher vermieden werden kann, ist eine eigene, dauerhaft zur alleinigen Verfügung stehende Wohnung nicht erforderlich (siehe BVerwG, Urteil vom 18. Februar 2021 – 1 C 4.20 – Rn. 37, Buchholz 402.251, § 3e AsylG Nr. 1). Die Prüfung der Voraussetzungen erfolgt unter Berücksichtigung der allgemeinen Gegebenheiten, insbesondere der wirtschaftlichen und humanitären Verhältnisse einschließlich der Gesundheitsversorgung, sowie der persönlichen Umstände des Klägers. Maßgebliche Faktoren sind dabei Alter, Geschlecht, Gesundheitszustand, Behinderungen, die familiäre Situation und Verwandtschaftsverhältnisse, soziale oder andere Schwächen, ethnische, kulturelle oder religiöse Überlegungen, politische und soziale Verbindungen und Vereinbarkeiten, Sprachkenntnisse, Bildungs-, Berufs- und Arbeitshintergrund und -möglichkeiten sowie ggf. erlittene Verfolgung und deren psychische Auswirkungen (BVerwG ebenda, Rn. 31). Einzubeziehen sind auch Zuwendungen Dritter, etwa von Hilfswerken (BVerwG, Beschluss vom 17. Januar 2022 - 1 B 48.21 - Rn. 7) oder Rückkehrhilfen (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 - BVerwGE 175, 227-241). Die menschenrechtswidrige Beeinträchtigung muss in einem derart engen zeitlichen Zusammenhang eintreten, dass bei wertender Betrachtung noch eine Zurechnung zur Rückkehr – in Abgrenzung zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder Verhaltensweisen des Ausländers – gerechtfertigt ist (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 - BVerwGE 175, 227-241, Rn. 21).

Ein Abschiebungsverbot besteht nicht bereits dann, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der Grundbedürfnisse sichergestellt ist, sondern erst, wenn die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 16).

Vorliegend steht es nicht zur Überzeugungsgewissheit des Gerichts fest, dass die Befriedigung eines der bezeichneten Grundbedürfnisse mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu erwarten ist. Der Kläger ist ein gesunder, junger und erwerbsfähiger Mann ohne Unterhaltslasten, der in Äthiopien die Schulausbildung bis zur 8. Klasse genossen hat und über die nötige Gewandtheit und Zielstrebigkeit verfügt, um selbst in einem ihm kulturell und sprachlich fremden Umfeld, wie in Deutschland, eine Ausbildung zu beginnen und sich in den Arbeitsmarkt zu integrieren. Es steht auch nicht zu erwarten, dass es ihm mangels familiären Beistands misslingen wird, die Anfangsschwierigkeiten zu überwinden. Dies gilt schon deshalb, weil zu Gunsten des Klägers nicht angenommen werden, dass er in Äthiopien keinen familiären Rückhalt durch die Mutter, die Großmutter, die Geschwister und den erstmals vor Gericht erwähnten Onkel vorfindet. Sein Vorbringen bietet mangels Glaubwürdigkeit keine Grundlage zur Beurteilung seiner familiären Situation des Klägers in Äthiopien. Das wirkt sich nach dem oben dargestellten Prognosemaßstab zu Lasten des Klägers aus. Denn es genügt gerade nicht, wenn nicht sicher festzustellen ist, ob im Falle einer Rücküberstellung die Befriedigung der bezeichneten Grundbedürfnisse sichergestellt ist (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 16).

Unabhängig vom Vorstehenden ist ein mit Art. 3 EMRK unvereinbarer Zustand auch deshalb nicht beachtlich wahrscheinlich, weil die Kläger Rückkehrhilfen in Anspruch nehmen kann, die sie für einen absehbaren Zeitraum vor Verelendung schützen und es nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit feststeht, dass sie nach deren Verbrauch der Verelendung preisgegeben sein würde.

