Gericht | OLG Brandenburg 12. Zivilsenat | Entscheidungsdatum | 09.11.2023 | |
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Aktenzeichen | 12 W 26/23 | ECLI | ECLI:DE:OLGBB:2023:1109.12W26.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen |
Der Streitwertbeschluss der 1. Zivilkammer - Einzelrichter - des Landgerichts Frankfurt (Oder), Az. 11 O 434/18, vom 29.07.2022 wird abgeändert.
Der Streitwert für den Rechtsstreit in I. Instanz wird für die Zeit bis einschließlich 14.04.2020 auf 349.068,24 €, für die Zeit vom 15.04.2020 bis einschließlich 27.01.2022 auf 356.558,24 € und für die Zeit ab dem 28.01.2022 auf 403.318,76 € festgesetzt.
Die Beschwerde des Beklagten zu 1. wird zurückgewiesen.
I.
Der Kläger hat die vormalige Beklagte zu 1., die (Firma 01), und die Beklagte zu 2. auf Schadensersatz bzw. auf Zahlung eines Kostenvorschusses wegen Mängeln an einer Photovoltaikanlage auf dem Grundstück (Adresse 01) in Höhe von zunächst 341.123,45 Euro nebst Zinsen als Gesamtschuldner in Anspruch genommen und darüber hinaus von der Beklagten zu 2. wegen des Diebstahls von Anlagenteilen die Zahlung von 7.944,79 € nebst Zinsen verlangt. Die vormalige Beklagte zu 1. ist am 29.03.2019 durch Teilversäumnisurteil verurteilt worden, an den Kläger 341.123,45 € nebst Zinsen hieraus i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.02.2019 zu zahlen und hat hiergegen Einspruch eingelegt. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 06.04.2020, den damaligen Beklagten am 14. bzw. 15.04.2020 zugestellt, die Klage gegenüber beiden Beklagten um einen Betrag von 7.490,00 € erweitert. Durch Beschluss vom 01.02.2021 ist über das Vermögen der vormaligen Beklagten zu 1. das Insolvenzverfahren eröffnet und der jetzige Beklagte zu 1. als Insolvenzverwalter bestellt worden. Mit Schriftsatz vom 19.01.2022, der Beklagten zu 2. zugestellt am 27.01.2022, hat der Kläger erklärt, die Klage um weitere 46.760,52 € nebst Zinsen gegen die Beklagten zu erweitern. Mit Schriftsatz vom 02.05.2022, dem Beklagten zu 1. zugestellt am 05.05.2022, hat der Kläger den Rechtsstreit gegen den Beklagten zu 1. aufgenommen und beantragt, seine Forderung i. H. v. 382.909,90 € zur Insolvenztabelle im Insolvenzverfahren über das Vermögen der vormaligen Beklagten zu 1. festzustellen. Dieser Betrag umfasst neben der Summe von 348.613,45 € aus der Klageschrift und der ersten Klageerweiterung die im Rechtsstreit im Rahmen der Kostenentscheidung geforderte Erstattung der Kosten zweier vorgerichtlich eingeholter Gutachten und die zwischenzeitlich aufgelaufenen Zinsen. Durch am 29.07.2022 verkündetes Teilversäumnis- und Endurteil hat das Landgericht die Forderung des Klägers i.H.v. 382.909,90 € zur Insolvenztabelle im Insolvenzverfahren über das Vermögen der vormaligen Beklagten zu 1. festgestellt und die Beklagte zu 2. verurteilt, an den Kläger 403.318,76 € nebst Zinsen jeweils i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p. a. aus einem Betrag i. H. v. 341.123,45 € seit dem 31.01.2019, aus einem Betrag i. H. v. 46.760,52 € seit dem 27.01.2022, aus einem Betrag i. H. v. 7.490,00 € seit dem 15.04.2020 und aus einem Betrag i. H. v. 7.944,79 € seit dem 01.11.2018 zu zahlen. Gegen die Entscheidung des Landgerichts hat allein die Beklagte zu 2. Berufung eingelegt. Das Berufungsverfahren ist durch den von dem Kläger und der Beklagten zu 2. am 13.07.2023 im Verfahren 12 U 188/22 vor dem Senat geschlossenen Vergleich beendet worden.
