Gericht | OVG Berlin-Brandenburg 6. Senat | Entscheidungsdatum | 13.11.2023 | |
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Aktenzeichen | OVG 6 S 54/23 | ECLI | ECLI:DE:OVGBEBB:2023:1113.OVG6S54.23.00 | |
Dokumententyp | Beschluss | Verfahrensgang | - | |
Normen | § 80 Abs 5 VwGO, § 146 VwGO, § 45 Abs 2 WaffG, § 46 WaffG, § 5 Abs 2 Nr 1 Buchst WaffG |
Zur Frage der Überprüfbarkeit eines strafgerichtlichen Urteils im waffenrechtlichen Verfahren sowie zur Widerlegung der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 WaffG
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 28. September 2023 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten der Beschwerde.
Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 15.625 Euro festgesetzt.
I. Der Antragsgegner wiederrief die dem Antragsteller erteilten waffenrechtlichen Erlaubnisse nach § 45 Abs. 2 WaffG im Hinblick auf eine am 27. Oktober 2022 erfolgte strafrechtliche Verurteilung des Antragstellers wegen Beleidigung (vgl. Urteil des Amtsgerichts X ... vom 27. Oktober 2022 - 11 Cs 7 Js 1614/22 -) zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen mit Bescheid vom 26. Mai 2023 (Nr. 1 des Bescheides). Zugleich ordnete er gemäß § 46 Abs. 2 WaffG an, die noch im Besitz des Antragstellers befindlichen insgesamt 36 Waffen und wesentlichen Waffenteile sowie Munition binnen eines Monats nach Zustellung des Bescheides einem Berechtigten zu überlassen oder dauerhaft zu deaktivieren (unbrauchbar zu machen) (Nr. 2 des Bescheides). Weiter ordnete er gemäß § 46 Abs. 1 WaffG an, die unter Ziffer 1 widerrufenen waffenrechtlichen Erlaubnisse innerhalb eines Monats an die Waffenbehörde zurückzugeben (Nr. 3 des Bescheides). Für die sich aus der Nr. 3 ergebende Rückgabepflicht ordnete er gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung an (Nr. 4 des Bescheides). Den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Bescheid vom 26. Mai 2023 hinsichtlich Nr. 1 der Verfügung anzuordnen und hinsichtlich Nr. 3 wiederherzustellen, lehnte das Verwaltungsgericht ab.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit der vorliegenden Beschwerde, mit der er vorträgt, er habe am 23. Oktober 2023 alle Waffen, bis auf zwei, einem Berechtigten überlassen. Seine Anträge würden deshalb erweitert.
Im Beschwerdeverfahren beantragt er,
unter Aufhebung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Frankfurt/O. vom 28.09.2023
1. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Polizeipräsidiums des Landes Brandenburg vom 26.052023 hinsichtlich der Nr. 1 dieser Verfügung anzuordnen,
2. die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Polizeipräsidiums des Landes Brandenburg vom 26.05.2023 hinsichtlich der Nr. 3 dieser Verfügung wiederherzustellen, soweit hiervon betroffen sind:
1) die X ... sowie
2) der R ...
3. festzustellen, dass der Widerspruch des Antragstellers gegen den Bescheid des Polizeipräsidiums des Landes Brandenburg vom 26.05.2023 hinsichtlich der Nr. 3 dieser Verfügung - soweit diese über die beiden im Antrag zu Ziffer 2 genannten Waffen hinausgeht - aufschiebende Wirkung hat.
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Antragsteller mit der Beschwerde vorgebrachten Gründe, auf deren Prüfung der Senat im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen keine Änderung des angefochtenen Beschlusses.
1. Hinsichtlich des Antrags zu 1 (Nr. 1 des Bescheides) hat es das Verwaltungsgericht gemessen an dem durch das Beschwerdevorbringen begrenzten Prüfungsstoff zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen Nr. 1 des angefochtenen Bescheides vom 26. Mai 2023 anzuordnen.
