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Entscheidung 10 Sa 171/23


Metadaten

Gericht LArbG Berlin-Brandenburg 10. Kammer Entscheidungsdatum 24.08.2023
Aktenzeichen 10 Sa 171/23 ECLI ECLI:DE:LAGBEBB:2023:0824.10SA171.23.00
Dokumententyp Urteil Verfahrensgang -
Normen § 321 ZPO, § 4 KSchG, § 7 KSchG

Leitsatz

Wenn das Arbeitsgericht bei zwei am selben Tag ausgesprochenen Kündigungen jeweils zum selben Termin nur über eine dieser Kündigungen entscheidet und die übergangene Kündigung entweder mit einem Antrag auf ein Ergänzungsurteil wieder in das Verfahren geholt oder jedenfalls nicht ausdrücklich im Berufungsantrag ausgeklammert wird

Tenor

I.

Auf den Einspruch des Klägers wird das Versäumnisurteil des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 27. Juli 2023 aufgehoben.

II.

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Januar 2023 – 36 Ca 10301/21 und 36 Ca 13486/22 wird als unzulässig verworfen.

III.

Die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der durch die Säumnis des Klägers im Termin am 27. Juli 2023 entstandenen Kosten tragen die Parteien je zur Hälfte. Die durch die Säumnis des Klägers im Termin am 27. Juli 2023 entstandenen Kosten trägt der Kläger.

IV.

Der Gebührenwert für das Berufungsverfahren wird auf 14.700,00 EUR festgesetzt.

V.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz zuletzt noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung sowie einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung, jeweils vom 6. Oktober 2021 zum 31. Mai 2022.

Der verheiratete Kläger ist 53 Jahre alt (geb. ……1970) und war bei der Beklagten, die zuletzt bundesweit ca. 49.000 Personen beschäftigte, seit dem 1. Juni 2001 mit einer Eingruppierung in die Entgeltgruppe BE 10 entsprechend monatlich durchschnittlich ca. 4.900,00 EUR als Technischer Zeichner in der Geschäftseinheit Gas and Power beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis finden die Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie in Berlin und Brandenburg (Tarifgebiet I) Anwendung. Die regelmäßige Arbeitszeit betrug 35 Stunden wöchentlich.

Entsprechend einem zwischen der Beklagten und dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat geschlossenen Interessenausgleich vom 24. Oktober 2019 wurde die Geschäftseinheit Gas and Power mit Wirkung zum 1. Januar 2020 in die A Gas and Power GmbH & Co. KG (später A Energy Global GmbH & Co. KG) ausgegliedert.

Mit Schreiben vom 21. November 2019 widersprach der Kläger dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf die A Gas and Power GmbH & Co. KG, nachdem er mit Schreiben vom 4. November 2019 entsprechend unterrichtet worden war. Mit Schreiben vom 28. November 2019 teilte die Beklagte dem Kläger unter anderem mit, dass er ab dem Zeitpunkt des Betriebsübergangs (1. Januar 2020) dem „GP-Restbetrieb“ angehöre. Ferner wurde eine widerrufliche Freistellung nach Ausgleich des Zeitguthabens ausgesprochen.

Eine Zuweisung zu einem bestimmten Arbeitsplatz erfolgte nicht. Für den Kläger stand ein sogenannter „Wechselarbeitsplatz“ zur Verfügung, an dem Zugang zum Intranet der Beklagten bestand.

Mit Schreiben vom 27. August 2021 informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass Herr B ab dem 1. Oktober 2021 die für ihn zuständige Führungskraft sei. Mit Schreiben vom 27. September 2021 lud Herrn B den Kläger zu einem Kennenlerngespräch am 5. Oktober 2021 ein.

Dieses Kennenlerngespräch verlief nach Ansicht der Beklagten in einer Art und Weise, die eine fristlose, hilfsweise fristgemäße verhaltensbedingte Kündigung rechtfertige.

Mit einem Schreiben vom 6. Oktober 2021 erklärte die Beklagte die außerordentliche fristlose, hilfsweise ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen. In dem Kündigungsschreiben heißt es:

Hiermit kündigen wir das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich unter Einhaltung eine Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Monatsende, hilfsweise zum nächstzulässigen Zeitpunkt aus verhaltensbedingten Gründen.