Durch Beschluss vom 29.07.2022 hat das Landgericht die Streitwertfestsetzung wie folgt vorgenommen:
„Der Streitwert wird wie folgt festgesetzt:
349.067,45 €,
ab dem 15.04.2020 356.557,45 €,
ab dem 27.01.2022 403.317,97 €
für Beklagten zu 1. ab dem 02.05.2022 382.909,90 €.“
Der Beklagte zu 1. hat gegen den an ihn am 01.08.2022 abgesandten Beschluss mit am 30.01.2023 beim Landgericht eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt.
Der Beklagte zu 1. ist der Ansicht, der Streitwert für ihn und für die Beklagte zu 2. sei unterschiedlich zu berechnen. Für ihn sei die Vorschrift des § 182 InsO zu berücksichtigen, nach der nur der Betrag anzusetzen sei, der bei der Verteilung der Insolvenzmasse für die Forderung zu erwarten sei. Vorliegend könnten die Insolvenzgläubiger auch im günstigsten Fall nicht mit einer Quote von mehr als 10 % der Forderung rechnen. Dementsprechend sei auch nur ein Teilbetrag von 10 % des zur Tabelle angemeldeten Betrages als Streitwert zu berücksichtigen. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf den Schriftsatz vom 30.01.2023 (Bl. 1702 ff GA) verwiesen.
Der Beklagte zu 1. beantragt,
den Streitwert auf 38.290,99 € festzusetzen.
Der Kläger beantragt,
die Streitwertbeschwerde als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise sie insofern zurückzuweisen, als der Streitwert auch für den Zeitraum vor dem 02.05.2022 angegriffen wird.
Der Kläger hält das Rechtsmittel für unzulässig. Es fehle an einer Beschwer des Beklagten zu 1. Die begehrte Herabsetzung des Streitwertes wirke jedenfalls erst ab der Aufnahme des Verfahrens und dem Ende der Unterbrechung nach § 240 ZPO. Zu diesem Zeitpunkt seien die Verfahrenskosten indes bereits im vollen Umfang entstanden gewesen. Es sei nicht ersichtlich, dass sich die Änderung des Streitwertes für die Zeit nach der Aufnahme des Verfahrens auf die Höhe der auszugleichenden Verfahrenskosten auswirke. Soweit der Beklagte zu 1. beantrage, den Streitwert für das gesamte erstinstanzliche Verfahren herabzusetzen, sei das Rechtsmittel unbegründet. Das Gericht habe zutreffend eine Staffelung vorgenommen und dabei die Zäsur durch die Aufnahme des Verfahrens gegenüber dem Beklagten zu 1. berücksichtigt. Einen Fehler hinsichtlich der Streitwertfestsetzung für die Zeit vor Aufnahme des Verfahrens habe der Beklagte zu 1. dabei nicht dargelegt.
Das Landgericht hat dem Rechtsmittel mit Beschluss vom 27.09.2023 nicht abgeholfen. Zur Begründung hat es die Ausführungen des Klägers aufgegriffen, die Beschwerde sei mangels Beschwer des Beklagten zu 1. bereits unzulässig und - soweit der Beklagte zu 1. eine Abänderung des Streitwerts für das gesamte erstinstanzliche Verfahren begehre - unbegründet. Die Streitwertregelungen in § 182 InsO erfasse erst die Zeit nach Aufnahme des Verfahrens. Diese Staffelung sei im Streitwertbeschluss berücksichtigt worden.
II.
Die Streitwertbeschwerde ist gem. §§ 68 Abs. 1, 63 Abs. 3 S. 2 GKG zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden; der Wert des Beschwerdegegenstands übersteigt 200,00 €. Eine teilweise Unzulässigkeit des Rechtsmittels liegt entgegen der Ansicht des Klägers und des Landgerichtes nicht deshalb vor, weil die Vorschrift des § 182 InsO, auf die sich der Beklagte zu 1. zur Rechtfertigung der Beschwerde stützt, erst für die Zeit ab Aufnahme des Rechtsstreits gilt (vgl. hierzu BGH MDR 1993, S. 287, Rn. 6, zu § 148 KO, Kurpat in Schneider/Kurpat, Streitwert-Kommentar, 15. Aufl., Rn. 2.2354). Der Beklagte zu 1. nimmt eine entsprechende zeitliche Differenzierung mit seinem Rechtsmittel nicht vor, sondern will eine getrennte Streitwertfestsetzung für sich bzw. die vormalige Beklagte zu 1. einerseits und die Beklagte zu 2. andererseits erreichen, erstrebt also seine Beteiligung an den (gesamten) Verfahrenskosten nur auf Grundlage des niedrigeren Streitwerts von 38.290,99 €. Damit erfasst das Rechtsmittel die Streitwertfestsetzung des Landgerichtes insgesamt und ist auch insgesamt zulässig, da die vom Beklagten zu 1. zu tragenden Verfahrenskosten - die Richtigkeit der Argumentation des Beklagten zu 1. unterstellt - insgesamt nur auf Grundlage des niedrigeren Streitwerts festzusetzen wären. Ob die Auffassung des Beklagten zu 1. tatsächlich zutreffend ist, ist hingegen nicht in der Zulässigkeit, sondern erst im Rahmen der Prüfung der Begründetheit des Rechtsmittels festzustellen.