Die Annahme des Verwaltungsgerichts, der Antragsteller erfülle durch die strafrechtliche Verurteilung die Regelvermutung nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) WaffG und damit den Widerrufsgrund der mangelnden Zuverlässigkeit nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG im Sinne des § 4 Abs. 1 Nr. 2 WaffG, bestreitet der Antragsteller nicht. Mit der Beschwerde wendet er sich allerdings gegen die Annahme des Verwaltungsgerichts, Bedenken gegen die Maßgeblichkeit dieser Verurteilung seien nicht veranlasst. Das Verwaltungsgericht hat insoweit im Einklang mit der einschlägigen obergerichtlichen und höchstrichterlichen Rechtsprechung ausgeführt, die Behörde dürfe sich auf die tatsächlichen Feststellungen des Strafgerichts stützen und allenfalls in Sonderfällen die strafgerichtlichen Feststellungen ihrer Entscheidung nicht oder nicht ohne weitere Ermittlungen zugrunde legen, etwa dann, wenn für sie ohne weiteres erkennbar sei, dass die Verurteilung auf einem Irrtum beruhe oder wenn sie ausnahmsweise in der Lage sei, den Vorfall besser als die Strafverfolgungsorgane aufzuklären. Es hat sodann angenommen, dass für einen Irrtum des Strafgerichts bei der Rechtsanwendung der einschlägigen Strafvorschriften nichts ersichtlich sei. Der Antragsteller setze seine eigene rechtliche Bewertung der zugrunde liegenden arbeitsrechtlichen Streitigkeit anstelle derjenigen des Arbeitsgerichts, setzte dann dessen vermeintlich rechtsfehlerhafte Entscheidung mit einer Rechtsbeugung gleich und leite daraus eine Rechtfertigung für seine beleidigenden Äußerungen gegenüber dem Richter am Arbeitsgericht ab, die zu seiner strafrechtlichen Verurteilung geführt hätten. Diese Einschätzung ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Einwendungen des Antragstellers hiergegen überzeugen nicht.
Der Antragsteller meint, seine strafrechtliche Verurteilung beruhe „auf einem Irrtum“, weil sie „erkennbar rechtsfehlerhaft“ ergangen sei. Seine Äußerungen, die den Grund für die strafrechtliche Verurteilung darstellten, seien eine Reaktion auf eine ihn persönlich betreffende Passage im Urteil des Arbeitsgerichts X ... gewesen, in der Ausführungen zu seinem Verhalten in dem Arbeitsgerichtsprozess gemacht worden seien, die ihrerseits beleidigenden Charakter gegenüber dem Antragsteller hätten. Er habe sich damit in einer Situation wie ein Beleidigter befunden. Die Strafverfolgungsbehörden hätten deshalb zwingend den Rechtsgedanken des § 199 StGB heranzuziehen gehabt. Außerdem sei das festgesetzte Strafmaß von 60 Tagessätzen deutlich überhöht und daher unverhältnismäßig.
Diese Auffassung ist schon deshalb verfehlt, weil es weder Aufgabe der Waffenbehörde noch der Verwaltungsgerichte ist, eine eigene strafrechtliche Bewertung des Verhaltens und des verhängten Strafmaßes vorzunehmen. Der Antragsteller verkennt, dass die Anwendung des Regeltatbestandes des § 5 Abs. 2 WaffG keine Prüfung der Behörde dahingehend erfordert, ob der Betroffene die Straftat tatsächlich begangen hat. Die Behörde darf grundsätzlich von der Richtigkeit der Verurteilung ausgehen und sich auf die Prüfung beschränken, ob das die Verurteilung begründende Verhalten im Zusammenhang mit den sonstigen Umständen die Annahme der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit rechtfertigt oder die Regelvermutung aufgrund besonderer Umstände ausnahmsweise ausgeräumt ist (BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2008 - 3 B 12.08 -, NVwZ 2009, 398 f., juris Rn. 9). Dass hier ausnahmsweise etwas anderes gilt, weil die Verurteilung für die Behörde ohne weiteres erkennbar auf einem Irrtum beruhe, ist mit dem Vorbringen nicht dargelegt. Der Antragsteller setzt seine eigene strafrechtliche Würdigung seines Verhaltens an die Stelle derjenigen des Strafgerichts. Einen Irrtum des Strafgerichts zeigt er nicht auf. Insbesondere war dem Strafgericht die vom Antragsteller als beleidigend erachtete Passage des arbeitsgerichtlichen Urteils bekannt. Der Antragsteller hatte sie bereits im Strafverfahren zur Rechtfertigung seines Verhaltens angeführt (vgl. das polizeiliche Vernehmungsprotokoll vom 31. Mai 2022, Bl. 29 ff. des Verwaltungsvorgangs).
