Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat | Entscheidungsdatum | 09.11.2023 | |
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Aktenzeichen | OVG 3 S 88/23 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2023:1109.OVG3S88.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | Art 19 Abs 4 GG, § 14 BesPädSchulAufnV BE |
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. August 2023 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin zu 1 zum Schuljahr 2023/24 vorläufig in die Jahrgangsstufe 7 der X...-Schule - Kunstprofil - aufzunehmen.
Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Antragsgegner.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Die nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO maßgebliche Beschwerdebegründung führt zur Änderung der angefochtenen Entscheidung und zum Erlass der aus dem Tenor ersichtlichen einstweiligen Anordnung.
Das folgt allerdings nicht schon daraus, dass der für die Eignungsfeststellung des Profilzugs „Kunst“ an der X...-Schule, für den die Antragstellerin zu 1 sich beworben hat, nach § 14 Abs. 3 Satz 1 der Verordnung über die Aufnahme in Schulen besonderer pädagogischer Prägung (AufnahmeVO-SbP) maßgebliche Kompetenzkatalog hinsichtlich der Note des letzten Halbjahreszeugnisses im Fach „Deutsch“ rechtswidrig wäre. Zwar weist die Beschwerde zutreffend darauf hin, dass aus dem Generalvorgang nicht ersichtlich ist, wann und durch wen der an der X...-Schule angewandte Kompetenzkatalog beschlossen wurde, nach dem für das Fach Deutsch die Gesamtnote zu berücksichtigen ist und nicht mehr, wie noch im Kompetenzkatalog Stand 9. Februar 2021, die Teilnote Deutsch „Schreiben - Texte verfassen“. Immerhin ist dem Genehmigungsschreiben der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie vom 3. Januar 2023 zu entnehmen, dass an der fraglichen Schule eine Änderung des Kompetenzkatalogs erfolgt sei. Der von der Beschwerde vermissten Anforderung einer Stellungnahme der Senatsverwaltung, welcher Kompetenzkatalog tatsächlich derzeit über eine Genehmigung verfügt, bedurfte es hier jedenfalls deshalb nicht, weil nicht zu erkennen ist, dass die Antragstellerin zu 1, deren maßgebliches Halbjahreszeugnis nur eine Gesamtnote Deutsch, aber keine Teilnoten aufweist, durch die Berücksichtigung dieser Gesamtnote einen Nachteil erlitten haben könnte. Im Gegenteil hätte sich nach dem Kriterienkatalog Stand 2021 die Frage gestellt, wie die fragliche Teilnote für sie zu berechnen wäre. Auch die Beschwerdebegründung geht davon aus, dass Bewerbende, denen eine Gesamtnote ohne weitere Gliederung erteilt wird, bessergestellt werden. Soweit sie eine Verzerrung zu Lasten derjenigen Kinder befürchtet, die „im Fach Deutsch eine Gesamtnote erhalten haben, welche schlechter liegt, als es ihre hypothetische Teilnote im schriftlichen Ausdruck würde“, macht sie selbst nicht geltend, dass dies auf die Antragstellerin zu 1 zutreffe.
Es kommt danach auch nicht darauf an, dass nach dem mit der Beschwerdebegründung vorgelegten Kompetenzkatalog für die ebenfalls als Schule besonderer pädagogischer Prägung geführte R...-Oberschule dort weiterhin die Teilnote Deutsch „Schreiben - Texte verfassen“ berücksichtigt wird. Es mag der Beschwerde „nicht einleuchten“, weshalb an beiden Schulen, für die das Aufnahmeverfahren in § 14 AufnahmeVO-SbP geregelt wird, in einem einzelnen Teilaspekt, nämlich der Deutschnote, unterschiedliche Regelungen getroffen werden. Dies ist indessen Konsequenz daraus, dass § 14 Abs. 3 Satz 1 AufnahmeVO-SbP die Entwicklung des Kompetenzkatalogs der einzelnen Schule überantwortet. Für das jeweilige Aufnahmeverfahren kann es nur darauf ankommen, ob das Kriterium sachgerecht ist. Das wird von der Beschwerdebegründung für die Berücksichtigung der Gesamtnote im Fach Deutsch an der X...-Schule - gerade angesichts der angeführten Erfahrungen des Prozessbevollmächtigten der Antragsteller, es seien „nicht unerheblich viele Grundschulen mittlerweile dazu übergegangen, im Fach Deutsch keine Teilnoten auszuweisen“ - nicht durchgreifend in Frage gestellt.