Kann der Rückkehrer Hilfeleistungen in Anspruch nehmen, die eine Verelendung innerhalb eines absehbaren Zeitraums ausschließen, so kann Abschiebungsschutz ausnahmsweise nur dann gewährt werden, wenn bereits zum maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt der letzten behördlichen oder gerichtlichen Tatsachenentscheidung davon auszugehen ist, dass dem Ausländer nach dem Verbrauch der Rückkehrhilfen in einem engen zeitlichen Zusammenhang eine Verelendung mit hoher Wahrscheinlichkeit droht. Je länger der Zeitraum der durch Rückkehrhilfen abgedeckten Existenzsicherung ist, desto höher muss die Wahrscheinlichkeit einer Verelendung nach diesem Zeitraum sein (im Sinne einer hohen Wahrscheinlichkeit der Verelendung BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 25). Soweit die Rückkehrhilfen von freiwilliger Rückreise abhängig gemacht werden, steht dies ihrer Berücksichtigung im Rahmen der Rückkehrprognose nicht entgegen. Es ist anerkannt, dass die Rückkehrprognose nicht allein die zwangsweise Abschiebung, sondern auch Varianten bei freiwilliger Ausreise in das Herkunftsland zu Grunde legen darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Mai 2008 – 10 C 11.07 –, BVerwGE 131, 186-198, Rn. 19) und dass des Schutzes nicht bedarf, wer ihm drohende Gefahren durch zumutbares Verhalten abwenden kann (BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 – 9 C 38.96 – BVerwGE 104, 265-279, Rn. 27) Ein etwaiger Wille betroffener Personen, nur zwangsweise rückgeführt zu werden, und sich gegen nur bei einer freiwilligen Ausreise gewährte Rückkehrhilfen zu entscheiden, wäre unbeachtlich, weil die dann eintretende Situation extremer Not gerade nicht von ihren persönlichen Entscheidungen unabhängig wäre (vgl. BVerwG, Urteil vom 7. September 2021 – 1 C 3.21 – Juris Rn. 27 = Buchholz 402.251 § 29 AsylG Nr. 21). Der Konnex von Abschiebung und Verelendung würde durch die selbstverantwortete Nichtinanspruchnahme erreichbarer Hilfen ausgelöst (VG Berlin, Urteil vom 2. Mai 2023 – 31 K 226/20 A –, Rn. 27 unter Berufung auf Berlit in JurisPR-BVerwG 18/2022 vom 12.09.2022, Anm. 1). Dieses Ergebnis entspricht obergerichtlicher Rechtsprechung (vgl. etwa OVG Münster, Urteil vom 25. Februar 2022 - 9 A 322/19.A -, Juris Rn. 132; OVG Hamburg, Urteil vom 23. Februar 2022 - 1 Bf 282/20.A -, Juris Rn. 64; OVG Hamburg, Urteil vom 27. Oktober 2021 - 4 Bf 106/20.A -, Juris Rn. 106 m.w.N.; VGH München, Urteil vom 24. Januar 2022 - 10 B 20.30598 -, Juris Rn. 36). Die freiwillige Rückreise ist in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht unzumutbar, weil der Ausländer damit seiner gesetzlichen Ausreisepflicht nachkommt.

Der Kläger kann erhebliche Rückkehrhilfen beanspruchen. Aus dem sog. REAG/GARP-Programm können bei freiwilliger Rückkehr die Reisekosten übernommen werden. Vor allem aber können Rückkehrer eine finanzielle Unterstützung für die Reise (sog. Reisebeihilfe) sowie eine einmalige finanzielle Starthilfe erhalten, nämlich 1.000,00 EUR für volljährige und 500,00 EUR für minderjährige Personen, pro Familie maximal 4.000,00 EUR. Weiterhin können Rückkehrer nach Äthiopien auch Unterstützung aus dem Programm „StarthilfePlus“ beantragen. In dieser Beziehung erhalten Rückkehrer, die mit dem REAG/GARP-Programm ausreisen und eine Starthilfe bekommen, weitere finanzielle Unterstützung. Es handelt es sich um eine „2. Starthilfe“, die nach sechs bis acht Monaten eingreift.

Legt man zu Grunde, dass 77,6% der Bevölkerung in Äthiopien von weniger als zwei Dollar pro Tag leben und dass das durchschnittliche Jahreseinkommen bei 170 US-Dollar liegt, verschafft allein die finanzielle Starthilfe von 1000 Euro ein Auskommen unter landesüblichen Bedingungen auch dann für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr, wenn man davon ausgeht dass der Kläger zusätzlich für ein Obdach aufkommen müsste, wobei ihr insoweit entsprechend der Ortsüblichkeit auch ein Zusammenwohnen mit anderen Personen zumutbar wäre.