Das Beschwerdevorbringen widerlegt auch im Übrigen nicht die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 WaffG.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt ein Ausnahmefall dann in Betracht, wenn die Umstände der abgeurteilten Tat die Verfehlung des Betroffenen ausnahmsweise derart in einem milderen Licht erscheinen lassen, dass die nach der Wertung des Gesetzgebers in der Regel durch eine solche Straftat begründeten Zweifel an der für die waffenrechtliche Erlaubnis vorausgesetzten Vertrauenswürdigkeit des Betroffenen bezüglich des Umgangs mit Waffen und Munition nicht gerechtfertigt sind. Erforderlich ist danach eine Würdigung der Schwere der konkreten Verfehlung und der Persönlichkeit des Betroffenen, wie sie in seinem Verhalten zum Ausdruck kommt (BVerwG, Urteil vom 16. Oktober 1995 - 1 C 32.94 -, juris Rn. 14). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen legt die Beschwerde nicht dar.
Soweit sie darauf hinweist, der Beleidigung sei im Vergleich zu anderen Straftaten weniger Gewicht beizumessen, weil sie ein Antragsdelikt sei und zu den Privatklagedelikten im Sinne des § 374 Abs. 1 StPO gehöre, verkennt sie, dass es hierauf nicht ankommt. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) WaffG knüpft nicht an die Art des Deliktes, sondern an das verhängte Strafmaß an. Mit seinen Einwendungen gegen die vorgenommene Strafzumessung kann der Antragsteller aus den bereits dargelegten Gründen nicht gehört werden.
Dass die Straftat des Antragstellers in milderem Licht erscheine, weil er mit ihr auf eine von ihm als beleidigend oder sachunangemessen empfundene Passage im Urteil des Arbeitsgerichts reagiert habe, wie der Antragsteller meint, ist schon für sich genommen fernliegend. Daran ändert auch sein Vortrag nichts, er habe sich gewissermaßen in einer Zwangslage befunden, weil er sich gegen die als beleidigend empfundenen Formulierungen nicht habe wehren können. Das Vorbringen ist schon in der Sache unzutreffend.
Der Antragsteller hätte die Möglichkeit gehabt, gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rechtsmittel einzulegen. Dies hätte nahe gelegen, zumal er selbst die Ansicht vertritt, die fragliche Passage im Urteil des Arbeitsgerichts rechtfertige die Annahme, die Entscheidung sei rechtswidrig. Weiter hätte er gegen den Richter am Arbeitsgericht Dienstaufsichtsbeschwerde erheben können. Diese dient gerade der Überprüfung eines als sachunangemessen wahrgenommenen dienstlichen richterlichen Verhaltens. Schließlich hätte der Antragsteller Strafantrag stellen können, um eine strafrechtliche Bewertung der vermeintlichen Beleidigung im Urteil des Arbeitsgerichts herbeizuführen. Dass er eine schriftliche Anzeige an die Generalstaatsanwaltschaft X ... übersandte, die die beleidigenden Äußerungen, die zu seiner Verurteilung führten, enthielt (vgl. die Sachverhaltsschilderung der Strafanzeige vom 14. Juni 2022, Bl. 24, 25 des Verwaltungsvorgangs), steht dieser Annahme nicht entgegen.
2. Der Antrag zu 2 (Nr. 3 des Bescheides) ist nach der im vorliegenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage unbegründet, da die vorzunehmende Interessenabwägung zu seinen Lasten ausgeht. Der Antragsteller hat infolge des rechtmäßigen Widerrufs seiner waffenrechtlichen Erlaubnisse diese gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 WaffG zurückzugeben. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Nr. 4 des Bescheides ist aus den im angefochtenen Beschluss genannten Gründen, denen die Beschwerde nicht entgegengetreten ist, rechtmäßig.
3. Hinsichtlich des Antrags zu 3 kann dahinstehen, ob es sich um eine zulässige Antragsänderung handelt. Er ist jedenfalls unbegründet, weil die vorzunehmende Interessenabwägung auch insoweit zu Lasten des Antragstellers ausgeht. Die Anordnung, Waffen und Munition einem Berechtigten zu überlassen oder dauerhaft zu deaktivieren durfte infolge des rechtmäßigen Widerrufs auf der Grundlage des § 46 Abs. 2 Satz 1 WaffG ergehen.
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).