Mit einem weiteren Schreiben vom 6. Oktober 2021 erklärte die Beklagte die ordentliche Kündigung aus betriebsbedingten Gründen. In dem Kündigungsschreiben heißt es:

Wir haben Ihr Arbeitsverhältnis bereits durch Kündigungsschreiben vom 06.10.2021 außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum nächst möglichen Zeitpunkt aus verhaltensbedingten Gründen beendet. An den Kündigungen halten wir fest und kündigen Ihr Arbeitsverhältnis hiermit zudem vorsorglich ordentlich unter Einhaltung eine Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Monatsende, hilfsweise zum nächst zulässigen Zeitpunkt aus betriebsbedingten Gründen.

Sie werden vorsorglich ab sofort von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unwiderruflich freigestellt. Die vorsorgliche Freistellung erfolgt unter Anrechnung noch vorhandener bzw. noch entstehender Urlaubsansprüche sowie Überstunden/Arbeitszeitkontoguthaben.

Ein Betriebsrat wurde vor Ausspruch der Kündigungen nicht angehört.

Mit seiner am 14. Oktober 2021 bei Gericht eingegangen Klage wendet sich der Kläger gegen sämtliche Kündigungen. Soweit Kündigungen auf sein Verhalten gestützt würden, wäre allenfalls eine Abmahnung angesichts der missglückten Kennenlerngespräche vertretbar. Im Übrigen, so der Kläger, sei er der Ansicht, alle Kündigungen seien schon wegen einer unterlassenen Betriebsratsanhörung unwirksam. Auch die Sozialauswahl sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Diese wäre auf sämtliche Betriebe der Beklagten in Deutschland zu erstrecken. Ohnehin seien eine Vielzahl von Stellen frei gewesen, für die der Kläger geeignet sei. Zudem bestehe ein Sonderkündigungsschutz für den Kläger nach der Maßgabe des ZP-Rundschreibens Nummer 3/76, das eine auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anzuwendende Gesamtzusage enthalte. Zudem beruft sich der Kläger auf

• ein Beschäftigungssicherungsabkommen W II sowie eine

• Vereinbarung „Grundsätze bei Restrukturierungen und Strukturänderungen in der A AG, Deutschland“ zwischen der Beklagten, dem Gesamtbetriebsrat und der IG Metall vom 6. November 2013.

Die Beklagte ist der Ansicht, der Kläger habe seine arbeitsvertraglichen Pflichten mehrfach grob verletzt. Jedenfalls sei die Kündigung aus betriebsbedingten Gründen gerechtfertigt, da der Kläger dem GP Berlin ND/SW Restbetrieb angehört habe, der einen eigenständigen Betrieb darstelle, dessen Zweck die Vermittlung der dort geführten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beziehungsweise der Beendigung der mit diesen Personen bestehenden Arbeitsverhältnisse sei. Anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten bestünden nicht. Eine Sichtung des internen Stellenmarktes habe ergeben, dass keine freie und geeignete Stelle für den Kläger verfügbar sei. Soweit sich der Kläger auf einzelne freie Stellen berufe, sei er jeweils nicht hinreichend qualifiziert. Ein Sonderkündigungsschutz ergebe sich nicht aus der Vereinbarung Radolfzell II, da insoweit jedenfalls eine Ausnahme für Personen gelte, die dem Übergang ihres Arbeitsverhältnisses bei einem Betriebsübergang widersprochen hätten. Das ZP-Rundschreiben Nummer 3/76 sei jedenfalls 1993 mit dem – in der Sache unwirksamen – ZP-Rundschreiben Nummer 34/93 abgelöst worden. Ein Beschäftigungssicherungsabkommen W II gebe es nicht. Ein Betriebsrat bestehe für den Restbetrieb nicht. Ein Übergangsmandat nach der Spaltung sei ausgelaufen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 10. Januar 2023 die betriebsbedingte Kündigung für wirksam erachtet, die außerordentliche Kündigung sei unwirksam.