Zu Recht rügt die Beschwerde indessen die Bewertung der extracurricularen Aktivitäten.
Für den Bewertungsbereich der Teilnahme an zusätzlichen inner- und außerschulischen Veranstaltungen, für den nach § 14 Abs. 3 Satz 4 AufnahmeVO-SbP bis zu drei Punkte vergeben werden, sind im Kompetenzkatalog zunächst aufgeführt die Teilnahme an AGs, Wahlunterricht o.Ä. im künstlerischen Bereich, ferner die Teilnahme an außerschulischen Angeboten (z.B. Bildnerische Werkstätten, Kunstzirkel, Kurse an Jugendkunstschulen) von mindestens sechs Monaten Dauer und schließlich nicht weiter umschriebene „individuelle Aktivitäten“. In der Tischvorlage zur Dienstbesprechung vom 9. Februar 2023 zur Durchführung der Anmeldegespräche 2023 heißt es dazu, außer- und innerschulisches zusätzliches Engagement müsse nachgewiesen werden, wobei die Belege die Dauer der Kurse in Stunden (Fach WAT, also Wirtschaft-Arbeit-Technik) oder Monaten (Kunst) oder Jahren (Musik) ausweisen müssten und nicht älter als zwei Jahre sein dürften. In den Erläuterungen zu den Auswertungsbögen bzw. Protokollbögen wird ausgeführt, in Kunst und WAT werde für die Bepunktung die Dauer der Kurse o.Ä. addiert, wobei die Teilnahme an einer auf dem Zeugnis nachgewiesenen AG mit 6 Monaten bzw. einem Schulhalbjahr gewertet werde. Weiter heißt es: „Da Kurse im künstlerischen Bereich in der Regel längerfristig angelegt sind, gelten hier andere Bewertungsgrundlagen als bei WAT, wo meist Kurse angeboten werden, die nur wenige Tage oder Stunden dauern.“
Die Beschwerde rügt zu Recht, dass die bloße Vorgabe, die Dauer der Kurse nach Monaten zu berücksichtigen und zu addieren, nicht hinreichend konkret gefasst ist, weil sie völlig offen lässt, wie oft Kurse in diesem Zeitraum stattgefunden haben müssen (wöchentlich? alle zwei Wochen? einmal im Monat?), welchen zeitlichen Umfang die einzelnen Termine hatten (ein- oder zweistündig?), und dass damit eine Ungleichbehandlung derjenigen Kinder verbunden ist, die an wenigen Tagen (Wochenend- oder Ferien-)Kurse besucht haben, gegenüber denjenigen, die über einen längeren Zeitraum Kurse mit geringer zeitlicher Intensität besucht haben. Der Hinweis des Verwaltungsgerichts, bei der Mindestvorgabe, die sich nur auf den Zeitraum des oder der Kurse beziehe und nicht auf die konkret absolvierte Stundenzahl abstelle, handele es sich um ein sachliches Kriterium, denn es gebe „u.a. Aufschluss über die Fähigkeit des Bewerberkindes, sich über einen längeren Zeitraum mit künstlerischen Themen zu beschäftigen“, mag für sich genommen plausibel sein, berücksichtigt aber nicht, dass es auch in diesem Rahmen möglicherweise einen Unterschied macht, in welchem zeitlichen Umfang und mit welcher Intensität sich das Kind mit künstlerischen Themen beschäftigt. Vor allem war es Aufgabe der die Auswahlkriterien festlegenden Schule, unter Angabe der aus ihrer Sicht maßgeblichen Erwägungen einen hinreichend konkreten und nachvollziehbaren Bewertungsmaßstab festzulegen. Die bloße Angabe der Bemessungseinheit Monat und der nach Anzahl der Monate zu vergebenden Punkte genügt dem nicht.
