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Entscheidung OVG 3 S 80/23


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 03.11.2023
Aktenzeichen OVG 3 S 80/23 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2023:1103.OVG3S80.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Art 19 Abs 4 GG, § 56 Abs 6 S 1 SchulG BE, § 88 Abs 4 S 1 SchulG BE, § 33 Abs 4 SondPädV BE

Tenor

Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin vom 21. August 2023 wird mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, innerhalb von 5 Werktagen nach Bekanntgabe dieses Beschlusses ein fiktives Losverfahren unter dem Antragsteller zu 1 und vier weiteren (fiktiven) Teilnehmern um zwei Schulplätze durchzuführen und den Antragsteller zu 1 vorläufig zum Schuljahr 2023/2024 in die Jahrgangsstufe 7 des W... -Gymnasiums aufzunehmen, wenn sein Los für einen der zwei Plätze gezogen wird.

Im Übrigen verbleibt es bei der erstinstanzlichen Ablehnung des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Von den Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge tragen die Antragsteller und der Antragsgegner jeweils die Hälfte.

Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem der Antrag, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragsteller zu 1 zum Schuljahr 2023/24 vorläufig in die Jahrgangsstufe 7 des W... -Gymnasiums aufzunehmen, in vollem Umfang abgelehnt worden ist, ist teilweise begründet. Das nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO maßgebliche Beschwerdevorbringen führt zur aus dem Tenor ersichtlichen Änderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Ohne Erfolg rügt die Beschwerde allerdings, in Fällen, in denen nur ein Elternteil den Anmeldebogen für die Sekundarstufe I unterzeichnet habe, sei die Schule verpflichtet, die sorgerechtliche Situation zu überprüfen. Dass eine derartige Pflicht ausdrücklich normiert sei, macht die Beschwerde selbst nicht geltend. Sie ergibt sich auch nicht aus der Bedeutung der Schulwahl. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Senats die gesetzliche Vermutung aus § 88 Abs. 4 Satz 1 SchulG auch für die Anmeldung an einer weiterführenden Schule gilt (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. November 2022 - OVG 3 S 65/22 - juris Rn. 15; Beschluss vom 8. Oktober 2020 - OVG 3 S 79/20 - juris Rn. 7 f.). Es hat auch zu Recht keinen Anlass gesehen, diese Vorschrift in Fällen einschränkend auszulegen, in denen die Eltern getrennt leben oder ein Elternteil einen anderen Namen führt als das andere oder die gemeinsamen Kinder. Schon die der Argumentation der Beschwerde zu Grunde liegende Annahme, in einem derartigen Fall sei fraglich, ob ein gemeinsames Sorgerecht bestehe, erscheint wenig realistisch. Selbst wenn es am gemeinsamen Sorgerecht fehlen würde, griffe zwar die gesetzliche Vermutung des § 88 Abs. 4 Satz 1 SchulG nicht ein, es spräche aber zumindest eine tatsächliche Vermutung dafür, dass das allein handelnde Elternteil auch allein sorgeberechtigt ist, die Anmeldung also ohnehin allein vornehmen kann. Unwirksam wäre die Anmeldung nur dann, wenn sie durch ein nicht sorgeberechtigtes Elternteil erfolgte. Dies ist jedoch in hohem Maße unwahrscheinlich, zumal die Anmeldung nur unter Verwendung des mit Hologramm versehenen Original-Anmeldebogens erfolgen kann, der - wie das Verwaltungsgericht ausgeführt hat - von den Grundschulen nicht nur ausgegeben, sondern regelmäßig auch vorausgefüllt wird.