Die Kündigung verstoße nicht gegen ein vertragliches oder tarifvertragliches Kündigungsverbot. Das Arbeitsverhältnis sei ordentlich kündbar gewesen. Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers davon ausgehe, bei dem ZP-Rundschreiben Nummer 3/76 handele es sich um eine Gesamtzusage, sei ein darin liegendes Angebot jedenfalls bei Eintritt des Klägers in das Unternehmen der Beklagten im Jahr 2001 nicht mehr bindend gewesen. Denn jedenfalls mit der Nachfolgeregelung, dem ZP-Rundschreiben Nummer 34/93 habe die Beklagte im Jahr 1993 deutlich gemacht, dass die Kündigungsschutzregelung für Jubilare zukünftig ausschließlich auf Grundlage der mit dem Gesamtbetriebsrat getroffenen Vereinbarung gelten solle. Damit habe die Beklagte konkludent erklärt, dass das Angebot aus dem ZP-Rundschreiben Nummer 3/76 für die Zukunft nicht mehr gelten solle. Eine solche Bestimmung sei nach den §§ 146, 148 BGB auch noch nachträglich möglich. Daran ändert auch nichts, dass die mit dem Gesamtbetriebsrat getroffene Regelung wegen eines Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG rechtsunwirksam gewesen sei, weil sie im Geltungsbereich der Tarifverträge der Metall- und Elektroindustrie erfolgt wäre. Ein hypothetischer Wille des Arbeitgebers, sich unabhängig von der Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung auf Dauer einzelvertraglich zu binden, könne nur in Ausnahmefällen angenommen werden. Ein solcher Rechtsbindungswille könne vor allem nicht aus den in der Betriebsvereinbarung selbst getroffenen Regelungen abgeleitet werden. Er müsse sich aus außerhalb der Betriebsvereinbarung liegenden Umständen ergeben und auf einen von der Betriebsvereinbarung losgelösten Verpflichtungswillen des Arbeitgebers gegenüber allen oder einer Gruppe von Beschäftigten gerichtet sein. Solche Umstände habe der Kläger vorliegend nicht vorgetragen. Hinsichtlich der Vereinbarung „Grundsätze bei Restrukturierungen und Strukturänderungen in der A AG, Deutschland“ seien jedenfalls die Voraussetzungen eines Sonderkündigungsschutzes gemäß Ziffer 6 nicht erfüllt, da nach Ziffer 6 Absatz 6 Satz 1 dieser Sonderkündigungsschutz nicht bei Widersprüchen gegen einen Betriebs-/Teilbetriebsübergang gelten solle, wenn ein zumutbarer, gleichwertiger Arbeitsplatz nachweisbar nicht habe angeboten werden können oder entsprechende Angebote abgelehnt worden seien. Der zweite Halbsatz entspreche insoweit der gesetzlichen Regelung in § 1 Absatz 2 Sätze 3 und 4 KSchG, weswegen ihm keine gesonderte Bedeutung zukomme. Auf die Frage der Zumutbarkeit einer etwaigen Weiterbeschäftigung sei es vorliegend nicht angekommen, weswegen auch keine Entscheidung der Firmenleitung und des Gesamtbetriebsrats nach Maßgabe der Ziffer 6 Absatz 6 Satz 2 der Vereinbarung erforderlich gewesen sei.

Die Unwirksamkeit der Kündigung ergebe sich auch nicht aus § 102 Absatz 1 Satz 2 BetrVG. Der Kläger habe insoweit schon nicht hinreichend konkret vorgetragen, dass er überhaupt einem Betrieb zugeordnet sei, in welchem ein Betriebsrat gebildet worden wäre. Zwar habe der Kläger die Auffassung vertreten, er gehöre dem Hauptbetrieb am Standort Nonnendammallee 101 an, bei dem ein Betriebsrat gebildet worden sei. Konkreter und nachvollziehbarer Vortrag des Klägers dazu, dass er diesem Betrieb tatsächlich zugeordnet wäre, liege aber nicht vor. Vielmehr habe der Kläger selbst konkret dargestellt, dass die bei der Beklagten nach dem Betriebsübergang vom 1. Januar 2020 verbliebene Einheit für Widersprecher keine über die Vermittlung der betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beziehungsweise die Beendigung der mit ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisse hinausgehenden Zwecke verfolge, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern lediglich Zugang zum Intranet gewährt werde und nennenswerte Betriebsmittel nicht eingesetzt würden. Schon vor diesem Hintergrund sei eine Zuordnung des Klägers zum Hauptbetrieb am Standort N. 101 sachlich nicht begründbar.