Angesichts der Länge dieses Zeitraumes muss die Wahrscheinlichkeit der Verelendung nach Verbrauch der Rückkehrhilfen besonders hoch sein. Denn für die Annahme eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK ist regelmäßig zunächst auf den sich an die Abschiebung anschließenden engen zeitlichen Zusammenhang abzustellen, ohne dass es darauf ankommt, ob das Existenzminimum nachhaltig oder gar auf Dauer sichergestellt ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 25).

Von einer besonders hohen Wahrscheinlichkeit der Verelendung, nachdem sie die Rückkehrhilfen aufgezehrt haben wird, kann im Falle des Klägers keine Rede sein.

Zunächst kann die Kläger auf spezielle „Rückkehrvorbereitende Maßnahmen“ (RkVM) zurückgreifen. Diese bereiten Rückkehrer auf die Existenzgründung vor, es werden fachspezifische (Online-)Coachings und Workshops in verschiedenen Sprachen angeboten. Die Beratung soll vor allem die unternehmerische Kompetenz der Teilnehmer stärken, so dass sie auf eine Existenzgründung nach der Rückkehr in ihr Herkunftsland besser vorbereitet sind. Daneben können die Teilnehmer auch weitere individuelle Anliegen mit Blick auf ihre berufliche Reintegration einbringen.

Zu berücksichtigen ist überdies, dass Äthiopien Maßnahmen zur Integration von Flüchtlingen im Land ergreift, was sich auch positiv auf die allgemeine humanitäre Lage des Landes auswirkt. So hebt ein im Juli 2020 veröffentlichter Fortschrittsbericht das vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung finanzierte Projekt „QEP“ (Qualifications and Employment Perspectives for Refugees and Host Communities in Ethiopia Programme) der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit hervor, in dessen Rahmen bislang 14.700 Äthiopier und Flüchtlinge gemeinsam ausgebildet wurden (s. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 18. Januar 2022, S. 22 f.). Es sind zudem Hilfsorganisationen wie UNHCR und WFP in dem Land tätig, welche die Grundversorgung registrierter Flüchtlinge in Äthiopien gewährleisten (VG Berlin, Urteil vom 2. Mai 2023 – 28 K 574.18 A – Juris Rn. 89 – 92 unter Bezugnahme auf UNHCR, Ethiopia: Quarterly Fact Sheet (July – September 2022), Oktober 2022; UNHCR, 2022 Country Refugee Response Plan, 23. Juni 2022, S. 11 f.; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation – Äthiopien, 4. November 2021, S. 38).

Ebenso wenig erlaubt die derzeitige allgemeine sozio-ökonomische Lage in Äthiopien die Prognose, dass in der Folgezeit nach dem Verbrauch der Rückkehrhilfen eine Verelendung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit, geschweige denn erst mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit droht.

Bezugnehmend auf die Auskunftslage gibt es nämlich keine belastbaren Hinweise darauf, dass die Versorgungslage in Äthiopien – auch unter Berücksichtigung gewisser Einschränkungen und Verschärfungen u.a. durch die Nachwirkungen der Corona-Pandemie, Dürre-/Überschwemmungsereignisse, den Tigray-Konflikt und die Heuschreckenplage sowie jüngst des Russland-Ukraine-Kriegs – gegenwärtig außerhalb der Tigray-Region und angrenzender Gebiete des nördlichen Äthiopiens derart desolat wäre, dass dem Kläger der Hungertod oder schwerste Gesundheitsschäden in Folge von Mangelernährung drohten. Maßgeblich ist dabei, dass diese Gefahr landesweit drohen muss (BVerwGE 146, 12-31, Rn. 26). Eine solche Zuspitzung der Situation ist bei Niederlassung außerhalb des Krisenherdes in Nordäthiopien nicht anzunehmen. Von Hungersnöten berichtet auch der letzte Lagebericht des Auswärtigen Amtes (Stand März 2023) nicht. Insbesondere in Addis Abeba, dem Ort, an dem die Abschiebung endet, ist die Lage nicht so kritisch wie in den besonders von der Dürre betroffenen Regionen Somali, SNNPR, Oromia und Amhara, in denen akute Mangelernährung herrscht (vgl. World Food Programme, Hunger Hotspots, 21. September 2022, S. 26; s. dazu schon oben). Generell ist in den größeren Städten ein wirtschaftlicher Neuanfang im Vergleich leichter möglich (vgl. VG Berlin, Urteil vom 1. Dezember 2022 – 28 K 330.17 A – Juris Rn. 87 unter Hinweis auf Auswärtiges Amt, Ad-hoc Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien, 18. Januar 2022, S. 18). Es ist auch zu würdigen, dass erhebliche Hilfsgelder – nicht zuletzt auch von Deutschland – bereitgestellt werden. Allerdings trifft es durchaus zu, dass der Konflikt im Tigray nicht ohne Auswirkungen auf die anderen Regionen in Äthiopien bleibt, so etwa durch Binnenfluchtbewegungen. Es gibt jedoch keine belastbaren Hinweise, dass sich die humanitäre Lage in den anderen Regionen in Äthiopien aktuell als derart prekär darstellen würde, dass bei einer Rückkehr des Klägers die anzulegende Gefahrenschwelle des § 60 Abs. 5 AufenthG oder des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG erreicht würde. Insbesondere prognostiziert USAID auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse für Addis Abeba und die angrenzenden oromischen, vor allem westlich und nördlich davon gelegenen Gebiete aktuell für Januar 2023 nur eine minimale Unsicherheit betreffend die Versorgungslage mit Lebensmitteln (vgl. USAID – Fact Sheet # 2 und #3 – Horn of Africa, Complex Emergency, 19.8.2022 und 21.9.2022 sowie Fact Sheet #1 (Fiscal Yerar (FY) 2023), 21.10.2022 mit Übersichtskarte „USG Response to the Complex Emergency und Übersicht „Ethiopia Assistance Overview“ v. September 2022).