In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg. Vielmehr war der Streitwert für den Rechtsstreit in I. Instanz für die Zeit bis einschließlich 14.04.2020 auf 349.068,24 €, für die Zeit vom 15.04.2020 bis einschließlich 27.01.2022 auf 356.558,24 € und für die Zeit ab dem 28.01.2022 auf 403.318,76 € festzusetzen. Zwar hat das Landgericht bei der Berechnung des Streitwertes die im Klageantrag zu 4. betreffend die Kosten des Rechtsstreits aufgeführten vorgerichtlichen Sachverständigenkosten von insgesamt 5.945,83 € schon mangels eines entsprechenden Leistungsantrages des Klägers zu Recht nicht berücksichtigt (allerdings handelt es sich bei Gutachterkosten im Rahmen der Ermittlung von Gewährleistungs- oder Schadensersatzansprüchen grundsätzlich um selbstständige Positionen des eingeklagten Anspruchs, die bei der Festsetzung des Streitwertes zu berücksichtigen sind; vgl. hierzu BGH MDR 2007, S. 852, Rn. 10; Herget in Zöller, ZPO, Kommentar, 34. Aufl., § 4, Rn. 8; a. A. Heinrich in Musielak/Voit, ZPO, Kommentar, 20. Aufl., § 4 ZPO, Rn. 16), jedoch kommt der Senat bei Addition der geltend gemachten Ansprüche zu geringfügig anderen Ergebnissen als das Landgericht. Dabei war eine Abänderung des Streitwertes zum Nachteil des Beschwerdeführers zulässig; ein Verböserungsverbot besteht im Rahmen des § 68 GKG nicht (OLG Düsseldorf MDR 2009, S. 1188, Rn. 6; Toussaint in Tousaint, Kostenrecht, Kommentar, 53. Aufl., § 68 GKG, Rn. 31).
Fehlerhaft und daher aufzuheben war die Festsetzung eines gesonderten Streitwertes (für die Gerichtskosten) betreffend den Beklagten zu 1. für die Zeit ab dem 02.05.2022. Die Festsetzung des Streitwertes für die Gerichtsgebühren gemäß § 63 Abs. 1 GKG, die im angefochtenen Beschluss erfolgt ist, hat vielmehr einheitlich zu erfolgen, wobei gemäß § 39 Abs. 1 GKG die Werte mehrerer Streitgegenstände grundsätzlich zusammengerechnet werden, wenn sie im selben Verfahren geltend gemacht werden. Allerdings ist gemäß § 33 Abs. 1 RVG auf Antrag der Gegenstandswert für die anwaltliche Tätigkeit durch Beschluss selbstständig festzusetzen, wenn sich die Rechtsanwaltsgebühren in einem gerichtlichen Verfahren nicht nach dem für die Gerichtsgebühren maßgebenden Wert errechnen, etwa weil gegen mehrere Beklagte Ansprüche in unterschiedlicher Höhe geltend gemacht werden (vgl. Toussaint, a. a. O., § 33 RVG, Rn. 10). Nichts anderes besagt die vom Beklagten zu 1. zitierte Entscheidung des Kammergerichts vom 14.08.2000 (veröffentlicht in NJW-RR 2000, S. 1622). Auch in der dortigen Entscheidung ist lediglich eine gesonderte Festsetzung des Gegenstandswertes für die Berechnung der Gebühren für die anwaltliche Tätigkeit des dortigen Beschwerdeführers erfolgt. Dem Beklagten zu 1. steht es frei, einen Antrag nach § 33 Abs. 1 RVG hinsichtlich der ihm im Rechtsstreit entstandenen außergerichtlichen Kosten zu stellen. In diesem Rahmen wird das Landgericht dann auch für die Zeit ab dem 05.05.2020 (Zeitpunkt der Zustellung des Schriftsatzes vom 02.05.2022, mit dem der Kläger den Rechtsstreit gegen den Beklagten zu 1. aufgenommen hat) die Vorschrift des § 182 Inso zu berücksichtigen haben und damit die Höhe der für die Forderung zu erwartenden Verteilungsquote (vergleiche hierzu Kurpat, a. a. O., Rn. 2.2360). Insoweit hat der Beklagte zu 1. für die vom Gericht zu treffende Prognose durchaus substantiiert dargelegt, dass die Verteilungsquote jedenfalls 10 % des Forderungswertes nicht übersteigt. Schließlich ist auch der vom Kammergericht in der zitierten Entscheidung diskutierte Fall einer gesonderten Festsetzung des Streitwerts für die Gerichtskosten im Falle der fehlenden sachlichen Zuständigkeit des Landgerichtes für die Klage gegen einen der in Anspruch genommenen Streitgenossen und Abtrennung des Rechtsstreits gegen diesen vorliegend nicht gegeben.