Die zweite Kündigung vom 6. Oktober 2021 sei auf Grund dringender betrieblicher Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Klägers im Betrieb der Beklagten entgegenstünden, bedingt und damit sozial gerechtfertigt, § 1 Absatz 2 KSchG. Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten hätten bei Ausspruch der Kündigung nicht bestanden und eine Sozialauswahl sei nicht fehlerhaft erfolgt. Für die Beklagte habe nach dem 31. Dezember 2019 kein Bedarf mehr bestanden, den Kläger als Technischen Zeichner zu beschäftigen. Die Geschäftseinheit Gas and Power, in der der Kläger eingesetzt gewesen sei, sei zum 1. Januar 2020 rechtlich auf die A Gas and Power GmbH & Co. KG ausgegliedert worden. Da der Kläger diesem Betriebsübergang widersprochen habe, sei sein Arbeitsverhältnis bei der Beklagten verblieben. Die Beklagte könne den Kläger seit dem 1. Januar 2020 nicht mehr in dieser Geschäftseinheit einsetzen, weil sie hierüber seit dem 1. Januar 2020 keine Verfügungsgewalt mehr habe. Dass ein Betriebsübergang vorliege, der auch den bisherigen Arbeitsbereich des Klägers betreffe, sei vom Kläger nicht bestritten worden.

Die Kündigung sei weiter nicht wegen einer anderweitigen Weiterbeschäftigungsmöglichkeit (§ 1 Absatz 2 Satz 3 KSchG) sozial ungerechtfertigt. Zwar sei gemäß § 1 Absatz 2 Satz 4 KSchG der Arbeitgeber hierfür darlegungs- und beweispflichtig. Dabei gelte jedoch eine abgestufte Darlegungslast. Mache der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin geltend, es sei eine Beschäftigung an anderer Stelle möglich, obliege es ihm oder ihr darzulegen, wie er oder sie sich die anderweitige Beschäftigung vorstelle. Erst daraufhin müsse der Arbeitgeber eingehend erläutern, aus welchen Gründen eine solche Beschäftigung nicht möglich sei. Soweit sich der Kläger überhaupt auf konkrete Stellen bezogen und diese jeweils schlagwortartig benannt habe, habe die Beklagte jeweils konkret und nachvollziehbar vorgetragen, warum der Kläger für keine der Stellen geeignet sei. Dem Kläger würde entweder die erforderliche Hochschulausbildung, notwendige Berufserfahrungen oder erforderliche Englischkenntnisse fehlen. Diesen detaillierten Ausführungen der Beklagten sei der Kläger auch nicht mehr konkret entgegengetreten. Dass er die erforderlichen Kenntnisse beziehungsweise Hochschulabschlüsse innerhalb der Kündigungsfrist erreichen könne, sei ebenfalls nicht ersichtlich.

Damit bedürfe es keiner Entscheidung, ob die arbeitgeberseitige Kündigung zum 31. Mai 2022 auch aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt gewesen sei. Zudem seien auch der Antrag Weiterbeschäftigung des Klägers und der Auflösungsantrag der Beklagten nicht zur Entscheidung angefallen.

Gegen dieses den Beklagtenvertretern am 8. Februar 2023 zugestellte Urteil haben diese für die Beklagte rechtzeitig Berufung eingelegt und diese auch rechtzeitig begründet. Sie wurde mit Schriftsatz vom 15. August 2023 zurückgenommen.

Gegen das dem erstinstanzlichen Klägervertreter am 9. Februar 2023 zugestellte Urteil hat auch der Kläger mit seinen neuen Prozessbevollmächtigten rechtzeitig Berufung eingelegt und diese auch rechtzeitig begründet. Mit der Berufungsbegründung hat der Kläger allerdings den Antrag gestellt

Unter teilweise Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Januar 2023 zum Geschäftszeichen 36 Ca 10301/21 wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche betriebsbedingte Kündigung der Beklagten vom 6. Oktober 2021 aufgelöst worden ist.

