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Entscheidung 2 OAus 20/23


Metadaten

Gericht OLG Brandenburg 2. Strafsenat Entscheidungsdatum 09.11.2023
Aktenzeichen 2 OAus 20/23 ECLI ECLI:DE:OLGBB:2023:1109.2OAUS20.23.00
Dokumententyp Beschluss Verfahrensgang -
Normen

Tenor

Die Auslieferung des Verfolgten an das Königreich Belgienzum Zwecke der Strafverfolgung auf Grundlage des Europäischen Haftbefehls des Amtsgerichts Antwerpen/Belgien vom 18. September 2023 (OR Laurence Van Strydonck 2019/148) wird für unzulässig erklärt.

Der Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 2. Oktober 2023 nebst den dem Verfolgten im Rahmen der Außervollzugsetzung erteilten Weisungen wird aufgehoben.

Gründe

I.

Die belgischen Justizbehörden ersuchen mit dem Europäischen Haftbefehl des Amtsgerichts Antwerpen vom 18. September 2023 (OR Laurence Van Strydonck 2019/148) – unter Bezugnahme auf einen (inländischen) Haftbefehl des Amtsgerichts Antwerpen vom 18. September 2023 – um Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Strafverfolgung wegen mittäterschaftlich begangener Straftaten des "Vertrauensmissbrauchs", der "Zweckentfremdung von Gesellschaftsvermögen" und des "Abführens von Vermögenswerten" gemäß Art. 491, 489, 492 i. V. m. Art. 66 des belgischen Strafgesetzbuches.

Entsprechend der Sachverhaltsdarstellung im Text der Fahndungsausschreibung sowie gemäß dem Europäischen Haftbefehl wird dem Verfolgten zur Last gelegt, in 2015/2016 der Fluggesellschaft … Airlines, über die das Handelsgericht Antwerpen am 22. Juni 2016 (Az. : F.41684) das Insolvenzverfahren eröffnet habe, im gemeinschaftlichen Zusammenwirken mit deren Anteilseignern und Geschäftsführern rechtswidrig und in Bereicherungsabsicht u.a. durch Abrechnung überhöhter Management- und Beratungskosten Vermögenswerte entzogen zu haben, die die finanziellen Mittel der in der Krise befindlichen Gesellschaft überstiegen habe. Der Verfolgte soll dabei u.a. am Zustandekommen einer für die Fluggesellschaft finanziell ungünstigen "sale-and-lease-back"-Vereinbarung betreffend vier im Eigentum des Unternehmens stehenden Verkehrsflugzeugen beteiligt gewesen sein und dafür über seine Gesellschaft … … Group 140.000 € in Rechnung gestellt und dabei von der Fluggesellschaft einen Gesamtbetrag von 174.200 € bezogen haben. Ferner soll der Verfolgte im Zusammenwirken mit dem Management der … Airlines als Unterhändler maßgeblich an der zur Auslagerung der Unternehmensaktivitäten betriebenen Gründung des Unternehmens … … Ltd. auf den britischen Virgin Islands beteiligt gewesen sein, das die von Europa in die Karibik zu überführenden Verkehrsflugzeuge der … Airlines übernehmen sollte.

Der Verfolgte wurde aufgrund einer dem zugrunde liegenden Fahndungsausschreibung im Schengener Informationssystem bei der Ausreisekontrolle am Flughafen Berlin Brandenburg am 24. September 2023 festgenommen. Er hat sich bei seiner Anhörung vor dem Amtsgericht Königs Wusterhausen am 24. September 2023 mit der Durchführung des vereinfachten Auslieferungsverfahrens nicht einverstanden erklärt und auf die Beachtung des Spezialitätsgrundsatzes nicht verzichtet.

Am 2. Oktober 2023 hat der Senat gegen ihn die Auslieferungshaft angeordnet und deren Vollzug gegen Anweisungen gemäß § 116 StPO, § 25 IRG außer Vollzug gesetzt.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, die Auslieferung für unzulässig zu erklären, der beabsichtigten Versagung der Bewilligung der Auslieferung zuzustimmen und den Auslieferungshaftbefehl nebst der Haftverschonungsentscheidung aufzuheben.

II.

Der Senat entscheidet antragsgemäß.

1. Der Senat ist zur Entscheidung über den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Erklärung der Unzulässigkeit der Auslieferung berufen (§ 29 IRG). Hierfür fehlt es insbesondere nicht an einem Rechtsschutzbedürfnis, da der Verfolgte einerseits eine solche, seinem Anspruch auf Rechtssicherheit dienende Entscheidung mangels eigenen Antragsrechts nicht selbst herbeiführen kann und er andererseits den Schutz davor genießt, nicht als reines Objekt internationalen Rechts behandelt zu werden (Senat, Beschl. v. 16. August 2022 – 2 AR 32/22 [S] und v.3. März 2022 - 2 AR 2/22; OLG München, Beschl. v. 9. April 2021 – 1 AR 285/20; jeweils zit. nach Juris).