Nicht vorzunehmen war eine Addition der Beträge der gegen den Beklagten zu 1. nach Aufnahme des Verfahrens einerseits und gegen die Beklagte zu 2. andererseits geltend gemachten Ansprüche. Zwar werden bei der Streitwertbemessung - wie ausgeführt - grundsätzlich die Werte mehrerer Streitgegenstände gemäß § 39 Abs. 1 GKG zusammengerechnet. Eine Zusammenrechnung findet indes dann nicht statt, wenn zwischen den Ansprüchen wirtschaftliche Identität besteht, wobei es sich bei dem Begriff der wirtschaftlichen Identität um einen selbstständigen kostenrechtlichen Begriff handelt, der eine wirtschaftliche Betrachtung erfordert (BGH Beschluss vom 06.06.2013, Az. I ZR 190/11, veröffentlicht in juris; Kurpat a. a. O., Rn. 2.2945 ff). Eine solche Situation ist etwa bei der Inanspruchnahme von Gesamtschuldnern gegeben, da der Kläger in dieser Situation nur einen einzigen Anspruch geltend macht, der von mehreren Personen zugleich zu erfüllen ist (BGH MDR 1987, Seite 570; Kurpat, a. a. O., Rn. 2.2953). Ebenso ist wirtschaftliche Identität bei dem Zusammentreffen einer Leistungs- und einer Feststellungsklage gegeben, wenn der Leistungsanspruch aus dem festzustellenden Rechtsverhältnis resultiert (Kurpat, a. a. O., Rn. 2.2953). Vorliegend war bei der Bemessung des Streitwerts zunächst auf die gegenüber der Beklagten zu 2. geltend gemachten Ansprüche abzustellen, die über den von der ehemaligen Beklagten zu 1. geforderten Beträgen liegen, zuletzt also auf eine Forderung i. H. v. 403.318,76 €. Der Streitwert für den gegen den Beklagten zu 1. nach Aufnahme des Rechtsstreits angekündigten Antrag, eine Forderung des Klägers i. H. v. 382.909,90 € zur Insolvenztabelle über das Vermögen der vormals Beklagten zu 1. festzustellen, war hingegen nicht gesondert zu berücksichtigen, sodass es bei dem Betrag von zuletzt 403.318,76 € zu verbleiben hat. Hinsichtlich des Antrags auf Feststellung der Forderung zur Insolvenztabelle besteht bis zur Höhe von 348.613,45 € wirtschaftliche Identität mit dem Antrag auf Kostenvorschuss zur Mangelbeseitigung bzw. auf Schadensersatz, der vom Kläger gegenüber der Beklagten zu 2. geltend gemacht wurde und den dieser bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch gegenüber der ehemaligen Beklagten zu 1. verfolgt hat. Ebenfalls nicht bei der Bemessung des Streitwertes zu berücksichtigen waren die im Betrag von 382.909,90 € enthaltenen Zinsen auf die ehemalige Hauptforderung sowie die als Verfahrenskosten des vorliegenden Rechtsstreits bis zur Insolvenzeröffnung geforderten Sachverständigenkosten in Höhe von 5.945,83 €, § 48 Abs. 1 GKG, § 4 Abs. 1 ZPO.
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, da das Verfahren gebührenfrei ist und Kosten nicht erstattet werden, § 68 Abs. 3 GKG.