Der Kläger meint unter Berufung auf eine Entscheidung des LAG München, dass das Rundschreiben vom 17. Oktober 1975 als Gesamtzusage weiter gültig sei. Eine Ablösung sei nicht beabsichtigt gewesen und durch eine unzulässige BV auch nicht möglich. Noch im Jahre 2020 habe die Beklagte das Rundschreiben aus 1993 unabhängig vom Eintrittsdatum des Mitarbeiters angewandt.

Der Kläger sei dem Hauptbetrieb der Beklagten zuzuordnen, weil der GP-Restbetrieb keinem Betrieb im Sinne des BetrVG entspreche. Ein eigener arbeitstechnischer Zweck mit einer eigenen Leitung werde nicht verfolgt. Deshalb sei es keine betriebsratsfähige Einheit, wie auch die IG Metall bestätigt habe. Dem Bereich GP Berlin sei der GP-Restbetriebe (Gas & Power) zuzuordnen, der dem Bereich WSHR (Work Stream Human Ressources) zugeordnet sei. Dieser Bereich sei der Einheit MAP (Merghers, Acquisitions & Post Closing Management) zugeordnet. Deshalb hätte auch der Betriebsrat des Hauptbetriebes vor der Kündigung der Beklagten beteiligt werden müssen. Angesichts der arbeitsvertraglichen weiten Versetzungsklausel hätte eine betriebsübergreifende Sozialauswahl erfolgen müssen.

Auch habe es (im August 2020) Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf freien Stellen gegeben. Der Kläger habe sich auf zwei freie Stellen beworben und sei dann von der Beklagten abgelehnt worden. Das sei widersprüchliches Verhalten. Im Übrigen habe es auch zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigungen geeignete freie Stellen bei der Beklagten gegeben.

Weiterhin sei auf die zum Zeitpunkt der Kündigung freien Stellen zu verweisen, die der Kläger bereits im Verfahren erster Instanz vorgetragen hatte.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

Unter teilweise Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Januar 2023 zum Geschäftszeichen 36 Ca 10301/21 wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche betriebsbedingte Kündigung der Beklagten vom 6. Oktober 2021 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte bestreitet, dass MAP eine betriebsratsfähige Organisationseinheit sei. Es handele sich im Rahmen der Matrixstrukturen um eine deutschlandweite Organisationseinheit mit unterschiedlichen örtlichen Betrieben. Auch eine betriebsübergreifende Sozialauswahl hätte nicht stattfinden müssen. Denn es gebe keinen übergreifenden GP Restbetriebe. Auch geeignete Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten habe es im Unternehmen nicht gegeben. Die vom Kläger genannten Stellen hätten entweder eine andere Qualifikation verlangt, seien schon weit vor Ausspruch der Kündigung besetzt worden oder seien vom Kläger abgelehnt worden. Für die drei zuletzt genannten Stellen verfüge der Kläger nicht über die erforderliche Qualifikation.

Nachdem der Kläger bzw. sein Prozessbevollmächtigter zur Berufungsverhandlung im Termin am 27. Juli 2023 nicht erschienen war, wurde ein die Berufung zurückweisendes und der Berufung der Beklagten entsprechendes Versäumnisurteil verkündet, wonach die Kündigungsschutzklage des Klägers insgesamt abgewiesen wurde.

Das Berufungsgericht hatte am 27. Juli 2023 mit einem Hinweis im Protokoll zugleich darauf hingewiesen, dass aufgrund der auf Seite 13 der angefochtenen Entscheidung angegebenen Begründung, dass es keiner Entscheidung mehr bedürfe, ob die arbeitgeberseitige Kündigung zum 31. Mai 2022 auch aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt gewesen sei, wohl einer Ergänzung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung entsprechend § 321 ZPO bedurft hätte.

Gegen dieses Versäumnisurteil hat der Kläger rechtzeitig Einspruch eingelegt und aufgrund des rechtlichen Hinweises des Berufungsgerichts die Klage erweitert.