2. Die Auslieferung ist nicht zulässig, denn ihr steht das Auslieferungshindernis der Verjährung bei konkurrierender Gerichtsbarkeit entgegen.

a) Die dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Taten unterliegen auch der deutschen Gerichtsbarkeit, weil der Verfolgte (auch) deutscher Staatsangehöriger ist (§ 7 Abs. 2 Nr. 1 StPO).Die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen zur Strafverfolgung ist deshalb unzulässig, wenn die betreffenden Straftaten im Inland wegen des Eintritts der Verfolgungsverjährung nicht mehr geahndet werden dürfen (§ 9 Nr. 2, § 78 Abs. 1, § 82 IRG).

b) Nach den Angaben im Europäischen Haftbefehl soll der Verfolgte die ihm vorgeworfenen Taten, die bei einer Beurteilung nach deutschem Strafrecht die Tatbestände des Bankrotts (§ 283 Abs. 1 StGB), der Untreue (§ 266 StGB) und des Betrugs (§ 263 Abs. 1 StGB) erfüllen könnten, in den Jahren 2015/2016 begangen haben. Danach ist eine Verjährungsfrist von fünf Jahren maßgeblich (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). Dies gilt auch, soweit ein Betrug im besonders schweren Fall gemäß § 263 Abs. 3 StGB in Betracht kommt (§ 78 Abs. 4 StGB). Nach dem anzuwendenden deutschen Recht ist mithin Verfolgungsverjährung eingetreten, da verjährungsunterbrechende Maßnahmen seitens der deutschen Strafverfolgungsbehörden nicht getroffen wurden. Die Europäische Ermittlungsanordnung vom 22. September 2022, mit der die Staatsanwaltschaft Berlin um verantwortliche Vernehmung des Verfolgten ersucht wurde, konnte die Verjährung jedenfalls bereits deshalb nicht wirksam unterbrechen, weil zu diesem Zeitpunkt Verfolgungsverjährung bereits eingetreten war. Ob insoweit ein Unterbrechenstatbestand gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 2 bzw. Nr. 12 StGB anzuwenden wäre, kann demgemäß offenbleiben.

c) Ferner bedarf es keiner Prüfung, ob seitens der belgischen Strafverfolgungsbehörden Handlungen vorgenommen wurden, die bei einer Beurteilung nach deutschen Rechtsgrundlagen zu einer Verjährungsunterbrechung geführt hätten. Kann eine Straftat im Inland wegen Verfolgungsverjährung nicht mehr geahndet werden, so ist die Auslieferung eines deutschen Staatsangehörigen auch dann nicht zulässig, wenn die Strafverfolgungsbehörden des ersuchenden Staates Maßnahmen ergriffen haben, die "ihrer Art nach" geeignet wären, die Verjährung nach deutschen Rechtsvorschriften zu unterbrechen; das Gebot verfassungskonformer Auslegung von § 9 Nr. 2 IRG setzt angesichts des Grundrechtsschutzes deutscher Staatsangehöriger gemäß Art. 16 Abs. 2 GG notwendigerweise voraus, dass lediglich inländische Unterbrechungstatbestände anerkannt werden können, um zu hinreichend voraussehbaren Rechtsfolgen für die von einer Auslieferung betroffenen deutschen Staatsangehörigen zu gelangen (BVerfG, Beschl. v. 3. September 2009 – 2 BvR 1826/09; BGH, Beschl. v. 18. Februar 2010 – 4 ARs 16/09; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29. Januar 2015 – 1 AK 16/11; jeweils zit. nach Juris).

2. Da aufgrund der Unzulässigkeit der Auslieferung ein Bewilligungsermessen nicht eröffnet ist, besteht seitens der Generalstaatsanwaltschaft kein Entscheidungsspielraum hinsichtlich der beabsichtigten Versagung der Bewilligung der Auslieferung. Insofern bedarf es auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zu den Anforderungen an die "ausstellende Justizbehörde" im Sinne von Art. 6 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses 202/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl (vgl. EuGH, Urt. v. 27. Mai 2019 – C-509/18, zit. nach Juris) keiner ausdrücklichen gerichtlichen Bestätigung seitens des Senats (vgl. hierzu bereits Senat, Beschl. v. 03.08.2023 – 2 OAus 9/23 [S], zit. nach Juris).

3. Die Entscheidung über die Aufhebung des außer Vollzug gesetzten Auslieferungshaftbefehls, die gemäß § 123 Abs. 1 Nr. 1 StPO, § 25 Abs. 2 IRG auch die Aufhebung der dem Verfolgten anlässlich der Haftverschonung gemäß § 116 Abs. 1 Satz 2 StPO, § 25 Abs. 2 IRG erteilten Weisungen zu umfassen hat, beruht auf § 24 Abs. 1 IRG.

4. Eine Auslagenentscheidung gemäß § 77 Abs. 1 IRG, § 467 Abs. 1 StPO ist nicht veranlasst.

Da die Generalstaatsanwaltschaft beantragt hat, die Auslieferung für unzulässig zu erklären, ist für eine Auslagenentscheidung kein Raum; die Kostenfolge gemäß §§ 467, 467a StPO kommt vielmehr nur dann zum Tragen, wenn die Generalstaatsanwaltschaft die Zulässigkeit der Auslieferung durch einen entsprechenden Antrag gemäß § 29 Abs. 1 IRG beim Oberlandesgericht geltend macht, was im Strafverfahren der Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft mit dem Ziel einer Verurteilung des Angeschuldigten entspricht (OLG Celle, Beschl. v. 21. Februar 2022 – 2 AR [Ausl] 67/21, zit nach Juris; Burhoff AGS 2022, 270-272).