Bezogen auf die konkrete Bewertung der extracurricularen Aktivitäten der Antragstellerin zu 1 zeigt die Beschwerde zudem mit Erfolg auf, dass die Berücksichtigung der von ihr absolvierten Sommerakademie mit nur einer Woche dem Umstand nicht hinreichend Rechnung trägt, dass es sich um eine Veranstaltung im Umfang von fünf Tagen zu je 4 Stunden gehandelt habe. Die insgesamt 20 Unterrichtsstunden entsprächen bei einer wöchentlichen Veranstaltung zu je 2 Stunden einem Zeitraum von 10 Wochen. Wären diese angesetzt worden, so wäre für die außerschulischen Aktivitäten ein Punkt zu vergeben gewesen.
Mit der Rüge, die der Antragstellerin zu 1 bescheinigte Teilnahme an der „Mädchen-AG“ der H...-Schule im Umfang eines ganzen Schuljahres sei ohne erkennbaren Grund nicht anerkannt worden, obwohl deren maßgebliche Inhalte - künstlerische Collagen und ein Filmprojekt in Zusammenarbeit mit der Jugendkunstschule K... - unter Nennung des persönlichen Beitrags der Antragstellerin und der verwendeten Techniken in der Bescheinigung aufgeführt worden seien, zeigt die Beschwerde ein weiteres Problem der Bewertung und des insoweit nicht erkennbaren Maßstabes auf. Dass diese Aktivität nicht berücksichtigt worden ist, ergibt sich lediglich indirekt aus dem Umstand, dass sie im Bewertungsbogen nicht aufgeführt ist. Eine Begründung für diese Entscheidung hat erst der Antragsgegner im erstinstanzlichen Verfahren angegeben, indem er ausgeführt hat, die Teilnahme an der Mädchen-AG habe nicht berücksichtigt werden können, weil es sich um „eine sozialpädagogisch geprägte Arbeitsgemeinschaft“ gehandelt habe, die „ausweislich der vorgelegten Bescheinigung die Auseinandersetzung mit dem Thema Freundschaft zum Inhalt hatte“. Die Nutzung unterschiedlicher Ausdruckstechniken sei „offensichtlich nur ein Mittel [gewesen], um sich mit dem Thema auseinanderzusetzen“, es habe „keinen künstlerischen Schwerpunkt“ gegeben. Diese Wertung lässt sich durchaus in Frage stellen mit dem Hinweis darauf, dass es auch in künstlerisch geprägten Arbeitsgemeinschaften darum gehen dürfte, sich unter Verwendung künstlerischer Techniken mit bestimmten Themen auseinanderzusetzen, und dass die bescheinigte Zusammenarbeit mit der Jugendkunstschule durchaus als Indiz für einen künstlerischen Schwerpunkt angesehen werden könnte.
Unabhängig von der Frage, ob auch die Anerkennung zusätzlicher künstlerischer Aktivitäten der nur eingeschränkt überprüfbaren fachlich-pädagogischen Einschätzung der mit der Auswertung beauftragten Lehrkraft unterliegt, weist die Beschwerde jedenfalls zutreffend darauf hin, dass es insoweit an einem vorab festzulegenden einheitlichen Maßstab dafür fehlt, unter welchen Voraussetzungen - abhängig vom Träger, vom zeitlichen Anteil der künstlerischen Betätigung o.ä. - Kurse und Veranstaltungen als Angebot im künstlerischen Bereich anerkannt und die Teilnahme an ihnen im Bewertungsbereich extracurricularer Aktivitäten berücksichtigt werden können. Hierfür enthalten weder die beim Generalvorgang befindlichen Hinweise zu den Aufnahmebedingungen und zu den Bewertungsbögen als Grundlage der Dienstbesprechung vom 9. Februar 2023, noch die für den Generalordner bestimmte „Anlage: Erläuterungen zum dritten Bewertungsbereich (zusätzliche inner- und außerschulische Erfahrungen)“ konkretere Angaben. Für innerschulische Erfahrungen heißt es allgemein, dies könnten „die Teilnahme an AGs, Wahlunterricht im künstlerischen Bereich und Ähnliches sein“; zu den außerschulischen Erfahrungen werden konkrete Ausführungen nur dazu gemacht, unter welchen Voraussetzungen privater Unterricht bei Künstler*innen (auch den eigenen Eltern) als individuelle Erfahrung in die Bewertung eingebracht werden kann.