Der Kläger meint, dass es kein Fall eines Ergänzungsurteils (§ 321 ZPO) sei. Der Kläger habe wegen beider Kündigungen rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben. Da das Arbeitsgericht angenommen habe, dass die betriebsbedingte Kündigung zum 31. Mai 2022 wirksam sei, habe es kein Rechtsschutzbedürfnis mehr gegeben, auch über die Wirksamkeit der verhaltensbedingten Kündigung zum 31. Mai 2022 zu entscheiden. Beide Kündigungsschutzanträge hätten ausschließlich zum Gegenstand gehabt festzustellen, dass eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. Mai 2022 nicht erfolgt sei. Selbst wenn es aber ein Fall des § 321 ZPO sei, könne entsprechend der Rechtsprechung des BGH der übergangene Antrag in der Berufungsinstanz erneut klageerweiternd angebracht werden. Eine einmal rechtzeitig geltend gemachte rechtshängige Kündigungsschutzklage könne die Rechtshängigkeit nicht nachträglich wieder verlieren.

Der Kläger und Berufungskläger hat zuletzt beantragt:

1.

Unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Landesarbeitsgerichtes Berlin-Brandenburg zum Geschäftszeichen 10 Sa 171/21 vom 27. Juni 2023 wird das Urteil des Arbeitsgerichtes Berlin vom 10. Januar 2023 zum Geschäftszeichen 36 Ca10301/21 teilweise abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die ordentliche betriebsbedingte Kündigung der Beklagten vom 6. Oktober 2021 aufgelöst worden ist;

2.

Unter Aufhebung des Versäumnisurteils des Landesarbeitsgerichtes Berlin-Brandenburg zum Geschäftszeichen 10 Sa 171/21 vom 27. Juni 2023 wird die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 10. Januar 2023 zum Geschäftszeichen 36 Ca 10301/21 zurückgewiesen.

Klageerweiternd wird beantragt:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch hilfsweise ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen vom 6. Oktober 2021 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte hat zuletzt beantragt:

die Anträge zurückzuweisen, soweit sie sich gegen die Wirksamkeit der beiden ordentlichen Kündigungen richten.

Die Beklagte hatte, wie bereits oben ausgeführt, zwischenzeitlich die Berufung hinsichtlich der erstinstanzlich für unwirksam erachteten fristlosen Kündigung zurückgenommen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung des Klägers vom 5. April 2023, seine Schriftsätze vom 8. Juni 2023, 18. Juli 2023, 4. August 2023 und 15. August 2023 sowie den Inhalt der Berufungsbeantwortung der Beklagten vom 4. Mai 2023 sowie ihren Schriftsatz vom 10. Juli 2023 und die Sitzungsprotokolle vom 27. Juli 2023 sowie 24. August 2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 Zivilprozessordnung (ZPO) eingelegt und begründet worden. Auch der Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 27. Juli 2023 ist rechtzeitig erfolgt.

II.

Da die Beklagte die Berufung gegen die fristlose Kündigung nach Verkündung des Versäumnisurteils zurückgenommen hatte, war das Versäumnisurteil zwar aufzuheben. Die Berufung hinsichtlich der nun noch geltend gemachten Unwirksamkeit der beiden fristgemäßen Kündigungen war jedoch als unzulässig zu verwerfen. Denn nachdem das Verfahren hinsichtlich der fristgemäßen verhaltensbedingten Kündigung gar nicht mehr in die zweite Instanz gelangt war, gab es auch kein Rechtsschutzbedürfnis für eine Feststellung der Unwirksamkeit der fristgemäßen betriebsbedingten Kündigung mehr.

1.

Die Beklagte hatte zwar die betriebsbedingte Kündigung nur vorsorglich, also hilfsweise, wenn auch am selben Tag zum selben Termin ausgesprochen. Der Kläger hatte erstinstanzlich allerdings bei der Antragstellung nicht daran angeknüpft und mit Haupt- und Hilfsantrag gearbeitet. Er hatte vielmehr beide (fristgemäßen) Kündigungen mit einem Hauptantrag angegriffen.

Das Arbeitsgericht hatte erstinstanzlich die betriebsbedingte Kündigung für wirksam erachtet. Auf Seite 13 der angefochtenen Entscheidung hatte das Arbeitsgericht in den Gründen ausdrücklich ausgeführt, dass es keiner Entscheidung mehr bedürfe, ob die arbeitgeberseitige Kündigung zum 31. Mai 2022 auch aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt gewesen sei. Ob dieses prozessual zutreffend ist oder die weitergehende Klage auch ausdrücklich hätte beschieden werden müssen, kann aber dahinstehen.

