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Entscheidung OVG 3 K 53/23


Metadaten

Gericht OVG Berlin-Brandenburg 3. Senat Entscheidungsdatum 17.11.2023
Aktenzeichen OVG 3 K 53/23 ECLI ECLI:DE:OVGBEBB:2023:1117.OVG3K53.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen Anl 1 Nr 3104 Abs 1 Nr 1 RVG, Anl 1 Nr 1002 RVG, § 80 Abs 5 VwGO

Tenor

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 25. August 2023 wird zurückgewiesen.

Die Erinnerungsführerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Gründe

Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf gerichtliche Entscheidung (Erinnerung) gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle vom 23. Mai 2023 zu Recht abgelehnt.

Es hat zutreffend zugrunde gelegt, dass in dem Ausgangsverfahren eine fiktive Terminsgebühr nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG nicht entstanden ist, weil für das auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung (§ 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) gerichtete Verfahren eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben war.

Nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG entsteht die Terminsgebühr auch – als sog. fiktive Terminsgebühr –, wenn in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, im Einverständnis mit den Parteien oder Beteiligten oder gemäß § 307 oder § 495a ZPO oder § 77 Abs. 2 AsylG ohne mündliche Verhandlung entschieden oder in einem solchen Verfahren mit oder ohne Mitwirkung des Gerichts ein Vertrag im Sinne der Nr. 1000 VV RVG geschlossen wird oder eine Erledigung der Rechtssache im Sinne der Nr. 1002 VV RVG eingetreten ist. Entgegen der Annahme der Beschwerde gilt die Voraussetzung, dass es sich um ein Verfahren handeln muss, für das eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist, auch für die letztgenannte Variante einer Erledigung der Rechtssache im Sinne der Nr. 1002 VV RVG.

Dies ergibt sich vor allem aus dem Sinn und Zweck der Regelung, die darauf gerichtet ist, Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten durch die Gewährung der fiktiven Terminsgebühr einen gebührenrechtlichen Anreiz dafür zu gewähren, dass sie zu einer gütlichen Verfahrensbeendigung ohne mündliche Verhandlung beitragen und damit dem Gericht den Aufwand einer mündlichen Verhandlung ersparen (vgl. BT-Drs. 19/23484, S. 85). Hierdurch soll m.a.W. verhindert werden, dass eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt allein aus einem gebührenrechtlichen Interesse heraus sich der Mitwirkung an einer Verfahrensbeendigung ohne mündliche Verhandlung verschließt und stattdessen eine mündliche Verhandlung „erzwingt“ (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2020 – OVG 3 K 135.19 – juris Rn. 3). Dieser Steuerungswirkung bedarf es jedoch nicht in Verfahren, in denen eine Entscheidung ohnehin ohne mündliche Verhandlung ergehen kann. In einem solchen Fall ist es nicht sinnvoll und sachgerecht, gebührenrechtlich zu honorieren, dass der anwaltlich vertretene Beteiligte sich auf eine Verfahrensbeendigung ohne mündliche Verhandlung einlässt.

Entgegen der Beschwerde gebietet der Gesetzeswortlaut keine andere Auslegung. Der Satzteil „in einem solchen Verfahren“, mit dem die Formulierung „in einem Verfahren, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist“ aufgegriffen wird, kann ohne weiteres auf beide am Ende der Vorschrift aufgeführte Varianten – den Abschluss eines Vertrages im Sinne der Nr. 1000 VV RVG und den Fall einer Erledigung der Rechtssache im Sinne der Nr. 1002 VV RVG – bezogen werden.

Die bereits im Gesetzentwurf des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 23. Juli 2013 (BGBl. I S. 2586) erklärte Absicht, die fiktive Terminsgebühr konsequent auf die Fälle zu beschränken, in denen der Anwalt durch sein Prozessverhalten eine mündliche Verhandlung erzwingen kann (vgl. BT-Drs. 17/11471 <neu>, S 148 u. 275 zu Art. 8 Abs. 2 Nr. 28 des Entwurfs = Änderung der Nr. 3104 Abs. 1 Nrn. 2 und 3 VV RVG), sowie die Gesetzesbegründung zum Kostenrechtsänderungsgesetzes 2021 (vom 21. Dezember 2020, BGBl. I S. 3229) bestätigen die aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift abgeleitete Auslegung.

Nach der Gesetzesbegründung sollte durch die Neufassung der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG „klargestellt werden, dass in allen Fällen, in denen der Rechtsanwältin oder dem Rechtsanwalt eine Einigungs- oder Erledigungsgebühr zusteht, also auch bei einem privatschriftlichen Vergleich, die fiktive Terminsgebühr entsteht, wenn diese Einigung oder Erledigung in einem Verfahren erfolgt, für das mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist“ (vgl. BT-Drs. 19/23484, S. 84). Diese Aussage bezieht sich nicht lediglich auf die klargestellte Variante eines Vergleichsvertrags, sondern auch auf die neu eingefügte Variante einer außergerichtlichen Erledigung und bestätigt damit, dass in beiden Fällen eine fiktive Terminsgebühr nur in Verfahren mit vorgeschriebener mündlicher Verhandlung Betracht kommen sollte.

Außerdem enthalten weder der Wortlaut der Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV noch die Gesetzesbegründung zu ihrer Neufassung einen Anhaltspunkt dafür, dass in dem neu einbezogenen Fall einer Erledigung nach Nr. 1002 VV RVG eine fiktive Terminsgebühr abweichend von der bisherigen Regelung und den Fällen der Nrn. 2 und 3 auch entstehen können sollte, wenn für das Verfahren eine mündliche Verhandlung nicht vorgeschrieben ist. Schon die bisherige Fassung des Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG bezog sich allein auf Verfahren mit vorgeschriebener mündlicher Verhandlung. Auch nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 2 VV kann eine fiktive Terminsgebühr nicht beansprucht werden, wenn gegen den Gerichtsbescheid ein Antrag auf mündliche Verhandlung – wie für den obsiegenden Beteiligten – von vornherein nicht statthaft ist (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 24. Juni 2020 – OVG 3 K 135.19 – juris Rn. 3). Ebenso kann nach Nr. 3104 Abs. 1 Nr. 3 VV eine fiktive Terminsgebühr ausdrücklich nur in Verfahren entstehen, in denen eine mündliche Verhandlung vorgeschrieben ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Wertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren bedarf es nicht, weil für das Verfahren eine Festgebühr vorgesehen ist (vgl. KV Nr. 5502 der Anlage zu § 3 Abs. 2 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).