Soweit die Beschwerde geltend macht, an der gewünschten Schule sei ein Kind fehlerhaft vorrangig als „Sonderpädagogik-Kind“ aufgenommen worden, obwohl es an seiner Erstwunsch-Schule hätte aufgenommen werden müssen, weist sie zwar zu Recht darauf hin, dass die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Antragsteller könnten sich auf etwaige Fehler der Auswahlverfahren gemäß § 33 Abs. 4 SoPädVO die jeweilige Erstwunschschule der Integrationskinder betreffend grundsätzlich nicht berufen, unzutreffend sein dürfte. Die Frage, ob das Integrationskind an seiner Erst- und Zweitwunschschule zu Unrecht nicht aufgenommen worden ist, wirkt sich unmittelbar auf die Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze an der von den Antragstellern gewünschten Schule aus. Hier bestehen indessen unter Berücksichtigung des erstinstanzlichen Vorbringens keine Anhaltspunkte dafür, dass das Bewerberkind mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu Unrecht an seiner Erst- und Zweitwunschschule abgelehnt worden ist. Insbesondere für die Erstwunschschule ergibt sich aus den Verwaltungsunterlagen, dass acht zu vergebenden Plätzen (in zwei Klassen, vgl. § 33 Abs. 3 Satz 1 SoPädVO) insgesamt 23 Bewerbungen von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf gegenüberstanden und dass die nach Vergabe eines Platzes an ein Geschwisterkind (§ 33 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 SoPädVO) verbleibenden sieben Plätze verlost wurden, wobei das hier fragliche Bewerberkind auf Platz 22 gelost wurde, also auch bei Vergabe von 16 Plätzen in vier Klassen nicht aufgenommen worden wäre. Soweit die Antragsteller erstinstanzlich geltend gemacht hatten, ein Bewerberkind habe eine Förderprognose für das Gymnasium gehabt und an der Erstwunschschule, einer Integrierten Sekundarschule, nur nachrangig berücksichtigt werden dürfen, überzeugt dies nicht. Das Kriterium der Übereinstimmung der Bildungsgangempfehlung mit den an der Schule - ohne Schulwechsel - erreichbaren schulischen Abschlüssen nach § 33 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SoPädVO ist erfüllt, wenn die Bildungsgangempfehlung mit „den“ - nicht mit allen - an der Schule ohne Schulwechsel erreichbaren schulischen Abschlüssen übereinstimmt. Das wäre nicht der Fall, wenn eine Schülerin oder ein Schüler mit einer Empfehlung für den Bildungsgang des Gymnasiums (§ 26 Abs. 2 SchulG) die Aufnahme an einer Integrierten Sekundarschule ohne eigene gymnasiale Oberstufe erstrebt, an der sie oder er das Abitur nicht ohne Schulwechsel ablegen kann (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Oktober 2021 - OVG 3 S 106/21 - juris Rn. 15). Bei der von dem Integrationskind (vergeblich) angestrebten Erstwunschschule handelt es sich indessen um eine Integrierte Sekundarschule mit gymnasialer Oberstufe. Für die von ihm angegebene Zweitwunschschule ergibt sich aus der bei dem Generalvorgang befindlichen Tabelle, dass alle zwölf vorhandenen Integrationsplätze mit Erstwünschen vergeben sind, so dass Zweitwunschbewerber nicht berücksichtigt werden konnten (vgl. § 33 Abs. 6 SoPädVO).

Die Rügen der Beschwerde hinsichtlich der Aufnahme von Geschwisterkindern überzeugen nicht. Die beim Genrealvorgang befindliche und vom Schulleiter unterzeichnete Liste führt neben den Bewerberkindern die Namen der Geschwisterkinder und deren Klassenstufe im Schuljahr 2023/24 auf. In einer gesonderten Spalte ist jeweils vermerkt, ob die Geschwisterkinder „Anerkannt oder abgelehnt“ worden sind; in einer Abschlussbemerkung ist festgehalten, dass für die Geschwisterkinder in der 10. Klasse der Übergang in die 11. Klasse nicht gefährdet ist. All das zeigt, dass die Schule die Voraussetzungen für die vorrangige Aufnahme als Geschwisterkind geprüft hat. Soweit die Beschwerde geltend macht, „in jedem Jahr“ ergäben sich „an zahlreichen Schulen Fehler in diesen Geschwisterlisten“, reicht diese allgemeine Behauptung ohne hinreichende konkrete Anhaltspunkte nicht aus, die Richtigkeit der hier fraglichen Liste in Frage zu stellen. Hinsichtlich des Bewerberkindes mit der lfd. Nr. 1010 mag der Umstand, dass die von der Grundschule im Anmeldebogen angegebene Anschrift handschriftlich geändert wurde, Anlass zu einer Nachprüfung gegeben haben. Aus den vom Antragsgegner erstinstanzlich vorgelegten Meldeunterlagen ergibt sich indes, dass nicht nur das Bewerberkind, sondern zum gleichen Zeitpunkt und unter Angabe des gleichen Umzugsdatums auch das Geschwisterkind von der Wohnung des Vaters in die der Mutter umgemeldet wurde. Eine Ummeldung im Oktober bei einem schon Anfang Januar erfolgten Umzug ist bei den Terminständen des Landeseinwohneramts auch nicht so ungewöhnlich lang, dass sich daraus Verdachtsmomente ableiten ließen. Dass am bisherigen Wohnsitz - dem des Vaters - ein Nebenwohnsitz begründet wurde, dürfte bei getrennten Eltern nicht unüblich sein. Selbst wenn man dies als Anhaltspunkt für ein Wechselmodell nehmen wollte, stünde das einer Berücksichtigung als im selben Haushalt lebendes Geschwisterkind im Sinne von § 56 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 SchulG nur dann entgegen, wenn beide Geschwister nicht gleichzeitig den Haushalt wechseln würden, sondern alternativ. Diese Annahme ist auch aus Sicht des Senats spekulativ und lebensfremd.