Wenn es einer Ergänzung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung entsprechend § 321 ZPO bedurft haben sollte (so wohl BAG vom 10. November 2021 - 10 AZR 696/19, RN 23 und RN 26), hätte dieses innerhalb der gesetzlich vorgesehenen 2-Wochen-Frist erfolgen müssen. Da der Kläger innerhalb dieser Frist keine Ergänzung des Urteils beantragt hat, wäre mit Ablauf der 2-Wochen-Frist die Rechtshängigkeit hinsichtlich der ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung entfallen (vgl. etwa BGH vom 20. Januar 2015 – VI ZR 209/14). Damit wäre diese Kündigung aber bestandskräftig ausgesprochen und das Arbeitsverhältnis in jedem Fall mit Ablauf des 31. Mai 2022 beendet.

2.

Wie bereits in den gerichtlichen Hinweisen vom 16. August 2023 mitgeteilt, vertritt der BGH in ständiger Rechtsprechung (zuletzt etwa in einer Entscheidung vom 5. März 2019 - VIII ZR 190/18) die Auffassung, dass in dem Fall, dass ein prozessualer Anspruch (Streitgegenstand) rechtsfehlerhaft bewusst nicht beschieden worden ist, eine Ergänzung des Urteils nach § 321 ZPO nicht in Betracht kommt. Vielmehr müsse die Nichtberücksichtigung eines prozessualen Anspruchs in diesem Falle mit dem jeweils statthaften Rechtsmittel angefochten werden.

Am Ergebnis ändert dieses nichts. Denn der Kläger hat hinsichtlich der fristgemäßen verhaltensbedingten Kündigung auch nicht innerhalb der Monatsfrist des § 66 Abs. 1 ArbGG die unentschiedene fristgemäße verhaltensbedingte Kündigung in das Berufungsverfahren eingeführt.

3.

Über die Wirksamkeit der fristgemäßen verhaltensbedingten Kündigung ist eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung bislang nicht ergangen.

3.1

Denn bei der Bestimmung des Umfangs der Rechtskraft eines abweisenden Urteils sind Tatbestand und Entscheidungsgründe einschließlich des Parteivorbringens heranzuziehen, da sich allein aus der Urteilsformel Streitgegenstand und damit Inhalt und Umfang der getroffenen Entscheidung nicht notwendig erkennen lassen (BGH Urt. v. 14. Mai 2002 - X ZR 144/00). Eine Einschränkung des Umfangs der Rechtskraft eines abweisenden Urteils wird danach angenommen, wenn dem Urteil zu entnehmen ist, dass das Gericht einen rechtlichen Gesichtspunkt bewusst ausgespart hat. Eine Einschränkung der Rechtskraft eines abweisenden Urteils ist danach auch dann geboten, wenn der Entscheidung unmissverständlich der Wille des Prozessgerichts zu entnehmen ist, über den zugrundeliegenden Sachverhalt nicht abschließend zu erkennen (so auch BAG vom 10. November 2021 – 10 AZR 696/19).

3.2

Wird in den Entscheidungsgründen eines die Klage abweisenden Urteils ein bestimmter materiell-rechtlicher Anspruch ausdrücklich als nicht beschieden bezeichnet, kann es dem Kläger grundsätzlich nicht verwehrt werden, diesen Anspruch in einem weiteren Verfahren (erneut) geltend zu machen (BGH vom 19. Mai 2015 – X ARZ 61/15). Insofern ist dem Kläger (und dem BGH) grundsätzlich zuzustimmen, dass der übergangene Anspruch in einem noch laufenden Berufungsverfahren wieder anhängig gemacht werden kann. Dabei sind allerdings die für den Anspruch geltenden allgemeinen Regeln zu beachten. Das ist hier die 3-Wochen-Frist des § 4 KSchG mit der Rechtsfolge in § 7 im Falle ihrer Versäumung. Entweder mit dem Entfall der Rechtshängigkeit mit Ablauf der 2-Wochen-Frist des § 321 ZPO zur Ergänzung des Urteils oder mit Ablauf der Monatsfrist des § 66 Abs. 1 ArbGG zur Einlegung der Berufung entfiel die Rechtshängigkeit der Klage gegen die fristgemäße verhaltensbedingte Kündigung. Aufgrund dessen ist auch die Klageerweiterung des Klägers vom 4. August 2023 unzulässig.