Das Fehlen hinreichend konkreter Bewertungsmaßstäbe für die zusätzlichen inner- und außerschulischen Erfahrungen führt zur Fehlerhaftigkeit des Auswahlverfahrens insgesamt, jedenfalls soweit die sich bewerbenden Kinder - wie die Antragstellerin zu 1 - die Mindesteignung im Sinne des § 14 Abs. 3 Satz 2 AufnahmeVO-SbP aufweisen, d.h. auch ohne Punktvergabe in dieser Kategorie 5 von 12 möglichen Punkten erreichen. Unerheblich ist, dass die Beschwerde selbst annimmt, dass die Antragstellerin zu 1 mit insgesamt 8 (statt 6) von 12 Punkten hätte bewertet werden müssen, im Auswahlverfahren aber nur Bewerberkinder mit mindestens 9 Punkten berücksichtigt wurden. Es ist nämlich offen, wie die Platzvergabe bei Kenntnis der Rechtswidrigkeit des Auswahlverfahrens erfolgt wäre, weil es an konkreten Anhaltspunkten dafür fehlt, welche Bewertungsmaßstäbe der Antragsgegner sowohl hinsichtlich des erforderlichen Mindestumfangs der monatlichen Termine als auch hinsichtlich der Kriterien für die Anerkennung von Kursen und Arbeitsgemeinschaften aufgestellt hätte und wie danach die 17 Schulplätze, die im Wahlpflichtfach Kunst nicht nach § 14 Abs. 5 Satz 3 AufnahmeVO-SbP an Schülerinnen und Schüler zu vergeben waren, die als Durchschnittsnote im Wert von 2,8 in der Förderprognose haben oder keine Durchschnittsnote nachweisen können, zu vergeben gewesen wären. Mit Blick auf den Zeitablauf seit Beginn des Schuljahres ist es der Antragstellerin zu 1 nicht zuzumuten abzuwarten, bis der Antragsgegner die bisher fehlenden Bewertungsmaßstäbe in einer Weise aufstellt, die dem Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 Abs. 1 GG) hinreichend Rechnung trägt, und das Auswahlverfahren unter Beachtung dieser Maßstäbe erneut durchführt. Angesichts des ihr drohenden Rechtsverlusts gebietet das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) in dieser Situation den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. September 2018 - OVG 3 S 72.18 - juris Rn. 12; Beschluss vom 27. September 2013 - OVG 3 S 50.13 - juris Rn. 6).
Auf die Rügen der Beschwerde hinsichtlich der Anmeldeunterlagen, die nur eine einzelne Unterschrift aufweisen, kommt es danach nicht mehr an. Insoweit wird lediglich darauf hingewiesen, dass der Senat an seiner Rechtsauffassung festhält, wonach die gesetzliche Vertretungsvermutung aus § 88 Abs. 4 Satz 1 SchulG auch für die Anmeldung an einer weiterführenden Schule gilt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3. November 2023 - OVG 3 S 80/23 - juris; Beschluss vom 24. November 2022 - OVG 3 S 65/22 - juris Rn. 15; Beschluss vom 8. Oktober 2020 - OVG 3 S 79/20 - juris Rn. 7 f.).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).