Zu einer gewissen Entspannung der weltweiten Situation in Bezug auf die Nahrungsmittelsituation trägt auch das „Weizen-Abkommen“ bei, der den Export von Getreide u.a. aus der Ukraine ermöglicht. Auf dessen Grundlage konnte bereits eine erhebliche Menge an Gütern aus der Ukraine ausgeführt und für den Weltmarkt verfügbar gemacht werden; auch Äthiopien profitiert von den Exporten auf der Basis dieses Abkommens, sei es allgemein durch eine bessere Versorgung des Weltmarkts, aber eben auch durch gezielte Lieferungen für das Land.

Dass Äthiopien (weiterhin) auch auf die finanzielle Unterstützung anderer Staaten bzw. Organisationen bauen kann, wird anhand verschiedener eingeführter Quellen deutlich. So hat etwa Österreich weitere Hilfsgelder bereitgestellt und zahlenmäßig erhebliche Mittel werden von der EU sowie von USAID zur Verfügung gestellt (vgl. zum Ganzen: VG Bayreuth, Urteil vom 13. Dezember 2022 – B 7 K 22.30087 – Juris m.w.N.; VG Bayreuth, Urteil vom 9. Februar 2023 – B 7 K 22.31001 - Juris).

Künftige, derzeit nicht abschätzbare Entwicklungen, wie etwa eine weltweite Lebensmittelknappheit, können der hier inmitten stehenden Prognose schon deshalb nicht zu Grunde gelegt werden, weil diese nicht auf Spekulationen beruhen darf (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 13). Im Übrigen fehlte es bei Eintreten einer solchen weltweiten Entwicklung an der Zurechnung zur Abschiebung. Die Gefahr muss indes in dem Sinne konkret sein, dass die drohende Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Würde der Person in einem solchen engen zeitlichen Zusammenhang mit der Abschiebung durch den Vertragsstaat eintritt, dass bei wertender Betrachtung noch eine Zurechnung zu dieser Abschiebung - in Abgrenzung zu späteren Entwicklungen im Zielstaat oder gewählten Verhaltensweisen des Ausländers - gerechtfertigt erscheint (BVerwG, Urteil vom 21. April 2022 – 1 C 10.21 –, BVerwGE 175, 227-241, Rn. 21).

Liegen die Voraussetzungen eines nationalen Abschiebungsverbots wegen schlechter humanitärer Bedingungen nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art 3 EMRK (Juris: MRK) nicht vor, so scheidet auch eine im Rahmen des § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung allein relevante extreme Gefahrenlage aus. Das nationale Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG in verfassungskonformer Anwendung bei Allgemeingefahren unterliegt strengeren Maßstäben, sodass es unter dem Gesichtspunkt der extremen Gefahrenlage denklogisch keinen weitergehenden Schutz gewähren kann als § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK (so auch VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 13. Januar 2021 – A 1 K 6530/18 – Juris).

Die Kostenentscheidung für das gerichtskostenfreie Verfahren aus § 155 Abs. 1 Satz 3 und Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.