Zutreffend weist die Beschwerde allerdings darauf hin, dass das Verwaltungsgericht aus seiner Feststellung, die Schule habe im Loskontingent zu Unrecht die Bewerberkinder mit den laufenden Nummern 1108 und 1107 aufgenommen, nicht die zutreffende Konsequenz gezogen hat.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats (vgl. nur OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 21. September 2020 - OVG 3 S 81/20 - juris Rn. 14 m.w.N. und vom 8. Oktober 2020 - OVG 3 S 79/20 - juris Rn. 16 ff.) wird ein rechtswidrig vergebener Schulplatz im Hinblick auf das verfassungsrechtliche Gebot zur effektiven Rechtsschutzgewährung (Art. 19 Abs. 4 GG) grundsätzlich so behandelt, als sei er noch zu besetzen, soweit die Funktionsfähigkeit des Schulbetriebs gewährleistet werden kann.

Regelmäßig wird eine durch fehlerhafte Aufnahme eines Bewerbers bewirkte Rechtsverletzung dadurch kompensiert, dass derjenige Bewerber, der gegen die ablehnende Aufnahmeentscheidung im Wege gerichtlichen Rechtsschutzes vorgegangen ist, nunmehr den fiktiven freien Platz erhält. Haben mehrere Bewerber mit gleichem Rang ihre Ablehnung angefochten, so ist der freie Platz unter ihnen zu verlosen (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschlüsse vom 21. September 2020 - OVG 3 S 81/20 - juris Rn. 17 m.w.N. und vom 8. Oktober 2020 - OVG 3 S 79/20 - juris Rn. 18).

Die Beschwerde macht zu Recht geltend, dass das Verwaltungsgericht nach diesen Maßstäben die Verlosung der zwei zum Ausgleich für die rechtswidrige Aufnahme der Bewerberkinder mit den laufenden Nummern 1108 und 1107 bereit zu stellenden fiktiv freien Plätze unter allen Bewerbern gleichen Rangs hätte anordnen müssen, die ihre Ablehnung angefochten haben. Anders als im Kriterienkontingent, in dem eine Reihung etwa nach der Durchschnittsnote der Förderprognose Ausdruck einer Rangfolge sein kann, sind Bewerber im Losverfahren grundsätzlich gleichrangig. Dementsprechend ist es in der Regel ohne Belang, welchen Platz die im Eilverfahren erfolgreichen Bewerber aufgrund der Aufnahmeentscheidung ursprünglich als Nachrücker innehatten. Das Nachrückverfahren dient grundsätzlich nur der Auffüllung eines Kontingents, wenn ein rechtmäßig besetzter Platz außerhalb des gerichtlichen Verfahrens frei wird (ständige Rechtsprechung, vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 6. September 2019 - OVG 3 S 79.19 - juris Rn. 14 m.w.N.). Die vom Verwaltungsgericht (BA S. 9) angeführte Entscheidung des Senats vom 21. September 2020 - OVG 3 S 81/20 - betraf einen Sonderfall, in dem eine ausdrückliche Verordnungsregelung die Vergabe eines zunächst freigehaltenen Platzes aus der Nachrückliste vorsah und zudem die ursprüngliche Verlosung keine Fehler aufwies (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 21. September 2020 - OVG 3 S 81/20 - juris Rn. 18 f.). Ein solcher Fall ist hier indessen nicht gegeben.

Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts (BA S. 9) hatten insgesamt fünf Bewerberinnen bzw. Bewerber um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Die beiden fiktiv freien Plätze im Loskontingent waren danach unter dem Antragsteller zu 1 und den Antragstellern der vier weiteren vorläufigen Rechtsschutzverfahren zu verlosen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).