4.

Selbst wenn man den erstinstanzlichen Antrag des Klägers dahin verstehen sollte, dass es ihm neben der Feststellung der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung allein um die Unwirksamkeit der Kündigung(en) vom 6. Oktober 2021 zum 31. Mai 2022 ging, egal aus welchem Grund und die Begründung der angefochtenen Entscheidung auf Seite 13 entgegen dem Wortlaut „bedarf es keiner Entscheidung“ meinte, „kommt es nicht mehr darauf an“, hat der Kläger mit seinem Berufungsantrag ausdrücklich nur noch die betriebsbedingte Kündigung angegriffen.

In ständiger Rechtsprechung geht das BAG (vgl. etwa BAG vom 18. Dezember 2014 – 2 AZR 163/14) zwar davon aus, dass von einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG regelmäßig auch das Begehren umfasst ist festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis bis zum vorgesehenen Auflösungszeitpunkt noch bestanden hat. Zwar ist Gegenstand und Ziel einer Kündigungsschutzklage nach § 4 Satz 1 KSchG die Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die bestimmte, mit der Klage angegriffene Kündigung zu dem vom Arbeitgeber vorgesehenen Termin nicht aufgelöst worden ist. Falls der Klage stattgegeben wird, steht aber zugleich fest, dass das Arbeitsverhältnis vor oder bis zu diesem Termin auch nicht aufgrund irgendeines anderen Umstands sein Ende gefunden hat. Die einem Antrag nach § 4 Satz 1 KSchG stattgebende Entscheidung enthält zugleich die Feststellung, dass zum vorgesehenen Auflösungszeitpunkt ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien noch bestanden hat (sog. erweiterter punktueller Streitgegenstandsbegriff). Mit Rechtskraft einer solchen Entscheidung steht fest, dass das Arbeitsverhältnis bis zu dem vorgesehenen Auflösungstermin auch nicht durch mögliche andere Beendigungstatbestände aufgelöst worden ist, selbst wenn diese von keiner Seite in den Prozess eingeführt wurden. Ein Verständnis, wonach Gegenstand des Antrags nach § 4 Satz 1 KSchG lediglich - rein punktuell - die Wirksamkeit der angegriffenen Kündigung ist, würde dem weitergehenden Wortlaut des Gesetzes nicht gerecht und könnte das Ziel der Rechtskraft, Rechtsfrieden herzustellen und Rechtsgewissheit zu schaffen, nicht erreichen.

Etwas anderes gilt aber, wenn der Kläger selbst den Gegenstand eines Kündigungsschutzantrags in dieser Weise (konkludent) oder ausdrücklich begrenzt hat (BAG vom 18. Dezember 2014 – 2 AZR 163/14). Das ist hier der Fall. Der Berufungsantrag des Klägers beschränkt sich ausdrücklich auf die Unwirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung.

5.

Da somit feststeht, dass aufgrund der nicht (mehr) rechtzeitigen Geltendmachung der Rechtsunwirksamkeit der fristgemäßen verhaltensbedingten Kündigung vom 6. Oktober 2021 zum 31. Mai 2022 diese von Anfang an als rechtswirksam gilt (§ 7 KSchG) besteht für den Kläger kein Rechtsschutzbedürfnis mehr für die Feststellung der Rechtsunwirksamkeit der fristgemäßen betriebsbedingten Kündigung. Deshalb ist die darauf beschränkte Klage im Berufungsverfahren unzulässig.

III.

Die Kostenentscheidung folgt § 64 Abs.6 ArbGG in Verbindung mit § 92 ZPO. Aufgrund der Rücknahme der Berufung der Beklagten gegen die Feststellung der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung und der Unzulässigkeit der Berufung des Klägers gegen die Feststellung der Unwirksamkeit der fristgemäßen Kündigungen waren die Kosten des Berufungsverfahrens von beiden Seiten je zur Hälfte zu tragen. Einer Änderung der erstinstanzlichen Kostenentscheidung bedurfte es deshalb nicht. Hinsichtlich der durch die Säumnis des Klägers im Termin am 27. Juli 2023 entstandenen Kostentragungspflicht wird auf § 344 ZPO verwiesen.

Die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG kam nicht in Betracht, da die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorgelegen haben.